Demokratie ohne Demokraten
Die Weimarer Republik war der erste demokratische Staat auf deutschem Boden, aber - es fehlte ihr an begeisterten Demokraten: Die politische Linke sang das Loblied des Kommunismus, während die Rechte um die NSDAP die Soldaten des Ersten Weltkriegs als neue Elite beschwor. Eine besondere Rolle spielte dabei das Radio, das auch für die politische Propaganda missbraucht wurde. Hier sind die wichtigsten Politiker, Schriftsteller und andere Künstler im O-Ton zu hören. Die künstlerischen und politischen Debatten der Weimarer Republik werden vom Literaturwissenschaftler Helmuth Kiesel und dem Historiker Ulrich Herbert kommentiert.
Mit Helmuth Kiesel und Ulrich Herbert sowie O-Tönen von Gottfried Benn, Ernst Toller, Johannes R. Becher, Thomas Mann, Albert Einstein, Max Reinhardt, Herbert Ihering, Joachim Ringelnatz, Gerhart Hauptmann, Franz Schauwecker, Erich Weinert, Arnold Schönberg, Rudolf G. Binding, Alfred Döblin, Isolde Kurz und vielen anderen
(2 CDs, Laufzeit: 2h 44)
Die Weimarer Republik war der erste demokratische Staat auf deutschem Boden, aber - es fehlte ihr an begeisterten Demokraten: Die politische Linke sang das Loblied des Kommunismus, während die Rechte um die NSDAP die Soldaten des Ersten Weltkriegs als neue Elite beschwor. Eine besondere Rolle spielte dabei das Radio, das auch für die politische Propaganda missbraucht wurde. Hier sind die wichtigsten Politiker, Schriftsteller und andere Künstler im O-Ton zu hören. Die künstlerischen und politischen Debatten der Weimarer Republik werden vom Literaturwissenschaftler Helmuth Kiesel und dem Historiker Ulrich Herbert kommentiert.
Mit Helmuth Kiesel und Ulrich Herbert sowie O-Tönen von Gottfried Benn, Ernst Toller, Johannes R. Becher, Thomas Mann, Albert Einstein, Max Reinhardt, Herbert Ihering, Joachim Ringelnatz, Gerhart Hauptmann, Franz Schauwecker, Erich Weinert, Arnold Schönberg, Rudolf G. Binding, Alfred Döblin, Isolde Kurz und vielen anderen
(2 CDs, Laufzeit: 2h 44)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.04.2018DAS HÖRBUCH
Stimmkraft
Ein Feature mit vielen O-Tönen
aus der Weimarer Republik
„Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen! Es lebe das Neue …“ – Die Worte, mit denen Philipp Scheidemann am 9. November 1918 vom Westbalkon des Reichstags stimmkräftig die Republik ausrief, waren gut gewählt. Aber hat er die spontane Rede wirklich genau so gehalten, wie wir sie kennen? Auf der Fotografie des historischen Augenblicks ist kein Mikrofon zu erkennen. Das berühmte Tondokument entstand erst vierzehn Monate später, als der Sozialdemokrat Scheidemann seine Ausrufung der Republik auf Schallplatte nachsprach.
Hans Sarkowicz konfrontiert gleich zu Beginn seines Features die Schallplattenrede mit dem Text eines Flugblatts, das die Sozialdemokraten Friedrich Ebert, Otto Landsberg und Scheidemann am 9. November herausgaben. Damit schafft er die nötige Skepsis, stand doch in den wenigen Jahren der Weimarer Republik jedes Ereignis im Deutungsgewitter. Gerade an der Beurteilung des November 1918 schieden sich die Parteien. Sarkowicz, im Hessischen Rundfunk für Literatur und Hörspiel zuständig, hat neben den berühmten Reden einige weniger bekannte O-Töne aus dem Rundfunkarchiv zusammengetragen. Eine konventionelle historische Erzählung von der „ungeliebten Demokratie“ ordnet sie ein. Außerdem kommentieren der Historiker Ulrich Herbert und der Germanist Helmuth Kiesel die Debatten und Konflikte. Man hört Wahlwerbung, damals auf Schallplatten verbreitet, Auszüge aus Hörspielen, etwa nach Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“, Gerhart Hauptmann und Thomas Mann liefern geistige Orientierung, Joachim Ringelnatz fordert zum Klimmzug auf, auch diskutieren Johannes R. Becher und Gottfried Benn über Tendenzdichtung, Arnold Schönberg fordert mehr Sendezeit für Neue Musik, Adolf Hitler beschwört die Einigkeit des Volkes.
Nichts davon ist langweilig, aber es werden zu viele Themen angeschnitten, zu viele Berühmtheiten haben einen kurzen akustischen Auftritt. Der Ehrgeiz, von Politik und Literatur und einigem mehr zugleich zu erzählen, führt nicht zur wechselseitigen Erhellung. Während das O-Ton-Panorama enttäuscht, überzeugen die Geschichtsschreiber. Helmuth Kiesel erklärt, wie aus dem Schrecken des Krieges, bei gleicher Beschreibung, gegensätzliche Lehren gezogen wurden. Die einen wollten künftige Schlachten verhindern, die anderen dem Kriegstod nachträglich Sinn verleihen durch Wiedererstarken der Nation. Wäre Hitler nicht zum Reichskanzler ernannt worden, so Ulrich Herbert in einer kontrafaktischen Überlegung, wäre wahrscheinlich die SPD wieder erstarkt. Konzentration auf diese Fragen hätte dem Feature gut getan.
JENS BISKY
Hans Sarkowicz: Die ungeliebte Demokratie. Die Weimarer Republik zwischen rechts und links. Der Hörverlag, München 2018. 2 CD, 2h 44 min, 18 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Stimmkraft
Ein Feature mit vielen O-Tönen
aus der Weimarer Republik
„Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen! Es lebe das Neue …“ – Die Worte, mit denen Philipp Scheidemann am 9. November 1918 vom Westbalkon des Reichstags stimmkräftig die Republik ausrief, waren gut gewählt. Aber hat er die spontane Rede wirklich genau so gehalten, wie wir sie kennen? Auf der Fotografie des historischen Augenblicks ist kein Mikrofon zu erkennen. Das berühmte Tondokument entstand erst vierzehn Monate später, als der Sozialdemokrat Scheidemann seine Ausrufung der Republik auf Schallplatte nachsprach.
Hans Sarkowicz konfrontiert gleich zu Beginn seines Features die Schallplattenrede mit dem Text eines Flugblatts, das die Sozialdemokraten Friedrich Ebert, Otto Landsberg und Scheidemann am 9. November herausgaben. Damit schafft er die nötige Skepsis, stand doch in den wenigen Jahren der Weimarer Republik jedes Ereignis im Deutungsgewitter. Gerade an der Beurteilung des November 1918 schieden sich die Parteien. Sarkowicz, im Hessischen Rundfunk für Literatur und Hörspiel zuständig, hat neben den berühmten Reden einige weniger bekannte O-Töne aus dem Rundfunkarchiv zusammengetragen. Eine konventionelle historische Erzählung von der „ungeliebten Demokratie“ ordnet sie ein. Außerdem kommentieren der Historiker Ulrich Herbert und der Germanist Helmuth Kiesel die Debatten und Konflikte. Man hört Wahlwerbung, damals auf Schallplatten verbreitet, Auszüge aus Hörspielen, etwa nach Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“, Gerhart Hauptmann und Thomas Mann liefern geistige Orientierung, Joachim Ringelnatz fordert zum Klimmzug auf, auch diskutieren Johannes R. Becher und Gottfried Benn über Tendenzdichtung, Arnold Schönberg fordert mehr Sendezeit für Neue Musik, Adolf Hitler beschwört die Einigkeit des Volkes.
Nichts davon ist langweilig, aber es werden zu viele Themen angeschnitten, zu viele Berühmtheiten haben einen kurzen akustischen Auftritt. Der Ehrgeiz, von Politik und Literatur und einigem mehr zugleich zu erzählen, führt nicht zur wechselseitigen Erhellung. Während das O-Ton-Panorama enttäuscht, überzeugen die Geschichtsschreiber. Helmuth Kiesel erklärt, wie aus dem Schrecken des Krieges, bei gleicher Beschreibung, gegensätzliche Lehren gezogen wurden. Die einen wollten künftige Schlachten verhindern, die anderen dem Kriegstod nachträglich Sinn verleihen durch Wiedererstarken der Nation. Wäre Hitler nicht zum Reichskanzler ernannt worden, so Ulrich Herbert in einer kontrafaktischen Überlegung, wäre wahrscheinlich die SPD wieder erstarkt. Konzentration auf diese Fragen hätte dem Feature gut getan.
JENS BISKY
Hans Sarkowicz: Die ungeliebte Demokratie. Die Weimarer Republik zwischen rechts und links. Der Hörverlag, München 2018. 2 CD, 2h 44 min, 18 Euro.
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