29,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Die Atomenergie war in der Bundesrepublik ein Kind der Wirtschaftswunderjahre. In den siebziger Jahren rückte sie ins Zentrum einer öffentlichen Kontroverse, in der die großen Fragen offener Gesellschaften verhandelt wurden: Bedeutung und Legitimität des Protests, mediale Berichterstattung, Macht der Großkonzerne, politische Steuerung und der Anspruch des Konsumbürgers auf billige Energie. Frank Uekötter verfolgt diese Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart und zeigt auf, wie der Konflikt Lernprozesse in Gesellschaft, Politik und nicht zuletzt der Atomwirtschaft selbst auslöste. Der…mehr

Produktbeschreibung
Die Atomenergie war in der Bundesrepublik ein Kind der Wirtschaftswunderjahre. In den siebziger Jahren rückte sie ins Zentrum einer öffentlichen Kontroverse, in der die großen Fragen offener Gesellschaften verhandelt wurden: Bedeutung und Legitimität des Protests, mediale Berichterstattung, Macht der Großkonzerne, politische Steuerung und der Anspruch des Konsumbürgers auf billige Energie. Frank Uekötter verfolgt diese Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart und zeigt auf, wie der Konflikt Lernprozesse in Gesellschaft, Politik und nicht zuletzt der Atomwirtschaft selbst auslöste. Der Atomausstieg, den Deutschland mit dem Abschalten der letzten Kernkraftwerke zum Jahresende 2022 besiegeln wird, erscheint hier als Schlusskapitel eines generationenübergreifenden Experiments, das mit Blick auf die Energiewende, aber auch vor dem Hintergrund der aktuellen Krise der Demokratie Beachtung verdient.
Autorenporträt
Frank Uekötter ist Professor für Geschichte und geisteswissenschaftliche Umweltforschung an der Universität Birmingham in Großbritannien. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Technik- und Umweltgeschichte, die Geschichte der modernen Wissenschaften und die Agrargeschichte.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Es ist eine hübsche Ironie, dass die FAZ Justus Benders Rezension einen Tag nach nach der Entscheidung des Bundeskanzlers bringt, die verbleibenden drei AKW im April 2023 endgültig abzuschalten: Bender glaubt, dass Frank Uekötters Abschied von der Atomenergie durch die Ereignisse überholt sei, Teile der Regierung mögen noch am Atomausstieg festhalten, aber nicht mehr die Bevölkerung. Aber gut. Uekötter schreibt als Historiker, nicht als Prophet, weiß der Rezensent, der das Buch nichtsdestotrotz mit Gewinn liest, als minutiöse Analyse der Atomdebatte. Besonders bemerkenswert findet Bender die Episode von den Anti-AKW-Protesten in Brokdorf, bei denen sich die von Wasserwerfern durchnässten und durchgefrorenen Demonstranten in vorgewärmte Zugabteile der Polizei verkrochen, ohne zu fragen, woher die Energie gekommen sei.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.10.2022

Kernspaltung der deutschen Gesellschaft

Eine überholte Geschichte der Kernenergie in Deutschland

Politische Sachbücher und radioaktive Stoffe haben gemeinsam, dass sie von Natur aus dem Verfall ausgeliefert sind und man deshalb ihre Halbwertszeit bestimmen kann. Für Sachbücher über Atomkraftwerke gilt das in besonderem Maße, weil die Welt seit dem russischen Überfall auf die Ukraine einer Energiekrise ausgesetzt ist, und vieles, was vorher galt, nicht mehr gilt. Wenn also der Historiker Frank Uekötter im Juni 2022 ein Buch über die "Atomare Demokratie" herausbringt, in dem er den deutschen Atomausstieg als "Erfolgsgeschichte der bundesdeutschen Verhandlungsdemokratie" beschreibt, dann ist schon nach wenigen Seiten klar, dass der Leser es mit einem Buch zu tun hat, das schon zum Zeitpunkt seines Erscheinens historisch ist. Das ist keine Schande für ein Buch, und schon gar nicht für einen Historiker als Autor, es bringt den Leser sogar in die schmeichelhafte Lage, es alle paar Seiten besser zu wissen und auf den übrigen Seiten trotzdem etwas zu lernen, was in der Vergangenheit mal gegolten haben mag oder sogar immer noch gilt, nur unter anderen Vorzeichen.

Uekötter macht keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen Atomstrom, und warum hätte er das auch tun sollen in einer Zeit, in der kein ernst zu nehmender Politiker für Atomstrom war. Uekötters Pech ist, dass sich zwischen Abgabe des Manuskripts und dem Erscheinen die Lage grundsätzlich geändert hat. Ob es wohl Telefonate zwischen Lektor und Autor gegeben hat, ob das Buch so noch erscheinen kann? Schließlich versiegte im Sommer erst das Gas in den Pipelines, dann bröckelte der auf Seite 10 behauptete "breite Konsens" für den Atomausstieg. Immer mehr bürgerliche Politiker fordern den Wiedereinstieg in die Atomenergie. Irgendwer muss der Meinung gewesen sein, dass da keine Korrektur nötig sei. Nun stehen dort Sätze wie auf Seite 291: "In wenigen Monaten sollen die letzten bundesdeutschen Atomkraftwerke vom Netz gehen, und es fällt nicht schwer, den Tenor der Berichte zu erahnen." Wirklich? Uekötter erwartete Archivbilder aus Brokdorf, einen gelassenen Rückblick. "Wenn es gut läuft, gibt es noch ein paar freundliche Worte über den rot-grünen Atomkonsens von 2000 und einen Rückblick auf ferne Zeiten, als Menschen auf die Urkraft des Atoms hofften." Von wegen. Mittlerweile befürwortet die Hälfte der Deutschen eine Laufzeitverlängerung der bestehenden Atomkraftwerke.

Soll das kluge Buch von Uekötter also verächtlich beiseitegelegt werden, als strahlendes Relikt vergangener Tage? Mitnichten. Uekötter liefert in seiner minutiösen Analyse der gesamten deutschen Atomdebatte selbst die Erklärung für den Meinungsumschwung, das macht die Lektüre bereichernd. Er versäumte es nur, ein Hellseher zu sein, was einem Historiker leicht zu verzeihen ist.

Die erste Erklärung für den Umschwung ist eine hübsche Anekdote. Als im Februar 1981 mal wieder gegen das Atomkraftwerk Brokdorf demonstriert wurde, brachte die Polizei einige Personenzüge mit. Die Demonstranten verrichteten ihr Werk und stürmten danach verfroren und von Wasserwerfern durchnässt in die beheizten Zugabteile. Die waren so mollig warm, dass die Demonstranten sich einfach weigerten, wieder in die Kälte herauszukommen, sogar dann, als per Megafon zu einer großen Abschlusskundgebung aufgerufen wurde. Die Kundgebung musste ausfallen. Für eine Energiewende wollte niemand frieren. "Ob die unterkühlten Demonstranten darüber nachdachten, woher die Energie für die vorgewärmten Abteile stammte?", fragt Uekötter. "Die unsichtbare, jederzeit verfügbare Energie ist eine Errungenschaft der Moderne, die in den siebziger Jahren längst zur zweiten Natur der bundesdeutschen Konsumbürger geworden war." Dieser Konsumbürger kommt an mehreren Stellen vor, er ist die heimliche Macht, die stillhält, solange er nicht friert oder sich um sein Portemonnaie sorgt. Bekommt der Konsumbürger es mit der Angst zu tun, gibt es kaum etwas, was sich ihm in den Weg stellen kann, allein schon deshalb, weil er keinen Ansprechpartner hat und nicht diskutiert. Er ist eine anonyme Masse und keiner, der bewusst handelt. Uekötter beschreibt das gut, er konnte nur nicht wissen, wie schnell seine Analyse Wirklichkeit werden würde. "Die stille Macht des Verbrauchers ist ein Teil des politischen Spiels, und diese Macht entfaltet auch dadurch ihre Wirkung, dass sie kaum verbalisiert und formal organisiert und deshalb nur sehr begrenzt politisch verhandelbar ist."

Uekötters Buch beschreibt also auf mehr als 300 Seiten die Entstehung eines Atomkonsenses, und gerade als der Konsens fertig ist, bröckelt er schon wieder, weil mit dem Konsumenten ein Riese erwacht, der die ganzen Jahrzehnte geschlafen hat. So dramatisch die Atomproteste nämlich waren, sie gingen nie ans Eingemachte, wie Uekötter schreibt. "Die nukleare Kontroverse hat die Stromversorgung zu keinem Zeitpunkt ernstlich gefährdet, und es kam im Energiesektor auch sonst nie zu einer kritischen Situation mit ungewissen Folgen." Genau diese Sicherheit hat Putin zerstört. Streit ist programmiert.

Den Konsumenten stehen Aktivisten gegenüber, für die der Atomprotest seit den Achtzigerjahren "kein politisches Anliegen mehr war", sondern fester Teil ihrer Identität, wie Uekötter schreibt. "Über Identitäten kann man nicht verhandeln." Die von Uekötter hochgelobte bundesrepublikanische Verhandlungsdemokratie könnte also vor einer Phase großer Sprachlosigkeit und Unversöhnlichkeit stehen, wobei es diesmal die Atomgegner wären, die regieren, und die Atombefürworter, die protestieren. Uekötter hat das nicht kommen sehen, aber er weiß natürlich, dass so was möglich ist, er schreibt es selbst. "Man sollte sich Demokratie nicht zu majestätisch vorstellen, und erst recht sollte man nicht der Illusion erliegen, dass Demokratie irgendwann tatsächlich fertig ist." JUSTUS BENDER

Frank Uekötter: Atomare Demokratie. Eine Geschichte der Kernenergie in Deutschland.

Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2022. 380 S., 29,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Der Atomausstieg sei ein Gemeinschaftswerk, ein Produkt von Gesprächen, von langwierigen Lernprozessen und der Bereitschaft der Beteiligten, das eigene Verhalten auch mal aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten." Katharina Kiening Pro Zukunft