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Von verzauberten Dingen, Hochöfen der Seele und der Musik der GedankenDer große Menschenaffe verteidigt das ihm Liebste gegen eine Welt von Teufeln. Wer und was aber ist dieses offenbar undomestizierbare Tier? Liegt es vielleicht in uns selbst? Öffnet sich hier ein Boden, auf dem wir uns zu selbstsicher bewegen? Für Alexander Kluge stellt sich damit erneut die Frage nach erschließbaren Räumen in uns Menschen und in unserer Millionen Jahre alten Vergangenheit. Diesen Raum durchmisst er in dreizehn Stationen unter wechselnden Perspektiven, doch immer in konkreten Geschichten. So geht es um…mehr

Produktbeschreibung
Von verzauberten Dingen, Hochöfen der Seele und der Musik der GedankenDer große Menschenaffe verteidigt das ihm Liebste gegen eine Welt von Teufeln. Wer und was aber ist dieses offenbar undomestizierbare Tier? Liegt es vielleicht in uns selbst? Öffnet sich hier ein Boden, auf dem wir uns zu selbstsicher bewegen? Für Alexander Kluge stellt sich damit erneut die Frage nach erschließbaren Räumen in uns Menschen und in unserer Millionen Jahre alten Vergangenheit. Diesen Raum durchmisst er in dreizehn Stationen unter wechselnden Perspektiven, doch immer in konkreten Geschichten. So geht es um »Reparaturerfahrung« als essenzielle Lebenspraxis ebenso wie um die genealogische Erinnerung an Vater und Mutter. Zu einer Chronik des Zusammenhangs gehören aber nicht nur Personen, sondern auch Dinge mitsamt der in ihnen aufbewahrten menschlichen Arbeit. Sind solche Dinge nicht selbst oft »verzauberte Menschen« und bergen Romane? Schließlich die Kunst als »große Oper« im Leben und auf der Bühne.Sie bietet die direkteste Darstellung von Leidenschaft mit ihren elementaren Wurzeln in der Realität: im Terror, im Glück und in stillgestellten Bürgerkriegen des Gefühls aus ältester Zeit.Gute Theorie in konkrete Geschichten aufzulösen, das ist Alexander Kluges lebenslänglicher Ansatz. In der Konsistenz von Gedanken liegt für ihn Musik, und so setzt er mit diesem Buch gegen die vor fünfzehn Jahren erschienene Chronik der Gefühle nun den Kontrapunkt einer Chronik des Zusammenhangs.
Autorenporträt
Kluge, AlexanderAlexander Kluge, geboren 1932 in Halberstadt, ist Jurist, Autor, Filme- und Ausstellungsmacher; aber: »Mein Hauptwerk sind meine Bücher.« Für sein Werk erhielt er viele Preise, darunter den Georg-Büchner-Preis und den Theodor-W.-Adorno-Preis, Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf und 2019 den Klopstock-Preis der Stadt Halberstadt.»Ich bin und bleibe in erster Linie ein Buchautor, auch wenn ich Filme hergestellt habe oder Fernsehmagazine. Das liegt daran, daß Bücher Geduld haben und warten können, da das Wort die einzige Aufbewahrungsform menschlicher Erfahrung darstellt, die von der Zeit unabhängig ist und nicht in den Lebensläufen einzelner Menschen eingekerkert bleibt. Die Bücher sind ein großzügiges Medium und ich trauere noch heute, wenn ich daran denke, daß die Bibliothek in Alexandria verbrannte. Ich fühle in mir eine spontane Lust, die Bücher neu zu schreiben, die damals untergingen.«Alexander Kluge (Dankesrede zum Heinrich-Böll-Preis, 1993)
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Alex Rühle hätte sich gewünscht, dass ein strenger Lektor dem dauernden Abzweigen und Abschweifen Alexander Kluges ein wenige Einhalt geboten hätte. So hätte Rühle die Lektüre noch mehr genossen. Oft, wenn Kluges "Textgebirge" aus 500 Fragmenten, aus Historischem, Dokumentarischem, Essayistischem und Autobiografischem, allzu unkontrolliert wuchert, der Autor alles mit Macht durcheinanderwirbelt und weiter, immer weiter gräbt, statt innezuhalten und einem einmal aufgenommenen Faden länger zu folgen, wird der Rezensent müde. Auf die vielen überraschenden Perspektivwechsel, die die Fragilität der Gegenwart bewusst machen, und auf Kluges Intelligenz, Weltzugewandtheit, Moralempfinden und Neugier, die sich allesamt auch hier zeigen, möchte Rühle allerdings nie und nimmer verzichten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.12.2015

Stillzeit
der Gorillas
Alexander Kluges Textgebirge wächst
weiter – und oben drauf sitzt King Kong
VON ALEX RÜHLE
Legein, das griechische Wort für lesen, hat eine zweite, ursprünglichere Bedeutung: sammeln, zusammensuchen. Alexander Kluge ist einer der emphatischsten Leser unserer Zeit, ein lebenslanger Spuren-, Sinn-, Geschichtensammler, der auf weiten Streifzügen durch die unterschiedlichsten Wissensgebiete – wobei, Moment, schon das Wort „Wissensgebiete“ führt einen ja in lauter Einbahnstraßen des Denkens. Erst die Geologie, Stein und Zeit, fünf Milliarden Jahre. Dann kommt das weite Feld der Menschheitsgeschichte, der Mensch erscheint im Holozän. Es folgen Politik und Zeitgeschichte. Die verschiedenen Künste: Literatur. Oper. Film. In weit überwölbender Ferne, als allmächtige Hintergrundstrahlung, die Astronomie.
  Richtig interessant wird all das erst, wenn man es miteinander kurzschließt. Erst dann fängt das tote Material an zu sprechen, einen neu anzusehen. „Was besagt das?“, fragt Kluge in seinem neuen Buch, in Gestalt eines alten Petrologen, der einst in der DDR die Entstehung des Harz-Gebirges untersucht hat, und beantwortet sich die Frage selbst: „Dass unser Harzgestein einst nachbarlich lag neben den Gebirgsstümpfen der Appalachen und dass schottische Bergrücken (aus der variszischen Orogenese), wie ich sie nach der Wende besichtigte, an den Granit südlich von Goslar andockbar sind.“ Und: „Was besagt das“ für das weitläufig zerklüftete Kluge-Gebirge, das mit „Kongs große Stunde“ erneut um 680 Seiten angewachsen ist?
  Es gibt untergründige Verbindungen, von denen der durchschnittliche Jetztzeitbewohner nicht einmal ahnt. „Der unterschätzte Harz“ heißt das zitierte Fragment, und in der Tat, wer hätte gedacht, dass dieses so sanft vor sich hin hügelnde deutsche Mittelgebirge seelenverwandt ist mit dem schottischen Hochland und der amerikanischen Ostküste? Es kommt nur drauf an, wie tief man gräbt . . .
  Bei Kluge verwandeln sich alle vermeintlich scharf voneinander abgesetzten Wissenskontinente in tektonische Platten, die in seinem Schreiben fortwährend neu ineinandergeschoben, eingeschmolzen werden, um dann teilweise wieder aufzutauchen, andernorts, weit entfernt, und so gleicht sein zentrales Erzählmittel der kleinteiligen Montage dem, was unser Planet seit jeher macht, Stein auf Stein, Satz auf Satz, am Ende ergibt das Gebirgsketten, Kontinente, Kapitel und Romane.
  „Kongs große Stunde“ besteht aus rund 500 Fragmenten, die in zwölf Kapitel unterteilt sind. Wieder schieben sich Fiktionales und Dokumentarisches ineinander, wieder ist der Text ein Bastard aus Romanfragmenten, Essayskizzen, Historie, Tagebuch, wieder löst sich Theorie auf in Geschichten. Eingangs geht es um „Reparaturerfahrung“ als essenzielle Lebenspraxis, das reicht von kubanischen Autowerkstätten über die Reparatur einer Kriegsheimkehrerehebis hinzur rettenden Kinderfrau, die den jungen, angeblich unzähmbaren Alexander Kluge auffing.
  Wer will, kann dieses Kapitel auch literaturtheoretisch lesen, Derridas bricolage, bei der Altes neu kombiniert wird, ist diesen Reparaturfragmenten genauso nahe wie Kluges Idol Walter Benjamin, der aus seinen Kritzeleien auf Metrokarten und Servietten, aus biografischen Fundstücken und zeitgeschichtlichem Abfall eine säkulare Kathedrale der Moderne baute.
  Von der Unzähmbarkeit eines Kindes kommt Kluge zu King Kong. Die weiße Frau, die Flugzeuge, die vor der Silhouette von New York diesen Affen auf dem Wolkenkratzer angreifen: Wer ist der Gute in diesem Bild, wer der Böse? Der Affe will nur das ihm Liebste verteidigen. Das Bild ist, besonders nach 9/11, nicht stillzustellen. In Kluges Worten: „So ein Bild bohrt.“
  Das Kong-Bild führt sofort zu den Primaten. „Wilde Verlässlichkeit“ heißt das Kapitel über Menschenaffen und gleich das zweite Fragment daraus, „Architekten der Emotion“, feiert die Gorillas als Elterntiere: „Sie verwenden viel Zeit für die Aufzucht. Bis zum Abstillen vier Jahre. Ein Lebensvorrat an Solidarität, investiert in eine Generation, die für hundert Clans menschlicher Vorfahren ausgereicht hätte.“
  Womit er bei den eigenen Eltern landet, dem Sterben der Mutter, dem Leben des Vaters. Diese zwei Kapitel sind aus starken Einzelfragmenten gebaut, kompakt wie Quader, die sich zu etwas Großem fügen, ähnlich dem Haus in der Kaiserstraße 42 in Halberstadt, in dem Kluge aufwuchs und das wie eine biografische Kraftquelle wirkt. Natürlich kommt hier der Luftangriff vom 8. April 1945 vor, dieses strukturbildende Urerlebnis für Kluges Literatur – Einzelleben kollidiert mit Geschichte, alles wird durcheinandergewirbelt, ein Stadtensemble fragmentiert –, das zeitlich zusammenfällt mit der Trennung der Eltern.
  Der Vater lebte danach, in der grauen Nachkriegszeit, wie eine bürgerliche Monade, „in wüster Verteidigung einer Lebenshaltung, die in der DDR keine Geltung mehr hatte und die vom Umfeld der kleinen Stadt nur deshalb geduldet wurde, weil sie als ,herrschaftlich‘ nicht mehr erkannt wurde“. Ein Findling also auch er, der noch ein Weilchen mitgeschoben wird in eine ihm immer fremdere Geschichte.
  Den Eltern scheint ein Mangel an Selbstzweifeln zu eigen gewesen zu sein, „eine Selbstgewissheit ihrer Lebensführung“, wodurch diese Kapitel untergründig anschließen an eine der zentralen Fragen in Kluges Werk: Warum glückt die eine Lebensgeschichte und die andere nicht?
  Als Leser dieser Seiten darf man sich vielleicht auch einen Reim auf deren Autor machen, der ja ein charakterlich ausnehmend sympathisches Phänomen ist: die brillante Intelligenz, die frei ist von allem Zynismus; das stark ausgeprägte Moralempfinden, das aber nie in moralistisch empörte Stimmlagen kippt; die nimmermüde Neugier und selbstbewusste Weltzugewandtheit. Man findet viel davon in der Beschreibung seiner Eltern und deren festgefügter bürgerlichen Welt wieder.
  In „Das fünfte Buch“, Kluges letztem ähnlich großen Werk, gab es eine so kurze wie anrührende Anekdote, in der Kluge von einer Pilgerreise 1950 in die Schweiz erzählte: Er stromerte ehrfurchtsvoll um Thomas Manns Haus herum, um am Ende unverrichteter Dinge heimzufahren. So blieb seine Vorstellungsrede ungesprochen, bis sie 62 Jahre später Eingang fand in sein Buch: „Ich bin mit Erfolg geprüfter Rechtskandidat, (. . .) möchte Dichter werden und erbitte Ihre Ratschläge. Ihre Werke und die von Thornton Wilder habe ich in der Bibliothek des Amerikahauses in Marburg gelesen. Gern würde ich wie Sie schreiben. Versuche haben ergeben, daß mir das nicht gelingt. Meist werden die Texte kürzer.“ Das ist ein so charmant bescheidenes wie in den letzten Zeilen bis heute gültiges Selbstporträt.
  Oft heißt es in Kluge-Rezensionen, seine Bücher würden „zum Blättern einladen“, und so kann man den gedanklich-enzyklopädischen Reichtum ja auch positiv umschreiben. Aber Blättern hat immer auch etwas Beliebiges. Wie oft wünscht man sich, Kluge würde einen der vielen Fäden länger in der Hand halten, statt ihn sofort zu verweben mit anderem Stoff, der ihm genauso interessant erscheint. In den starken Passagen, wenn überraschende Perspektivverschiebungen durch die Montage gelingen, kann einen ein Schauder ergreifen: unsere dröhnende Gegenwart – nichts als eine hauchdünne, fragile Schicht auf granittiefen Vergangenheitskrusten.
  Streckenweise ist die Lektüre aber schlicht ermüdend. Kluge will ja unbedingt einen Sinnhunger stillen, das Buch trägt immerhin den Untertitel „Chronik eines Zusammenhangs“. Er selbst zweigt aber so oft ab, Napoleon, die sowjetischen Weltraumhunde, Pangäa, unterbricht sich, setzt neu an, dass man sich immer wieder einen Lektor wünscht, streng-arrogant wie Thomas Mann. Oder um nochmals in die Geologie zurückzukehren: Es treiben dann doch sehr viele Findlinge durch diesen Text.Und gerade Kluge als Wahl-Münchner sollte doch wissen, dass die großen Alpgranite und majestätischen Kalkwände geologisch interessanter sind als die kleinteilig-monotone Schotterebene, auf der diese Stadt sitzt.
        
Alexander Kluge: Kongs große Stunde. Chronik des Zusammenhangs. Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 680 Seiten, 38 Euro. E-Book 32,99 Euro.
Stein auf Stein, Satz auf Satz.
Am Ende ergibt das Gebirge,
Kontinente, Kapitel, Romane
„Sehr geehrter Herr Mann,
gerne würde ich wie Sie schreiben.
Meist werden die Texte kürzer.“
King Kong und die weiße Frau, die Flugzeuge,
die den Affen vor der Skyline von New York auf dem Wolkenkratzer angreifen – für Alexander Kluge ist das ein in seiner Ambivalenz nicht stillzustellendes Bild.
Foto: Scherl / Süddeutsche Zeitung Photo
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»So wie Kluge schreibt niemand, und wir hoffen auf den nächsten Band.« Uwe Schütte Wiener Zeitung 20160123