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Ein zauberhafter Roman über die Kraft der Wörter und der Fantasie
"Wäre es möglich, Augenblicke einzufrieren, würde ich diesen in eine Plastikdose legen. Dann könnte man den Winter über davon zehren." Als es Anna immer weniger gelingt, ihre Erinnerungen festzuhalten, und ihr Gedächtnis langsam unzuverlässiger wird, klammert sie sich an Wortlisten ("Stein, Birke, Gras, Stuhl") und erfindet Wörter für Dinge, die keinen Namen haben.
Im Lauf der Jahre trotzt sie den Zumutungen des Alltags mehr und mehr mit ihrer Vorstellungskraft. Als alte Frau blickt Anna zurück auf ihr Leben, so, wie sie
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Produktbeschreibung
Ein zauberhafter Roman über die Kraft der Wörter und der Fantasie

"Wäre es möglich, Augenblicke einzufrieren, würde ich diesen in eine Plastikdose legen. Dann könnte man den Winter über davon zehren." Als es Anna immer weniger gelingt, ihre Erinnerungen festzuhalten, und ihr Gedächtnis langsam unzuverlässiger wird, klammert sie sich an Wortlisten ("Stein, Birke, Gras, Stuhl") und erfindet Wörter für Dinge, die keinen Namen haben.

Im Lauf der Jahre trotzt sie den Zumutungen des Alltags mehr und mehr mit ihrer Vorstellungskraft. Als alte Frau blickt Anna zurück auf ihr Leben, so, wie sie sich daran erinnert, an schöne wie an schwere Momente, an die Zeit in Finnland wie auch den Neuanfang mit Thomas in England. Vor allem erinnert sie sich an ihr Häuschen mit den blauen Vorhängen auf einer Schäreninsel, inmitten von Möwen, Schilf und krummen Kiefern, wo sie die Sommer mit ihrer großen Liebe Antti verbrachte - und natürlich an den Tag, an dem ein Wal durch London schwamm.

Ein Roman aus Finnland zum Thema Erinnern und Vergessen, aber auch über die Kraft der Wörter und der Fantasie: märchenhaft, tragikomisch, menschlich - und mit einer unvergesslichen Heldin!
Autorenporträt
Selja Ahava, 1974 geboren, studierte Dramaturgie an der Theaterhochschule Helsinki und schrieb Drehbücher für Filme und Fernsehserien sowie Hörbücher, bevor sie mit "Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm" ihren ersten Roman veröffentlichte. Sie hat fünf Jahre in London verbracht und lebt seit ihrer Rückkehr nach Finnland mit ihrer Familie in Porvoo. Stefan Moster, geboren 1964 in Mainz, lebt als Autor und Übersetzer mit seiner Familie in Espoo, Finnland. Er übertrug u.a. Werke von Hannu Raittila, Kari Hotakainen, Petri Tamminen und Daniel Katz ins Deutsche. Stefan Mosters Romane erscheinen im mareverlag, zuletzt "Die Frau des Botschafters" (2013).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.04.2014

Wale platzen in der Stadt
Selja Ahava und Heinrich Steinfest feiern das Leben

Die Wahrscheinlichkeit, in der Stadt einem Wal zu begegnen, ist fern norwegischer Kühltheken nicht sonderlich groß. Strenggenommen ist sie sogar kleiner als die Wahrscheinlichkeit, in wenigen Wochen auf zwei Bücher zu stoßen, in deren Schlüsselszenen ein Wal in die Stadt kommt. Beide erinnern zudem in arbeitsseligen Zeiten an das Glück, sich mit Kindern umgeben zu dürfen. Im Zentrum von Selja Ahavas originellem, aber etwas arg mädchenhaft-poetisch erzähltem Roman steht die verwirrte Anna. Sie lebt in einem Heim "voller alter Frauen", "aus deren Geschichten keiner schlau" wird, und begegnet ihrem Schöpfer, einem Gott auf Strümpfen und mit Kippen im Umhang.

Anna geht mehr durch den Kopf, als sie in den Listen ihres Notizbuchs zu sortieren vermag: die Vierzigjährige, die tot im Schnee lag, doch wie eine in Embyrohaltung Schlafende schien; die Insel mit der Erle, die nach Jahrzehnten plötzlich einzuknicken beschloss; das Leben mit dem Dokumentarfilmer Antti, der sich (wie Eva Hornung in "Dog Boy") für einen russischen Hundejungen interessierte und früh starb. "So viele Menschen, die gar keine Kinder wollen und doch welche bekommen", sagte sie einmal zu ihm, "wieso kriegen wir nicht wenigstens eines?" Anttis Antwort: "Tja." Und da saß Anna dann, "auf einer Veranda im August, die neununddreißigjährige Anna, jeden Abend einen Tag älter".

Das ist der entscheidende Part einer Erzählung, die so fragmentiert daherkommt wie Annas Gedächtnis und immer trauriger wird, ohne dabei schwermütig zu werden. Je weiter die 45 kleinen, mit spitzem Bleistift gezeichneten Kapitel fortschreiten, umso erschrockener merken wir: Annas Gehirn zerfraß der Gedanke an die Kinder, die sie niemals bekam. Die sechs Knirpse, die im Schrank leben und mit Anna durch London ziehen, gibt es allein in ihrem Kopf. Selja Ahavas Roman ist damit nicht nur Protokoll einer fortschreitenden Demenz, bei der die Leere wie zum Trost von phantastischen Einfällen geflutet wird, nicht bloß Liebesgeschichte: "Am schwersten war die Art, wie Antti in Anna starb." Er lässt sich als alarmgelbes Post-it für die Debatte um die modernen Lebensentwürfe verstehen. Erklärt sich doch Anna zur Seelenverwandten des Wals, der aus unerklärlichen Gründen vom natürlichen Weg abkam und in die Themse geriet, ohne dass ihm wieder jemand zurück ins Meer helfen könnte.

Den Wal in London gab es dabei wirklich. Das gilt auch für den Speckriesen, der im Januar 2004 an der Küste Taiwans verendete, auf einen Laster geladen wurde und unappetitlich in der Stadt explodierte. Dem Jungmanager Sixten Braun, dem das Walgedärm ins Gesicht klatscht, verhilft das Blutbad in Heinrich Steinfests Roman "Der Allesforscher" zu erinnerungswürdigem Sex mit einer Ärztin aus Deutschland. Was wiederum einen Flugzeugabsturz, eine leidenschaftslose Ehe in Köln und einen Jobwechsel später (die "zum Businessman verwandelte Lackdose" wird Bademeister, weil Sixten mit Menschen statt Gespenstern arbeiten will) dazu führt, dass Sixten ein kleiner Kerl vorgestellt wird. Er ist sieben und spricht eine Sprache, die kein Dolmetscher der Welt zu verstehen vermag.

Simon ist nicht Sixtens Sohn; die Augenform deutet eher auf einen Asiaten als Vater. Aber er bewegt Sixten, wie er so dasteht und dreinschaut, und eine Erinnerung an Simons Mutter, die Hirnforscherin, eine Art Aufforderung zum Liebesbeweis in Abwesenheit, ist das Rätselkind auch. Also wird der Gedanke, Kinder könnten einen "in die Klapsmühle befördern", beiseitegeschoben und das Kind adoptiert. Und Simon bedankt sich, indem er Sixten bereichert: "Sein Lächeln war eine kleine, feine Schlagzeile, etwas wie: Sparzinsen steigen wieder."

Heinrich Steinfest, geschätzt als Autor abgedrehter Krimigrotesken, erzählt hier eine befreiende Geschichte, in der ein Mann das Leben zu umarmen lernt und sich alles fügt wie nach einem göttlichen Plan - derart turboplaudernd, übersprudelnd und liebevoll, dass man sie gar nicht aus der Hand legen mag. In der Sprache mag es hier und da Unwuchten geben, weil Steinfest recht mündlich erzählt. Aber auch das gehört zum unangreifbaren Reiz eines Buches, das den Flachwitz nicht scheut und doch entwaffnend klug und wach ist und einfach losfegt. Bis wir eine Familiengeschichte kennen, in der neben dem autistischen "Allesforscher" Simon auch KAI-G7@ ihren Platz hat, eine Gesichtscreme, die kinderlose Frauen plötzlich Kinder kriegen lässt. Sie ist überflüssig, wo es lichte Bücher über das Geschenk des Lebens gibt wie dieses.

MATTHIAS HANNEMANN

Heinrich Steinfest: "Der Allesforscher". Roman. Piper Verlag, München 2014. 398 S., geb., 19,99 [Euro].

Selja Ahava: "Der Tag, an dem ein Wal durch London schwamm". Roman. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Mareverlag, Hamburg 2014. 224 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Matthias Hannemanns Geschmack kommt Selja Ahavas Roman ein bisschen zu "mädchenhaft-poetisch" daher, was immer das genau heißen soll. Die Geschichte der in einem Heim lebenden verwirrten Anna, die ihren unerfüllten Kinderwunsch mit fantastischen Geschichten über Wale in der Stadt und einen bestrumpften Gott zu kompensieren versucht, findet er allerdings durchaus originell. Und wenn der Rezensent erst gewahr wird, was alles in der kleinen Geschichte steckt - eine Liebesgeschichte, ein Beitrag zur Debatte um moderne Lebensentwürfe, das Protokoll einer Demenz - wächst sein Respekt für das Buch.

© Perlentaucher Medien GmbH