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Georges Perros notiert, ebenso frenetisch wie faul, ebenso verwegen wie verzweifelt. Alles kann zum Anlass werden: Gelesenes nicht weniger als das gewöhnliche Leben, der ganz normale Wahnsinn. Er notiert voller Witz, er kalauert, er gaukelt nicht weniger als er moralisiert. Nie schreibt er, was er will, aber immer nach Lust und Laune. Vor allem: Er erspart sich nichts, geht immer aufs Ganze.Vielleicht hat nie jemand das Leben mehr geliebt, »das Gedicht des Menschen ohne Gedicht, aber strotzend vor Poesie«. Die Vorstellung, seine wie unter Schreibzwang zu Papier gebrachten Notate in einem Buch…mehr

Produktbeschreibung
Georges Perros notiert, ebenso frenetisch wie faul, ebenso verwegen wie verzweifelt. Alles kann zum Anlass werden: Gelesenes nicht weniger als das gewöhnliche Leben, der ganz normale Wahnsinn. Er notiert voller Witz, er kalauert, er gaukelt nicht weniger als er moralisiert. Nie schreibt er, was er will, aber immer nach Lust und Laune. Vor allem: Er erspart sich nichts, geht immer aufs Ganze.Vielleicht hat nie jemand das Leben mehr geliebt, »das Gedicht des Menschen ohne Gedicht, aber strotzend vor Poesie«. Die Vorstellung, seine wie unter Schreibzwang zu Papier gebrachten Notate in einem Buch zu versammeln, war Perros stets ein Graus. Nur aus schierer Geldnot ließ er schließlich die Veröffentlichung einer sorgfältig montierten und überarbeiteten Auswahl aus seinen Notizen zu. Diese Auswahl erschien 1960 unter dem Titel Papiers collés bei Gallimard. Zu einem zweiten Band konnte Perros sich erst 1973 durchringen. Einen dritten schloss er kurz vor seinem Tod ab. Sein Erscheinen im November 1978 erlebte er nicht mehr.
Autorenporträt
Georges Perros (1923-1978) wurde unter dem Namen Georges Poulot in einem Arbeiterviertel im Norden von Paris geboren. Früh ging er von der Schule ab, wurde Schauspieler und 1948 Mitglied des Ensembles der Comédie française. 1959 ließ er sich in der kleinen bretonischen Hafenstadt Douarnenez nieder. Seit 1953 erschienen seine Texte unter dem bretonischen Pseudonym Georges Perros in der Nouvelle Revue Française. Sein dichtes, nur Kennern bekanntes, singuläres Werk umfasst drei Bände mit Notizen, einen Gedichtband und den Gedichtroman Luftschnappen war sein Beruf. 1978 starb er nach langer Krankheit in Paris.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Niklas Bender hört das mitunter "donnernde Lachen" des Georges Perros in den hier versammelten Notaten, Zitaten, Beobachtungen, Nachrufen und Gedanken zur Dichtung. Der Kritiker taucht hier ein in Perros' Gedanken zu Kafka, Kierkegaard, Kleist oder Mallarmé, aber zu Zeitgenossen wie Heidegger, Butor oder Queneau, erkundet mit dem Autor die Bretagne, das Theater, den Literaturbetrieb oder Freundschaft und Liebe. Zudem entnimmt er der Lektüre so manch brillantes, von Anne Weber gekonnt ins Deutsche übertragenes Aperçu. Webers Anmerkungen kann der Kritiker zwar nicht immer ganz folgen, den "prächtigen Wälzer", der vor allem durch Perros' Überlegungen zur Dichtung besticht, kann er aber uneingeschränkt empfehlen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.06.2021

Ein Dichter entleert die Welt
Mosaiksteinchen einer poetischen Existenz: Die "Klebebilder" des Georges Perros

Die "Klebebilder" (papiers collés) von Georges Perros sind halb bescheiden, halb anmaßend, mal traditionell, mal resolut modern. Der Titel erinnert sowohl an Kinderbastelei mit spärlichen Mitteln als auch an eine Technik des Kubismus; die Formen umfassen sowohl fein gemeißelte Aphorismen moralistischer Schule als auch Beobachtungsfetzen. Der Entstehungskontext ist ebenfalls ambivalent: Einerseits wollte man den Autor, der sich 1958 nach Douarnenez (für Bretagne-Liebhaber: die Hauptstadt des berühmten Kuchens Kouign-amann), in die westlichste Provinz Frankreichs also, verzogen hatte, endlich zu Ruhm und etwas Geld bringen. Andererseits formulieren seine Gedanken einen Maßstab, dem nur wenige gerecht werden konnten - er selbst vielleicht am wenigsten. Woraus ein düsterer Grundton folgt, in dem kritische Blitze wetterleuchten, begleitet von donnerndem Lachen.

Welche Fetzen fügt Georges Perros (1923 bis 1978), als Georges Poulot in Paris geboren und aufgewachsen, zu "Klebebildern" zusammen? Viele seiner Texte, zwischen einer Zeile und mehreren Seiten lang, sind Literaten oder Philosophen gewidmet - als Notate, Kurzanalysen, Essays, Zitate oder Nachrufe. Denen vergangener Zeiten, darunter einige deutschsprachige: Constant, Victor Hugo, Kafka, Kierkegaard, Kleist, Mallarmé, Marivaux, Rimbaud, Stendhal. Und Zeitgenossen, besonders Butor, Claudel, Jean Grenier, Heidegger, Brice Parain, Paulhan, Queneau, Valéry. Große Favoriten sind Hölderlin und Ponge, aber auch die genannten Existenzphilosophen sind fixe Größen. In der Form fällt anfangs der Aphorismus auf, im Guten wie im Schlechten: Er stellt die Versuchung dar, Gedanken geistreich-paradox zuzuspitzen; Perros reflektiert die Tendenz in seinen "Notizen für ein Vorwort" kritisch. Im zweiten und dritten Teil - Matthes & Seitz hat alle drei französischen Bände der "Papiers collés" (1960 bis 1978) vereint - ist die Sprache loser, freier.

Die Überlegungen zur Dichtung können separat gelesen werden, sind jedoch integraler Teil eines Lebensentwurfs, der jede Seite prägt. Perros entwirft eine Philosophie seiner Existenz, die alles Denkbare umfasst, etwa die Wahlheimat Bretagne: "Das Meer ist, auf unserer armen gemarterten Erde, das Monument schlechthin, die kraftstrotzende Ewigkeit, die reine, nicht-erträumte Irrationalität." Aber er reflektiert auch seine Entscheidung für die Lyrik, das Verhältnis zum Theater (Perros war drei Jahre lang Mitglied der Comédie-Française, bevor er sich dem Schreiben widmete), seine Haltung zum Literaturbetrieb, berichtet von bescheidenen Wohnungen (meist Mansarden), von Frau, Kindern, Hund, dem unfreundlichen Nachbarn, Kneipen, Seemännern und Fußball. Apropos: Bei Interesse für die anekdotische Seite dieses bretonischen Lebens lohnt ein Blick in Gérard Le Gouics freundschaftliche Hommage ("Au Pays de Georges Perros", erschienen 2018 bei Diabase).

Nähe sucht er, aber auf distanzierte Weise

Im Zwischenmenschlichen fällt auf, wie engagiert und rasch enttäuscht der junge Perros ist: "Die Freundschaft ist die Probe, die wir bestehen müssen. Die Liebe, unser Luxus." Nach diesem Bonmot berichtet er von einer Demütigung durch Klassenkameraden. Sein Rückzug in eine ihm fremde Gegend ist auch eine Wahl in Kontaktfragen: Berichte von Wiedersehen wirken öfters gequält, offenbar fühlt Perros sich in eine Rolle gezwungen; sein reicher Briefwechsel drückt ebenfalls die Suche nach distanzierter Nähe aus. In Liebesdingen scheint seine Jugend eine Wüste zu sein - die spätere Ehe wirkt ähnlich enterotisiert. Die Haltung zum weiblichen Geschlecht ist der schwächste Teil des Bandes, wie manche Formel - "Die Frau ist der Körper des Mannes" - belegt.

Politisch zeigt Perros sich abstinent, was ihm in einer Zeit, in der von Intellektuellen (linkes) Engagement erwartet wird, den Vorwurf "Reaktionär" einbringt. Die materielle Lage des Dichters hingegen beschäftigt ihn: "Ich verdiene sehr wenig Geld, aber ich habe das Meer und den Himmel zu meiner Verfügung." Glaubt man den Ausführungen, interessieren ihn weder Reichtum noch Ruhm. Im Alltag dürfte es nicht einfach gewesen sein, man greift Perros - der fünf Kinder zu ernähren hatte, drei eigene und zwei, die seine Frau Tania in die Ehe gebracht hatte - immer wieder unter die Arme; über die Möglichkeit, an der Universität Brest "Kurse in Unwissenheit" geben zu können, ist er froh. Der Beruf als Lektor ist nicht nur wenig einträglich, sondern auch frustrierend: "Zwanzig Jahre! Dieser Stumpfsinn wäre nur halb so schlimm, aber warten Sie, warten Sie, bis ich Ihnen die unglaubliche Mitteilung mache: Ich habe nichts gefunden. Nichts entdeckt." Sollte das stimmen, dann war die Lektüre von "Tonnen sechsaktiger Dramen, Tragödien in zwölf-, dreizehn- und zwanzigsilbigen Versen, von Jupiter bis Don Quijote, von Hitler bis zur Tante Emma des gleichnamigen Ladens; und Komödien über Ehebruch, Vergewaltigung, Liebe von vorne und hinten, den Indochinakrieg" eine recht sinnfreie Arbeit.

Am ehesten sind die "Klebebilder" ein Gedankentagebuch: Der Vergleich mit Giacomo Leopardis "Zibaldone" drängt sich auf, auch weil Lektürenotizen (besonders Teil eins) und Überlegungen zur Dichtung (besonders Teil drei) die spannendsten Partien sind. Perros entwickelt puristische Thesen. Der Dichter solle die Sprache reduzieren: "Ein großer Dichter ist keiner, der ausschmückt, den Raum (die Welt) verziert. Sondern einer, der sie entleert. Der seine Sprache zu Zwecken des Wegballerns, der Entledigung verwendet; räumen Sie alles weg, dass ich etwas sehen kann." Dementsprechend lobt er Mallarmé dafür, dass er "die Sprache auf Alpenhöhe isoliert" und ihre "Entrümpelung" betrieben habe. Diesen antirhetorischen Ansatz und das Misstrauen gegen Theorie teilt Perros mit anderen Dichtern seiner Generation, etwa dem jüngst verstorbenen Philippe Jaccottet.

Alles, was der Mensch tut, ist für Perros interessant

Purismus meint nicht Elitismus, im Gegenteil, Perros braucht "einen Rand von Unzulänglichkeit, Unmöglichkeit, ja sogar von Mittelmäßigkeit". Die entspricht der menschlichen Realität, welche die Dichtung in ihrer Totalität zu erfassen habe: "Ich habe das Elfenbein meines Turms heruntergeholt auf das Niveau der Alltagssensibilität." Mit Spitzen gegen Claudel und Saint-John Perse hält Perros fest, dass "die Sprache, in der wir nun mal feststecken", "alle Schichten der vierundzwanzig Stunden" durchdringen solle - so, wie ihn am Menschen interessiert, "was immer er auch tun oder sein mag, und zwar, wenn er alleine ist, entweder auf einer Parkbank oder auf dem Klo oder auf einem Krankenhausbett".

So weit die Kernthesen. Alle Überlegungen zur Literatur glänzen mit einem Gespür für das kaum Fass- und Sagbare sowie mit Gedankenreichtum, etwa, wenn Perros die Tendenz der Nachkriegsliteratur untersucht, sich der Malerei zuzuwenden, oder seine Ambivalenz gegenüber Sartre oder Valéry befragt. Er skizziert faszinierende Porträts wie das des befreundeten Schauspielers Gérard Philippe. Und berichtet schonungslos von seinem Kehlkopfkrebs, der ihn erst die Stimme und dann das Leben kostete. Der lyrische Leser findet sein Glück in hochverdichteten Bildern - "Kleist. Pferdegalopp. (Griechischer) Staub. Sperma (Geruch)." - oder in Gedichteinlagen, die an "Luftschnappen war sein Beruf" (1967) erinnern, das Hauptwerk. Anne Weber, die bereits besagtes Langgedicht wunderbar ins Deutsche übertragen hatte, leistet abermals ganze Arbeit. Nur ihre Anmerkungen leuchten nicht durchgehend ein: Zwar erschließen sie viele dichterische Bezugnahmen, wirken in der Erläuterung von Personen und Kontexten jedoch mitunter arbiträr und halb gar. Das trübt nicht das Vergnügen an diesem prächtigen Wälzer, dem man viele leidenschaftliche Leser wünscht.

NIKLAS BENDER

Georges Perros: "Klebebilder".

Aus dem Französischen und mit Anmerkungen von Anne Weber. Mit einem Vorwort von Jean Roudaut. Matthes & Seitz, Berlin 2020. 862 S., geb., 58,- [Euro].

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