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Ein Leben fernab der üblichen Pfade
»Ich blickte hinauf zum sternenübersäten Himmel und wünschte mir leidenschaftlich ein neues Leben.«
Maryse Condé wird als jüngstes von acht Kindern auf der französischen Karibikinsel Guadeloupe geboren und gilt heute als »Weltbürgerin und Grande Dame der frankophonen Literatur« (BR 2). In ihrer Autobiographie lässt sie ihre frühen Lebensjahre wiederaufleben. Die Zeit als junge Studentin im Paris der 1950er-Jahre, als alleinerziehende, mittellose Mutter, die wagemutig nach Westafrika geht und als Lehrerin miterlebt, wie der Kontinent von politischen…mehr

Produktbeschreibung
Ein Leben fernab der üblichen Pfade

»Ich blickte hinauf zum sternenübersäten Himmel und wünschte mir leidenschaftlich ein neues Leben.«

Maryse Condé wird als jüngstes von acht Kindern auf der französischen Karibikinsel Guadeloupe geboren und gilt heute als »Weltbürgerin und Grande Dame der frankophonen Literatur« (BR 2). In ihrer Autobiographie lässt sie ihre frühen Lebensjahre wiederaufleben. Die Zeit als junge Studentin im Paris der 1950er-Jahre, als alleinerziehende, mittellose Mutter, die wagemutig nach Westafrika geht und als Lehrerin miterlebt, wie der Kontinent von politischen Auseinandersetzungen erschüttert wird.

Mit entwaffnender Offenheit schildert Maryse Condé ein Leben fernab der üblichen Pfade und zeichnet das Bild einer unerschrockenen Frau, die die gesellschaftlichen und politischen Widersprüche ihrer Zeit erkannte und sich »nie scheute, gegen den Strom zu schwimmen« (Neue Zürcher Zeitung).
Autorenporträt
Maryse Condé, 1934 in Pointe-à-Pitre auf Guadeloupe geboren, gilt als eine der großen Erzählstimmen unserer Zeit. Mit 16 Jahren ging sie zum Studium nach Paris und lebte später mehrere Jahre in Westafrika. Maryse Condé unterrichtete u.a. an der Sorbonne und war Professorin für französische Sprache und Literatur an der Columbia University in New York. Bekannt wurde Maryse Condé durch die Familiensaga 'Segu', in der sie die Geschichte der westafrikanischen Familie Traoré erzählt. Sie wurde u.a. mit dem Prix de l'Académie Française, dem Prix Marguerite Yourcenar sowie dem Alternativen Literaturnobelpreis ausgezeichnet. 2020 wurde ihr in Frankreich der nationale Verdienstorden verliehen. Maryse Condé verstarb im April 2024 im Alter von 90 Jahren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2020

Afrika, wo bist du?
Nach dem Unglück die Literatur: Maryse Condé, Frankreichs wichtigste Übersee-Autorin, schreibt von ihrer schmerzhaften Suche nach kreolischer Identität.

"Die eigene Herkunft spielt keine Rolle. Viel wichtiger ist es, man selbst zu sein, dort wo man ist, die eigene Stimme und den eigenen Weg zu kennen." Maryse Condé, 1937 auf der französischen Karibik-Insel Guadeloupe als jüngstes von acht Kindern geboren, hat bis zu dieser Erkenntnis einen harten Kampf führen müssen. Nicht nur gegen rassistische Herabsetzungen sowohl in Paris als auch im postkolonialen Afrika, nicht nur gegen die gesellschaftliche Ächtung als alleinerziehende Mutter von vier Kindern und notorische Provokateurin, sondern auch und vor allem gegen sich selbst.

Im zweiten Band ihrer Autobiographie, "Das ungeschminkte Leben", der acht Jahre nach dem französischen Original jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt, zeigt sich die hochverdiente Trägerin des Alternativen Nobelpreises für Literatur als "Opfer des Schicksals", als empfindsame Selbstzweiflerin voller "Schwäche, Verletzlichkeit und tief sitzendem Egoismus". Diese ungeschminkten Worte aus der Feder der angesehensten französischen Übersee-Autorin, der laut Selbstauskunft gleichwohl "das Leben nicht schmeckt", könnten wirken wie eine allzu wehmütig geratene öffentliche Selbstanklage. So einfach ist es aber nicht. Die schonungslose Offenheit und notorische Angriffslust, die Maryse Condé als Essayistin und Autorin immer ausmachten, prägen auch den Blick auf ihr eigenes Leben.

Dass sie "intelligent und böse" sei, erfuhren Condés Leser bereits im ersten Band ihrer Memoiren ("Le Coeur à rire et à pleurer", 1999), in dem sie über ihre Kindheit auf Guadeloupe berichtete. Ihre ersten Lebensjahre waren geprägt von Einsamkeit und Langeweile, denn ihre Eltern, die sich als "grands nègres" verstanden, schotteten die Familie in ihrem obsessiven Bedürfnis nach bildungsbürgerlicher Distinktion von nahezu allen sozialen Kontakten in der einstigen Sklavenkolonie ab. Nicht afro-französisches Selbstbewusstsein, sondern die im wahrsten Sinne "sklavische" Nachahmung franko-französischer Bürgerlichkeit prägte den Familienhaushalt. Die seelischen und gesellschaftlichen Verheerungen dieser postkolonialen Attitüde erlebte Maryse Condé am eigenen Leib. Sie machen "Das ungeschminkte Leben" zu einem ebenso persönlichen wie politisch aufschlussreichen Zeugnis.

Im Alter von sechzehn Jahren verließ Condé ihre Heimat und ging wie viele aufstrebende Franzosen aus den Übersee-Kolonien nach Paris. Als sie ebendort nach einem flammenden Liebesabenteuer ihren ersten Sohn gebar, daraufhin ihr Studium an einer Eliteuniversität abbrach und zugleich vom Tod ihrer Mutter auf Guadeloupe erfuhr, wandelten sich die neuen Lebensumstände kurzerhand in eine "Hölle". Der Antagonismus zwischen ihrem streng-bürgerlichen Elternhaus, in dem Paris als einzig möglicher Ausgangspunkt eines gelungenen Lebens galt, und der Lebensrealität einer dunkelhäutigen, alleinerziehenden Mutter aus einer früheren Sklavenkolonie war der Grundkonflikt, der Condés Leben zutiefst prägte. Dass die offene Ablehnung, die ihr in Frankreich entgegenschlug, aus einer "kolonialen Lüge" hervorging, entdeckte Condé erst mit der Lektüre der postkolonialen Streitschrift "Rede über den Kolonialismus" des Martinikaners Aimé Césaire.

Als sie 1959 allein mit ihrem Sohn und erneut schwanger von Frankreich nach Westafrika ging, um ihren Wurzeln nachzuspüren, dauert es derweil nicht lange, bis sie "das Lächeln verlernte". "Auf der nackten Erde sitzend, stellten Frauen mit abgemagerten Gesichtern ihre Zwillinge, Drillinge, Vierlinge zur Schau. Beinlose Krüppel rutschten auf dem Hosenboden. Einarmige streckten einem die Stummel entgegen. Alle möglichen Versehrten und Bettler fuchtelten wild mit ihren fordernden Händen. Im Kontrast dazu sah man blitzsaubere, gut gekleidete Weiße am Steuer ihrer Autos.", schreibt Condé mit unverhohlener Abscheu vor denjenigen, die die Theoretiker der Négritude-Bewegung als Brüder und Schwestern der afrikanischen Weltgemeinschaft verstanden haben wollten. Als selbstbewusste und gebildete junge Frau von den Antillen schlug Condé vielmehr offener Rassismus entgegen. "Die Afrikaner hassen und verachten uns Antillaner", erfährt sie bereits in den ersten Tagen in Guinea, "weil manche hier Kolonialbeamte waren, behandeln sie uns wie Knechte, die gerade gut genug sind, für ihre Herren die Drecksarbeit zu erledigen."

Condés Erinnerungen an ihre Jahre in Westafrika, an ein von chronischer Niedergeschlagenheit, materieller Not, sprunghaften Liebschaften und politischem Chaos geprägtes Leben als Französischlehrerin und alleinerziehende Mutter von mittlerweile vier Kindern, fasst sie schließlich ernüchtert in einen Satz: "Ich wusste inzwischen, dass mich Afrika nie so annehmen würde, wie ich war." Nicht etwa in Paris, sondern in Conakry entwickelte Condé ihren "Hass auf das Wort Integration", als man ihr im "Zirkel der linken Langweiler" nahelegt, sich den afrikanischen Traditionen gemäß zu kleiden. Die drastische Mangelwirtschaft in Guineas sozialistischer Diktatur unter Sékou Touré, der sich vom Fenster seiner Luxus-limousine aus wie ein Messias bejubeln lässt, während ein Großteil der Bevölkerung Hunger leidet und Kritiker in Folterlagern verschwinden, führt Condé "unglücklich und einsam" zu der Grundfrage ihrer Identitätssuche: "Afrika, wo bist du?" Als "Marxistin aus Gefühlsduselei" lauscht sie später in einem "Ideologie-Institut" in Ghana zwar gebannt den Reden von Malcom X und Che Guevara, erkennt aber bald, dass der afrikanische Sozialismus die kulturellen und gesellschaftlichen Traditionen Afrikas nicht weniger missachtet, als es zuvor das europäische Kolonialsystem getan hatte.

In Condés stets persönlich gehaltenen, nie ideologisch-politisch vorgeprägten Betrachtungen tritt die ganze Ambivalenz des postkolonialen Aufbruchs (wie sie schon der Malier Yambo Ouologuem in seinem legendären Roman "Das Gebot der Gewalt" beschrieben hat) in aller Konkretion zu- tage. Anekdotenreich schildert Condé, wie sich eine grundlegende Erkenntnis in ihr Bahn brach. Frantz Fanons These über "Schwarze Haut, weiße Masken", laut der man erst durch Fremdzuschreibungen zu einem "Schwarzen" gemacht werde, entsprach weitaus mehr der postkolonialen Lebensrealität als der schöne Traum der Négritude-Theoretiker von einer afrikanisch-stämmigen Weltgemeinschaft. Erst später habe sie bemerkt, so notiert Condé wie immer angriffslustig, dass sie über ihre Erlebnisse in Afrika in Europa nicht offen sprechen konnte. "Bei ihnen erträgt man weder Humor noch Ironie, für mich die einzige Form, in der ich meine zum Teil harten, traumatischen Erfahrungen erzählen konnte, ohne in Selbstmitleid zu verfallen."

"Das ungeschminkte Leben" erzählt die Geschichte einer Autorin, die sich nicht durch akademischen Fleiß und künstlerischen Ehrgeiz in die vordersten Ränge der Literatur schrieb - wie es etwa der fast gleichaltrige Kenianer Ngugi wa Thiong'o in seinen Memoiren von sich behauptet. "Meine literarische Karriere begann vor allem deshalb so spät, weil ich derart mit meinem unglücklichen Leben beschäftigt war", bekennt Maryse Condé. Als sie 1976 schließlich ihren ersten Roman "Heremakhonon" über die sozialistische Diktatur in Guinea veröffentlichte, entsprang das vor allem ihrem Wunsch, die zutiefst widersprüchlichen Erfahrungen in Afrika mittels der Literatur zu zähmen. "In verwandelter Form zog es in alle Winkel meiner Imagination ein, auf diese Weise endlich unterworfen." Die Unmittelbarkeit ihres Schreibimpulses macht Maryse Condé zu einer großen Erzählerin und zu einer außergewöhnlich selbstkritischen und dadurch umso glaubwürdigeren Autobiographin. In jedem ihrer wuchtigen Sätze liest man mit, dass der glücklichere Teil ihres Lebens erst mit der Literatur begann.

CORNELIUS WÜLLENKEMPER

Maryse Condé:

"Das ungeschminkte

Leben". Autobiographie.

Aus dem Französischen von Beate Thill.

Luchterhand Literaturverlag, München 2020.

300 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensentin Andrea Pollmeier verehrt Maryse Condé sehr, und so liest sie auch die Erinnerungen der großen französischsprachigen Schriftstellerin aus Gouadeloupe voller Bewunderung. Condé erzählt in "Das ungeschminkte Leben" von ihren jungen Jahren, in denen es sie als junge, ledige Mutter über Paris nach Westafrika verschlug, wo sie die historisch und politisch so brisante Phase der Entkolonialisierung in den sechziger Jahren hautnah mierlebte: die Ermordung Patrice Lumumbas im Kongo, den Putsch in Ghana, die grausame Herrschaft Sékou Touré in Guinea. Und sie begegnet den wichtigen Autoren jener Zeit, Aimé Césaire, Frantz Fanon, Léopold Senghor. Bewegend und bedeutend findet Pollmeier das Werk, beklagt allerdings einen ihrer Ansicht nach generell zu unsensiblen Umgang mit diskrimierenden Begriffen früherer Zeiten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2020

„Afrika, wo bist du?“
Wie man die wird, die man ist: Zwei autobiografische Bücher der karibischen Autorin Maryse Condé
Maryse Condé gehört zu den bekanntesten Stimmen des literarischen Bermudadreiecks zwischen Afrika, Europa und Amerika, das den schönen Namen Karibik trägt. Die heute Dreiundachtzigjährige stand in letzter Zeit auch immer wieder ganz oben auf der Liste möglicher Literatur-Nobelpreisträgerinnen. Aus ihren zwei Dutzend Romanen und Erzählungen schimmerten schon manche Einzelheiten eines bewegten Schriftstellerinnenlebens durch. Zwei sehr unterschiedliche autobiografische Bücher gehen nun näher auf einige Perioden ein.
Die im Original 2012 erschienene Autobiografie „Das ungeschminkte Leben“ konzentriert sich auf die entscheidenden Jahre, in denen die junge Frau 1959 von Paris aus auf eine lange Suche nach ihren fernen afrikanischen Wurzeln aufbrach. Und sie nicht fand.
Nach Paris gekommen war Maryse Boucolon, Tochter einer zum Mittelstand aufgestiegenen schwarzen Großfamilie im französischen Überseegebiet Guadeloupe, eigentlich fürs Literaturstudium. Die Lektüre des martinikanischen Dichters Aimé Césaire, des Theoretikers der „Négritude“, und lange Diskussionsabende im Kreis afrikanischer Studenten in Paris hatten ihr aber in den Kopf gesetzt, Afrika sei nicht nur der Schlüssel zu ihrem tieferen Sein, sondern auch der Ausweg aus den komplizierten Lebensverhältnissen, in die sie geraten war. Nach einer enttäuschten Liebschaft hatte sie einundzwanzigjährig den Schauspielschüler Mamadou Condé aus Guinea geheiratet, mit dem das Zusammenleben aber keine drei Monate dauerte. Allein mit (zunächst) zwei Kindern ging sie als Französischlehrerin an die Elfenbeinküste, später nach Guinea, Ghana und schließlich Senegal.
Zehn Jahre lang erlebte die Zugereiste so aus unmittelbarer Nähe den schwierigen Weg dieser Länder in die Unabhängigkeit. Sie konnte die Spannungen unter rivalisierenden Volksgemeinschaften beobachten und war auch Zeugin des nicht einfachen Verhältnisses zwischen Afrikanern und Leuten aus den Antillen. Am Unabhängigkeitstag der Elfenbeinküste 1960 wurde ihr der Zugang zu den Feierlichkeiten verwehrt und sie fuhr im Buschtaxi enttäuscht in ihre Wohnung in einer Vorstadt von Abidjan zurück. „Wird sich eh nichts ändern“, lautet der knappe Kommentar ihrer Nachbarn, die sich beim Kartenspiel vom Jubel schon gar nicht erst haben stören lassen.
In Guinea war sie dann Zeugin, wie das sozialistische Regime Sékou Tourés in Mangelwirtschaft, Korruption und Gewaltherrschaft versank. In Ghana wurde sie nach einem Staatsstreich 1966 als angebliche Spionin verhaftet und ausgewiesen.
Überzogene Idealvorstellungen von Afrika habe sie allerdings nie gehabt, beteuert die Autorin in ihrem Buch. Statt von den Düften und Farben, wie die westlichen Besucher, sei sie von Anfang an eher von dem Elend auf den Straßen beeindruckt gewesen. Dem Geheimnis dieses Kontinents wollte sie aber auf den Grund gehen. Wie einst Diogenes in Athen bei der Suche nach einem wahren Menschen hätte sie gern zur Laterne gegriffen und um sich gerufen: „Afrika, wo bist du?“
So eine Suche könnte ausgiebig Stoff fürs literarische Schreiben liefern. Nicht bei Maryse Condé. Sie sei in jenen Jahren zu sehr mit ihren Alltagsproblemen und mittlerweile vier Kindern beschäftigt gewesen, gesteht sie. „Ich könnte Sie mir als Romanautorin vorstellen“, sagte in Conakry einmal eine Bekannte zu ihr, „und wir lachten beide über den gelungenen Witz“. So war die Autorin schon vierzig, als ihr erster Roman erschien. Die ständig Getriebene musste erst lernen, das Erlebte und das Gedachte zusammenzubringen. Von Aimé Césaire hatte sie in jungen Jahren die Vorstellung eines wesenhaft schwarzafrikanischen Kulturerbes übernommen. Bei Frantz Fanon entdeckte sie dann die scharfe sozio-politische Analyse, die an kulturelle Wesenszüge nicht glaubt. Die langen Um- und Irrwege führten aber letztlich doch zum Ziel.
Ein „endlich gezähmtes Afrika“, schreibt die Autorin, „sollte in verwandelter Form in alle Winkel meiner Phantasie eindringen und nunmehr nur noch Stoff für zahlreiche Geschichten abgeben“.
Dieser Satz ist aber auch schon das Ende des Buchs. Die nach Frankreich und dann in ihr heimatliches Guadeloupe zurückgekehrte Maryse Condé beginnt mit dem Romanschreiben. Den Bericht der zehn Jahre, die diesem Schritt vorausgingen, hätte man sich etwas aufschlussreicher gewünscht. Selbstironisch und etwas selbstgefällig verliert sich die Autobiografie gern in Anekdoten. Maryse Condé war eine wichtige Figur im Übergang von den Pionieren der karibischen Dekolonialisierungsliteratur zur Nachfolgegeneration Patrick Chamoiseaus oder Raphaël Confiants. Dank ihrem Werk sei den afro-amerikanischen Schriftstellern der „afrikanische Spiegel“ zerbrochen, bezeugten diese ihr später. Hintergründe dazu sucht man in diesen Lebenserinnerungen vergebens.
Anders verhält es sich mit den Kindheitserinnerungen „Mein Lachen und Weinen“. Dieses im Original bereits 1999 erschienene Buch lässt hinter den frisch erzählten Anekdoten prägnante symptomatische Situationen aufblitzen. Der Eifer, mit dem ihre Eltern bei ihren Paris-Besuchen französischer wirken wollten als die Franzosen, waren der Kleinen Ansporn, trotzig auf ihren schwarzen Kraushaarzöpfen zu beharren. Dass im Milieu der „Grands Nègres“, wie ihre Eltern sich bezeichneten, die Mütter nicht in weiten Gewändern zu Hause Wurzelgemüse kochten und abends den Kindern kreolische Geschichten erzählten, sondern meist als französische Beamte eine Berufstätigkeit ausübten, machte der Tochter allerdings auch das Anderssein gegenüber den meisten Klassenkameraden deutlich. Erst als die Sechzehnjährige mit ihrem neuen Fahrrad unter sengender Sonne die engen Küstenstraßen entlang radelte und sich neben den Fischerdörfern einfach in den Sand fallen ließ, ohne sich darum zu kümmern, dass sie abends noch hässlicherer dunkelgebräunt, wie ihre Mutter fand, nach Hause kommen würde, fand sie zu einem soliden Stück Selbstbewusstsein. Jeder Gedankengang, das zeigen diese beiden vorzüglich übersetzten autobiografischen Bücher, beruht bei Maryse Condé auf konkreter Lebenserfahrung.
JOSEPH HANIMANN
Maryse Condé: Das ungeschminkte Leben. Autobiografie. Aus dem Französischen von Beate Thill. Luchterhand, München 2020. 304 Seiten, 22 Euro. Maryse Condé: Mein Lachen und Weinen. Wahre Geschichten aus meiner Kindheit. Aus dem Französischen von Ingeborg Schmutte. Litradukt Verlag, Trier 2020. 149 Seiten, 13 Euro.
Das neue Fahrrad,
die Freiheit am Strand,
und endlich das Selbstbewusstsein
Maryse Condé, Jahrgang 1937, pendelt heute zwischen New York und ihrer Geburtsinsel Guadeloupe.
Foto: AFP
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»Eine Liebeserklärung an den afrikanischen Kontinent in all seiner Vitalität und Vielfalt.« Marlen Hobrack / Die Welt