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"Die Idee war sehr einfach. Wir wollten ein langes Gespräch führen (und aufzeichnen), in derselben Weise, in der wir das im Laufe der Zeit in der Werkstatt in Behlendorf öfter getan hatten, wenn wir uns beim Tee und von Pfeifenrauch umhüllt über die Brüder Grimm und Andersen unterhielten, die neuen Radierungen zu den alten Hundejahren anschauten und Zeichnungen von der jüngsten Reise nach Møn, ohne dass uns Zeitdruck oder Moderationspflichten disziplinierten. Wir wollten also ohne besondere Absichten und Themenvorgaben reden, geleitet lediglich von dem gemeinsamen Wunsch, der Reduktion des…mehr

Produktbeschreibung
"Die Idee war sehr einfach. Wir wollten ein langes Gespräch führen (und aufzeichnen), in derselben Weise, in der wir das im Laufe der Zeit in der Werkstatt in Behlendorf öfter getan hatten, wenn wir uns beim Tee und von Pfeifenrauch umhüllt über die Brüder Grimm und Andersen unterhielten, die neuen Radierungen zu den alten Hundejahren anschauten und Zeichnungen von der jüngsten Reise nach Møn, ohne dass uns Zeitdruck oder Moderationspflichten disziplinierten. Wir wollten also ohne besondere Absichten und Themenvorgaben reden, geleitet lediglich von dem gemeinsamen Wunsch, der Reduktion des Dichters Grass auf die Figur eines politischen Kommentators zu entkommen - zu der er selbst mehr als gewollt beigetragen hatte - und von seinem Werk zu sprechen, das Märchenhaftes und Phantastisches, Kunst-Lust und Spielfreude mit einer dezidiert politischen Zeitwahrnehmung verband." Heinrich Detering
Autorenporträt
Günter Grass, 1927 bis 2015, wurde in Danzig geboren und war Schriftsteller, Bildhauer und Graphiker. 1999 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Zuletzt erschienen von ihm u. a. Grimms Wörter, der Gedichtband Eintagsfliegen und die illustrierte Jubiläums-Ausgabe seines Romans Hundejahre. Bis kurz vor seinem Tod am 13. April 2015 arbeitete Grass noch intensiv an seinem Buch Vonne Endlichkait, das im August 2015 erschien.

Heinrich Detering, geboren 1959, studierte Germanistik, Theologie, Philosophie und Skandinavistik in Göttingen, Heidelberg und Odense. Nach Lehrtätigkeiten in München und Kiel ist er seit 2005 Professor für Neuere deutsche Literatur und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Göttingen. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zur deutschen, skandinavischen und amerikanischen Literatur und Gedichte. 2009 erhielt Detering den Leibniz-Preis der DFG. Seit 2011 ist er Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.2017

Ein dünnes Fell
In Sachen Grass: Ein würdiges letztes Werk- und Lebensgespräch des Dichters mit Heinrich Detering

Man kann kaum sagen, dass über die Jahrzehnte zu wenig mit und über Günter Grass gesprochen worden ist. Über sein Verhältnis zur Literatur, zur Sprache und zu Schriftstellern, zu Hitler- und Nachkriegsdeutschland, zur DDR, zu Polen, Israel und zur Sozialdemokratie ist nicht erst seit den drei großen autobiographischen Bänden "Beim Häuten der Zwiebel", "Die Box" und "Grimms Wörter" viel, man möchte meinen: genug bekannt. Und doch hat dieser kleine, ruhige, offenherzige Gesprächsband, der nun zwei Jahre nach dem Tod des deutschen Großschriftstellers publiziert wird, eine ganz eigene Note. Er wirkt wie ein finaler Eigenkommentar aus den Wolken zu all den hitzigen Grass-Debatten. Dass es sich um ein Fragment handelt, fällt nicht weiter ins Gewicht, denn die neuralgischen Punkte werden sämtlich berührt.

Der Germanist und Darmstädter Akademie-Präsident Heinrich Detering, der auch als Lyriker sowie Rezensent (unter anderem für diese Zeitung) bekannt ist und zuletzt viele Loblieder auf einen anderen Nobelpreisträger sang - Detering ist Bob-Dylan-Biograph -, hat im Herbst 2014 zwei Gespräche mit Günter Grass geführt, die mit Blick auf eine Veröffentlichung aufgezeichnet wurden. Zu einer geplanten Fortsetzung kam es nicht mehr. Was hier hübsch antiquiert in alter (Grass würde sagen: richtiger) Rechtschreibung erscheint, ist das vom Schriftsteller noch gegengelesene Material. Dass ihm Detering mit Takt, gelegentlicher Schmeichelei und großer Werkkenntnis entgegentrat, ohne auf kritische Nachfragen zu verzichten, hat Grass offensichtlich gefallen. Das geht aus einem beigefügten Brief hervor: "Sie sind der erste und damit der einzige, der mir so eindringliche und also auch den Grund meiner Verletztheit berührende Fragen gestellt hat." Und verletzt ist Grass in den letzten Monaten seines Lebens über die Maßen, wie bereits der genannte Brief anzeigt: "Es gehört schon einiges dazu, einem Autor nach sechs Jahrzehnten künstlerischer Arbeit auf mehreren Feldern die Lust am Veröffentlichen seiner womöglich letzten literarischen Arbeit zu vergällen."

Etwa die Hälfte des Gesprächs dreht sich um poetologische Fragen. Es geht um Erzählhaltungen, Figurenentwürfe und Momente des Autobiographischen, und zwar meist mit Blick auf die Danziger Trilogie, also "Die Blechtrommel", "Katz und Maus" und die aus Grass' Sicht unterbewerteten und als neu illustrierte Ausgabe im Jahre 2013 vom Feuilleton geradezu übergangenen ("Ich bin da resigniert") "Hundejahre". Das geht mitunter weit ins Detail, hat aber literaturhistorisch eher geringe Relevanz. Dass Grass in den Hauptfiguren gern konträre philosophisch-intellektuelle Positionen aufeinanderprallen ließ, muss einem der Autor nicht unbedingt selbst noch einmal erzählen.

Die Romanmotive dienen allerdings häufig als Sprungbrett, um auf Grass' gesellschaftspolitische Haltungen zu sprechen zu kommen. Und hier wird es schnell brisant, denn früh kommt die Rede auf jene fundamentale Israel-Kritik, die sich schließlich in dem - von Detering abgelehnten - Gedicht "Was gesagt werden muß" Bahn brach. Grass betont, schon 1968 ein Verteidiger Israels gewesen zu sein, aber das auf eine kritische Weise: "In dem Augenblick, in dem Israel zur Besatzungsmacht wurde, wurde es anfällig für Machtmißbrauch. Bis heute." Das Unterstützung der Bundesrepublik für Israel als Staatsräson halte er aber nach wie vor für "zu einseitig". Dass ihm dies Antisemitismusvorwürfe eingebracht habe, auch von geschätzten Kollegen wie Durs Grünbein, schmerze ihn sehr.

Vom Olymp herab holt Grass hier und da zu ältlicher Kulturkritik aus: Er als Autodidakt denke heute manchmal, es "mit studierten Analphabeten zu tun" zu haben. Das zielt auf das unbekümmerte Ignorieren und Aburteilen seiner Romane durch jüngere Leser. Noch stärker aber kränkte ihn seit je der Vorwurf einer auf Publizität zielenden Einmischerei in alles und jedes, den selbst ein Freund wie Max Frisch heimlich erhob. Das hatte 2014 alle Welt aus der Publikation des "Berliner Journals" erfahren. Er habe sich nicht aufgedrängt als Gewissen der Nation, brummt Grass, Leser hätten das so entschieden: "Soll ich mich zum Floh machen, oder was?" Und doch wird eine wichtige Kampfzone hier eher umschifft: die Auseinandersetzung mit dem Feuilleton. Das mag damit zu tun haben, dass Detering vorauseilend sekundiert mit dem Bekenntnis, selbst einst über die "Unkenrufe" geurteilt zu haben, ohne das Buch zu kennen. So kann Grass den Sparringspartner Literaturkritik mit routiniertem Verweis auf das "Rudelgeheul" abtun. Vielleicht war der Dichter auch einfach milder gestimmt als zu den Zeiten der Meinungsschlachten um sein spätes Bekenntnis, der Waffen-SS angehört zu haben.

Diesem Thema entgehen ließ sich freilich nicht. Grass betont, "kein Fanatiker" gewesen zu sein: "Ich war eigentlich ein ,Mitläufer'." Es ist die übliche Geschichte: Als U-Boot-Hefte lesendes Kind habe ihn das Abenteuer fasziniert, die Klassenlosigkeit in der Hitlerjugend. Aber er gibt auch zu, noch nach 1945 geglaubt zu haben, "daß ,unsere Sache' eine gerechte Sache gewesen wäre". Seine Waffen-SS-Zeit (eingezogen "gegen meinen Willen und ohne meinen Wunsch") sei ihm hernach indes nur dann noch zu Bewusstsein gekommen, wenn weitere Verbrechen der Waffen-SS bekanntwurden. Mit Klaus Wagenbach und Robert Schindel habe er darüber übrigens früh gesprochen. Da haben wir also noch einmal den ganzen Grass, nachdenklich oft, erinnerungsstark, aber auch uneinsichtig bärbeißig. Einmal zieht er sich gar aus der Affäre mit dem Hinweis, er habe ja nie einen Rang innegehabt in der HJ, ganz im Gegensatz zum späteren SPD-Politiker Horst Ehmke, der immerhin Fähnleinführer gewesen sei: "Das hat er mir mal erzählt." Von der Rechtfertigung zur entrüsteten Anklage in wenigen Sekunden - das schafft sonst niemand im deutschen Literatur-Pantheon.

OLIVER JUNGEN

Günter Grass, Heinrich Detering: "In letzter Zeit". Ein Gespräch im Herbst.

Steidl Verlag, Göttingen 2017. 128 S., geb., 14,- [Euro].

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