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André Heller greift Szenen und Begebenheiten seiner Kindheit auf und verwandelt sie in die Geschichte eines Jungen mit funkelnder Phantasie. In einem Asbest-Anzug als erster Mensch in das Innere des Vesuvs hinabzusteigen, um in der glühenden Lava nach Feuerfischen zu suchen, das ist einer von Pauls Plänen. André Heller schreibt eine poetische Erinnerung an ein Kind, eine Industriellendynastie und die schillernde Gesellschaft des Wiener Großbürgertums.

Produktbeschreibung
André Heller greift Szenen und Begebenheiten seiner Kindheit auf und verwandelt sie in die Geschichte eines Jungen mit funkelnder Phantasie. In einem Asbest-Anzug als erster Mensch in das Innere des Vesuvs hinabzusteigen, um in der glühenden Lava nach Feuerfischen zu suchen, das ist einer von Pauls Plänen. André Heller schreibt eine poetische Erinnerung an ein Kind, eine Industriellendynastie und die schillernde Gesellschaft des Wiener Großbürgertums.
Autorenporträt
André Heller wurde 1947 in Wien geboren. Er publizierte verschiedene Bücher, darunter die Prosabände »Die Ernte der Schlaflosigkeit in Wien« und »Auf und davon«, es folgten der Roman »Schattentaucher«, der Erzählungsband »Schlamassel« und »Als ich ein Hund war. Liebesgeschichten und weitere rätselhafte Vorfälle«. Der Autor lebt heute in Wien, am Gardasee und in Marokko.Mehr zum Künstler unter: www.andreheller.com
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.10.2008

Ein Glasauge auf Exkursion
André Heller schreibt eine groteske Familiengeschichte
André Heller – bei diesem Namen stellen sich erst mal skeptische Gefühle ein. Man erinnert sich an die breit gestreuten Aktivitäten dieses spezifisch österreichischen Tausendsassas, an Filme, Chansons und Zirkusspiele, die alle eins gemeinsam haben: Sie behandeln „Poesie” als einen isolier- und exponierbaren Gegenstand, etwas, das man bestellen kann und dann serviert bekommt wie eine Süßspeise im Kaffeehaus. Noch die Präzisionskunst chinesischer Artisten wusste er in sekundären Kitsch zu verwandeln, indem er sie als „begnadete Körper” vermarktete. Und wenn ein Buch von ihm anhebt: „Diese Erzählung greift einige Themen und Begebenheiten auf, die meine Kindheit für mich bereithielt. Die Oberhand beim Schreiben hatte allerdings die Phantasie” – dann macht man sich auf das Schlimmste gefasst. Diese Phantasie wird schon die rechte sein! Man rechnet mit ihr wie mit einem Löffel Schlagobers auf einem trockenen Kuchen.
Solche Erwartungen erfüllen sich indes nur teilweise. Den Erlebnissen und Träumereien des elfjährigen Ich in einer österreichischen Klosterschule traut man zwar nicht so ganz über den Weg, z.B. wenn es davon spricht, es wolle als erster Mensch, gehüllt in einen Asbestanzug, in den Krater des Vesuvs tauchen, um in der glühenden Lava nach Feuerfischen zu forschen. So was fällt keinem Kind ein (höchstens einem Kind, aus dem später mal ein André Heller werden soll). Doch der Autor schöpft überwiegend aus einem anderen Reservoir, einem sehr reichen, dessen bloßes Vorhandensein ihm viel gestaltende Arbeit abnimmt, denn alles hat hier schon von vornherein seine Gestalt gefunden.
Es handelt sich um die Geschichte der Familie, der dieses Ich angehört. Wie bei Familiengeschichten nicht unüblich, ist auch diese in anekdotisch abgebundener Form präsent. Dass sie hier in solcher Drastik erstarrt ist, gleichsam zu einer antiken Theatermaske, hängt mit der Besonderheit des jüdisch-großbürgerlichen Milieus zusammen, das zwar dank seiner Privilegien die Judenvernichtung physisch einigermaßen unversehrt, seelisch aber nur mit schweren Beschädigungen überstanden hat. Nichts an Sicherheit ist dieser Familie geblieben; und so klammert sie sich an ihre pointierten Fabeln wie an den letzten silbernen Serviettenring, der der Habgier der Nazis entgangen ist.
Strafgeschenke
Die zentrale Figur, furchtbar und lächerlich zugleich, ist der Vater, Roman Silberstein. Erst als er stirbt, erlangt sein Sohn so etwas wie Freiheit. Dieser Vater hatte „Strafgeschenke” verteilt, Hemden etwa, die zwei Nummern zu klein waren, aber bis zum Hals geknöpft getragen werden mussten. Auf persönliche Bitte Mussolinis wurde er beim „Anschluss” 1938 nach vier Tagen Schutzhaft von der Gestapo entlassen. Während des Krieges macht er auf Österreich zugeschnittene BBC-Sendungen, muss aber schon bald damit aufhören, weil er die Gelegenheit nutzt, um persönliche Rachebotschaften in den Äther zu schicken: „Herr Doktor Willner aus der Schottenfeldgasse 17, zweiter Stock, Tür vier, wenn ich nach gewonnenem Krieg zurückkehre und Sie mir nicht am ersten Tag die Pokerschulden aus dem siebenunddreißiger Jahr mit Zins und Zinseszinsen zurückzahlen, brech ich Ihnen persönlich die Finger.” Die Mutter, elegant und überspannt, glaubt, ihre fortschreitende Erblindung kurieren zu können, indem sie die Dankesbriefe Winston Churchills für die Bonbons der Firma Silberstein auskocht und sich den Sud in die Augen träufelt. Und der Rittmeister von Hebra lässt bei ihren Tee-Einladungen gern sein Glasauge in die Tasse fallen, mit der Begründung: „Gnädigste, gönnen Sie meiner Augapfelprothese doch Exkursionen. So ein starker, kochend heißer Hochland-Assam im Bunde mit österreichischer Kuhmilch und zwei Stück Zucker, die ihren Ursprung wahrscheinlich irgendwo in Südamerika haben, sind mit Sicherheit eine amüsante Abwechslung für etwas, das von einem grausamen Schicksal verurteilt wurde, sein Dasein in meiner Augenhöhle zu verbringen.”
Es ist eine Fundgrube des grotesken und schaurigen Witzes; die wirkungsvoll zugespitzten Episoden lösen einander wie Revue-Nummern ab. Für ein Buch hat das seinen Reiz und seine Gefahren. Natalia Ginzburg, die ihr Erinnerungsbuch über ein ganz ähnliches und ganz ähnlich anekdotisiertes Milieu in Italien schrieb, hatte das gespürt und in der Form bedacht, die sie ihm gab; „Familienlexikon” nannte sie es. Heller bedenkt es nicht; und so ist die Kraft des Einzelnen hier so angewachsen, dass sie die Form des Ganzen überwältigt.
BURKHARD MÜLLER
ANDRÉ HELLER: Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein. Eine Erzählung. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 138 Seiten, 16,90 Euro.
Aus dem reichen Reservoir einer anekdotenreichen Familiengeschichte schöpfend: André Heller Foto: Regina Schmeken
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2009

Lasst uns also schweigen
Menschwerdung: André Heller erzählt sein Trauma

Einmal hat der Vater nach Einnahme von Opiumtropfen zum Sohn gesagt: "Exzellenz, die Hummeln fliegen in meinem Kopf auf unschöne Weise." Dies, so berichtet der Ich-Erzähler Paul Silberstein lakonisch, sei der netteste Satz gewesen, den der Vater jemals an ihn gerichtet habe. War André Hellers Vater tatsächlich ein solch lieblos-sadistischer Tyrann, als den er den Kommerzialrat Roman Silberstein in seinem autobiographisch gefärbten Buch "Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein" zeichnet? Seine Erzählung greife einige Themen und Begebenheiten auf, die seine Kindheit für ihn bereitgehalten habe, gibt Heller in einer Vorbemerkung dem Leser die Richtung an. Die Oberhand beim Schreiben, so fügt er freilich hinzu, habe aber die Phantasie behalten.

Könnte es anders sein? Ein André Heller lässt nicht einfach die Ereignisse seiner Jugend dokumentarisch-nüchtern Revue passieren. Magier, der er ist, reichert er seine Erinnerung mit allen Farben an, die seine Phantasiepalette bereithält. Selbst im Jesuitenkollegium Attweg, jenem falschen Ort mit den falschen Leuten, erfindet der Zögling Paul Silberstein kleine Fluchten in den Himmel seiner Einbildungskraft. Weltmeister im Unsichtbarsein will er werden oder in einem Asbestanzug ins Innere von Vulkanen hinabsteigen. Dem Sadismus der jesuitischen Grobiane in diesem Internat, in dem künftige Kirchenfürsten, Minister der christlichen Volkspartei, Bankdirektoren und Universitätsprofessoren gezüchtet werden, entkommt er zuletzt auf einer imaginierten Jakobsleiter in Richtung Himmel: "Ich war vollständig in meine Phantasie übergesiedelt."

Der Vater ist der Schatten, der Pauls/Andrés Kindheit verdüstert hat. Er, der getaufte Jude, wollte dem Sohn im Kollegium Attweg den Katholizismus einbrennen lassen - als eine späte Rache an Adolf Hitler, der ihn zum verfolgten Rassejuden gemacht hatte und dem er damit ins Jenseits nachbrüllte: "Und wenn ich will, bin ich doch römisch-katholisch, und mein Sohn dreifach!"

Eigentlich ist Roman Silberstein ein Held, auf den ein Sohn stolz sein könnte. Im letzten Moment, am 4. April 1938, ist der Süßwarenfabrikant aus Wien mit der Eisenbahn nach Paris entkommen, "wenig mehr im Gepäck als seine Verstörung". Nach der französischen Niederlage dient er de Gaulles französischer Exilregierung in London als Verbindungsoffizier zum Weißen Haus in Washington. Im Wien der Nachkriegszeit ist er eine gefürchtete Persönlichkeit: österreichischer Kommerzialrat, römischer Commendatore, Ritter der französischen Ehrenlegion, Großritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem. Und dennoch ein gebrochener Mann. Die beiden Kriege, der Erste und der Zweite Weltkrieg, haben ihn innerlich zerstört. Sie brennen in ihm weiter: "Immer und überall gehörst du wie sie zur Hölle", erkennt der Vater in einem seltenen Moment der Weichheit.

Es ist das Drama des Paul Silberstein alias André Heller, dass der fanatische Hitler-Hasser, der der Vater geworden ist, die ganze Welt in seinen Hass miteinbezieht. "Verreck! Du bist keine Träne wert", ruft er seiner Frau, die vor Verzweiflung in den Wolfgangsee gesprungen ist und zu ertrinken droht, hinterher. Ein Leitspruch dieses zynisch gewordenen Tyrannen lautet: "Wir wollen zueinander ehrlich sein, lasst uns also schweigen." Der Tag seines Todes ist für den Zögling Paul der Tag seines Entkommens aus dem Gefängnis der jesuitischen Quäler. "Mir ging kein Riss durchs Herz", erinnert sich Paul. Sein Vater ist für ihn verdientermaßen gestorben.

Zur Beerdigung reisen die Brüder des Vaters an: Onkel Bel aus Belfast, Onkel Monte aus Montevideo und Onkel York aus New York. Ihnen und den vielen anderen Teilnehmern wird eine "scheene Leich" geboten, wie sie Wien liebt und wie sie nur ein Wiener wie Heller erfinden kann. Der Erzähler schwelgt in absurden Szenen rund um das Begräbnis. Doch immer zieht sich durch die Geschichte wie ein untergründiger Fluss die Angst vor dem Vater, die Angst etwa, dass er wiederauferstehen könne. Der Sohn muss eine Teufelsaustreibung veranstalten, indem er die Bergamotte-Duftwässer des Vaters im Badezimmer sammelt und in einem Park entleert - über den räudigen Spitz der Frau Martinek und den asthmatischen Foxterrier der Frau Kogler. Das Komische in der Tragödie seiner Jugend vergisst Heller nie zu erzählen.

"Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein" hat Heller seine Erzählung genannt. Er hätte sie auch knapper "Eine Menschwerdung" nennen können. Onkel York klärt Paul auf über das Geheimnis des Lebens auf. "Jingele", sagt der als einziger der vier Brüder Jude gebliebene Onkel zu seinem Neffen: "Geboren wird man als Entwurf zu einem Menschen, und dann muss man zeit seines Lebens aus sich einen wirklichen Menschen machen." Das kriege man nicht geschenkt und könne es sich auch nicht bei Gerngroß, Harrods oder bei Macy's kaufen. "Das muss man sich erarbeiten."

Heller hat sich dieses wirkliche Menschsein in einem rastlosen Leben erarbeitet, in seinen Liedern und Filmrollen, in seinen Büchern und magischen Shows. Mit dieser ungemein rührenden Erzählung, die aus Jugenderinnerungen schöpft und noch das größte Trauma in Poesie überführt, hat Heller eine Reise in das Land seiner Abgründe unternommen, die er bisher verborgen gehalten hat. Er hat mit diesem Buch, dessen geheime Hauptperson der Vater ist, den Teufel und viele böse Geister aus seinem Leben vertrieben. André Heller will es anders machen als sein Vater. Nicht ohne Grund hat er das Buch seinem Sohn Ferdinand gewidmet: "in tiefer Dankbarkeit".

HANS RIEBSAMEN

André Heller: "Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein". Eine Erzählung. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008, geb., 144 S., 16,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Durchaus zufrieden zeigt sich Rezensent Burkard Müller mit Andre Hellers Erzählung "Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein". Er räumt ein, dem Buch anfänglich skeptisch begegnet zu sein und nicht allzu viel erwartet zu haben, scheint ihm Heller mit seinen Filmen, Chansons und Zirkusspielen doch oft zu nah am Kitsch. Seine negativen Erwartungen haben sich allerdings nur zum Teil erfüllt. Manche Erlebnisse und Träumereien des elfjährigen Ich-Erzählers dieser Familiengeschichte fallen seines Erachtens einfach keinem Kind ein. Wenn Heller aber aus seiner eigenen Familiengeschichte schöpft und in anekdotischen Episoden vom jüdisch-großbürgerlichen Milieu erzählt, hält er das meist für recht gelungen. Er schätzt die Erzählung vor allem als "Fundgrube des grotesken und schaurigen Witzes". Allerdings fügen sich die einzelnen Episoden in seinen Augen nicht wirklich zu einem Ganzen.

© Perlentaucher Medien GmbH