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Die 1810 gegründete Berliner Universität hat auf vielen Gebieten Epoche gemacht - auch in der Philosophie. Keine andere deutsche Universität brachte so zahlreich bedeutende Philosophen hervor, deren Namen in keiner Philosophiegeschichte fehlen. Das nunmehr vorliegende Buch bietet die erste Gesamtdarstellung der Geschichte der Berliner Universitätsphilosophie bis 1946. Den Band durchzieht die These, dass die Berliner Universität in ihrer Geschichte ein eigenes philosophisches Profil ausgeprägt hat, das auch heute noch philosophisch interessant und bildungspolitisch aktuell ist.

Produktbeschreibung
Die 1810 gegründete Berliner Universität hat auf vielen Gebieten Epoche gemacht - auch in der Philosophie. Keine andere deutsche Universität brachte so zahlreich bedeutende Philosophen hervor, deren Namen in keiner Philosophiegeschichte fehlen. Das nunmehr vorliegende Buch bietet die erste Gesamtdarstellung der Geschichte der Berliner Universitätsphilosophie bis 1946. Den Band durchzieht die These, dass die Berliner Universität in ihrer Geschichte ein eigenes philosophisches Profil ausgeprägt hat, das auch heute noch philosophisch interessant und bildungspolitisch aktuell ist.
Autorenporträt
Prof. Dr. Volker Gerhardt, geboren 1944, ist Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Philosophie, Rechts- und Sozialphilosophie am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.01.2000

Die Geister, die ihr beruft
Berliner Universitätsphilosophie umfasst mehr, als manches Buch sich träumen lässt

Im "Berliner Geist" findet sich manche peinliche Stelle. Da gilt Humboldt als "schwieriger Charakter, der nur durch die Liebe zu seiner Frau und unter dem Anspruch praktischer Herausforderung sich gelegentlich aus seiner Einsamkeit befreien kann"; Marx und Engels sind nichts als "besonders vorlaute und mit ihrem Status als bloße Kritiker besonders unzufriedene Intellektuelle"; und Diltheys Werk ist "umfänglich und integrativ genug, um heute noch eine philosophische Herausforderung und Aufgabe zu sein". Und dennoch: Eine Geschichte der Berliner Universitätsphilosophie ist keine dankbare Aufgabe. Namen über Namen müssen mit Kurzbiografien versehen, Fakultätsintrigen aus in Archivbergen versteckten Insinuationen rekonstruiert, die Lehren vergessener, konfuser, oft nicht einmal mit einem Etikett versehener Denker griffig zusammengefasst werden. Obendrein sollten Funde und leitende Thesen das Vorhaben legitimieren und die Ergebnisse auch noch lesbar sein. Wer sich darüber ärgert, was Jana Rindert in Mitarbeit von Reinhard Mehring und unter der Schirmherrschaft von Volker Gerhardt vorgelegt hat, müsste sich an die Auftraggeber halten. Das war schlicht nicht machbar.

Das bedacht, ist manches sogar ordentlich geraten. Die Darstellung von Dilthey, Stumpf und der gestaltspsychologischen Schule etwa. Bei der klassischen deutschen Philosophie allerdings fehlt die Autopsie ("Seine frühe naturphilosophische Spekulation hatte Schelling 1840 hinter sich gelassen und ist nun schon seit Jahrzehnten die philosophische Hoffnung der Romantik, die nach 1818 offen als Anwalt der Reaktion auftritt.") wie die Kenntnis der Forschung (die wohl zufällig gefundenen, behutsamen Distanzierungen Hegels von Solger werden als Radikalkritik zitiert).

Der Übergang zum Nationalsozialismus wird an vielen Lebensläufen anschaulich gemacht. Bei der Frage jedoch, wie der Einfluss von Fichte, Humboldt und Schleiermacher auf die Gründung der Universität zu gewichten ist, erfährt man eigentlich nur, dass er strittig sei. Lazarus wird mit seiner Völkerpsychologie als Vorfahr der Soziologie gebührend hervorgehoben. Nicolai Hartmann dagegen firmiert nur als Kompromisskandidat zu Heidegger, was die Chance verschenkt, die heideggerzentrierte Philosophiegeschichtsschreibung mit lokalpatriotischer Emphase zu korrigieren.

Dabei könnte Hartmanns Gedanke des historischen Aprioris gut mit Cassirers nicht immer sehr klarem Symbolbegriff konkurrieren. Und dass von den Rechtshegelianern keine Impulse ausgegangen sind, wiederholt nur, gewiss ohne jede Materialkenntnis, Löwiths im Grundsatz durchaus abgelehnte Konstruktion. Wie auch immer, man möchte Schleiermachers Religion oder Troeltschs Berufung nicht aus dem Buch rekonstruieren müssen, aber wer den Literaturangaben folgt, sieht, dass die Sache auch nicht falsch dargestellt wird.

Vorwerfen allerdings kann man den Autoren ihre Akzente. Was da Berliner Geist heißt, ist der neuen Herren Geist. Simmels und Cassirers Nicht-Berufung wird ausführlich abgehandelt. Simmel werde zwar als Kant-Interpret unterschätzt, aber dass er nicht berufen wurde, habe doch einen guten Sinn gehabt: Die sozialphilosophische Richtung gehörte nicht wirklich zum Berliner Geist. Cassirer dagegen, ein "Integral philosophischer Forschung", sei mit seiner Vermittlung von Naturwissenschaften und Philosophie geradezu eine Inkarnation dieses Geistes. Im Grunde seien doch alle seine wichtigen Gedanken schon in Berlin entwickelt worden - ein Hamburger sieht das naturgemäß anders -, und wenn "diese Tradition heute von Oswald Schwemmer aufgenommen und fortgesetzt wird", wird eigentlich nur ein historisches Unrecht beglichen.

Vor allem werden Fichte und Hegel mehr oder weniger offen als Deppen hingestellt. Zu Kants Vernunftkritik wie zu Diltheys Insistenz auf der Selbstbesinnung als Aufgabe der Philosophie kehre neben Schwemmer Herbert Schnädelbach zurück. Berliner Geistes soll dann sein, dass die Fakten seit der Beseitigung der Fichte-Hegelschen Erblasten nicht mehr deduziert wurden (was auch für Fichte und Hegel nicht stimmt), sondern die Philosophie mit den Realwissenschaften als Grundlagenwissenschaft kooperierte.

Aber genau das ist gerade gar kein Berliner Spezifikum. Mit mehr Recht kann man den "objektiven Geist" in Völkerpsychologie, Historismus, der Philosophie der symbolischen Formen und historischen Aprioris weiterwirken sehen. Der Neukantianismus hat in Berlin nicht Fuß fassen können. So dass erst die Nachwende-Philosophie der Humboldt-Universität als endgültiger Bruch mit dem Berliner Geist dastünde. Ein Bruch, gegen den grundsätzlich gar nichts einzuwenden ist.

GUSTAV FALKE

Volker Gerhardt, Reinhard Mehring, Jana Rindert: "Berliner Geist". Eine Geschichte der Berliner Universitätsphilosophie bis 1946. Mit einem Ausblick auf die Gegenwart der Humboldtuniversität. Akademie Verlag, Berlin 1999. 337 S., XII S/W-Tafeln, geb., 74,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ah, die Berliner Humboldt-Universität der 20er Jahre! Michael Mayer zitiert den israelischen Neurophysiologen und Philosophen Jeshajahu Leibowitz, der sich daran erinnert, dass in einem Kolloquium gelegentlich fünf oder sechs Nobelpreisträger gesessen hätten. Und dann erst die Philosophen! Immerhin haben in Berlin Größen wie Fichte, Schelling, Schleiermacher, Dilthey, Hegel und Schopenhauer gelehrt. Grund genug für eine Geschichte des Berliner Geistes. Mayer lobt die sorgfältige Aufmachung des Buches, die Verarbeitung der "überbordenden Materialfülle" und die gute Recherche. Nur den Anspruch der Autoren, Geistesgeschichte als Institutionsgeschichte zu schreiben, hält er für nicht ganz schlüssig. Sein Fazit: "Wer auch immer sich für die Historie der Berliner Universitätsphilosophie von der Gründung bis zur Stunde ‚Null‘ interessiert, wird an diesem Werk nicht vorbeikommen."

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