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Noch immer gilt die Vergabe der Fußball-WM 2022 durch die FIFA an Katar als Mysterium. Dabei erschien der Zuschlag gerade westeuropäischen Unternehmen derart lukrativ, dass man früh darauf drängte, ins Geschäft zu kommen - Hitze hin, Fußballzwerg her. Es winkten Großaufträge, und das bei profitablen Arbeitsbedingungen. Laut dem einstigen FIFA-Präsidenten Blatter empfahlen auch Regierungschefs, aus wirtschaftlichen Interessen für Katar zu stimmen. Ihrerseits pflegte die aufsteigende Golfmonarchie dank Großinvestitionen beste Kontakte zu Lichtgestalten aus Fußball, Wirtschaft und Politik. Zudem…mehr

Produktbeschreibung
Noch immer gilt die Vergabe der Fußball-WM 2022 durch die FIFA an Katar als Mysterium. Dabei erschien der Zuschlag gerade westeuropäischen Unternehmen derart lukrativ, dass man früh darauf drängte, ins Geschäft zu kommen - Hitze hin, Fußballzwerg her. Es winkten Großaufträge, und das bei profitablen Arbeitsbedingungen. Laut dem einstigen FIFA-Präsidenten Blatter empfahlen auch Regierungschefs, aus wirtschaftlichen Interessen für Katar zu stimmen. Ihrerseits pflegte die aufsteigende Golfmonarchie dank Großinvestitionen beste Kontakte zu Lichtgestalten aus Fußball, Wirtschaft und Politik. Zudem griff man zu bewährten Mitteln der Korruption, Sonderkonditionen beim Erdgas inklusive. Selbst FIFA-Kreise sprachen von einer »gekauften WM«. Was die Verheißung trübt, mit dem Fußballfest in einer krisengeschüttelten Region »die Kulturen verbinden« zu wollen: der Vorwurf, auf diversen Kriegsschauplätzen Dschihadisten zu unterstützen. Das Buch schließt mit Vorschlägen, wie die FIFA an die Leine zu nehmen ist - im Sinne friedenspolitischer und demokratischer Kontrolle sowie eines universellen Spiels jenseits ungehemmter Vermarktungsinteressen.
Autorenporträt
Glenn Jäger, *1971, Studium der Anglistik und Sozialwissenschaften. Verlagstätigkeit und Erwachsenenbildung. Aktiver Fußballer in der Betriebssport-Liga Bonn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2018

Spiel der Zahlen
Die Fifa ist korrupt. Trotzdem fiebern wir der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland entgegen. Warum eigentlich? Eine Lektüre neuer WM-Bücher

Das einzig Positive, was man der Fifa nachsagen kann, hat sie nicht gewollt. Es ist die Kraft, alle gegen sich aufzubringen. Der Weltfußballverband führt Positionen zusammen, die ohne ihn nie zusammenkämen. Die Fifa und ihre Repräsentanten sind für alle ein Inbegriff der Korruption und des Nepotismus, der gnadenlosen Kommerzialisierung des Fußballs und des willfährigen Paktierens mit autoritären Regimes. Bücher über die Fifa heißen "Fifa-Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball" oder "The Ugly Game. The Corruption of Fifa and the Plot to Buy the World Cup". Mittlerweile ist die Fifa im Visier diverser Strafverfolgungsbehörden, sie ist unfähig zu wirklichen Reformen und wird dabei immer reicher. Allenfalls Nordkorea ist noch unbeliebter, wenngleich Kim Jong-un hart daran zu arbeiten scheint, den letzten Tabellenplatz in der Liga des Bösen zu verlassen.

Zugleich ist die Fifa die Instanz, die über das Schicksal des Fußballs auf der ganzen Welt bestimmt. Sie hat mehr Mitgliedsländer als die Vereinten Nationen, sie thront über den nationalen Verbänden, sie hat unter dubiosen, bis heute nicht ganz geklärten Umständen die Fußballweltmeisterschaften 2018 und 2022 an Russland und Qatar vergeben - an eine, euphemistisch gesagt, "gelenkte Demokratie" und an eine monarchische Diktatur mit kapitalistischer Fassade.

Für jeden, der den Fußball liebt, ist diese Konstellation eine Herausforderung. Denn wenn das Feindbild so eindeutig ist, wenn sogar das sogenannte "Sommermärchen" Resultat undurchsichtiger Deals war - warum kehren dann nicht die Fußballbegeisterten dieser Welt dem Fifa-Business den Rücken? Weshalb fiebert man trotz schwerster politischer und moralischer Bedenken der Weltmeisterschaft in Russland entgegen, die am 14. Juni eröffnet werden wird?

An dieser Frage arbeiten sich auch einige der vielen Bücher ab, die zur WM erscheinen. Stefan Gmünder und Klaus Zeyringer nennen ihre Kampfschrift "Das wunde Leder. Wie Kommerz und Korruption den Fußball kaputt machen", und am Ende gibt es noch ein "Manifest wider die Sportdiktatur", das Zeyringer mit dem Schriftsteller Ilija Trojanow verfasst hat und das zum Boykott der WM auffordert: "Schauen wir uns kein einziges Match an! Wir sind keine Quotenbringer, keine dummen Schafe, keine dumpfen Konsumenten - wir sind wahre Fußballfans!"

Das klingt ein bisschen so, wie die deutsche Mannschaft um das Jahr 2000 Fußball spielte: mit der Brechstange. Und es hat zugleich einen kuriosen asketischen Zug. Wenn die Boykotteure während der WM standhaft verkünden werden, aus politischen Gründen das Superspiel gestern Abend verpasst zu haben, wird das die Anti-Fifa-Causa kaum voranbringen. Selbstkasteiung im Wohnzimmer hat noch nie eine kollektive Bewegung hervorgebracht.

Dieser Appell zur moralischen Selbstüberforderung übersieht eben auch, dass der Fußball im globalisierten Kapitalismus keine Insel der Seligen sein kann. Tatsächlich hat er der durchgreifenden Kommerzialisierung länger widerstanden als andere Branchen. Und genau daraus speisen sich auch die Hoffnungen der Fans, das Spiel und seine Anhänger könnten ein Bollwerk sein gegen die fortschreitende Kolonialisierung der Lebenswelt. Diese Entwicklung von Kommerzialisierung und dem Widerstand gegen sie haben Gmünder und Zeyringer im Zeitraffer ja noch einmal resümiert. Und wenn das meiste davon auch bekannt und die Autoren vor einigen plakativen Thesen nicht zurückscheuen, ist es doch hilfreich, noch einmal kompakt vorgeführt zu bekommen, was aus dem Weltfußball seit den siebziger Jahren geworden ist: Wie die Fifa als Monopolist immer mächtiger und reicher wurde, wie sie in den Ländern, in denen die WM stattfindet, im Stil einer Besatzungsmacht auftritt und Steuerfreiheit genießt. Es klingt fast schon resigniert, wenn die Autoren konstatieren: Weder skrupellose Funktionäre noch Doping, Korruption, Steuersünden oder Pädophilie "scheinen der Premiummarke Fußball etwas anhaben zu können".

Was Timm Beichelt in "Ersatzspielfelder" versucht, ist in gewisser Weise die Fortführung des Pamphlets mit den Mitteln der politischen Wissenschaft. Da werden unter anderem Bourdieu, Foucault, Negri oder Huizinga im Theorie-Team aufgeboten, um das Verhältnis von Fußball und Macht zu bestimmen. Das ist stilistisch manchmal schwer genießbar, aber dafür sehr gründlich. Beichelt agiert verhaltener, er spricht etwa von "neoliberaler Verwirtschaftlichung" und "Versicherheitlichung". Er analysiert die auffallende Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Bedeutung des Fußballs und den schwachen Zugriffsrechten des Staates. Diese Diskrepanz erklärt zugleich, warum die Machtstrukturen im Fußball so intransparent sind und warum das Verbandswesen so blendend auskommt mit autoritären Regimen.

Beichelt zeigt, wie Fußball und Politik in Fragen der Subvention, der Sicherheit und der Integration direkt miteinander zu tun haben. Und dass der DFB ganz ungehindert obskure Geschäfte treiben kann, die mit seiner offiziellen Gemeinnützigkeit kaum vereinbar sind. Statt sich folgenlos über die Fifa zu erregen, bringt Beichelt nüchtern auf den Begriff, woraus die moralische Empörung resultiert: aus der Kluft zwischen unseren normativen Erwartungen an politisches und ökonomisches Handeln in Demokratien und den "Handlungsstandards", die im internationalen Business und im Umgang mit "demokratiefernen und autokratieaffinen" Regimen üblich sind.

Als studierter Slawist kennt Beichelt sich auch in Russland gut aus, so dass er am Ende den Blick auf den Veranstalter der kommenden WM richtet. Olympia in Sotschi liefere die "Blaupause", wie auch bei der WM verfahren werden könnte. Zum Maßnahmenkatalog gehören die Verhaftung angeblicher Regimegegner, was Anlass zur weiteren Repression und zur Stärkung des Sicherheitsapparats schafft, aber auch die Einbindung von Verwaltungs- und Wirtschaftseliten durch "korruptive Praktiken". Doch wie jeder Fan hat auch Beichelt eine romantische Ader. Er möchte vom "Heimatversprechen" des Fußballs so ganz nicht lassen - was er hinter dem umständlichen Fazit verbirgt: "Identität und Sozialintegration durch den Fußball mögen soziologisch unwahrscheinlich sein, in den dominanten Deutungsmustern bleiben sie gleichwohl präsent."

Wissenschaftliche Verfahren, vor allem das Potential der Digitalisierung spielen auch bei Christoph Biermann eine zentrale Rolle. Neun Jahre nach seiner "Fußball-Matrix" hat er in "Matchplan" "die neue Fußball-Matrix" entziffert. Obwohl gerade erschienen, spielen die WM, die Fifa und die Politik in dem Buch keine Rolle. Biermann hat Experten in Europa und Amerika besucht und Methoden studiert, um zu erfahren, ob und wie sich der Fußball von einem "Spiel der Meinungen in eines des Wissens" überführen lässt.

Es geht natürlich um Optimierung, um bessere Daten als jene, die heute im Fußballalltag in jeder App auftauchen und zu einem "Datenkater" geführt haben, weil sie oft mit der Realität des Spiels nur schwer in Verbindung zu bringen sind. Biermann hat dafür ein schönes Beispiel, wenn er einen der gängigen Datensätze eines Spiels mit Ballbesitz, Zweikämpfen, Passquote und Torschüssen präsentiert. Wer das Spiel gewonnen hat, scheint aufgrund der Zahlen völlig klar. Doch die Mannschaft mit den "besseren" Werten ist Brasilien, beim 1:7 von Belo Horizonte.

Unabhängig von dieser Dialektik von Erkennen und Verkennen ist Fußball jedoch längst ein "Spiel der Zahlen" geworden. Algorithmen sind darin zwar keine mysteriösen Agenten, aber jeder Algorithmus, der ein Problem lösen soll, bildet keine objektive Wahrheit ab, sondern vor allem, wie sich jemand das perfekte Spiel vorstellt. Man staunt beim Lesen von "Matchplan", was sich alles messen lässt, man lernt zum Beispiel was ein "xG", ein "expected goal", ist. Dazu wird das Spielfeld in lauter Zonen eingeteilt und mit Material aus Tausenden von Spielen ermittelt, von wo aus der Torerfolg am wahrscheinlichsten ist.

Jede Scouting-Abteilung eines Clubs hat heute ihre Datenexperten, und der ehemalige Chefscout von Borussia Dortmund gibt sogar zu, dass man zum Beispiel niemals Ciro Immobile verpflichtet hätte, wenn damals besseres Datenmaterial vorgelegen hätte.

Doch die datengefütterten Matchpläne bleiben trotz aller Fortschritte eine spekulative Veranstaltung mit Science-Fiction-Anteilen, wenn es etwa um die Spielvorbereitung der Zukunft mit Virtual Reality geht. VR könnte dazu führen, dass der reale Fußball und der Fußball auf der Spielkonsole ihre Trennschärfe einbüßten. Christoph Biermann ist zu erfahren, um sich von solchen Szenarien blenden zu lassen, und zu klug, um gegen den Szientismus die Macht der Gefühle auszuspielen. Deshalb endet sein Buch mit den Worten: "Man muss die Zahl der überspielten Verteidiger kennen und sich den Sinn für die Poesie eines perfekt getimten Balles bewahren."

Leider keine Science-Fiction ist die Vorweihnachts-WM 2022 in Qatar. Daher kann es auch nichts schaden, schon mal genauer auf den Veranstalter zu schauen, auch wenn Franz Beckenbauer, als er den Emir besuchte, auf den Stadionbaustellen keine Sklaven gesehen hat. Glenn Jägers Buch "In den Sand gesetzt" trägt materialreich zusammen, was man über das Emirat wissen sollte. Jäger analysiert Qatars problematische geopolitische Rolle, das autoritäre Regime, die durchsichtigen Versuche, internationale Reputation zu erwerben, wie etwa durch die Übernahme des Fußballclubs Paris Saint-Germain. Er zeigt einleuchtend, warum die Profitchancen nicht nur deutscher Großkonzerne es unwahrscheinlich machen, dass sich eine ernsthafte Front gegen die WM am Golf formiert. Und er fragt mit Recht, ob es nicht nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte misstrauisch stimmen müsse, dass ausgerechnet das FBI federführend bei den Ermittlungen gegen die Fifa sei.

Jäger hat allerdings ein, wenn auch mäßiges Talent zum Humoristen. Nicht weil er vorschlägt, die Fifa den Vereinten Nationen zu unterstellen. Nicht weil er postuliert, Länder, die einen Angriffskrieg unterstützen, sollten keine WM ausrichten dürfen. Sondern weil er vor diesem Hintergrund allen Ernstes Russland für einen tadellosen Veranstalter hält und meint, Deutschland hätte wegen seines Engagements in Jugoslawien und Afghanistan die WM 2006 nicht bekommen dürfen. Da merkt man dann doch, dass der Verlag PapyRossa so einfältig ist wie sein Vorgänger Pahl-Rugenstein, der Ideologielieferant der DKP.

Deutlich wichtiger ist nach all dem, was aus dem Spiel wird, das alle Autoren auf ihre Weise lieben. Dass die digitalen Verfahren es ebenso verändert haben wie die Kommerzialisierung und die Zurichtung durch das Fernsehen, ist unstrittig. An schlechten Tagen kann man sich schon mal fragen, ob nicht die ganzen Begleitgeräusche und Vermarktungsaktivitäten das Spiel auf dem Rasen zu ihrem Anhängsel gemacht haben. Ohne das Spiel wäre zwar alles nichts; es selbst ist aber mit all dem Davor, Daneben und Danach beinahe unsichtbar geworden.

Das wird sich bei der kommenden WM nicht ändern. Von unseren servilen Sendern ist kaum eine journalistischen Standards genügende Kommentierung der Spiele zu erhoffen. Umso mehr muss man darauf setzen, dass Print- und Online-Medien ihre Arbeit machen. Weil eben nicht versprengte Boykotteure im Wohnzimmer eine WM in Qatar womöglich noch kippen können, sondern allenfalls unabhängige Berichterstattung und politische Akteure mit internationaler Reichweite, die weder die Fifa noch eine semifeudale Diktatur länger hofieren mögen. Dass dergleichen eintritt, könnte allerdings eine dieser Hoffnungen sein, die im Fußball nie aufhören.

PETER KÖRTE

Timm Beichelt: "Ersatzspielfelder. Zum Verhältnis von Fußball und Macht". Suhrkamp, 398 Seiten, 18 Euro

Christoph Biermann: "Matchplan. Die neue Fußball-Matrix". Kiepenheuer & Witsch, 288 Seiten, 14,99 Euro

Stefan Gmünder / Klaus Zeyringer: "Das wunde Leder. Wie Kommerz und Korruption den Fußball kaputt machen". Suhrkamp, 128 Seiten, 12 Euro

Glenn Jäger: "In den Sand gesetzt. Katar, die Fifa und die Fußball-WM 2022". PapyRossa, 312 Seiten, 16,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.05.2018

Schattenseiten der Glitzerwelt
Glenn Jäger beleuchtet das Emirat Katar, das die Fußball-WM 2022 ausrichten wird. Er schildert ein Land voller Widersprüche
Das arabische Emirat Katar – halbinselförmiger Sandhaufen, etwa 11 500 Quadratkilometer messend (knapp ein Sechstel von Bayern), an den „großen Bruder“ Saudi-Arabien grenzend und flach in den persisch-arabischen Golf hineinreichend, keine halbe Million Untertanen zählend, dafür zwei Millionen ausländische Residenten im Land, die als Arbeitstiere die beispiellose Lebensqualität der Untertanen am Blühen halten – versteht sich seit einigen Jahrzehnten als „Weltmacht“ der besonderen Art. Man investiert und investiert und investiert in westlichen Sphären wie Frankreich, Großbritannien, Deutschland oder auch den USA: Fünf- und Mehr-Sternehotels, Industriegefüge unterschiedlichster Art und natürlich Fußballmannschaften wie etwa die französische Star-Elf Paris St. Germain, aber auch mit dem FC Barcelona und dem FC Bayern treibt man es intensiv. Womit das Thema von Glenn Jägers Buch bereits umrissen wäre.
Seit das Emirat die Fußball-WM 2022 zugesprochen bekam, hat sich eine katarische Globalstrategie entwickelt, darauf abzielend, bis dahin eine Nationalmannschaft absoluter Spitzenklasse großgezogen zu haben. Fußballerischer „Lebensborn“-Aktivismus, wenn man so will. Die dafür notwendigen Dollar- und Euro-Bewegungen sind in vollem Gang und (be)stechen hemmungslos zu, wo immer möglich und machbar. Katarische „Sendgrafen“ sind auf alle Kontinente ausgeschwärmt, um Talente ausfindig zu machen. Im belgischen Eupen wurde ein Provinzklub aufgekauft. Dort finden Vorauswahlen und Grundausbildung statt. Wer in diesem Filter qualifiziert hängen bleibt, hat gute Chancen, fürs eigentliche WM-Training eingeladen zu werden.
Andererseits sind die Katarer genauso islamistisch eingefärbte „Mentalintegristen“ wie die Saudi-Araber, da mehrheitlich der puristischen, rückwärtsgewandten wahhabitischen Version des Islams angehörend. Auch ihre Frauen kennt man in der Öffentlichkeit eher als schwarze Wüstengespenster auf trippelnden Füßen, und entsprechend schwarz-weiß gepinselt funktioniert ihr geschlechtsspezifisch interaktives Denken und Handeln. Todeskandidaten der Katar-Justiz werden mit dem Schwert einen Kopf kürzer gemacht wie in Saudi-Arabien. Wenn es Touristen richtig terminierten, konnten sie bis vor Kurzem noch einem derartigen öffentlichen Gerechtigkeitsritual beiwohnen. Es gibt aber neue Bestrebungen in Katar (im Gegensatz zu Saudi-Arabien), anstehende Hinrichtungen auszusetzen beziehungsweise die Todesstrafe ganz abzuschaffen.
Und vor Jahrzehnten hatten die Katarer auf der Ebene von Handelsmissionen sogar bilaterale Beziehungen mit Israel aufgenommen. Diese wurden inzwischen wieder entsorgt, scheinen aber – wie so vieles in der arabischen Welt – untergründig weiterzuleben. Auch der weltweit empfangbare TV-Sender Al Jazeera eine Art CNN vorderorientalisch gestylt sowie auf Arabisch und Englisch ausstrahlend, dem man zunehmend unterstellt, subtiles Sprachrohr internationaler „Muslimbrüder“ geworden zu sein (die Meinungen hierzu gehen auseinander), hat seinen Sitz in Doha, der Hauptstadt Katars.
Katar schäkert des Weiteren mit Iran und geriet deshalb in Totalverschiss mit Saudi-Arabien; dennoch ist das Emirat Bestandteil einer örtlichen Militärkoalition, gegenwärtig damit befasst, unter saudi-arabischer Führung Jemen auszulöschen. Nicht zuletzt beherbergt das Emirat auch das Hauptquartier der amerikanischen Militärpräsenz im gesamten Vorderen Orient. Angst vor Widersprüchlichkeiten scheint man in Doha jedoch nicht zu haben. Die Farben des Landes schillern vielfältig, und auf dem Sandhaufen geht es logischerweise lebhaft zu.
Somit ist es kein Wunder, dass Katar alles tat, um Gastgeber für eine Fußball-WM zu werden. Ressourcen, an denen es (noch) nicht mangelt (Katar hält nicht nur Rohöl, sondern unter seinem Sandhaufen auch ungeheuere Mengen Erdgas zur dollarträchtigen Förderung bereit), wurden mobilisiert, und der Dollar-Springbrunnen begann zu sprudeln …, was sofort eine internationale Interessentenschaft mobilisieren musste. Die Katarer ziehen mit, wie immer sie können. Sie scheinen sogar die „Fifa-Bierklausel“ bis zu einem gewissen Grade tolerieren zu wollen. Diese lautet: alle WM-Fans müssen, wenn sich der fußballerische und durch das allgemeine Wüstenklima aufgeheizte Durst meldet, „saufen“ dürfen. Mit der wahhabitischen Fass- und Kellerordnung – keinen Tropfen Alkohol auf nationalem Territorium – ist das schwerlich zu vereinbaren. Man hat jedoch zwischen Fifa und Katarregierung wohl tragfähige Kompromisse gefunden durch die Schaffung von Free Drink-Zonen. Auch das andere WM-Must, während der heißen Kompetitionstage genügend weibliches Begleitpersonal für erholsame Abend- und Nachstunden verfügbar zu halten, scheint zwischen den Veranstaltungsträgern und der Gastgebernation bereits ausgehandelt zu sein. Entsprechend motivierte Fifa-Korruptionäre waren offenbar auch hier rasch zur Stelle, um mögliche Wogen bereits im Vorfeld zu glätten.
Glenn Jäger, Anglist, Sozialwissenschaftler wie auch aktiver Fußballer, der hier eine brillante, flüssig geschriebene und quellenmäßig bestens abgesicherte „Fallstudie“ zu einem weltweit agierenden Korruptionskontinuum („Weltmacht Fußball!“) vorstellt, formuliert abschließend eine durchaus diskussionswürdige Anregung: die Fifa sollte zu einem Zweig der Vereinten Nationen (also wie die Unesco) umfunktioniert werden, und damit unter international-öffentliche Kontrolle geraten. Trüben Korruptionsmachenschaften in Millionenhöhe wäre damit, so hofft man, ein relativ sicherer Riegel vorgeschoben. Darf man vielleicht träumen?
WOLFGANG FREUND
Wolfgang Freund ist deutsch-französischer Sozialwissenschaftler (Schwerpunkt „Mittelmeerkulturen“). Zahlreiche Publikationen auf Deutsch, Französisch und Englisch. Lebt heute in Südfrankreich.
Glenn Jäger:
In den Sand gesetzt.
Katar, die Fifa und die Fußball-WM 2022.
Papyrossa-Verlag, Köln 2018. 311 Seiten,
16,90 Euro.
Luftig und transparent: Eine Simulation des Al-Rayyan-Stadions – einer der geplanten Orte für die Hochtemperatur-Weltmeisterschaft.
Illustration: Handout / Getty
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