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»Eine elegant vorgetragene und pointiert kritische Reflexion über race und Identität, die perfekt in unsere Zeit passt. Dies ist ein subtiles, beunruhigendes und mutiges Buch. Ausgehend von seiner eigenen Lebensreise startet Thomas Chatterton Williams einen großen Angriff auf die konventionelle Weisheit der Rassenkategorisierung in Amerika.« Glenn Loury, Brown University

Produktbeschreibung
»Eine elegant vorgetragene und pointiert kritische Reflexion über race und Identität, die perfekt in unsere Zeit passt. Dies ist ein subtiles, beunruhigendes und mutiges Buch. Ausgehend von seiner eigenen Lebensreise startet Thomas Chatterton Williams einen großen Angriff auf die konventionelle Weisheit der Rassenkategorisierung in Amerika.« Glenn Loury, Brown University
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.05.2021

„Schwarzsein ist eine Fiktion“
Der amerikanische Publizist Thomas Chatterton Williams hinterfragt kritisch seine eigene Identität.
Ein Gespräch über den neuesten Stand der Rassismus-Debatte in den USA und in Europa
INTERVIEW: JOHANNA ADORJÁN
SZ: Sie sind Amerikaner. Ihr Vater ist Schwarzer, Ihre Mutter ist weiß. In den USA gelten Sie damit als Schwarzer.
Thomas Chatterton Williams: Ja, im dortigen Bewusstsein wirkt immer noch das Konzept der „Ein-Tropfen-Regel“, das auf die Sklaverei zurückgeht. Es sollte uneheliche Kinder, die Sklavenbesitzer mit Sklavinnen gezeugt hatten, vom Erbe ausschließen. Schwarz oder Weiß ist in den USA eine Entweder-oder-Angelegenheit. Ich bin, ohne es je zu hinterfragen, als Schwarzer aufgewachsen.
Nun leben Sie seit zehn Jahren in Paris, haben eine weiße Französin geheiratet. Ihr Buch beginnt mit der Geburt Ihrer gemeinsamen Tochter, 2013 in Paris. Was hat sich dabei für Sie verändert?
Sie kam auf die Welt – blond, mit blauen Augen. Niemand käme von alleine darauf, dass unter ihren Vorfahren versklavte Afrikaner sind. Würde ich darauf bestehen, dass sie als meine Tochter nach derselben Regel aufwächst wie ich, also als Schwarze, wäre sie ständig mit der Diskrepanz zwischen ihrer Selbstwahrnehmung und dem, als was die Welt sie sieht, konfrontiert. Dies brachte mich dazu, mein eigenes Verständnis von Identität überdenken. Mit einem Mal kamen mir die Kategorien von race, mit denen ich aufwuchs, fiktiv vor.
Wie steigt man aus dieser Fiktion aus?
Ich kann natürlich nicht komplett aussteigen und einfach für mich in Anspruch nehmen wollen, nichts zu sein. Aber dass es so etwas wie verschiedene Menschenrassen biologisch nicht gibt, ist erwiesen. Es gibt unterschiedliche Herkunft, unterschiedliche Vorfahren und oberflächliche äußere Unterschiede, aber wir alle gehören derselben menschlichen Rasse an.
Ihr Urgroßvater wurde noch als Sklave geboren, Ihr Vater durfte als junger Mann nicht auf jedem Platz im Bus sitzen – und Sie stellen das Konzept „race“ infrage? Anhängern linker Identitätspolitik dürften Sie ein Dorn im Auge sein.
Natürlich. Denen gelte ich als naiv, als Verteidiger der white supremacy. Sie halten mich auch für konservativ, dabei verstehe ich mich als liberal.
Ihr Ideal ist jener Traum, den Martin Luther King 1963 in seiner berühmten Rede heraufbeschwor. Dieser Traum gilt allerdings heute als überholt.
A colorblind society wird in Amerika eine Welt genannt, in der Hautfarben keine Rolle spielen. Das ist es, was Martin Luther King in „I have a dream“ formulierte: dass seine Kinder nicht nach der Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt würden. Das ist auch nach wie vor mein Ideal. Aber den heutigen progressiven Antirassisten, den Anhängern der linken Identitätspolitik – manche nennen diese Bewegung auch woke – gilt das in der Tat als naiv.
Inwiefern?
Diese Bewegung beginnt, dieselben Ansichten zu spiegeln, die auch wahre Rassisten haben, womit ich Rechtsextreme meine, also Menschen, deren gesamtes Weltbild auf der Existenz verschiedener „Rassen“ aufbaut. Nun soll man neuerdings auch von der progressiven Linken aus race für das wichtigste Identitätsmerkmal eines Menschen halten, für das eine Detail, von dem alles abhängt. Das ist rassistisches Denken. Martin Luther King, dessen Position ich als liberal bezeichnen möchte, wollte die Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen auflösen und überwinden, wollte Toleranz und individuelle Freiheit stärken.
Warum ist das nicht mehr für alle Antirassisten das Ziel?
Ich glaube, es hat viel mit Barack Obama zu tun. In Amerika hatten sich an seinen Wahlsieg riesige Hoffnungen geknüpft. Einen kurzen Moment lang glaubten wir kollektiv, ein schwarzer Präsident würde zu einem gesellschaftlichen Wandel führen, zur Überwindung von Rassismus, Amerika würde zu einer post-rassistischen Gesellschaft. Doch das geschah nicht, weiterhin wurden Schwarze von der Polizei ermordet, was zur Gründung der „Black Lives Matter“-Bewegung führte. Es war eine riesige Enttäuschung, dass Obama die white supremacy nicht beendete, die für das Leben von Schwarzen in Amerika die Realität darstellt. Und dann kam Trump, dem Rassismus und die Festigung der white supremacy zum Wahlsieg verhalfen. Eine Reaktion auf Obama: Weiße Amerikaner fürchteten um ihre Privilegien. Das Gruppendenken auf ihrer Seite beförderte ein Gruppendenken auf der anderen Seite. Und so kam es, dass man auf Seiten der progressiven Linken irgendwann sagte, wisst ihr was, dieser Postrassismus funktioniert nicht.
Aber hat diese neue kämpferische Haltung nicht auch etwas gebracht?
Kurzfristig ja. Es hat Wirkung, als Gruppe aufzutreten und zu sagen, ihr habt uns unterdrückt und jetzt schuldet ihr uns etwas. Ich glaube aber, langfristig führt diese Haltung zu einer schlechteren Gesellschaft. Die Amerikaner asiatischer Herkunft fangen jetzt in Amerika auch damit an. Aber es bringt Ergebnisse. Und Weiße haben es unter Trump schließlich auch getan. Sie haben Trump gewählt, um ihre Interessen zu sichern. Was die Wut der anderen, der Schwarzen, Latinos, Asian-Americans, schürte, die sich in Folge gleichfalls für ihre jeweils eigenen Interessen einsetzten. Aber es bringt nicht zusammen, es spaltet.
In Deutschland gilt eine weiße Amerikanerin als wichtige Stimme im Antirassismus: Robin DiAngelo, Verfasserin von „White Fragility“ („Wir müssen über Rassismus sprechen“). Muss man es lesen?
Nein. Und man muss den USA zugutehalten, dass DiAngelo dort längst nicht mehr so gefragt ist wie noch vor einem Jahr. Ihre Kernaussage: Weiße sind von Natur aus rassistisch. Ich weise das zurück. Meine Mutter ist keine Rassistin. Man kann solch kategorische Behauptungen nicht machen, für keine Gruppe. Außerdem infantilisiert DiAngelo Schwarze, indem sie sagt, alle Schwarze seien zutiefst verletzt und wurden zu Opfern gemacht, was ein sehr paternalistischer Blick auf Schwarze ist. Sie bestätigt damit die Idee, dass Weiße über Schwarzen stehen.
Der andere amerikanische Rassismus-Experte der Stunde ist Ibram X. Kendi. Sein Credo: Man ist entweder Rassist oder Antirassist, dazwischen gibt es nichts. Was halten Sie von ihm?
Wenn jemand die Komplexitäten der Welt zu einem Entweder-oder zusammenschrumpft, sollte man immer misstrauisch sein. Kendi ist inzwischen so etwas wie der Anführer eines Kults, er ist einer der intolerantesten Menschen, mit denen ich je zu tun hatte.
Sie kennen ihn?
Wir sind uns begegnet. Ich bat ihn, Schwarze mal eine Sekunde außen vor zu lassen und mir zu sagen, wie seine Rassismustheorie erklärt, dass in den USA Studierende asiatischer Herkunft, oft sind es Kinder von Immigranten, deren erste Muttersprache nicht Englisch ist, so viel besser abschneiden als weiße Studierende. Das ist belegbar. Kendi sagt nämlich, dass immer struktureller Rassismus die Ursache ist, wenn von zwei Gruppen eine deutlich schlechter abschneidet als die andere. Wo also sieht er hier die strukturelle rassistische Benachteiligung weißer Studierender? Er hatte natürlich keine Antwort.
Ibram X. Kendi sagt auch, „color blindness“ sei schlimmer als der Rassismus der Rechtsextremen.
Ja, sagte er auch zu mir: Es sei der Traum der Rassisten, in einer Welt zu leben, die keine Hautfarben sieht. Das Gegenteil ist wahr! Es wäre der Albtraum der Rechtsextremen, wenn keine unterschiedlichen Hautfarben mehr gesehen würden, ihre ganze Weltsicht bräche zusammen. Kendi ist nicht besonders neugierig, er ist ein Prediger, das ist auch sein Background.
Die linke Identitätspolitik meint, „color blindness“ würde helfen, den Status quo der weißen Überlegenheit zu wahren.
Ja. Mit der Begründung, es könne keine „hautfarbenblinde“ Gesellschaft geben, weil es das in der Vergangenheit nicht gab. Man verwehrte Schwarzen früher den Zugang zu Schulen, den Kauf von Häusern ... Diese frühere Diskriminierung müsse ausgeglichen werden, indem man heute Schwarze fördert und Weiße etwas zurückhält. Man will also Diskriminierung durch Diskriminierung bekämpfen. Wenn man aber glaubt, dass Schwarze nicht ohne die Hilfe von Weißen in Harvard studieren können, sagt das nichts anderes, als dass Schwarze Weißen unterlegen sind.
Die linke Identitätspolitik sieht Geschlecht als gesellschaftliches Konstrukt, über das jeder frei entscheiden soll. Was aber die Zugehörigkeit zu einer „race“ angeht, wird sehr genau darauf geachtet, dass jeder in seinem Feld bleibt, wie sie in ihrem Buch schreiben.
Das ist ein sehr explosives Thema, über das in Amerika niemand reden darf. Aber bislang habe ich niemanden überzeugende Argumente dafür vorbringen hören, warum das in der Tat so ist.
Sie waren einer der Initiatoren des „Harper’s Letter“, eines offenen Briefes, den im Juli 2020 mehr als 150 Intellektuelle unterzeichneten. Weil zu ihnen auch J. K. Rowlings zählte, galt er sofort als umstritten. Dabei stand eigentlich nur drin, dass man sich ein Klima wünscht, in dem Diskussion möglich ist.
Seither ist das Debattenklima in Amerika leider noch viel intoleranter geworden. Um etwas Positives zu sagen: Es gibt ein größeres Bewusstsein darüber, wie vergiftet das Klima ist. Aber es wird immer schlimmer. Menschen verlieren Jobs für Tweets, die sie als Teenager gepostet haben, Leute werden zensiert und zum Verstummen gebracht, gesellschaftlich geächtet.
Es fällt auf, dass Sie das Wort „cancel culture“ nicht nutzen.
Nein, weil Trump es gekapert hatte. Problematisch ist übrigens nicht, dass auf Twitter Leute die Entlassung von jemandem fordern: Sondern, dass Institutionen davor in die Knie gehen. Das ist es, was das öffentliche Klima verändert, der vorauseilende Gehorsam vor dem vermeintlich mächtigen Twitter-Empörungssturm.
Was, wenn Institutionen nicht reagieren?
Die amerikanische Supermarktkette Trader Joe’s verkauft Salsa-Saucen namens „Trader José“. Dagegen regte sich plötzlich Protest. Das sei rassistisch, per Petition wurde gefordert, das Produkt aus dem Sortiment zu nehmen. Doch Trader Joe’s blieb standhaft. Sie würden ihre Latino-Kunden kennen, die fänden das nicht rassistisch, es sei auch nicht rassistisch, das Produkt bleibe im Sortiment, basta. Und? Der Sturm legte sich. Das war’s. Es ist immer nur ein Sturm im Wasserglas, ein Bluff.
Der amerikanische Linguistikprofessor John McWhorter, er ist schwarz, wie man neuerdings immer hinzufügen zu müssen glaubt, hält die „woke“ Identitätspolitik für eine neue Religion. Es habe keinen Sinn, mit den Anhängern zu diskutieren, da sie Argumenten nicht mehr zugänglich seien.
Ich stimme ihm zu, dass es religiöse Untertöne gibt. Nach dem Mord an George Floyd sah man Weiße zu Hunderten sich für ihr Weißsein entschuldigen, manche wuschen die Füßen von Schwarzen, niederkniend, sich zur Erbsünde ihres Weißseins bekennend ... Es geht um Schuld, um Sünde, Sühne, alles religiöse Motive. Ich glaube aber, dass man unbedingt mit den Anhängern diskutieren sollte. Ich glaube immer an Auseinandersetzung. Twitter ist dafür nicht geeignet, aber nach Lesungen oder Vorträgen kommt man ins Gespräch.
Sie sind insgesamt optimistisch?
Im Moment wird so intensiv über das Thema diskutiert wie seit den 60er-Jahren nicht mehr. Die Atmosphäre wird nicht für immer so angespannt bleiben, vielleicht noch zehn, 15 Jahre. Aber die jüngere Genration wird irgendwann gegen diesen neuen Puritanismus rebellieren. Ich bin optimistisch, ich will optimistisch sein.
„Dass es verschiedene
Menschenrassen biologisch
nicht gibt, ist erwiesen“
„Die jüngere Generation wird
irgendwann gegen den neuen
Puritanismus rebellieren“
Der Autor
Thomas Chatterton Williams, 1981 in Newark, New Jersey geboren, ist Kulturkritiker und Autor. Der 40-Jährige schreibt unter anderem für das New York Times Magazine und das Harper`s Magazine. 2010 veröffentlichte er mit „Losing My Cool" ein Memoir mitten aus der HipHop-Kultur. Williams lebt heute mit seiner Frau und zwei Kindern in Paris.
Nach der Geburt seiner Tochter – die blond und blauäugig ist – begann Thomas Chatterton Williams Kategorien von „race“ überdenken.
Foto: JOEL SAGET/afp
Thomas Chatterton
Williams: Selbstporträt in Schwarz und Weiß:
Unlearning Race, aus dem Englischen von Dominik Fehrmann.
edition TIAMAT;
New Edition
Berlin 2021.
184 Seiten, 24 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensentin Marlen Hobrack ist erfreut und überrascht vom Optimismus in Thomas Chatterton Williams' Buch. Der schwarze US-Amerikaner plädiert in seiner Mischung aus Memoir und Essay für eine Abschaffung der Begriffe "schwarz" und "weiß", weil diese Terminologie rassistische Ideen und Spaltungen reproduziere. Dabei kritisiert er auch eine "tribalistische" Abgrenzung schwarzer Communities von Weißen und die Verurteilung Weißer als privilegierte Nutznießer, was für schwarze Aktivisten eine Provokation darstellen dürfte, so Hobrack, ihr nach aber in Williams' Kritik einer Weltsicht aufgeht, die ihn zum "Statisten" reduziert, wie sie den Autor zitiert. Dieser keinesfalls "naiven" Kritik, die daran glaube, dass wir das Denken in Schwarz und Weiß verlernen können, scheint die Kritikerin sich anzuschließen.

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Rezensent Nico Hoppe lässt sich von Thomas Chatterton Williams erklären, wie sich antirassistisch denken lässt. Die Kritik an der Identitätspolitik, zu der der Autor im Buch ausholt, kann Hoppe gut nachvollziehen, weil Williams sie als eigenen Erkenntnisprozess desjenigen schildert, der als Sohn eines Schwarzen und einer Weißen aufwächst. Für Hoppe eine Autobiografie, die eindringlich von der Erkenntnis erzählt, "race" als Fiktion wahrzunehmen, ohne einer nur konstruktivistischen Idee von Identität zu verfallen. Wie mit Unterschieden umgegangen werden kann, verrät der Autor auch, meint Hoppe. Leider geht er dabei zu knapp auf die eigentlich bedeutsamen sozialen Unterschiede ein, findet er.

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