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Die Politik des 20. Jahrhunderts ist ein Kapitel der Religionsgeschichte. Mit dieser Einsicht leitet John Gray seinen Abriss moderner politischer Ideen von der Antike bis in die Gegenwart ein.
Furios und in verblüffender Evidenz stellt Gray dar, wie sehr sich islamische oder christliche Fundamentalisten und neoliberale Turbokapitalisten, die Jakobiner im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts, die Nationalsozialisten und die US-amerikanische Bush-Regierung ähneln.
Die von Utopien geschundene Welt lässt sich im 21. Jahrhundert nur noch durch eine globale Realpolitik vor dem Untergang bewahren.
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Produktbeschreibung
Die Politik des 20. Jahrhunderts ist ein Kapitel der Religionsgeschichte. Mit dieser Einsicht leitet John Gray seinen Abriss moderner politischer Ideen von der Antike bis in die Gegenwart ein.

Furios und in verblüffender Evidenz stellt Gray dar, wie sehr sich islamische oder christliche Fundamentalisten und neoliberale Turbokapitalisten, die Jakobiner im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts, die Nationalsozialisten und die US-amerikanische Bush-Regierung ähneln.

Die von Utopien geschundene Welt lässt sich im 21. Jahrhundert nur noch durch eine globale Realpolitik vor dem Untergang bewahren.
Autorenporträt
John Gray, geboren 1948, ist Professor für Europäische Ideengeschichte an der London School of Economics.Durch zahlreiche Sendungen für die BBC wurde er weltweit bekannt, wie auch als Autor herausragender Bücher gefeiert: »Die falsche Verheißung. Der globale Kapitalismus und seine Folgen«; ferner der Weltbestseller »Straw Dogs«; dt. »Von Menschen und anderen Tieren«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.09.2009

Endzeitgeist
Endlich liegt ein Buch des britischen Philosophen John Gray auf Deutsch vor – ein zweischneidiges Vergnügen
Man darf es wohl ohne Weiteres als ein kleines Ereignis dieses anbrechenden Buchherbstes bezeichnen, wenn nun erstmals ein Buch des britischen Philosophen, Kommentators und Zeitdiagnostikers John Gray auf Deutsch erscheint. Lange hat es gedauert, viel zu lange. Anfang des vergangenen Jahres wurde der ehemalige Professor für Europäische Ideengeschichte an der renommierten London School of Economics emeritiert. In England gilt der Schüler und Freund Isaiah Berlins schon seit den achtziger Jahren als einer der umtriebigsten, originellsten und streitbarsten Denker der Gegenwart. Einflussreiche Zeitungen und Zeitschriften wie der Londoner Guardian oder das Times Literary Supplement druckten (und drucken) die Stellungnahmen des mittlerweile 61-Jährigen gern und regelmäßig. Mit „Straw Dogs – Thoughts On Humans And Other Animals” gelang ihm 2002 sogar ein echter Bestseller. „Humanity does not exist”, schrieb er darin fatalistisch: „There are only humans, driven by conflicting needs and illusions, an subject to every kind of infirmity of will and judgement.” – Menschlichkeit gibt es nicht. Es gibt nur von konfligierenden Bedürfnissen und Illusionen beherrschte Menschen mit allen Arten von Willens- und Urteilsschwächen.
Und nun also die „Politik der Apokalypse – Wie die Religion die Welt in die Krise stürzt”, Grays in Großbritannien schon 2007 erschienener Beitrag zur Weltlage nach dem Irak-Krieg und der Rolle des Glaubens in der Politik. Er reihte sich damit pünktlich ein in eine bis heute hitzig und kontrovers geführte Debatte und doch gelang es ihm, wie die New York Times anerkennend anmerkte, wieder einmal „a little ahead of the zeitgeist” zu sein.
Sein Deutungsansatz ist dabei zunächst denkbar konventionell. Die Politik der Moderne sei ein Kapitel der Religionsgeschichte, dekretiert Gray im allerersten Absatz. Die großen revolutionären Umbrüche der vergangenen zwei Jahrhunderte – darunter macht er es selbstverständlich nicht – seien Episoden der Glaubensgeschichte: „Unsere Welt am Beginn des neuen Jahrtausends ist übersät mit den Trümmern utopischer Projekte, die zwar säkular auftraten und sich religiösen Vorstellungen widersetzten, in Wirklichkeit aber von religiösen Mythen getragen waren.” In die populäre und gelegentlich allzu fanatische atheistische Religionskritik von Autoren wie Richard Dawkins oder Christopher Hitchens, stimmt das Buch dennoch nicht ein. Es geht nicht um die platte Diffamierung und auch nicht um die gängige Diagnose, wir hätten es schlicht mit einer Rückkehr der Religion zu tun. Als sich etwa Dawkins eine Welt ohne Religion vorstellte und schrieb, diese müsse man sich als eine vorstellen, in der es keine Selbstmordbomber gäbe, „keinen 11. September, keine Kreuzzüge und Hexenverfolgungen, keine Massaker in Bosnien, keine Verfolgung der Juden als ,Christusmörder‘ und keine hochgefönten Fernsehprediger in schimmernden Anzügen, die leichtgläubigen Leuten ihr Geld aus der Tasche ziehen” – als also all das behauptet wurde, dürfte sich Gray mit einigem Grausen abgewendet haben. Seine Argumentation ist nüchterner und analytischer angelegt. Vorerst jedenfalls.
Unter Berufung auf eine 1957 erschienene Studie des britischen Historikers Norman Cohns, „Die Sehnsucht nach dem Millennium”, zeigt Gray vielmehr, wie sich mit dem Christentum der Gedanke durchsetzte, dass die Geschichte der Menschheit ein teleologisches, also ein auf ein Ende hin gedachtes Geschehen sei. Sein Reich komme: „Mit dem Christentum wurden Eschatologie und Apokalyptik zu einem zentralen Bestandteil der westlichen Zivilisation.” Der Mythos der innergeschichtlichen Erlösung sei das fragwürdigste Geschenk des Christ-entums an die Menschheit. Zum Problem, und das ist zur Einordnung entscheidend, wird dieser „Geburtsfehler” für Gray jedoch nur deshalb, weil er von den mittelalterlichen Millenaristen weitergetragen wurde und schließlich die Gestalt des säkularen Utopismus und des blinden Fortschrittsglaubens annahm.
Damit ist der gedankliche Boden bereitet für einen wilden Interpretations-Ritt durch ausgewählte politische Ideen und ihre Geschichte. Vom Sowjetkommunismus über den Nationalsozialismus bis zu Margaret Thatchers Konservativismus, Tony Blair Neoliberalismus und – das ist der zentrale Fluchtpunkt des Buches, weshalb es im Jahr 2009 natürlich etwas verspätet erscheint – George W. Bushs Neokonservativismus. Hier kulminiert alles, was Gray an politischem Gedankengut verabscheut: „Der ,Krieg gegen den Terror‘ ist symptomatisch für eine Geisteshaltung, die auf einen grundlegenden Umbruch im Leben der Menschen setzt – auf das Ende der Geschichte, die weltweite Verbreitung der Demokratie und den Triumph über das Böse.”
Mit beachtlichen Schwung ist all das geschrieben, man folgt gern. Und doch schleicht sich nach und nach der Eindruck ein, dass hier eine Menge über einen Kamm geschoren und manches gar unterschlagen wird. So ist die Apokalyptik natürlich keine Erfindung des Christentums. Anderes wird sehenden Auges arg zurechtgebogen. Den Beweis etwa, dass der Irak-Krieg am Ende wirklich mehr war, als ein knallhart kalkulierter Konflikt mit dem Ziel, Zugang zu einem großen Teil der Ölreserven am Golf zu gewinnen – diesen für seine Überlegungen wesentlichen (aber letztlich natürlich unmöglich zu erbringenden) Beweis, bleibt Gray schuldig. Mehr noch: Während der utopische Überschuss des Konflikts, die demokratische Missionierung des Irak, reine Behauptung bleibt, wird haarklein ausgeführt, warum das Öl eine entscheidende Rolle spielte.
Aus einem ganz anderen Grund wiederum ist die Wahl des deutschen Untertitels problematisch (wofür jedoch der Übersetzer Christoph Trunk auf keinen Fall verantwortlich gemacht werden sollte; er hat Grays schwungvollen Stil gekonnt ins Deutsche übertragen). Streng genommen, macht er das Buch nämlich zu einer Mogelpackung, denn es geht Gray eben genau nicht darum, wie die Religion die Welt in die Krise stürzt. Das ist die These der Bücher von Autoren wie Dawkins, Hitchens, Daniel Dennett, Martin Amis, Michel Onfray oder Philip Pullmann, gegen die Gray argumentiert. Der englische Originaltitel „Black Mass – Apocalyptic Religion And The Death Of Utopia” deutet dies unmissverständlich an. Nicht die Religion also, sondern die pervertierte Religion ist das Problem. Es bleibt das Geheimnis des Verlages, wie dies allen Beteiligten entgehen konnte.
Ein Verdienst ist die Veröffentlichung dennoch. Bücher dieses intellektuellen Anspruchs mit einem ähnlichen argumentativen Zug haben hierzulande leider keine Tradition. Von einem deutschen Autor vergleichbarer Prominenz wäre es in dieser Radikalität kaum denkbar. Im Kern hängt dies allerdings auch mit einem Politikverständnis zusammen, das man radikalliberal nennen müsste, obwohl es die ökonomische Konnotation, die dabei in Deutschland immer mitschwingt, gar nicht hat. Veranschaulichen lässt sich dies vielleicht am einfachsten, wenn man einen Blick auf die beiden dominierenden Konzepte der Toleranz wirft, wie sie Gray etwa auch in seinem im Jahr 2000 erschienenen, einflussreichen Buch „Two Faces Of Liberalism” skizziert.
Im einen ist Toleranz ein Gebot der universellen Vernunft, ein Baustein der Wahrheit. Lebensmodelle, die sich in wesentlichen Prämissen fundamental unterscheiden, werden aus dieser Perspektive nur akzeptiert, weil man davon ausgeht, dass es sie in der toleranten Gesellschaft ohnehin bald nicht mehr geben wird. Das andere Konzept zeichnet aus, das es die Toleranz allein als notwendige Bedingung des Friedens unter den Menschen ansieht. Lebensmodelle, die sich in wesentlichen Prämissen fundamental unterscheiden, sind in ihm nur der Beweis dafür, dass es mehr als einen Weg zum guten Leben gibt. Die politische Leitidee des ersteren Konzepts ist die größtmögliche gesellschaftliche Übereinstimmung, der rationale Konsens, die des letzteren der – von nicht wenigen sozialliberalen wie konservativen politischen Denkern – vielgeschmähte „modus vivendi”, also das in weltanschaulichen Fragen denkbar pragmatische Miteinanderauskommen. Eben diesem Ansatz steht Gray nahe. Sein skeptisches Projekt verdient deshalb Aufmerksamkeit: „Wir müssen akzeptieren, dass wir die größten Unzulänglichkeiten und Fehler des menschlichen Wesens niemals ausräumen, sondern nur Tag für Tag abmildern und eindämmen können.”
„Straw Dogs”, den provokanten Bestseller aus dem Jahr 2002, will Klett-Cotta übrigens bald nachlegen. Auf den deutschen Titel darf man gespannt sein. JENS-CHRISTIAN RABE
JOHN GRAY: Politik der Apokalypse. Wie die Religion die Welt in die Krise stürzt. Aus dem Englischen von Christoph Trunk. Klett-Cotta, Stuttgart 2009. 363 Seiten, 22,90 Euro.
„Unsere Welt ist übersät mit den Trümmern utopischer Projekte”
Nicht die Religion, sondern die pervertierte Religion ist das Problem, dem sich Gray widmet
Joseph Heintz d.J.: Allegorie (Apokalypse) (1674). Das Gemälde hängt heute im Kunsthistorischen Museum in Wien. Foto: picture-alliance / akg-images / Erich Lessing
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Jens-Christian Rabe begrüßt John Grays Buch "Politik der Apokalypse", das nun endlich auf Deutsch vorliegt. Er würdigt den britischen Philosophen als einen der "umtriebigsten, originellsten und streitbarsten Denker" der Gegenwart. Der deutsche Untertitel des Buchs, "Wie die Religion die Welt in die Krise stürzt", ist in seinen Augen allerdings völlig daneben. Von Autoren wie Richard Dawkins und deren Religionsbashing sieht er Gray meilenweit entfernt. Dieser betrachte nicht die Religion, sondern ihre politischen Pervertierungen als Problem. Der Ansatz des Autors, die utopischen Projekte und den Fortschrittsglauben der von Umbrüchen geprägten letzten Jahrhunderte aus der Vorstellung eines eschatologischen, teleologischen Ende der Geschichte zu deuten, scheint ihm zwar zunächst etwas "konventionell". Der "wilde Interpretations-Ritt" durch politische Ideen und ihre Geschichte vom Sowjetkommunismus über den Nationalsozialismus bis zu Thatchers Konservativismus, dem Neoliberalismus und dem Neokonservativismus hat Rabe aber überaus beeindruckt. Dennoch zeigt er sich auch kritisch. So hält er dem Autor vor, "eine Menge über einen Kamm zu scheren". Der enorme argumentative Schwung Grays gleicht für Rabe allerdings vieles aus.

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