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Das schöne Kopenhagen gibt die Kulisse ab für diesen bitterbösen Gründerzeitroman, in dem Herman Bang mit modernsten Kunstmitteln Größenwahn, Philistertum und Provinzialität seiner Heimat aufs Korn nimmt.

Produktbeschreibung
Das schöne Kopenhagen gibt die Kulisse ab für diesen bitterbösen Gründerzeitroman, in dem Herman Bang mit modernsten Kunstmitteln Größenwahn, Philistertum und Provinzialität seiner Heimat aufs Korn nimmt.
Autorenporträt
Herman Bang (1857¿1912), als Pfarrerssohn in der dänischen Provinz aufgewachsen, versuchte sich als Schauspieler, Regisseur und Feuilletonist, ehe er sich ganz der Literatur zuwandte. Reisen führten ihn durch ganz Europa. Bang gilt als Vollender der impressionistischen Erzählkunst, stilistisch wie thematisch gehört er zur künstlerischen Avantgarde seiner Zeit.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.01.2006

Die Striche unter meinen Augen
Gold und Asche über Kopenhagen: Herman Bangs schwindeliger Roman „Stuck“
Sollen sie einem leid tun? Diese Gestalten, die selbst das Neue angestoßen haben und am Ende davon umgestoßen werden? Ein ehrwürdiger Professor beklagt am Schluss das Schicksal seines Sohnes, der an der übernervösen Großstadt krank geworden ist. „Was haben sie mit Gott gemacht?“, verflucht er die Stadt und ihre Protagonisten. „Verbrecher“ seien sie, ruft der Alte und muss doch eingestehen, dass man die Vorkämpfer und Nutznießer der Moderne immer gerne an den eigenen Tisch geladen hat, jene Leute, „deren Bücher wir lesen, deren Zeitungen wir in unser Haus bekommen, deren Leben wir leben“. Kein Zweifel, „ihnen gehört diese Stadt, sie haben sie gebaut“.
Betrachtet man die Sache, von welcher der alte Mann spricht, und damit auch den Roman „Stuck“ von Herman Bang, von der anderen Seite, nämlich von vorn, dann sieht man erst einmal kein Unheil. Man sieht nur glänzende Möglichkeiten.
In der elektrischen Kette
Kopenhagen, eben noch eingezwängt in düsteren Gassen, durch die Søren Kierkegaard in Stille lief, hat 1857, im Geburtsjahr des Romanciers, damit begonnen, seine alten Befestigungsanlagen abzutragen. Und nun spielt die Stadt mit großem dramatischem Talent Paris. Parks, Prachtbauten, Salons, spekulierende Fabrikanten, spekulierende Intellektuelle: ein ganz neues Leben, über das Woche für Woche das Feuerwerk des neuen Vergnügungsparks „Tivoli“ knallt und leuchtet. Der Verkehr wird dichter, „vor den Modeboutiquen, wo die ersten Wintermodelle im Gaslicht prangten, kam man überhaupt nicht mehr vorwärts, und bei jedem fünften Haus wurde der Strom von Gerüsten aufgehalten, vor Gebäuden, die sich im Bau befanden.“ Zwischen den Gerüsten dieser Großbaustelle wirken Figuren wie der „kulturradikal“ genannte Georg Brandes: Der bringt Nietzsche in den Norden, ist mit seinen Vorlesungen ein Star und liefert mit seiner Schrift „Die Männer des modernen Durchbruchs“ (1883) die Formel der Zeit.
Hier ist der ambitionierte Feuilletonist Herluf Berg in seinem Element. Die Gesellschaft, in der er sich tummelt, ist „strahlend und stramm in ihren Kleidern, übermütig in der Gasluft und dem Gedränge, gleich dem Fisch im Wasser“. Bis in die Körper und die Bauten ist die Aufgeregtheit der Stadt, die nach Eleganz strebt, spürbar, und sie wird gleich zu Beginn des Romans am Besuch einer Premiere im prallgefüllten Operettentheater vorgeführt. Jeder will hier mehr als je zuvor ein besonderes Individuum sein – und muss sich zugleich, zur Erzeugung all der neuen Energie, mit den anderen verbinden: „Man fühlte sich wie in einer elektrischen Kette, wenn man Platz nahm und die Reihe sich schloss . . .“
Herluf Berg steht entsprechend unter Strom, wie das Buch, dessen Held er ist und das Ingeborg und Aldo Keel in einer schönen deutschen Neuausgabe herausgebracht haben. Das Wesen des Dichters sei „stärker elektrisch“ als das des gemeinen Menschen, hat Herman Bang in einer Abhandlung über Balzac geschrieben. Und so wird sie in aufgeladenen Einzelszenen erzählt, diese Geschichte von Herluf Berg, der bei der Gründung eines neuen Privat-Theaters mit panskandinavischem Anspruch ganz schnell groß einsteigen kann, als Direktor.
Diese Szenen sind Bilder, die oft vor lauter Schwindel so zittern, dass nicht jeder der Gezeichneten ein unvergessliches Gesicht erhält. Das Risiko der rasanten Gesellschaft ist das Risiko der Literatur, die sie abbildet. Herman Bang war sich dessen durchaus bewusst; eine Schlüsselstelle des Romans, den er in einem Brief als „eine Folge von Interieurs“ bezeichnete, beschreibt eine quirlige Abendgesellschaft, und da heißt es: „Alle redeten, und keiner hörte, was der andere sagte.“
Da sehen wir vom Unternehmungsgeist trunkene Bankiers und Impresarios, erleben Bälle, Redaktionsstuben der aufstrebenden Tagespresse, einen verschwenderischen Medizinerkongress, Affären, Champagnerdiners und erstes elektrisches Licht, und alle lieben das glanzvoll scheinende neue „Victoria“-Theater, das einer noch heute existierenden Kopenhagener Privatbühne nachempfunden ist. Diese ganze Bewegung würde für den Leser wohl irgendwann unerträglich, wenn sie unablässig von Erfolg zu Erfolg nach oben jagte.
Doch sie geht, dafür mehren sich recht bald die Anzeichen, in die andere Richtung. Das rauschhafte Tempo des gebildeten Kultur-Entrepreneurs Berg und seiner eher windigen Kompagnons wird vom Erzähler mit der Ironie des Kenners beobachtet, der weiß, dass das vorgeführte Wohlleben nur gespielt ist. Am Vorabend des Tages, an dem er Theaterdirektor wird, schließt Herluf Berg endgültig mit einer jungen Frau ab, für die Liebe zu empfinden er vier Jahre vergeblich versucht hat. So ist es also weit mehr als die Karriere, die ihn sich in die Arbeit stürzen lässt.
Der „Stuck“ im Titel des Romans (der bei seinem ersten Erscheinen in Deutschland im Jahre 1909 „Zusammenbruch“ hieß) ist das stolze Werk des Baumeisters Martens, der das „Victoria“-Theater in schneller Zeit hochgezogen hat. Vor dem Premierenabend wird überall noch gehämmert – „hier wird Marmorputz sein“, springt Martens verheißend herum, „hier wird vergoldet . . .“ Der noch vor kurzem biedere und einfache Handwerker, der sich jetzt vor Aufträgen ornamentversessener Bauherren kaum noch retten kann, hat die Eigenschaften seiner eigenen Produkte und der Stadt, in der er baut: Er ist vom schlichten Leben emporgesprungen. „Er strauchelte“, heißt es an einer Stelle, „immer über die vielen Fremdwörter“ in seiner neuen, immer raffinierter werdenden Baukunst. Mondänes Leben, im Schnellkurs antrainiert.
Doch Begeisterung ist ein saisonales Gut. Die Stimmung wird schlechter, immer öfter wird ein ausverkauftes Haus durch eine Masse von Freikarten vorgetäuscht. Der Kompagnon schreibt immer mehr Schuldscheine auf das schwindende Vermögen seines Vaters. Was hatten sie alle gestaunt über die üppige Inneneinrichtung – und nun? „Die Märzsonne war unbarmherzig; allerorten sah man den Verschleiß der Möbel und des Inventars, ein paar abgestoßene Ecken hier, ein paar abgestoßene Ecken dort.“
Immer sorgenvoller, immer mahnender wird der vornehme Mann von der Bank, der das „Victoria“ bei der Eröffnung noch begrüßt hatte als „ein Abbild der reichen, großen Zukunft Kopenhagens . . ., das unsere Wälle niederriss“. Nun dreht er die Stühle im Theaterrestaurant um und muss feststellen: Sie sind billigstes Imitat, nicht die massiven, soliden Möbel, die in den Kreditanträgen aufgelistet wurden. „Ascheregen“ heißt der zweite Teil des Romans, „Goldregen“ der erste. Am Ende weinen diejenigen Schauspieler über den Ruin, die man eigentlich fürs komische Fach engagiert hatte.
Mit seinem Erschaffer Herman Bang hat Herluf Berg mehr als nur die Silbenzahl und die Initialen seines Namens gemeinsam. Der in seiner Form schwankende, aber doch größte Schriftsteller, den das 19. Jahrhundert in Dänemark neben Kierkegaard und Andersen hervorgebracht hat, hat auch selbst immer beides zu fühlen bekommen: das Hohle des öffentlichen Betriebs und dessen gleichzeitige Notwendigkeit für den Intellektuellen. Viel hat er geschrieben, viel versucht – so auch erfolglos die Gründung eines eigenen Theaters. „Hättest Du eine Ahnung von diesem Leben“, schreibt er in einem Brief an seinen geliebten Freund Peter Nansen, „so trist, so leer. Die Selbstverbitterung, die Raserei, bevor man siegt, und dann die kalte Gleichgültigkeit, wenn man ,gezündet‘ hat.“
Als Bang 1886 und 1887 in Prag „Stuck“ schreibt, hat er, nach zwei vorigen Romanen, noch nicht recht gezündet. Im Gegenteil, er steckt in einer Krise, nach der ihm erst dieses Buch zum wenn noch nicht finanziellen, so doch literarischen „Durchbruch“ verhelfen wird – mit einem Stil, den er und die Literaturgeschichte „impressionistisch“ genannt haben.
Stadtbekannter Zeitungsmann und Dandy, geschminkt und mit lackierten Fingernägeln, war Bang in Kopenhagen gewesen, exaltierter Schreiber mit tragischer Grundstimmung, der in seinem ersten Roman selbstironisch einen Schriftsteller sagen ließ: „Die Striche unter meinen Augen haben mir mehr eingebracht als mein ganzes Talent.“ Dann war er, öffentlich verspottet wegen seiner Homosexualität, 1885 nach Berlin gereist. Doch statt Deutschland, wie er es vorhatte, zu erobern, wurde er schon nach zwei Monaten wegen Majestätsbeleidigung aus Preußen ausgewiesen – ein despektierlicher Artikel in der norwegischen „Bergens Tidende“ wurde ihm zum Verhängnis, einem der vielen Blätter, für die er, ständig verschuldet, schrieb. Und so ist Bang, nach auch in Meiningen und Wien enttäuschten Hoffnungen, in Prag gelandet; anschließend zieht er sich wieder nach Skandinavien zurück. „Stuck“ bleibt sein einziges, großes Gesellschaftspanorama; seine folgenden Romane wie „Ludvigshöhe“ oder „Das graue Haus“ spielen auf kleinerer Bühne und handeln vielfach von Tod und Entsagung.
Wundfieber der Niederlage
In Deutschland hat sich Herman Bang nicht dauerhaft durchsetzen können – auch wenn Thomas Mann 1902 in einem Brief schrieb, dass er sich ihm „tief verwandt fühle“ und ihn „beständig“ lese, auch wenn der Verleger Samuel Fischer an ihn glaubte und 1919 seine „Gesammelten Werke“ herausbrachte, auch wenn Dorrit Willumsens historischer Roman „Bang“ vor einigen Jahren auf Deutsch erschien. Um so erfreulicher ist diese Einzelausgabe von Manesse. Die Übersetzung ist in Wortstellung und Wortwahl etwas genauer und näher am Original als jene in der dreibändigen Bang-Ausgabe, die der Hanser Verlag 1982 vom Rostocker Hinstorff-Verlag übernahm – ein Produkt der fleißigen DDR-Skandinavistik, das der Buchhändler nach einigem Kramen im Computer heute noch besorgen kann.
Entscheidend für die Stimmung des Romans ist ein Kindheitsrückblick in die Provinz. Hier scheint das Trauma von 1864 auf, als Dänemark bei den Düppeler Schanzen ein Drittel seines Staatsgebiets an Preußen verlor, darunter auch Herman Bangs Kindheitsort. So trifft sich am Ende die persönliche Schmach des Scheiterns in der heißgelaufenen Stadt mit der nationalen. Die moderne Betriebsamkeit wird zum „Wundfieber“ der großen Niederlage, denn „insgeheim laufen wir als Krüppel herum“. Dann legt sich Nebel über die Stadt.
JOHAN SCHLOEMANN
HERMAN BANG: Stuck. Roman. Aus dem Dänischen von Ingeborg und Aldo Keel. Nachwort von Aldo Keel. Manesse Verlag, Zürich 2005. 512 S., 22,90 Euro.
Eine Stadt spielt mit großem dramatischen Talent Paris: „Divan 2, außerhalb des Konzertsaals im Tivoli“ von Paul Fischer, 1890. Dieses und das Bild unten sind dem von Klaus P. Mortensen herausgegebenen Buch „Uden for Murene. Fortællinger fra det moderne gennembruds København“ (Gads Forlag, Kopenhagen 2002) entnommen.
Herman Bang (1857-1912), hier porträtiert von Niels V. Dorph (1891)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.01.2006

Der Impressionist als Regisseur
Lichter der Großstadt: Herman Bangs "Stuck" in einer Neuausgabe

Vielleicht muß man in Prag leben, um so über Kopenhagen zu schreiben, bettelarm sein, um Prunk und Verschwendung so farbig zu schildern, und vor den Trümmern einer Liebe stehen, um eine Generation zu zeichnen, die sich auf große Gefühle lieber nicht einlassen mag.

Als Herman Bang 1887 aus dieser mehrfachen Distanz seinen großen Vanitas-Roman "Stuck" schrieb, das Buch von Aufstieg und Fall eines prächtigen Theaterhauses in Kopenhagen und seiner Betreiber, erzählte er gleichwohl von einer Welt, die ihm zutiefst vertraut war: Die aufstrebende, wirtschaftlich wie kulturell überschnell expandierende dänische Hauptstadt hatte er wenige Jahre zuvor als Zuschauer und auch ein wenig als Akteur erlebt. Wie der Journalist Herluf Berg, aus dessen Perspektive viele Kapitel erzählt werden, bewegte sich Bang schon in jungen Jahren unüberhörbar in der literarischen Öffentlichkeit, publizierte Kritiken und Essays und sorgte mit seinem ersten, deutlich autobiographischen Roman "Hoffnungslose Geschlechter" für einen handfesten Skandal. Er hielt Vorträge und umgab sich dabei mit dandyhaftem Glamour, strapazierte seine Finanzen aufs äußerste für Garderobe und Parfüm - und sah sich in Dänemark wegen seiner Homosexualität immer häßlicheren Anwürfen ausgesetzt.

Bang zog nach Berlin, um sich dort als Journalist zu etablieren, wurde rasch wegen Majestätsbeleidigung ausgewiesen (er hatte in einem Feuilleton allzu sorglos über die kaiserliche Familie gespottet), floh über Meiningen nach Wien und Prag, immer überwacht von der Geheimpolizei, immer in Angst, seine Liebesbeziehung mit dem deutschen Schauspieler Max Eisfeld könne ans Licht kommen, von immer ärgeren Geldsorgen geplagt, schließlich von Eisfeld betrogen und verlassen. Und seinen neuen Roman, mußte der nunmehr Dreißigjährige feststellen, wollte der dänische Verleger auch nicht drucken, jedenfalls nicht so.

Daß er es mit einem überlegen komponierten Großstadtroman zu tun hatte, sah der Verleger erstaunlicherweise nicht. Das Buch, das nun in neuer Übersetzung von Ingeborg und Aldo Keel bei Manesse erschienen ist, ein flirrender Text aus lauter Miniaturen, verleiht der Metropole Gestalt und läßt sie zum eigenständigen Akteur der Handlung werden: die Architektur, die schnell hochgezogenen Gebäude aus brüchigem Material, in denen schon das Wasser steht, während die Fassade noch in Stuckornamenten schwelgt, den Straßenlärm und die Geräusche der Baustellen, das unaufhörliche Gerede ihrer Bewohner und das Lied der Saison, ein Couplet aus einer frivolen Operette.

Herman Bangs Figuren, allen voran Herluf Berg, schon durch den Namen als Alter ego des Autors gezeichnet, knüpfen ihre Träume an den überall spürbaren Aufbruch der Stadt; Berg übernimmt das glitzernde Victoria-Theater und erleidet am Ende mit seinem Kompagnon Schiffbruch, um ihn herum perlen die Seifenblasenträume seiner Bekannten, die Geschäfte machen und Wechsel fälschen, die aus der Provinz in die Hauptstadt strömen und vor lauter Verwunderung über das schnelle Kopenhagen immer einen Schritt zu langsam sind, die bei den großen Einladungen und Feiern mithalten wollen und sich dafür rettungslos verschulden - Bangs großes Talent, festliche Mahlzeiten in allen Schattierungen zu schildern, zeigt sich in diesem Roman ein erstes Mal: wo die Speisenfolge, die Tischordnung, jeder Griff zum Glas oder zur Serviette im Dienst der Handlung steht, ohne daß man es beim ersten Lesen recht eigentlich merkt und ohne daß sich diese Bedeutung als Gewicht an den Erzählfluß hinge.

Unter all diesen jungen Unternehmern aber, die entschlossen zugreifen, wo sie ein Geschäft wittern, herrscht umgekehrt eine beträchtliche Verunsicherung, wenn es um längerfristige Entwürfe geht, um Ziele, die über den Tag hinausweisen. Wenn einmal ein alter Professor, dessen Sohn im Sterben liegt, in einer wütenden Tirade auf die Protagonisten des Wandels in Kopenhagen schimpft, "diese Freiheitsleute" hätten diesen Glanz auf tönernen Füßen "mit ihrer freien Liebe" und "ihren freien Gedanken errichtet", so liegt er ganz falsch: Denn von beidem kann keine Rede sein, im Gegenteil, es ist gerade der Mangel an Entschlußkraft in seiner Affäre mit einer verheirateten Frau, die den Sohn des Professors letztlich ins Grab gebracht hat.

Um so deutlicher gilt Bangs Teilnahme den Gestalten am Rande (und auch dies weist auf seine späteren großen Erzählungen voraus), jenen Figuren, die zwischen Bewunderung und Besorgnis schwanken, wenn sie der ungeheuren Verschwendung zusehen, und die manchmal geradezu verbissen handeln, um zu retten, was sich retten läßt - die verhutzelte Frau des Architekten all dieser Wunderbauten etwa, die in der Küche des von ihm betriebenen Theaterrestaurants dem französischen Koch Tag und Nacht auf die Finger schaut, bis der entnervt das Weite sucht. Es sind die Liebenden in einer lieblosen Welt, verstörte Gäste, die in den glitzernden Ballsälen den Verfall vor allen anderen kommen sehen, den verschlissenen Stoff der Vorhänge, die Tische, deren edles Holz nur Farbe ist, die Marmorsäulen aus Gips.

Versuche, Bang in Deutschland heimisch zu machen, hat es auch vor dieser Neuausgabe von "Stuck" gegeben, besonders zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts sind die wichtigsten Werke des Autors bei S. Fischer erschienen. Später unternahmen die Verlage Hinstorff und Hanser in Ost und West eine dreibändige Ausgabe, die zwar einige empfindliche Lücken enthält (es fehlt etwa der Künstlerroman "Michael" und, gewichtiger noch, "Hoffnungslose Geschlechter"), aber doch ein ernsthaftes Angebot an die Leser war, einen Autor kennenzulernen, den man nicht verfehlen sollte: als Meister der kleinen Form, als beobachtenden Impressionisten von Gnaden, als souveränen Regisseur der Abendgesellschaften zudem, deren Glanz er beschreibt, ohne den ideellen Preis zu vergessen, mit dem jeder Schluck Champagner erkauft wurde. Und dessen Talent zur boshaften Entlarvung aller Aufgeblasenheit Hand in Hand geht mit einem umfassenden Mitgefühl für diejenigen, die dabei unter die Räder geraten sind.

TILMAN SPRECKELSEN

Herman Bang: "Stuck". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt von Ingeborg und Aldo Keel. Nachwort von Aldo Keel. Manesse Verlag, Zürich 2005. 521 S., geb., 22,90 [Euro] (als Lederausgabe 59,90 [Euro]).

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"Ein Autor, den man nicht verfehlen sollte: als Meister der kleinen Form, als beobachtenden Impressionisten von Gnaden, als souveränen Regisseur von Abendgesellschaften zudem, deren Glanz er beschreibt, ohne den ideellen Preis zu vergessen, mit dem jeder Schluck Champagner erkauft wurde." -- Tilman Spreckelsen - Frankfurter Allgemeine Zeitung

"Bang war ein Zauberer impressionistischer Tableaus." -- Martin Meyer - Neue Zürcher Zeitung

"Mit kurzen Strichen belebt der Erzähler das flimmernde Panoptikum der Großstadt. Sprache und Struktur sind ihrer Zeit voraus." -- Stuttgarter Nachrichten

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

" Als "überlegen komponierten Großstadtroman" und "flirrenden Text aus lauter Miniaturen" feiert Rezensent Tilman Spreckels den Roman des dänischen Dandys Herman Bang. Ende des 19. Jahrhunderts sei dieser "Vanitas-Roman" zuerst erschien und nun in neuer Übersetzung wieder aufgelegt worden, schreibt der Rezensent und verneigt sich vor Bang als "beobachtendem Impressionisten von Gnaden" und "souveränen Regisseur der Abendgesellschaften" seiner Zeit. Gegenstand des Romans sei "der Aufstieg und Fall eines prächtigen Theaterhauses in Kopenhagen" samt seiner Betreiber. Um diesen Plot herum gruppiert sich der Beschreibung des Rezensenten zufolge "Prunk und Verschwendung" der Belle Epoque in Kopenhagen, zu deren Symbol der titelgebende "Stuck" geworden ist, und zwar samt ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abgründe. Held sei mit dem Journalisten Herluf Berg ein Alterego des Autors, an dem der Rezensent besonders die Fähigkeit liebt, bei aller entlarvenden Beschreibung niemals das Mitgefühl mit denen zu verlieren, die unter die Räder geraten sind.

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»Bang war ein Zauberer impressionistischer Tableaus.« Martin Meyer - Neue Zürcher Zeitung