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Die Kindheits- und Jugendtagebücher der großen Pianistin Clara Schumann erscheinen erstmals vollständig und kommentiert.
Die Entstehung von Claras Tagebüchern ist ungewöhnlich, da sie anfangs stellvertretend vom Vater, dem Klavierpädagogen Friedrich Wieck, geführt werden. Erst die Achtzehnjährige kann sich frei von väterlicher Zensur äußern. Da hat sich längst die Liebesbeziehung zu Robert Schumann entwickelt, die nach schweren Konflikten mit Wieck 1840 zur Hochzeit und damit zum glücklichen Ausklang der Tagebuch-Berichte führt.
Die Aufzeichnungen sind biographisch-kulturhistorisch
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Produktbeschreibung
Die Kindheits- und Jugendtagebücher der großen Pianistin Clara Schumann erscheinen erstmals vollständig und kommentiert.

Die Entstehung von Claras Tagebüchern ist ungewöhnlich, da sie anfangs stellvertretend vom Vater, dem Klavierpädagogen Friedrich Wieck, geführt werden. Erst die Achtzehnjährige kann sich frei von väterlicher Zensur äußern. Da hat sich längst die Liebesbeziehung zu Robert Schumann entwickelt, die nach schweren Konflikten mit Wieck 1840 zur Hochzeit und damit zum glücklichen Ausklang der Tagebuch-Berichte führt.

Die Aufzeichnungen sind biographisch-kulturhistorisch vielschichtig und anregend. Prägnant und oft amüsant werden insbesondere die ausgedehnten Konzertreisen der jungen Pianistin geschildert: Städte, Konzertsäle, Instrumente, Kollegen, Konkurrenten und natürlich Claras Erfolge bilden ein höchst reizvolles historisches Panorama.

Herausgeber sind der Schumann-Forscher Gerd Nauhaus (Zwickau), der bereits Schumanns Tage- und Haushaltbücher edierte, und die renommierte Clara-Schumann-Biographin Nancy B. Reich (New York). The diaries kept by the great pianist Clara Schumann as a child and a young woman are published for the first time complete and with a commentary.
The creation of Clara's diaries was unusual in that they were initially kept on her behalf by her father, the piano teacher Friedrich Wieck. Only when she reached the age of 18 could she express herself without paternal censorship. By then she had developed the loving relationship with Robert Schumann, which would lead, after severe conflicts with Wieck, to their marriage and the happy conclusion of the diary entries.
The entries are complex and stimulating from the perspectives of both biography and cultural history. Particularly pithy and often amusing are the depictions of the young pianist's extended concert tours: towns, concert halls, instruments, colleagues, rivals and of course Clara's successes create a highly attractive historical panorama.
The editors are the Schumann expert Gerd Neuhaus (Zwickau), who has already edited Schumann's diaries and household books, and the renowned biographer of Schumann, Nancy B. Reich (New York).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.07.2019

Die höhere Kunst
„Ach wär’ doch mein Vater ein anderer“: Die Jugendtagebücher
von Clara Schumann sind erstmals vollständig ediert
VON HELMUT MAURÓ
Am zwölften September 1840 war es endlich soweit. Die zwanzigjährige Clara Wieck, als Pianistin bereits europaweit bekannt, und Robert Schumann, dessen Ruf der künftige Schwiegervater Friedrich Wieck zu ruinieren versucht hatte, gaben sich in Leipzig-Schönefeld das Ja-Wort. Es musste gerichtlich erzwungen werden, denn der eifersüchtig über sein Wunderkind, ja sein Lebenswerk wachende Wieck hatte bis zuletzt versucht, die Verbindung seines Klavierschülers Schumann mit seiner Tochter zu verhindern. Clara geriet dabei in tiefe Verzweiflung, der neun Jahre ältere Schumann machte ihr Mut, war der große Ruhepol für die junge Frau. Gleichzeitig arbeitete er sich an zahlreichen Klavierkompositionen ab und komponierte allein im Hochzeitsjahr 150 Lieder. Es sind, zumindest zum überwiegenden Teil, Liebesbezeugungen an Clara, die immer wieder hin und hergerissen ist.
Wie sehr sie die verfahrene Situation mit dem Vater in die Krise stürzt, belegen ihre jetzt erstmals vollständig edierten, vorbildlich aufgearbeiteten Jugendtagebücher, die Vater Wieck 1827 – in Ich-Form – begann und noch bis in Claras 40. Lebensjahr in seinem Besitz behielt. Der Herausgeber Gerd Nauhaus hat die jeweilige Autorenschaft penibel untersucht und im Text vermerkt. Dieses Tagebuch ist durchaus ein pädagogisches Instrument. Auch hierin lebte Friedrich Wieck einen Kontrollzwang aus, der seine pädagogische Begabung bisweilen überbot. Seine Tochter litt darunter, hatte aber irgendwann beschlossen, sich damit abzufinden, weil der Gewinn, den sie daraus zog, und die väterliche Zuneigung, die sie auch darin sah, alles andere wettmachte. Wieck unterrichtete seine Tochter nicht nur sehr professionell, er organisierte Konzerte, sorgte als Klavierhändler für gute Instrumente, knüpfte hilfreiche Verbindungen, schrieb in alle Welt Briefe und Tagebucheinträge voller Bewunderung für das Talent seiner Tochter.
Gleichzeitig liest man in Schumanns „Leipziger Lebensbuch“: „Wieck sehr artig, Clara kindisch einfältig.“ Sie spiele jetzt wie ein „Husar“, „wie ein Cavallerist, und, was ihn besonders geschmerzt haben dürfte, sein Stück „Papillons“ recht „unsicher und unverständig“. Schumann vermisst „Zartheit“, „so seelenvoll und gesund schwärmerisch der Vortrag ist“. Gleichwohl wurde aus dem vermeintlichen Wunderkind eine technisch und musikalisch reife Musikerin, am Ende eine der wenigen weiblichen Musikikonen des 19. Jahrhunderts und darüber hinaus. In einer Zeit also, als die Konkurrenz an Pianisten und Komponisten beachtlich war und die Musik beinahe den Rang einer Leitkunst einnahm, in der sie höchsten geistig-intellektuellen Anspruch erhob und mit einer Mischung aus origineller Inspiration und wissenschaftlichem Ernst betrieben wurde.
All diese Bezüge findet man in anschaulicher Berichterstattung in diesen Tagebüchern. Fragen nach den Bedingungen und der Relevanz, der ästhetischen Ausformung und den Wirkungsmechanismen von Kunst, ja nicht zuletzt nach der Karriere- und Finanzplanung, sind allgegenwärtig. Nicht nur Friedrich Wieck, sondern auch Clara brennen diese Fragen auf den Nägeln. Sie hat sich ihren Einfluss auf das Musikleben der Zeit ausdauernd erarbeitet, behielt die Fäden sowohl beruflich, als auch familiär, stets in der Hand. Im Grunde über den Tod 1896 hinaus, denn sogleich begann eine wahrlich boomende Erinnerungskultur. Die Behauptung, Clara sei nur als Frau von Robert Schumann im allgemeinen Gedächtnis, ist meistenteils ideologisch motivierter Unsinn.
Sechs Jahre nach ihrem Tod veröffentlichte Berthold Litzmann die erste und bis heute gültige Biografie, ließ zehn Jahre später bereits die fünfte Auflage drucken und mitten im Ersten Weltkrieg eine weitere vorbereiten, die im September 1917, in Zeiten größter Mangelwirtschaft, erschien. Es folgten noch viele Auflagen dieses dreibändigen Werkes, das „zu einem deutschen Hausbuch geworden“ war, wie der Autor stolz berichtet. Zu diesem Erfolg trug Clara Schumann selber am meisten bei. Ihre Tagebücher und Briefe, die Litzmann ausführlich zitiert, bieten Stoff für mehrere Romane. Anders als in den späteren ehelichen Haushaltsbüchern findet sich hier wenig Banales, aber durchaus Privates und nicht für die – sofortige – Veröffentlichung Geeignetes. Urteile über Konkurrentinnen sind vernichtend, die über sich selbst manchmal auch.
Die Achtzehnjährige bewundert Bettine von Armin: „Höchst geistreiche Frau“. Allerdings, „was die Musik betrifft, lauter falsche Urtheile!“ Bettine wird sich später sehr abfällig über Clara äußern. Eindeutig auch das Urteil über die Komponistin Elisabeth von Zschock, von der Clara im Dezember 1839 ein Oratorium hört, das die Komponistin selbst dirigiert: „Ich kann wohl sagen, ich hab so schlechte Musik noch nicht gehört … Es ist doch recht schlimm wenn Dillettanten, die gänzlich talentlos sind sich an solche Compositionen wagen, und dann noch sich einbilden das außerordentlichste geleistet zu haben.“ Selbst wenn man Claras fachliche Kompetenz angesichts einiger Einschätzungen und Ratschläge an Brahms ein bisschen relativieren will, so hat sie doch ein ziemlich scharfes Ohr für musikalische Wirkung.
Dazu ein ebenso aufmerksames Auge, wenn sie das Gefühl hat, es werde mit unlauteren Mitteln gearbeitet und die Kunst dabei verraten. All dies sieht sie in der Pianistin Camilla Pleyel, Schwiegertochter des legendären Klavierbauers Ignaz Josef Pleyel. Bevor sich Clara noch selber einen Eindruck machen kann, wird ihr von Madame Mendelssohn schon das Wesentliche berichtet, „besonders von ihrer merkwürdigen Coquetterie, womit sie alle Männer in ganz Leipzig bezaubert habe, Kistner und Andere sind ihr sogar nach Dresden voran gereist … Den Erlkönig soll sie der Devrient so schön begleitet haben, daß sie sie ganz verdunkelt hat.“ Gossip ist keine Erfindung des Internets.
„Könnte ich doch nur dieses merkwürdige Weib hören und sehen“, notiert Clara. „Jede ihrer Bewegungen soll studiert sein, nach Beendigung eines Stückes bleibt sie auf dem Orchester, spricht mit den Musikern, verneigt sich immer wieder von Neuem, ganz kindlich als wüßte sie gar nicht wie ihr dieser Beifall gebühre, und setzt sich dann an’s Clavier und spielt noch eine Piece. Die halbe Kunst besteht doch wirklich in jetziger Zeit in Coquetterie; jetzt weiß ich auch recht wohl, warum der Vater immer so unglücklich war, daß ich nicht coquett sey.“ Clara versteht die Bedeutung von Marketing, und findet bald schon eine geeignete Strategie für sich. Zunächst tröstet sie sich damit, dass sie zumindest Schumann begeistern kann, der im Tagebuch dauerpräsent ist und mit den leidenschaftlichsten Liebesschwüren bedacht wird.
Dies umso nachdrücklicher, je mehr Vater Wieck opponiert. Einzig in materiellen Dingen sind die beiden noch einig. Die Sorge, Schumann könne nicht genug verdienen oder überhaupt als Komponist scheitern, treibt Clara um. Gleichzeitig versucht sie, sich schon einmal auf eine solche Situation einzustellen und redet sich ein, dass es letztlich doch um immaterielle Werte gehe. Nicht nur die Koketterie der wohlhabenden Damen der Gesellschaft stößt sie nun ab, sie erhebt das vermeintliche einfache Leben auf einmal zum Ideal. Dabei scheint sich auf der Grundlage traditioneller Urteile und Vorurteile doch ein festes Klischee herauszubilden, das französische von deutschen Sitten klar unterscheidet, die in der Nationaleuphorie und -ideologie des 19. Jahrhunderts ja schnell zu national gebundenen Charaktereigenschaften stilisiert wurden. Das einfache aufrechte deutsche Mädel steht nun klar gegen die durchtriebene kokette Pariserin, die sich die Kunstlorbeeren mit unlauteren Mitteln erschleicht. Claras Ambitionen gehen aber weiter. Sie will nicht nur die technischen Voraussetzungen für Kunst perfekt beherrschen. Der unbedingte Wille, wahrer Kunst zu dienen und nicht oberflächlicher Unterhaltung, ist unübersehbar.
Den Vater rügt sie, weil er ihren kleinen Bruder von einem Klavierstimmer auf der Violine unterrichten lässt: „Müssen nicht seine Sitten und Gebräuche roh bleiben? Was ist ein großer Künstler jetzt, ohne jede Bildung? es macht mich traurig, daß ich meinen Bruder nur immer in niederer Gesellschaft sehe, der doch gewiß mit Fähigkeiten begabt ist! … er müsste wissenschaftlichen Unterricht nehmen, dürfte nicht mehr im Orchester, und in den Gärten, Tanzböden pp. Spielen, er müßte überhaupt ein ganz anderer Mensch werden.“ Sie sieht sehr klar, dass der Vater ihr diese Bedingungen verschaffte, während er die Brüder außer Haus gab, um seine ganze Kraft und pädagogische Anstrengung ganz auf sie zu konzentrieren.
Aber sie sieht noch mehr: Dass es auch um eine grundsätzliche Kunstauffassung geht, um nicht weniger als eine philosophisch begründete Ästhetik, die sie allerdings zur Frage der Persönlichkeit, vielleicht mehr noch eines angeborenen Charakters, macht: „Ach wär‘ doch mein Vater ein anderer. Er weiß noch gar nicht welch‘ höhere Bedeutung die Kunst hat, wie heilig sie ist – er treibt sie noch wie ein Handwerk.“ Dabei stellt sie nicht Handwerk gegen Kunst. Das Handwerk muss perfekt sein, da kennt sie auch gegen sich selbst keine Gnade, aber Technik allein ist noch lange keine Kunst, noch nicht einmal die gelungene Aufführung einer Komposition. Vielleicht ist diese etwas voreilige Haltung aber auch einer eher menschlichen Tatsache geschuldet, denn Schumann hatte „sehr schön über die Pleyel geschrieben. Alles was ich über sie lese, ist mir immer deutlicherer Beweis daß sie über mich zu stellen (sic), und dann kann nun freilich von meiner Seite eine totale Niedergeschlagenheit nicht fehlen.“
In aller Regel aber fühlt sie sich durch Schumann ermutigt und aufgemuntert, umso mehr, als das Verhältnis zum Vater schwierig bleibt. Einerseits weiß sie, dass sie ihm eine frühe und große Karriere zu verdanken hat, dass er sie auch zur Selbständigkeit anhält. Andererseits zeigt er in seiner Eifersucht auf Schumann eine so unerwartet tiefe Bösartigkeit, dass sie am liebsten mit ihm brechen würde. Wieder ist es Robert, der sie aufbaut und ihr auch die fachliche Bestätigung gibt, von der sie so sehr abhängt. Fehlt sie, gerät sie als Künstlerin ins Wanken, wie bei einem Konzert in Wien: „Ich habe viel von meiner Unbefangenheit beim öffentlich Spielen verloren, und das ist schlimm, läßt sich auch nicht wiedergeben.“
So klar wie an diesem 23. Mai 1840 hat das Clara Wieck bis dahin nicht und nie wieder formuliert. Die Übertreibungen, mit denen sie vielleicht noch Widerspruch provozieren will, sind minimal, die Koketterie mit Selbstkritik nun obsolet. Fortan führen Clara und Robert ein gemeinsames Tagebuch. „Es soll von nun an unter uns ein Herz und eine Seele sein, und so schließe ich denn dies Buch, nicht ohne Wehmuth!“ Die Trauer ist berechtigt. Die folgenden Tagebücher – 40 Bände – hat Tochter Marie nach Auswertung durch Berthold Litzmann vernichtet.
Clara Schumann: Jugendtagebücher 1827-1840: Nach den Handschriften. Hrsg. von Gerd Nauhaus und Nancy B. Reich. Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich/New York 2019. 702 Seiten, 48 Euro.
„Ich kann wohl sagen,
ich hab so schlechte
Musik noch nicht gehört“
„Ich habe viel von
meiner Unbefangenheit beim
öffentlich Spielen verloren“
Werk ihres Vaters: Die spätere Clara Schumann wurde 1819 in Leipzig als Tochter des Theologen und Musikers Friedrich Wieck geboren. Sie ist eine der wenigen weiblichen Musikikonen des 19. Jahrhunderts.
Foto: imago/Leemage
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.2019

Musik als Beziehungstat

Zuerst die Noten, dann das Alphabet: Eine exzellente Edition ihres Jugendtagebuchs, ein Katalog und ein Porträt zeigen die Pianistin und Komponistin Clara Schumann in neuem Licht.

Auf Pommern hatte Clara Schumann keine Lust. "Engagements in Stralsund, Greifswald etc." standen im März 1855 bei der Pianistin an, ein gutes Jahr nachdem ihr Mann Robert Schumann sich hatte umbringen wollen und in eine Nervenheilanstalt eingewiesen worden war. Doch der alleinverdienenden Mutter von sieben Kindern graute "entsetzlich" vor der Reise, einmal der Kälte in der Kutsche wegen, aber auch weil sie vom Publikum nicht viel erwartete. Sie sollte enttäuscht werden. Auf angenehmste Weise. In Greifswald und Stralsund, vertraute sie ihrem Tagebuch an, wurde sie von "behaglichst gemütlichem, musikalisch empfänglichem Bürgerpublikum" aufgenommen; und auch im benachbarten Grimmen war sie von "dem animierten wesentlich aus Gutsbesitzern bestehenden Publikum" angetan, wie ihr Biograph Berthold Litzmann, gestützt auf ihre Briefe und Tagebücher, schrieb.

Wer sich ein Bild von den vielen Konzertreisen machen will, die Clara Schumann in ihrem sechsundsiebzigjährigen Leben zwischen Dublin und Moskau, Edinburgh und Klagenfurt unternommen hat, kann das in dem Buch "On tour. Clara Schumann als Konzertvirtuosin auf den Bühnen Europas" tun. Der üppig ausgestattete Katalog zur wunderschönen Ausstellung des Stadtmuseums Bonn im Ernst-Moritz-Arndt-Haus enthält auf fast jeder Seite Stadtansichten, Porträts, Programmzettel, Karikaturen, dazu Tabellen und Statistiken, eingefügt in wissenschaftliche, aber flüssig erzählende Aufsätze über eine Künstlerin, die die Institutionen ihrer Zeit umprägte und dabei selbst zur Institution wurde. Sie führte das Konzertformat des reinen Klavierabends (ohne Beteiligung von Sängern oder Geigern) ein und setzte es durch; sie definierte dabei ein Repertoire von Beethoven über Mendelssohn, Chopin, Schumann bis zu Brahms als "klassisch" und damit als verbindlich.

Die Qualität neuer Literatur zu Clara Schumann, die am 13. September 1819, also vor zweihundert Jahren, in Leipzig als Clara Josephine Wieck zur Welt kam, ist exzellent. Editionstechnisch und methodologisch lässt sich eine Professionalität beobachten, der man Vorbildcharakter zusprechen muss. Die Erstausgabe der Jugendtagebücher Clara Schumanns aus den Jahren 1827 bis 1840 durch Gerd Nauhaus und durch die Anfang dieses Jahres verstorbene Nancy B. Reich ist ein Glanzstück - sowohl was das Gewicht der Quelle angeht als auch die Sorgfalt des Kommentars.

Die Tagebücher setzen am 7. Juni 1827, als Clara Wieck sieben Jahre alt war, ein und enden einen Tag nach der Hochzeit mit Robert Schumann, zugleich ihrem 21. Geburtstag, am 13. September 1840. Von dem Tag an führte sie mit ihrem Mann gemeinsame Ehetagebücher, die bereits ediert worden sind. Friedrich Wieck, der Vater und Klavierlehrer, führte die Bücher anfangs selbst im Namen seiner Tochter und las auch noch mit, als sie selbst anfing zu schreiben. Die Notenschrift beherrschte sie eher als das Alphabet, sprechen lernte sie spät, laufen früh. Ihre körperliche Kondition war so überdurchschnittlich gut, dass sie schon als Fünfjährige mehrstündige Spaziergänge absolvierte.

Die Tagebücher verzeichnen die Scheidung ihrer Eltern 1824, ihr eigenes Konzertdebüt im Alter von neun Jahren, die frühen Begegnungen mit Niccolò Paganini, Johann Wolfgang von Goethe und Frédéric Chopin. Aber nicht nur über Europas Musikleben dieser Zeit, über Nöte und Strategien der Konzertorganisation, über die Mühen des Reisens erfährt man etwas aus dieser Quelle, sondern auch darüber, wie sich eine junge Frau langsam aus den Händen ihres Vaters löst, der sie künstlerisch - in der pianistischen Technik wie in der geistigen Erziehung und der musikalischen Geschmacksbildung - als sein Geschöpf betrachtet. Die Tagebücher berichten davon, wie zerrissen Clara Wieck ist zwischen der Liebe zu ihrem Vater und der zu Robert Schumann, den zu heiraten ihr der Vater nicht erlaubt, weshalb das junge Paar die Heirat gerichtlich erzwingen muss. Sosehr sie sich zu Schumann hingezogen fühlt und um ihn kämpft, so sehr erwacht dann doch die "Liebe zum Vater wieder mit aller Gewalt".

Zu den ergreifendsten Erlebnissen, die hier geschildert werden, gehört der Winterspaziergang an der Elbe bei Hamburg im Februar 1840, wo ihr die Landschaft zur Offenbarung Gottes wird und zum Raum des Gebets. Ebenso anrührend ist eine Begebenheit vom April 1837, als sie "einen kleinen Moor aus Afrika von 10 Jahren als Zuhörer" hat. Der Junge war als Kind an einen Bremer Kaufmann verschenkt worden. "Er befühlte hier mein Clavier", schreibt Clara Wieck. "Er wagte nicht mit blosen Fingern die Tasten anzurühren aus Furcht sie mit seinen schwarzen Fingern zu beschmutzen. Die jungen weißen Mädchen liebt er außerordentlich und küßt ihnen mit großer Grazie die Hand. Deutsch schreiben hat er binnen 3 Monaten ziemlich fertig gelernt und versteht es auch viel. Nach Afrika will er durchaus nicht wieder."

Fast die Hälfte dieser Buchausgabe wird vom detaillierten Anmerkungsapparat, dem Werk-, Orts- und Personenregister eingenommen, das teilweise auch noch nach Schreibvarianten der Namen unterscheidet. Ein solcher Aufwand, eine solche Güte der Edition sind geradezu einschüchternd für ähnlich gelagerte Vorhaben. Sie nötigen einfach nur Hochachtung ab. Hier ist der Forschung, aber auch den Musikliebhabern ein Schatz in die Hände gelegt worden.

Das Quellenmaterial - Briefe, Tagebücher, Erinnerungen - rund um Clara Schumann, ihren Mann Robert, ihre Freunde Joseph Joachim und Johannes Brahms ufert jetzt schon aus. Eine neue Briefedition ist in Arbeit und wird weitere zwanzigtausend bislang nicht erschlossene Briefe umfassen. Die Frage, die sich Beatrix Borchard, seit drei Jahrzehnten eine ausgewiesene Expertin für Clara Schumann, in ihrem neuen Buch "Musik als Lebensform" stellt, lautet: Wie geht man mit diesem Material um? Und zwar moralisch verantwortungsvoll und intellektuell redlich. Immerhin liegen uns heute Dokumente vor, von denen die betreffenden Personen nicht wünschten, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen, weshalb wir durch die Benutzung deren Persönlichkeitsrecht am eigenen Bild - auch im übertragenen Sinne - ständig verletzen. Der Zugriff auf intimste Zeugnisse, den wir heute haben, verlangt nach Respekt für die Legitimität eigener Bildentwürfe historischer Persönlichkeiten, die es nicht einfach unsererseits zu korrigieren gilt, sondern die uns zugleich eine Perspektive der Auslegung bieten können, wo uns die Alltagserfahrung der Betroffenen fehlt.

Borchard legt besonderes Gewicht darauf, dass die neue Edition jeweils beide Partner des Briefwechsels dokumentiere und damit "den Blick auf Konstellationen, nicht auf Einzelpersonen" richte. Dies "sollte es den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen vollends verbieten, einzelne Briefstellen als Steinbruch für Zitate zu benutzen, die gerade gut in den einen oder anderen Argumentationszusammenhang passen mögen". Nun lässt sich Auslegung in unserem Weltverhältnis nie vermeiden; jede unserer Wahrnehmungen, jede Thematisierung eines Gegenstandes ist bereits Interpretation. Aber richtig ist dieser Hinweis trotzdem, weil in der Musikwissenschaft lange Zeit ausgeblendet wurde, dass besonders Briefe adressiertes, damit kommunikativ-strategisches Material sind. Es handelt sich immer um Äußerungen, die zu einem Gegenüber und dessen Rolle im Leben des Schreibers oder der Schreiberin in Beziehung stehen.

Das macht Beatrix Borchard zum methodischen Prinzip ihres Buches: Sie zeichnet ein Bild von Clara Schumann aus verschiedenen Perspektiven, die jeweils von einem Gegenüber bestimmt werden, ein Porträt aus Beziehungen. Da ist die Lebensfreundin Elise List; da ist die helfende Familie Mendelssohn; da ist der Bruder, für den sie früh auch Lehrerin war; da ist der Kollege Franz Liszt, den sie als Pianisten bewundert, als Komponisten ablehnt; da ist der Geiger Joseph Joachim in der schwierigen Rolle als Freund und Konzertpartner zugleich; und da ist schließlich ihr Mann Robert, der ihre kompositorische Kreativität fördern will, dem aber ihre Konzertreisen Unbehagen bereiten. Mit jedem dieser Menschen tauscht sich Clara Schumann über andere Dinge aus, redet über Menschen ganz anders, äußert Zweifel, wo sie sonst Gewissheit ausstrahlt. Wo sie einerseits meint, dass ein "Frauenzimmer" wie sie nicht komponieren müsse, feiert sie andererseits spätere Künstlerjubiläen mit eigenen Werken. Wo zeitgenössische Autoren Kritik an der Pädagogik ihres Vaters üben, sieht sie sich genötigt, ihn zu verteidigen, auch wenn aus den Aufzeichnungen ihrer Tochter klarwird, dass Friedrich Wieck innerhalb der Familie auch pädagogisch als autoritärer Charakter erlebt wurde.

Sehr belebend ist das Augenmerk, das Borchard auf die Mutter von Clara Schumann legt, Mariane Wieck, geborene Tromlitz. Auch sie war Sängerin und Pianistin, auch sie sicherte sich durch musikalische Berufstätigkeit eine eigene ökonomische Existenz, wie das auch für mehrere Schwestern Clara Schumanns gilt. Das Rollenmodell einer wirtschaftlich unabhängigen Frau, für das neunzehnte Jahrhundert einigermaßen ungewöhnlich, ist also im weiblichen Strang der Familie ziemlich häufig. Mit gutem Grund wendet Borchard ein, dass Clara Schumann lange Zeit nur als Frau ihres Mannes und Tochter ihres Vaters, nie aber als Tochter ihrer Mutter betrachtet worden sei. Und diese neue Perspektive ist in der Tat erhellend.

Beatrix Borchard legt ihrem Buch einen Begriff von Musik als sozialem oder kulturellem Handeln zugrunde, der von den Musiksoziologen Kurt Blaukopf und Christian Kaden entwickelt wurde in Ergänzung zu einem Musikbegriff, der sich nur auf das abgeschlossene kompositorische Werk beschränkt. Wenn sie nun hier "Musik als Lebensform" beschreibt, so steht das Leben dabei im Vordergrund; das spezifisch Musikalische und das Formale hingegen treten zurück. Wenn in dem Buch nahegelegt wird, Musik sei für Clara Schumann vor allem zwischenmenschliche Begegnung gewesen, müsste das erst noch bewiesen werden. Denn bereits Max Becker beschrieb 1996 in seiner Studie "Narkotikum und Utopie" über Musik-Konzepte der Empfindsamkeit und der Frühromantik, dass der Austausch "von Herz zu Herz" eine Phantasterei gewesen sei, bei der man sich selbst in den anderen hineinprojizierte und eine Idealität ersehnte, die dem realen Menschen eher auswich, als dass sie eine Begegnung mit ihm ermöglichte. Auch das gemeinsame Musizieren im Schumann-Kreis ist wahrscheinlich eher eine werkzentrierte als eine personenzentrierte Kommunikation gewesen.

Ein wenig löst sich in der polyperspektivischen Bezogenheit von Clara Schumann auf, was sie heute noch für uns interessant macht: ihr Einfluss auf die Kanonbildung im Klavierrepertoire, auf die Formung des Musikbetriebs, ihre interpretatorische Stilbildung, ihr eigenes Komponieren. Aber dies alles ist in den letzten Jahren auch schon gründlich untersucht worden, weshalb Borchards Buch sich berechtigterweise auf die Methodik biographischer Forschung konzentrieren kann. Dass diese methodischen Überlegungen hier einhergehen mit plastischen Erzählungen, die Mühe der Reflexion also am konkreten Material eingelöst wird, macht dieses gelungene, schön zu lesende Buch so anregend. Viele dieser Überlegungen werden nun auch in Leipzig zur Anschauung gebracht werden, wo Beatrix Borchard die neue Dauerausstellung im Schumann-Museum in der Inselstraße gestaltet hat. Sie wird heute eröffnet.

JAN BRACHMANN.

"On tour". Clara Schumann als Konzertvirtuosin auf Europas Bühnen.

Hrsg. von Ingrid Bodsch, Otto Biba und Thomas Synofzik. Verlag Stadtmuseum Bonn, Bonn 2019. 400 S., Abb., br., 20,- [Euro].

Clara Schumann: "Jugendtagebücher 1827-1840".

Nach den Handschriften hrsg. von Gerd Nauhaus und Nancy B. Reich. Georg Olms Verlag, Hildesheim 2019. 702 S., geb., 48,- [Euro].

Beatrix Borchard: "Clara Schumann". Musik als Lebensform.

Georg Olms Verlag, Hildesheim 2019. 462 S., geb., 29,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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