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Sie haben Häuser in Hongkong infiltriert, Geschäfte in Vancouver, die Straßen Sierra Leones, Marktplätze in Oaxaca, Schulen in Tel Aviv, Schlafzimmer in Indiana. Sie sind überall. Sie sind hier. Sie sind wir. Sie sind keine Haustiere, Geister oder Roboter. Sie sind wirkliche Menschen. Aber wie kann sich jemand, der in Berlin ist, frei durch ein Wohnzimmer in Sydney bewegen? Und wie kann jemand in Bangkok mit deinen Kindern in Buenos Aires frühstücken, ohne dass du davon weißt? Besonders wenn diese Person komplett anonym ist, unbekannt und unauffindbar?
Samanta Schweblin erzählt vom
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Produktbeschreibung
Sie haben Häuser in Hongkong infiltriert, Geschäfte in Vancouver, die Straßen Sierra Leones, Marktplätze in Oaxaca, Schulen in Tel Aviv, Schlafzimmer in Indiana. Sie sind überall. Sie sind hier. Sie sind wir. Sie sind keine Haustiere, Geister oder Roboter. Sie sind wirkliche Menschen. Aber wie kann sich jemand, der in Berlin ist, frei durch ein Wohnzimmer in Sydney bewegen? Und wie kann jemand in Bangkok mit deinen Kindern in Buenos Aires frühstücken, ohne dass du davon weißt? Besonders wenn diese Person komplett anonym ist, unbekannt und unauffindbar?

Samanta Schweblin erzählt vom Vertrauen in Fremde, von wunderbaren Begegnungen und unerwarteter Liebe. Und davon, wie all diese Schönheiten in unsäglichen Terror umschlagen können.

Samanta Schweblin erzählt eine Geschichte, die bereits stattfindet. Eine Geschichte, die uns bekannt vorkommt und beunruhigt. Weil sie unsere Welt ist, in der wir leben. Wir wissen es nur noch nicht ... Hundert Augen ist ein visionärer Roman über unsere vernetzte Gegenwart und über den Zusammenprall von Humanität und Horror.
Autorenporträt
Samanta Schweblin wurde 1978 in Buenos Aires geboren. Für ihren Erzählungsband Die Wahrheit über die Zukunft erhielt sie 2008 den Premio Casa de las Américas sowie den Juan-Rulfo-Preis, für den Band Sieben leere Häuser erhielt sie den Premio de narrativa breve Ribera del Duero de España. Ihre Bücher sind in 25 Sprachen übersetzt. Zwei Mal stand sie bereits auf der Shortlist für den International Booker Prize. Samanta Schweblin lebt und arbeitet in Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Marie Schmidt ist auf seltsame Weise gerührt nach der Lektüre von Samanta Schweblins Episodenroman - Gerührt von der Einfachheit der Geschichte und von dem unbedingten Verlangen der Figuren, alle Hürden zu nehmen, um miteinander in Kontakt zu treten oder zu bleiben. Die Hürde in "Hundert Augen", das ist vor allem ein technisches Gerät - eine Art Kuscheltier mit Augen, Mund und Ohren, das auf zweierlei Weise genutzt werden kann: Entweder man hat es oder man ist es, entweder man spielt mit "Kentuki" oder man spielt das "Kentuki". Eine direkte Kommunikation zwischen den Nutzern ist nicht möglich, und doch versuchen sie immer wieder, sich zu verständigen, beschreibt die Rezensentin. Dabei bringt das neue Gadget teilweise ungekannte Gefühle und Impulse in den Menschen hervor - Zuneigung, Vertrauen, Angst, Enttäuschung, Beschützerinstinkte, Zorn… Spannend findet die Rezensentin, mit welcher Beiläufigkeit die Autorin von diesen unerhörten Ereignissen erzählt, wie verboten direkt ihre Anspielungen sind, und wie schlicht die Grundidee. Und trotzdem ist man sofort von Schweblins Erzählungen gepackt, ein wenig erschrocken vielleicht, wie wenn man "nach dem Aufwachen erschrickt", über die eigene Gelassenheit angesichts des Unfassbaren im Traum, so die faszinierte Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.08.2020

Herr, Tier und Sklave
Samanta Schweblins magische Gesellschaft

"Nur für Verrückte" steht auf dem Traktat vom "Steppenwolf" aus Hermann Hesses gleichnamigem Roman. Das hat Millionen Leser weltweit nicht davon abgehalten, sich mit dem Steppenwolf zu identifizieren und ihr eigenes inneres Tier zu entdecken. In Samanta Schweblins drittem Roman, "Hundert Augen", der nun bei Suhrkamp auf Deutsch erscheint, befällt und befellt ein anderer Trend den Globus. Diesmal kommt die Revolution mit Bedienungsanleitung: Es stecken Menschen in Tieren statt umgekehrt.

Die sogenannten Kentukis sind süße Plüschtier-Roboter, eigentlich "Telefone auf Füßen". Den einen dienen sie als Haustiere, von anderen werden sie ferngesteuert. An der Entscheidung "Kentuki haben oder sein", also entweder das Plüschtier oder einen Verbindungscode zu kaufen, scheiden sich die Geister. Letztlich führt beides dazu, dass man eine Fernbeziehung zu einem Fremden führen wird, der in einer jener Städte lebt, in denen die Argentinierin Schweblin selbst schon einmal Schreibworkshops gab: Oaxaca, Peking, Havanna.

"Ich mag zwar verrückt sein, aber zumindest bin ich up to date", sagt eine alte Dame namens Emilia nach dem Kauf ihres Kentukis. Von Lima aus beginnt sie, als schwarz-rosa Kaninchen mit einem Erfurter Pärchen zusammenzuleben. Sie steuert den Radantrieb des Roboters, blickt durch sein Kameraauge und erhält eine Liveübersetzung auf dem Bildschirm. Allerdings darf sie als Kaninchen nur schnurren, das ist eine der merkwürdigen technischen Beschränkungen, die den Reiz des Erlebnisses ausmachen.

Eine zweite: Wird die Verbindung getrennt, ist der Kentuki nicht wiederverwendbar. All diese Lektionen über Technologie und Bindung muss Emilia erst lernen, kann ihre eigenen Weisheiten in der Beziehung des Paares aber nicht so recht durchsetzen. "Vielleicht sprechen alle männlichen Genitalien nur Deutsch", sagt sie, als sich der nackte Freund in Erfurt über die Kamera beugt, und ist dann ganz gerührt, wie modern sie doch ist. Lima/Erfurt ist einer der wiederkehrenden Handlungsstränge, andere Kapitel stellen knappe Vignetten dar, viele Tierchen werden kurzlebig bleiben.

Die Kentukis sind an die chinesischen Tierkreiszeichen angelehnt und haben mit denen gemeinsam, dass das zugeteilte Tier im Widerspruch zum eigenen Temperament stehen kann. Das Verbindungsuchen des Kentukis ist für dessen neuen Besitzer eine Geisterbeschwörung, bei der man auch mal an Irrlichter gerät (etwa an einen User, der den Kentuki so lange die Kinder schlagen lässt, bis man ihn tötet). Die hineinschlüpfenden Personen am Computer, die einen Kentuki nach dem anderen kaufen, durchwandern gleichzeitig eine buddhistische Samsara. Auch sie dürfen nicht entscheiden, wo sie landen, hoffen aber auf besondere Aussichten oder Erfahrungen: etwa zum ersten Mal in Armut zu leben oder Schnee zu berühren - und dann sogar ohne frieren zu müssen.

Schweblin nutzt für ihren Roman das Phänomen, dass Menschen Smartphones und andere Geräte, vor allem deren Kameralinsen, leichtfertig in ihr Heim und Leben lassen. Ob die Prämisse des Buchs plausibel ist - einige ärmere User kaufen den 279 Dollar teuren Kentuki, ohne eigentlich zu wissen, wofür er gut ist -, muss jeder Leser anhand eigener Trendgläubigkeit entscheiden.

Realistisch ist in "Hundert Augen" jedenfalls, wie schnell sich rechts- und moralfreie Räume bilden. Sind die Kentukis Personen, verdienen sie Schutz? Kann man sie anzeigen, wenn sie von Pädophilen zur Lustbefriedigung benutzt werden? Die Polizei verneint das entschieden, denn die Hersteller verhindern, dass eine Kentuki-Verbindung zurückverfolgt werden kann. User mit Hintergedanken müssen nicht einmal Identitätsbetrug, das sogenannte "Catfishing" begehen, denn das Kentuki-Tier gibt ja von Vornherein keine Identität preis. In diese regulatorische Lücke schlüpft bei Schweblin keine Science-Fiction, sondern eine überwunden geglaubte archaische Gesellschaft, die magisch über ihre Kentukis denkt und viel Sadismus an sich entdecken darf - in der deutschen Übersetzung von Marianne Gareis wird dieser noch deutlicher, da die Besitzer hier "Herren" heißen.

VICTOR SATTLER

Samanta Schweblin: "Hundert Augen". Roman.

Aus dem argentinischen Spanisch von Marianne Gareis. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 252 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.01.2021

Plötzlich unersetzlich
In Samanta Schweblins Roman „Hundert Augen“ schleichen sich Gadgets ins Leben ihrer Besitzer ein
Ein fieser, kleiner Schmerz sitzt in den Geschichten von Samanta Schweblin genau da, wo eigentlich alles klar sein muss. Wo unausgesprochene, gemeinsame Annahmen über die Welt die Grundlage dafür sind, dass man überhaupt mit anderen reden kann. An der Stelle verschiebt sie etwas, mit wenigen Worten nur, und das Unheimliche daran ist, wie munter Schweblins Figuren weitermachen, auch wenn sie eigentlich gar nichts mehr verstehen. Selbstverständlich sollten zum Beispiel Kinder essen, was gesund für sie ist. In einer ihrer Kurzgeschichten gibt es allerdings ein kleines Mädchen, dem es nur gut geht, wenn es lebendige Vögel verschluckt. Und Schweblin zeigt dann, wie sich sein Vater damit arrangiert, was ungeheuerlich und gleichzeitig ein Beweis größter Liebe ist.
In einer anderen Geschichte fährt eine Frau mit ihrer Mutter durch die Stadt, und unter einem Vorwand geht die Mutter an einer fremden Familie vorbei in deren Haus, als hätte sie dort etwas zu besichtigen und aufzuräumen. „Wo haben die Leute bloß diese ganzen Sachen her?“, sagt sie, „Das macht mich so traurig, dass ich sterben möchte.“ Wie in einem Albtraum vom ewigen Kindsein versucht die Tochter die Mutter zu verstehen und zu verteidigen. Überhaupt wirken Schweblins Bücher oft wie das Erschrecken nach dem Aufwachen, darüber dass man im Traum über etwas Ungeheuerliches ganz ruhig geblieben ist. Ihr erster Roman „Das Gift“ (2015) bestand in einem Dialog zwischen einer Figur, die, wie man im Laufe der Zeit erfährt, gerade stirbt und das Bewusstsein verliert, und einem Kind, von dem man durch eine Art Seelenwanderung gar nicht weiß, wer und in welchem Körper es eigentlich ist. Zwei schwindelerregend unzuverlässige Erzähler, eine furchtbar ambitionierte Geschichte, ihre Leser und Rezensenten waren fasziniert und scheiterten, wenn sie sagen sollten, worum es in dem Buch geht.
Mit ihrem zweiten Roman „Hundert Augen“ wurde Schweblin, die 1978 in Buenos Aires geboren ist, zweitweise in Berlin lebt und auf Spanisch schreibt, vom Geheimtipp zur Erfolgsschriftstellerin. Ein frappierend verständliches Buch. Man erkennt sofort wieder, was darin erzählt wird, auch wenn es wieder sehr kompliziert zu erklären ist.
Es handelt sich um einen Episodenroman über eine Art Kuscheltier mit Internetverbindung und Kamera, das weltweit auf den Markt kommt. Es heißt „Kentuki“, kostet 279 Dollar, wird in einem „Geschäft mit gläserner Fassade“ verkauft, das „sonderbar weiß und reinlich wirkte“. Die Tierchen kommen als stilisierte Raben, Kaninchen oder Drachen daher, sind rundlich und flauschig und stellen, sobald man sie auflädt, den Kontakt zum Account eines beliebigen Users irgendwo auf der Welt her, der sich entschieden hat, „Kentuki zu ,sein‘, statt einen Kentuki zu ,besitzen‘“.
Wer dieser User ist, weiß man nicht, auch wenn er durch die Kamera des Plüschtiers am Computer seinem Besitzer zuschauen und in seiner Wohnung herumlaufen kann. Die Plüschwesen können nur Tierlaute von sich geben, den Usern zeigt ein Übersetzungsprogramm auf dem Bildschirm an, was ihre Besitzer sagen. Schweblin erzählt nun Geschichten von Menschen an beiden Enden der Leitung und ihren Beziehungen zu ihrem Spielzeug.
Der Witz besteht offensichtlich darin, dass dieses konstruierte Szenario heute irre alltäglich wirkt: Ein neues Gadget kommt ins Leben, hier eine Mischung aus Tamagotchi, Furby, iPhone und Chatroulette. Erst kommt es den Leuten umständlich, kindisch, verzichtbar vor, dann gewöhnt man sich daran. Für Schweblins Verhältnisse ist auch der Ton dieses Buches gar nicht geheimnisvoll, eher beiläufig, wie man etwas erzählt, das der Schwiegermutter einer Freundin passiert ist. Die Anspielungen auf das Corporate Design von Apple und andere Entwicklungen der letzten Jahre sind geradezu beleidigend deutlich.
Und trotzdem nehmen einen die Geschichten mit, bevor man sich noch in den technischen und psychologischen Details der Episoden orientiert hat. Ihre unheimliche Frage lautet, ob die Menschen nur mit den Kentukis spielen, oder ob die Kentukis mehr und mehr übernehmen, was die Menschen überhaupt denken und fühlen können. Ein Scheidungsvater hat das Plüschtier eigentlich für sein Kind gekauft, aber dann hilft es auch ihm, zum Beispiel bei der Gartenarbeit, und er fährt es durch die Stadt, damit der unbekannte User irgendwo auf der Welt sie besichtigen kann. Bis seine Exfrau behauptet, hinter dem Tier stecke ein Stalker, der ihr Kind ausspionieren wolle. Vertrauen und Enttäuschung konzentrieren sich plötzlich auf einen durchgedrehten Gegenstand. Eine ältere Frau in Peru marschiert als Kaninchen durch die Wohnung einer Jüngeren in Erfurt und beobachtet, wie ihr Freund sie beklaut. Ihr Beschützerinstinkt wächst mächtig über ihre Skepsis gegenüber der technischen Spielerei hinaus. Die Frau eines Künstlers kauft sich ein Kentuki, weil sie sich vernachlässigt fühlt, und das Tierchen bringt nach und nach eine atemberaubende Aggressivität in ihr hervor.
Samanta Schweblin folgt in diesem Roman Marshall McLuhans Gesetz, nach dem Menschen mit neuen Medien nie etwas Neues machen, sondern nur das, was sie immer getan haben, aber schneller, weiter oder einfach anders. Sie beschimpfen und betrügen sich, verlieben und quälen sich, beuten sich aus und verausgaben sich. Nie erzählt Schweblin von beiden Seiten einer Paarung am Gerät, wechselt nie die Perspektive. Sie hat sich dieses Spielzeug ja extra so ausgedacht, dass User und Besitzer nicht direkt und in Worten miteinander kommunizieren können. Und trotzdem setzen ihre Figuren Himmel und Hölle in Bewegung, um es doch zu tun.
Sie können nicht anders, als auch durch diesen albernen Gegenstand noch Verbindungen zueinander herzustellen. Etwas an diesem betont simpel verspielten Einfall ist wahnsinnig rührend. Wahrscheinlich hat es auch mit der Erfahrung der Corona-Pandemie zu tun, dass die Menschen alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel und Kanäle nutzen, um beieinanderzubleiben und um, auch wenn sie sich nicht treffen dürfen, ihre geteilten Gewohnheiten aufrechtzuerhalten.
MARIE SCHMIDT
Samanta Schweblin: Hundert Augen. Aus dem Spanischen von Marianne Gareis. Suhrkamp, Berlin 2020. 252 Seiten, 22 Euro.
Mit neuen Medien machen
die Menschen stets, was sie auch
schon zuvor gemacht haben
Ihre Geschichte wirken oft wie das Erschrecken nach dem Aufwachen: die argentinische Schriftstellerin Samanta Schweblin.
Foto: Imago
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»Das funktioniert als eine ganz besondere Art von Roman vor allem deshalb, weil Schweblins konzise und lakonische Sprache diese geografisch in alle Richtungen ausfransenden Handlungsstränge zu einem literarisch dichten, spannungsgeladenen Netz zusammenwebt.« Florian Schmid neues deutschland 20210119