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Viele der nationalen Befreiungsbewegungen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgten ursprünglich demokratische und säkulare Ideale. Nachdem die koloniale Herrschaft abgeschüttelt war, kam es in den neu entstandenen Nationen jedoch zu einem starken Wiederaufleben von religiösen Strömungen. In seinem neuen Buch untersucht Michael Walzer diese Entwicklung anhand von Indien, Israel und Algerien. Auch wenn Hindu-Nationalismus, Islamismus, ultra-orthodoxes Judentum und messianischer Zionismus stark unterschiedliche Gruppen bilden, verbindet sie, dass sie jeweils die säkularen…mehr

Produktbeschreibung
Viele der nationalen Befreiungsbewegungen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgten ursprünglich demokratische und säkulare Ideale. Nachdem die koloniale Herrschaft abgeschüttelt war, kam es in den neu entstandenen Nationen jedoch zu einem starken Wiederaufleben von religiösen Strömungen. In seinem neuen Buch untersucht Michael Walzer diese Entwicklung anhand von Indien, Israel und Algerien. Auch wenn Hindu-Nationalismus, Islamismus, ultra-orthodoxes Judentum und messianischer Zionismus stark unterschiedliche Gruppen bilden, verbindet sie, dass sie jeweils die säkularen Gründungsprinzipien und -institutionen der genannten Staaten attackieren. Walzer geht in seinem Buch der Frage nach, warum die säkularen demokratischen Bewegungen nicht in der Lage gewesen sind, ihre politische Kultur und Haltung über ein oder zwei Generationen hinaus weiterzugeben. 'Das Paradox der Befreiung' liefert einen wichtigen Beitrag zu der drängenden zeitgenössischen Frage nach der Integrationskraft und gesamtgesellschaftlichen Attraktivität von demokratischen und säkularen Prinzipien und Idealen. In einem Vorwort zu der deutschen Ausgabe spitzt Walzer die Fragestellung zu und diskutiert sie anhand von aktuellen Konflikten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.2019

Revolution braucht Kompromisse
Michael Walzer hat Ratschläge für nationale Befreiungsbewegungen

Nationale Befreiung ist für den politischen Philosophen Michael Walzer ein begrüßenswerter Vorgang. Er versteht darunter einen von aggressivem Nationalismus abzugrenzenden politischen Prozess der Emanzipation und Demokratisierung unterdrückter Völker. Also Revolution im besten Sinne! Eine derart definierte nationale Befreiung liegt für ihn im Bestreben einer säkular gestimmten demokratischen Linken, der er sich zurechnet. Hier beginnt nun seine Sorge, weil er dieses Projekt regelmäßig vom Erfolgskurs abkommen und durch einen zur Militanz neigenden religiösen Fundamentalismus herausgefordert sieht. Als Beleg dienen ihm die Beispielsfälle Indien und Israel ab den späten vierziger sowie Algerien ab den frühen sechziger Jahren.

Für keines dieser Länder ist der in Princeton lehrende Philosoph ein Spezialist, und so mancher Experte für die Geschichte der verschiedenen Regionen dürfte bei der Lektüre mit den Ohren schlackern. Auch die Kombination der drei doch sehr unterschiedlichen Fälle vermag nicht wirklich zu überzeugen. Passen die israelische Staatsgründung, der demokratisch geprägte indische und der zu einem autoritären Säkularismus neigende algerische Antikolonialismus wirklich zusammen? Liberalistische, nationalistische und sozialistische Antriebe der Modernisierung werden benannt, aber nicht genügend gewichtet. Vergleichbares gilt für die unzureichende Scheidung von demokratischen und extremistischen Methoden im Befreiungskampf.

Walzer demonstriert, wie sehr er religiöse und säkulare Eiferer verabscheut. Seiner Begriffsbildung und Analyse mangelt es zwar an der nötigen Schärfe, gleichwohl streicht er selbst so manche Inkongruenz heraus und lässt mit Jawaharlal Nehru, David Ben-Gurion oder Ahmed Ben Bella ganz unterschiedliche Persönlichkeiten zu Wort kommen. Dabei gesteht er Unsicherheiten im Umgang mit dem historischen Material durchaus ein, formuliert gelegentlich im Ton vorsichtiger Vermutung und verweist auf konsultierte Literatur. All dies ist insofern legitim, als es ihm vor allem um einen grundsätzlichen Befund geht: die Freilegung eines Mechanismus, den er in kritischer Absicht benennen will. Ganz so wie das "Public intellectuals", zu deren bekanntesten zeitgenössischen amerikanischen Vertretern Walzer zählt, eben tun. In gewisser Weise müssen sie sogar "inkompetent" sein, wie M. Rainer Lepsius einmal notierte, um das große Ganze überhaupt in den Blick nehmen zu können.

So nonchalant der Essay passagenweise daherkommt, trägt Walzer sein Anliegen doch glaubwürdig und kraftvoll vor: Seine Betrachtungen sollen verhindern helfen, dass die revolutionären Befreier künftig weiterhin permanent Rückzugsgefechte gegen religiös geprägte gegenrevolutionäre Bewegungen führen müssen, die noch dazu an Durchschlagskraft gewinnen. Es sei paradox, dass der Befreiungsprozess nach einer gewissen Zeit die ihm zuwiderlaufenden Bestrebungen stärke und radikalisiere. Walzer nennt zwei Schwachpunkte oder Fehler, die eine solche Dynamik begünstigen: Zum einen bleibe die "Kultur der Befreiung" zu mager und artifiziell. Dies begünstige eine "Wiederkehr der Religion" in Form eines militanten religiösen Nationalismus. Zum anderen würden die nationalen Befreier den Fehler begehen, eine vollständige Negation der alten religiösen Kultur anzustreben, was von vornherein zum Scheitern verurteilt sei. Für viel sinnvoller hält es Walzer, über "Kompromissformeln der Negation" nachzudenken und "liberalen Versionen der Religion" eine Chance einzuräumen.

Walzers kleine Streitschrift setzt auf schrittweise Veränderungen statt auf die vollständige Überwindung von traditionellen Denk- und Handlungsweisen in einem nationalen Befreiungskampf. Die Befreiungs- und Aufklärungsverfechter müssten sich zudem von dem letztlich naiven "Glauben an den Niedergang des Glaubens" abwenden und nach Kompromissen, Mittelwegen und Mischungen zwischen Altem und Neuem suchen. "Traditionalistische Weltanschauungen", lautet eine Haupteinsicht, "lassen sich weder negieren noch verbieten. Sie müssen einbezogen werden." Walzer weiß sich einer europäischen politischen Linken im Gefolge der Französischen Revolution verpflichtet. Aber einem überschäumenden rationalistischen Universalismus begegnet er mit Misstrauen. Kein Zweifel: Der maßvolle Revolutionär hat seinen Edmund Burke gelesen.

ALEXANDER GALLUS

Michael Walzer: "Das Paradox der Befreiung". Säkulare Revolutionen und religiöse Konterrevolutionen.

Aus dem Amerikanischen von Veit Friemert. Verlag Karl Alber, Freiburg/München 2018. 128 S., br., 24,- [Euro].

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