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  • Buch mit Leinen-Einband

Der Komponist Reynaldo Hahn (1874-1947) war der lebenslange Freund und zeitweilig auch Geliebte Marcel Prousts, und er war nach Prousts Mutter die wichtigste Person in dessen Leben. 1894 lernten sich beide auf einer musikalischen Soiree kennen, waren sogleich entflammt füreinander, schmiedeten Pläne für gemeinsame Arbeiten und Reisen. Hahn war es auch, der am 18. November 1922 dem Figaro bekannt gab, »dass unser teurer Marcel Proust heute Abend um halb sechs Uhr verstorben ist«. Die sorgfältig kommentierte Ausgabe enthält den vollständigen noch erhaltenen Briefwechsel - rund 220, größtenteils…mehr

Produktbeschreibung
Der Komponist Reynaldo Hahn (1874-1947) war der lebenslange Freund und zeitweilig auch Geliebte Marcel Prousts, und er war nach Prousts Mutter die wichtigste Person in dessen Leben. 1894 lernten sich beide auf einer musikalischen Soiree kennen, waren sogleich entflammt füreinander, schmiedeten Pläne für gemeinsame Arbeiten und Reisen. Hahn war es auch, der am 18. November 1922 dem Figaro bekannt gab, »dass unser teurer Marcel Proust heute Abend um halb sechs Uhr verstorben ist«.
Die sorgfältig kommentierte Ausgabe enthält den vollständigen noch erhaltenen Briefwechsel - rund 220, größtenteils von Proust verfasste Briefe - und gibt neue Einblicke in die Persönlichkeit des Dichters und das künstlerische und gesellschaftliche Leben der Zeit. Denn Reynaldo Hahn war die Sonde, mit deren Hilfe Proust erkundete, was sich jenseits seines Schlafzimmers, das er in seinen späteren Jahren kaum noch verließ, abspielte.
Die Ausgabe ist reich illustriert mit sämtlichen Zeichnungen, die Proust den Briefen beigegeben hat, sowie einem umfangreichen Farbteil, in dem die erwähnten Personen, Schauspielerinnen und Schauspieler, Bühnenbilder, Kostüme usw. abgebildet sind.
Autorenporträt
Marcel Proust (10.7.1871 Paris - 8.11.1922) kommt als ältester Sohn eines wohlhabenden Arzt-Ehepaares zur Welt, was ihm zeitlebens eine von ökonomischen Sorgen unbeschwerte Existenz ermöglichen wird. Bis er Mitte dreißig ist, führt er das mondäne Leben eines Dandys, danach widmet er sich ausschließlich seinem Romanwerk, an dem er bei Nacht in seinem korkgetäfelten, vom Rauch des Asthmapulvers durchzogenen Schlafzimmer am Boulevard Haussmann arbeitet. Die sieben Bände »À la recherche du temps perdu« kreisen um die Reflexionen eines Erzähler-Ichs über Erinnerung, Wahrheit und Bedeutung, die nur im Mittelteil des ersten Bandes »Un amour de Swann« (dt. »Eine Liebe von Swann«) durch die auktoriale Erzählung um Charles Swann unterbrochen wird. Im Frühjahr 1922 setzt Proust das Wort FIN - ENDE - unter das Manuskript des letzten Bandes »Le temps retrouvé« (dt. »Die wiedergefundene Zeit«), ein halbes Jahr später stirbt er, nur 51 Jahre alt. Proust verkehrte im literarischen Salon Madeleine Lemaires in Paris, ein kultureller Hotspot, in dem namhafte Politiker wie Raymond Poincaré, Paul Deschanel oder Léon Bourgeois, Adelige wie Prinzessin Mathilde Bonaparte oder die Comtesse Greffulhe sowie Schriftsteller wie Jacques Bizet, Guy de Maupassant, Paul Bourget und Robert de Montesquiou zusammenkamen. In diesem Milieu lernte er auch seinen späteren Geliebten und Lebensmenschen Reynaldo Hahn kennen, mit dem ihn ein lebenslanger Briefwechsel von rund 220 Schriftstücken verbindet. Übersetzung und Anmerkungen von Bernd-Jürgen Fischer: Bernd-Jürgen Fischer lebt in Berlin und ist nach seiner Lehrtätigkeit an der FU als freier Autor und Übersetzer tätig; für Reclam hat er Prousts Suche nach der verlorenen Zeit komplett neu übersetzt und kommentiert; und im Anschluss daran Prousts sämtliche Gedichte.Bernd-Jürgen Fischer lebt in Berlin und ist nach seiner Lehrtätigkeit an der FU als freier Autor und Übersetzer tätig; für Reclam hat er Prousts Suche nach der verlorenen Zeit komplett neu übersetzt und kommentiert; und im Anschluss daran Prousts sämtliche Gedichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2018

Zärreißen Sie diesen Brief sofortsch!

Im Briefwechsel mit seinem engsten Freund zeigt sich Marcel Proust verspielt, ja albern - und zugleich auf der Suche nach Thema und Stil für seinen großen Roman.

Von Tilman Spreckelsen

Aus der Liebe zur Freundschaft zu finden, ist nicht so leicht, und es fragt sich, ob diese Gefühlstransformation umso schwerer fällt, je größer einst die Liebe war. Als sich der fünfundzwanzigjährige Marcel Proust, der gerade Texte für seinen Band "Les Plaisirs et les Jours" schrieb, und der zweiundzwanzigjährige Komponist Reynaldo Hahn im Sommer 1896 nach zwei Jahren trennten, scheint das tatsächlich von einiger Bitternis begleitet gewesen zu sein.

Dass es dabei nicht blieb, ist für die an Proust interessierte Nachwelt ein Glück, denn der ergiebige Briefwechsel zwischen dem Autor und dem Komponisten, der in den Jahren um 1900 etwas ausdünnt, von 1904 an aber wieder umfangreicher ist, dauerte bis zu Prousts Tod im Herbst 1922 an. Erhalten sind längst nicht alle Briefe, vor allem die Schreiben Reynaldo Hahns sind inzwischen fast vollständig verschwunden. So ist es in der deutschsprachigen Ausgabe, die der Proust-Übersetzer Bernd-Jürgen Fischer nun vorlegt, allein schon ein Verdienst, immerhin 21 Briefe des Komponisten zu edieren, davon einige erstmals, während die knapp zweihundert Briefe Prousts fast alle bekannt sind, allerdings bis zum Erscheinen dieses Bandes nur zum Teil auf Deutsch.

Das hat seinen Grund. Denn als die Liebe am Ende ist und die Freundschaft beginnt, entwickeln die Briefpartner zusätzlich zu den früheren Kosenamen (Proust unterschreibt etwa mit "Ihr kleines Pony") eine Privatorthographie, die nicht immer leicht zu erschließen ist und auch dem Übersetzer einiges an Erfindungsgabe abverlangt. Fischer macht seine Sache gut, nur wäre es gerade bei einer Angelegenheit, die wegen dieser orthographischen Freiheiten immer ein wenig nach Druckfehlern aussieht, umso wichtiger, dass man diese dann auch immer ausschließen kann, was leider nicht der Fall ist. Verdienstvoll ist ebenfalls Fischers Kärrnerarbeit beim Datieren der praktisch immer undatierten Briefe, auch die Konkordanz seiner Edition mit früheren Teilausgaben der Briefe wird man schätzen, von den bitter notwendigen Anmerkungen zu den Briefen ganz abgesehen, ohne die man in diesem Geflecht aus Andeutungen bisweilen verloren wäre.

Die Freunde korrespondieren, soweit man das aus diesem einseitig überlieferten Briefwechsel ablesen kann, vor allem zu Erlebnissen mit gemeinsamen Bekannten, zu Büchern oder Kunstwerken. Auch Körperliches wird nicht ausgespart, wenn Proust Hahn etwa in der Frage des passenden Abführmittels berät oder über "Hodenverstopfung" klagt. Der Autor legt für den Komponisten (ohne ihn zuvor darüber zu informieren) Geld an der Börse an und schickt ihm dessen Anteil am Gewinn - was Hahn, wie es scheint, zurückweist.

Überhaupt scheint Prousts Freund eine gewisse Widerborstigkeit an den Tag gelegt zu haben, und während sich der gesundheitlich mit den Jahren immer stärker eingeschränkte Autor aus der Gesellschaft zurückzieht (in fünf Monaten in Versailles habe er "keinen einzigen guten Tag" erlebt, schreibt Proust), rügt ihn Hahn, im Ton dann auf einmal ganz ernst und orthographisch unverspielt, wegen seiner Neigung zur Indiskretion, und das wohl berechtigt: Sein Brief, der am Ende wieder in den gewohnt leichten Ton zurückfindet, endet mit den Worten: "Zärreißen Sie diesen Brief sofortsch" - was Proust offensichtlich nicht getan hat, eine Indiskretion mehr.

Dies gilt allerdings auch umgekehrt. "Wenn Sie mir antworten, bestätigen Sie mir bitte, dass Sie diesen Brief verbrannt haben", schreibt Proust im August 1906: "Und dass das stimmt." Dass auch Hahn diesen Bitten wenigstens in einer ganzen Reihe von Fällen nicht nachgekommen ist, belegt dieser Band.

Oder geht man den Korrespondenten damit auf den Leim? Ist die Aufforderung, die Schreiben zu vernichten, Teil eines literarischen Spiels, das gerade durch die behauptete Privatheit Blüten ermöglicht wie jene hinreißende Stelle, in der Proust über die Bretagne als Schauplatz der Artusdichtung schreibt und zugleich über eine Madame Reské, eine gemeinsame Bekannte, von der es nun heißt: "Ich ging bis Pontaven, bis in den Helgoat, um zu sehen, ob die Seen dort nicht die Farbe von Madame Reskés Augen haben." Einiges deutet darauf hin, dass Proust diese Mitteilung im Brief an Hahn eigentlich zur Weitergabe an jene Madame Reské verfasste, die er zuvor in einem 1892 publizierten Text ("Verlorene Formen") skizzenhaft porträtiert hatte und die nun, über Bande gespielt, umso authentischer wirkte.

Wie ernst auch immer also der Wunsch, die Briefe zu vernichten, beiderseits gemeint war: Es wäre jedenfalls schade um die vielen Beobachtungen und Selbstbeschreibungen in den Briefen an Hahn, um die Zeichnungen, die Proust anfertigt und darin etwa Kunst- und Bauwerke parodiert, um die Verse bis hin zu Langgedichten. Und natürlich sollte man nicht unbedingt den Autor der "Recherche" in jeder Zeile erwarten, aber Proust Porträts jener Madame Lemaire, die für die Entwicklung der Liebesbeziehung keine geringe Rolle spielte, lassen dann doch an Madame Verdurin und ihren "kleinen Kreis" denken, der in Prousts Roman die Treffen von Swann und Odette ermöglicht.

Am meisten Anlass, an die "Recherche" zu denken, geben allerdings jene Briefe, die Proust Hahn im Sommer 1896 schrieb, also während der kritischen Zeit der Trennung. In ihrer offen eingestandenen Sucht, den Tagesablauf und die Beweggründe des anderen minutiös zu erfassen, immer zu wissen, was er macht und warum, erinnern sie an die großartigen Schilderungen von Swanns Eifersucht (und später der des Erzählers), an die Quälereien der eigenen Person und der Geliebten.

Die spätere Freundschaft ist darum nicht weniger innig, ob Proust Hahn nun ermahnt "Die grenzenlose Prätention des Stils wird Ihr Verderben sein" oder ob er bekennt: "Die Orte, an denen Sie nicht sind, enthalten zu wenig Geheimnisse, um mir zu gefallen." Es scheint, als hätten die beiden ihren Weg gefunden.

Marcel Proust: "Der Briefwechsel mit Reynaldo Hahn".

Hrsg. und aus dem Französischen von Bernd-Jürgen Fischer. Reclam Verlag, Ditzingen 2018. 580 S., Abb., geb., 68,- [Euro].

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»Für die an Proust interessierte Nachwelt ein Glück« Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.11.2018