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Die 1925 gegründete Studienstiftung des deutschen Volkes, die erste deutsche Zentralinstitution zur Auswahl und Förderung von Hochbegabten, war eines der größten bildungspolitischen Reformprojekte der Zwischenkriegszeit. Die von der Reformpädagogik beeinflusste, von führenden Bildungspolitikern und - programmatikern wie Carl Heinrich Becker, Eduard Spranger, Hermann Nohl und Theodor Litt gestaltete Stiftung diente der gezielten Erschließung von Bildungsreserven. Sie förderte bis zur Auflösung 1934 nach den Auswahlkriterien Begabung, Persönlichkeit und Bedürftigkeit Studenten und Doktoranden…mehr

Produktbeschreibung
Die 1925 gegründete Studienstiftung des deutschen Volkes, die erste deutsche Zentralinstitution zur Auswahl und Förderung von Hochbegabten, war eines der größten bildungspolitischen Reformprojekte der Zwischenkriegszeit. Die von der Reformpädagogik beeinflusste, von führenden Bildungspolitikern und - programmatikern wie Carl Heinrich Becker, Eduard Spranger, Hermann Nohl und Theodor Litt gestaltete Stiftung diente der gezielten Erschließung von Bildungsreserven. Sie förderte bis zur Auflösung 1934 nach den Auswahlkriterien Begabung, Persönlichkeit und Bedürftigkeit Studenten und Doktoranden aller Studienfächer. Ihre Geschichte ist ein Beispiel defensiver und partieller Modernisierung durch die Professionalisierung von Identifizierung, Auswahl und Förderung Hochbegabter, schließlich nach der Neugründung 1948 auch durch die Entwicklung von der sozial- zur individualemanzipatorischen Förderung. Ein zweiter Professionalisierungsschub folgte Anfang der 1970er Jahre mit der Verwissenschaftlichung der Hochbegabungs-Diagnostik unter dem Einfluss psychologisch-pädagogisch-sozialwissenschaftlichen Forschung.
Autorenporträt
Prof. Dr. Rolf-Ulrich Kunze lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.04.2002

Wer hier war, wird was
Rolf-Ulrich Kunze über die Studienstiftung des deutschen Volkes

Die Studienstiftung des deutschen Volkes entstand als ein Geschöpf der Krise. Sie trat ins Leben, als das alte Europa in der Katastrophe des Ersten Weltkrieges unterging und nach neuen Lebensordnungen zu suchen begann. Die Studienstiftung gehörte zu den Antworten auf diese Herausforderung, denn auch die deutschen Universitäten verloren ihren vertrauten Ort in der Gesellschaft und im Staat. Den Verfassungsrang, den sie - so die erhellende Charakterisierung Pierangelo Schieras - im Kaiserreich besessen hatten, räumte ihnen die erste deutsche Demokratie nicht mehr ein. Der Zustrom zu den Universitäten schwoll an, doch deren soziale Öffnung schien in eine Inflation der Bildungspatente zu münden, das Studium zu trivialisieren und ein akademisches Proletariat zu erzeugen.

Wer so dachte, mißtraute den Demokratisierungsleistungen der jungen Republik. Sie erweiterte die politische Elite, zu deren Kern sich die Akademiker wie selbstverständlich zählten, in Sozialkreise hinein, denen zuvor der Zugang verwehrt geblieben war. Dies schien das Hochschulstudium als Steuerungsinstanz, die über Sozialchancen entschied, zu entwerten. Doch auch für die kulturelle Elite werde die neue "Massenuniversität", so befürchtete man, an Bedeutung verlieren. Selbst ein Reformer wie Theodor Litt sprach auf einer Tagung der Studienstiftung, auf der über die künftigen Auswahlkriterien debattiert wurde, von der "Umwandlung der Universität in eine Bildungsstätte des Durchschnittlichen und Unterdurchschnittlichen".

In dieser Umbruchsituation, die insbesondere im Bildungsbürgertum als Bildungskrise gedeutet wurde, entstand die Studienstiftung als eine "Selbsthilfeeinrichtung des neuen Mittelstandes", dem die Mittel fehlten, das Studium seiner Kinder zu finanzieren. Auf die Hilfe der überkommenen privaten Stiftungen konnte er nicht rechnen, denn deren Kapital hatte die Inflation weitestgehend vernichtet. Mit der Studienstiftung erhielt Deutschland erstmals eine zentrale Institution zur Förderung des Hochschulstudiums. Ihr Leitbild war der sozial bedürftige Hochbegabte. Er sollte schon in der Schule erkannt und zum Studium ermuntert werden. Die ersten Richtlinien des Auswahlverfahrens fragten nach herausgehobener "wissenschaftlicher Begabung und Tüchtigkeit, menschlicher Bewährung sowie charakterlicher Eignung bei entsprechender wirtschaftlicher Bedürftigkeit".

Die Studienstiftung der Weimarer Republik zielte nicht auf eine republikanische Funktionselite, sondern auf den vermeintlich überparteilichen Dienst an der Nation. Die politische Neutralität, der sich die Studienstiftung verschrieb, begünstigte die reibungslose Gleichschaltung seit 1933. Dies sollte jedoch die positive Bilanz, auf welche die Studienstiftung zurückblicken konnte, als sie 1934 im nationalsozialistischen "Reichsstudentenwerk" unterging, nicht übersehen lassen.

Unter den mehr als fünfzehnhundert Personen, die man seit der Gründung im Jahre 1925 gefördert hatte, befanden sich weit überdurchschnittlich viele Kinder aus Arbeiterfamilien und Frauen. Ob dies eine "Belohnung adaptiver sozialer Aufsteigerfähigkeiten" war, wie der Autor meint, ließe sich nur durch eine Analyse der Stipendiaten und ihrer Lebenswege belegen. Die wenigen Einzelfälle, die er vorführt, illustrieren eindringlich die Not, der damals viele ihr Studium abringen mußten, erlauben aber keine Aussage über die Studienstiftler. Untersucht werden die Ziele der Studienstiftung und ihre Verwaltungspraxis. Das Ergebnis ihrer Förderpolitik kennen wir hingegen nicht. Ob die Studienstiftung der ersten Phase, die von 1925 bis 1934 reicht, ihre Stipendiaten zu einer Gruppe formte, die sich in ihren Einstellungen und ihren Lebenswegen von den anderen Studierenden abhob, muß die künftige Forschung klären.

Die deutsche Zusammenbruchsgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts ermöglichte es der Studienstiftung zunächst nicht, eine tragfähige Konzeption der Hochbegabtenförderung zu entwickeln. Dazu reichte die Lebensdauer der Weimarer Republik nicht aus. Die widersprüchliche Vielfalt der Konzeptionen, denen die Gründerväter folgten - für Gründermütter im akademischen Milieu war es noch zu früh -, spiegelt sich in den Urteilen des Autors über die "Vision der alten Studienstiftung". Er erkennt als Ziel eine "soziale und zivile Leistungs- und Wissensgesellschaft mit Chancen für jede Form von Begabung", doch er spricht auch davon, der Studienstiftung der Weimarer Republik sei "ein stark sozialdemokratischer, ja sozialistischer Zug eigen gewesen". Die damalige Sozialdemokratie hatte jedoch keineswegs ein Herz für die Förderung jedweder Begabung.

Der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ist ein kurzes Kapitel gewidmet, das vor allem die Aufgabe hat, den doppelten Bruch in der Geschichte der deutschen Hochbegabtenförderung zu verdeutlichen: 1934, als das "Reichsstudentenwerk" die Prinzipien der alten Studienstiftung gänzlich verwarf, und 1948, als es zu einer "Neugründung" kam, welche die "sozial-emanzipatorischen" Ideale der Anfangsjahre durch "individualistisch-emanzipatorische" ersetzte. Gesucht wurde nun der "freie Selbstentscheidungsmensch", wie Adolf Grimme bereits 1946 die neue Vision genannt hatte. Hochschulbildung wurde jetzt die Aufgabe zugeschrieben, eine Verantwortungselite zu erziehen, die sich in den Dienst der Demokratie stellt. Das war eine doppelte Abgrenzung: von der Bildungspolitik in der sowjetischen Besatzungszone und von den eigenen Anfängen. Umstritten war sogar, ob man den alten Namen fortführen sollte. Die Christdemokraten unter den politischen Gründern - mit Christine Teusch gab es nun eine Frau auch in diesem Kreis - plädierten für "Studienstiftung" ohne jeden Zusatz, während die Sozialdemokraten nichts ändern wollten. Als Kompromiß einigte man sich auf das kleine "d", das die alte von der heutigen "Studienstiftung des deutschen Volkes" im Namen unterscheidet. In der Sache waren die Unterschiede weitaus größer.

Der Autor deutet das Programm der Studienstiftung in ihrer Phase zwischen 1948 und 1970 als Widerspruch gegen den Zeitgeist. Inmitten einer Gesellschaft, die sich dem Ziel des sozialen Ausgleichs verschrieb, entschied sich die Stiftung, nicht an der Begabtenauslese in bildungsfernen Schichten teilzuhaben. Sie setzte vielmehr auf einen "radikalen Individualismus", der die Elitenförderung frei halten sollte von sozialen Erwägungen. Studienstiftung als "Gegenwirklichkeit" - diese Ära endete 1970. Kunze spricht von einer zweiten Neugründung, als unter dem neuen Leiter Hartmut Rahn die Auswahlkriterien und Fördermaßnahmen schrittweise auf eine neue Grundlage gestellt wurden: Hochbegabtenförderung wird zur Wissenschaft, Elitenförderung erhält damit eine neue Form der Legitimation.

Ist das eine genuine Leistung der Studienstiftung? Hebt sie sich dadurch von anderen Anbietern ab, die ausgewählte Studenten und Doktoranden fördern? Sei es die Konrad-Adenauer- oder die Friedrich-Ebert-Stiftung, Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder kirchliche Stiftungen, um nur diese zu nennen. Der heutige Forschungsstand läßt verläßliche Antworten nicht zu. Nötig wären vergleichende Studien zu den Lebenswegen der Stipendiaten unterschiedlicher Institutionen. Erst dann ließe sich erkennen, was aus dem Programm der Elitenförderung in der Praxis wird.

DIETER LANGEWIESCHE

Rolf-Ulrich Kunze: "Die Studienstiftung des deutschen Volkes seit 1925". Zur Geschichte der Hochbegabtenförderung in Deutschland. Akademie Verlag, Berlin 2001. X, 418 S., geb., 64,80 .

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dieter Langewiesche stellt ausführlich die Geschichte der Studienstiftung des deutschen Volkes vor, wie sie Rolf-Ulrich Kunze in einer Studie präsentiert, die für Langewiesche nur einen erster Schritt zur Erforschung der deutschen Eliteförderung darstellen kann. Dafür fehlen seiner Meinung nach vergleichende Studien der Vergabepraxis unterschiedlicher Institutionen, vor allem aber auch der Lebenswege der Stipendiaten. Auch in Bezug auf die "Studienstiftung des Deutschen Volkes" - 1925 gegründet und damals noch mit großem D geschrieben - stellt er fest, dass Kunze ausschließlich die programmatischen Ziele der Studienstiftung sowie ihre Verwaltungspraxis untersucht, was nichts über das "Ergebnis ihrer Förderpolitik" aussage. Denn ob diese Stipendiaten, die in Zeiten der Weimarer Republik stärker als in der Nachkriegsbundesrepublik unter sozialen Kriterien ausgesucht wurden, tatsächlich eine eigene Gruppe mit typischen Einstellungen und Lebenswegen gebildet haben, lasse sich aus dieser Studie nicht ableiten, so Langewiesche.

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