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Minutiös bis obsessiv und großartig selbstironisch beschreibt Thomas Clerc seine kleine Pariser Wohnung. Eigentlich sollte er lediglich ein Übergabeprotokoll verfassen, doch das Vorhaben entgleitet dem Literaturprofessor. Drei Jahre ist er beschäftigt, beginnt im Flur, dann folgen Badezimmer, Toilette, Küche, Wohnzimmer, Arbeitszimmer und Schlafzimmer. Raum für Raum, Gegenstand für Gegenstand, zuweilen Zentimeter um Zentimeter bildet er in diesem wie mit einer Handkamera aufgezeichneten Text ab. Dabei geraten immer auch größere Themen in den Blick: Der Schlüssel im Schlüsselloch der…mehr

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Produktbeschreibung
Minutiös bis obsessiv und großartig selbstironisch beschreibt Thomas Clerc seine kleine Pariser Wohnung. Eigentlich sollte er lediglich ein Übergabeprotokoll verfassen, doch das Vorhaben entgleitet dem Literaturprofessor. Drei Jahre ist er beschäftigt, beginnt im Flur, dann folgen Badezimmer, Toilette, Küche, Wohnzimmer, Arbeitszimmer und Schlafzimmer. Raum für Raum, Gegenstand für Gegenstand, zuweilen Zentimeter um Zentimeter bildet er in diesem wie mit einer Handkamera aufgezeichneten Text ab. Dabei geraten immer auch größere Themen in den Blick: Der Schlüssel im Schlüsselloch der Wohnungstür ruft die Erinnerung wach, wie es ist, sich auszuschließen, und wirft Fragen nach dem Verhältnis von innen und außen auf. Ist die Wohnung selbst eigentlich das Äußere des Erzählers, eine zweite Haut, oder sein Inneres? Ist diese Unterscheidung überhaupt sinnvoll?Die Intimität und Ehrlichkeit von Interieur ziehen uns in diese Wohnung hinein und lassen uns kaum mehr hinaus. Hier begegnet jemand sich selbst, indem er sich ins eigene Interieur als scheinbar letzte Bastion ästhetischer Autonomie projiziert.
Autorenporträt
Thomas Clerc, 1965 in Neuilly-sur-Seine geboren, ist Autor, Essayist und Dozent für Gegenwartsliteratur an der Universität Paris Nanterre. Nach der in Frankreich 2007 erschienenen minutiösen Erkundung seines Pariser Bezirks (Paris, musée du XXIe siècle, le dixième arrondissement) in der Tradition des Flaneurs, wendete er sich 2013 mit Interieur seinem privaten Lebensraum zu.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Völlig erschlagen ist Rezensent Christoph Vormweg zunächst von den 300 Seiten, die sich einzig und allein um die Wohnung von Thomas Clercs Erzähler drehen: Unendlich detailreich wird selbst das mikroskopisch kleine WC mit einer besonderen Sprache beschrieben, die statt dem unbestimmten Artikel ein/eine stets nur die Zahl 1 vorsieht. Obwohl wenig bis nichts passiert und die Erwartungen des Kritikers regelmäßig negiert werden, stellt sich für ihn irgendwann "eine innere Ruhe" bei der Lektüre ein. Detailarbeit, auch durch die Übersetzerin Nicola Denis, aber eine, für die es doch arg viel Geduld braucht, urteilt Vormweg.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.12.2022

Die Seele unseres Mobiliars

Beschreibungsmarathon mit Zahlenspielereien:

Der französische Autor Thomas Clerc versucht in "Interieur" die

Autobiographie einer Wohnung zu schreiben.

Ein grauer Metallschrank (132 Zentimeter hoch, 41 breit), aufgelesen auf dem Trottoir der rue du Dahomey im elften Arrondissement. "Dieses Zufallsmöbel umfasst gewisse Merkmale meiner Persönlichkeit, einschließlich meiner Funktion", behauptet Thomas Clerc zu Beginn der minutiösen literarischen Vermessung seiner Wohnung im Pariser Norden. Besagter Metallschrank (vier Schubladen, die sich nur einzeln öffnen lassen) steht im Eingangsflur und enthält neben Unterrichtsmaterial (Clerc ist Maître de Conférences für moderne Literatur) und allerhand persönlichem Krimskrams auch Steuer- und Einkommensunterlagen. Details gefällig? "Der Schubladenleser soll erfahren, dass meine 3000 Euro monatlich mir zum Überleben reichen und mich de facto den 20 % der wohlhabendsten Franzosen zuordnen, was mich dazu berechtigt, die von Ihnen gerade in Abwesenheit besichtigte 50 m2 große 2- bis 3-Zimmer-Wohnung in Strasbourg-Saint-Denis auf Kredit (15 Jahre) zu erwerben."

Der 1965 im Pariser Nobel-Vorort Neuilly-sur-Seine geborene Clerc stammt aus großbürgerlichen Verhältnissen, wuchs in einem Vierzehn-Zimmer-Appartement mit Dienstboten auf und muss sich seit der Pleite seines Vaters heute mit deutlich weniger Platz begnügen. Anstatt seinen Abstieg zu beklagen, nutzt Clerc die eingeschränkte Bewegungsfreiheit für eine ausufernde literarische Introspektion: "Interieur" ist eine Poesie der Gegenstände, die Clercs private Lebenswelt als quasianimistisches Dekor bevölkern, vom Bücherregal ("das raumgreifendste Möbel") bis zur Klobürste ("der am geringschätzigsten behandelte Gegenstand im ganzen Haus"), von der Zitronenpresse bis zum Staubsauger ("der Kampfpanzer der Haushaltsarmee").

Das Wohnquartier als erzählerisches Ordnungsprinzip ist in der französischen Literatur nichts Neues, man denke etwa an Xavier de Maistres "Reise um mein Zimmer" von 1794 oder an Georges Perecs Kultbuch "Das Leben Gebrauchsanweisung" von 1967, in dem der Autor in 99 Kapiteln und mittels 1467 Figuren das menschliche Universum eines Pariser Wohnhauses ausleuchtet. Clerc, der sich wie sein Vorbild Perec als konzeptueller Schriftsteller versteht, macht die Gegenstände und Räume seiner Wohnung aber zur Essenz des Textes. Seine "Autobiographie einer Wohnung" gibt nur mittelbar Elemente einer Narration oder Figurenzeichnung preis. Die Eigenarten des Ich-Erzählers namens Thomas Clerc ("neurotisch, phobisch, hypochondrisch") erschließen sich nur als Nebenprodukt dieses "furchtbaren Beschreibungsmarathons". So entspinnt Clerc aus dem Spalt der Rückenlehne eines Stuhls sexuelle Assoziationen, beschäftigt sich eingehend mit der Sauberkeit des Abtropfgestells neben der Spüle, kommt von der Betrachtung eines Lichtschalters auf seine Angst vor Elektrizität und Haushaltsunfällen und denkt bei der Besichtigung des Internetrouters an seine ausgeprägte Abneigung gegen Technik (gegen seinen Drucker empfindet Clerc "Hass", Informatiker hält er - äußerst ungehalten - für "als Hurensöhne nur unzureichend bezeichnet").

Die offenkundige Verschrobenheit dieses Textes ist zugleich seine Stärke, denn er sucht die "Wahrheit" eben nicht in einer Geschichte über Seelenlagen und Verhältnisse herbeizuschreiben, sondern unternimmt eine archivarische Inventur der eigenen dinglichen Lebenswelt. Er hätte diese Dokumentation nicht in Angriff genommen, betont Clerc, wäre er nicht der Überzeugung gewesen, dass die Archive wie auch die Literatur die Wahrheit sagen. In kurzen Kapiteln, in denen er sich von Objekt zu Objekt durch die Räume seiner Wohnung arbeitet, flicht er immer wieder Betrachtungen zum Verhältnis zwischen Literatur und Wirklichkeit ein: "Sicher, rednerische Qualitäten legen besser Zeugnis ab als Sachverhalte und Beweisstücke, die die Biografie 1 Menschen unsentimental verdichten, aber dieses Argument ist so oft bemüht worden, um die materielle Wirklichkeit der Lebensbedingungen zu kaschieren - als wäre die 'Seele' nobler als 1 Steuerbescheid."

"Interieur" ist ein Buch, das zum Blättern einlädt, denn seine Komposition als Inventarverzeichnis erfordert Ausdauer bei der Lektüre. Dabei spielt auch Clercs Marotte eine Rolle, unbestimmte Artikel durch Ziffern zu ersetzen. Was im Französischen noch als etwas gewollt wirkende Spielerei durchgehen mag, führt im deutschen Deklinationssystem zu 1 unnötigen Lektürehemmnis. Auffällig sind auch einige stilistisch oder inhaltlich zumindest fragwürdige Entscheidungen der eigentlich versierten Übersetzerin Nicola Denis. Clerc lebt, wie er oft genug anschaulich ausführt, eben nicht in "1 zölibatären Haushalt", sondern wohnt einfach allein. Auch sind seine sieben Paar Straßenschuhe wohl kaum vom "Asphalt betroffen" sondern eher von ihm gezeichnet. Und Männer müssen sich, um Frauen zu erobern, auch nicht "ankleiden", sondern vielmehr kleiden. Ein sorgfältiges Lektorat hätte für mehr Klarheit sorgen können.

Dessen ungeachtet scheint Clercs "Interieur", das unter der zweifelhaften Klassifizierung als "Roman" bereits 2013 in Frankreich erschienen ist, gegenwärtiger denn je, dürfte der Eindruck, in der Selbsterfahrung auf die eigenen vier Wände zurückgeworfen zu sein, doch so manchem noch präsent sein. Clerc führt kunstvoll und trotz der strengen Textstruktur stets leichtfüßig vor, was eine Reise durch das eigene Heim konkret an Welt- und Ich-Erfahrung bedeuten kann. Hält man sich vor Augen, dass ein durchschnittlicher Haushalt vor hundert Jahren rund 180 Gegenstände umfasste und es gegenwärtig mehr als 10 0000 Dinge sind, mit denen man bewusst oder unbewusst sein Leben gestaltet und zugleich eine greifbare Spur des eigenen Daseins hinterlässt, gewinnt Clercs literarische Betrachtung der meistens ignorierten Ausstattungsobjekte zusätzlich an Bedeutung. Noch bei einem Paar Socken mittelmäßiger Qualität findet er einen schmunzelnden Rückschluss zur Literatur: "Zu viel Anspruch macht unglücklich; in meinem Fall die Entscheidung für die Literatur, deren Gipfel quälend sind."

Clercs Inventur der eigenen Wohnung ist aber keinesfalls nur ein Buch für Stubenhocker oder solche, denen wie ihm literarische Erfahrungen wichtiger sind als alle anderen. "Interieur" führt jedem vor Augen, wie selbstverständlich Literatur Unbewegtes in Bewegung versetzt und vermeintlich Unbedeutendes auflädt, indem sie es mit Attributen und Assoziationen bereichert und auf diese Weise neue Hierarchien erschafft. Seinen Reisepass legt Clerc übrigens getrost zur Seite: "Da ich keine Reiseleidenschaft habe, kann ich mich schlecht mit den Weltenbummlern messen; die grelle Vielfarbigkeit ihrer Papiere beeindruckt mich nicht. Wenn es 1 Land gibt, das ich wirklich erkundet habe, dann mein Zuhause!" CORNELIUS WÜLLENKEMPER

Thomas Clerc: "Interieur".

Aus dem Französischen von Nicola Denis. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2022. 341 S., geb., 26,- Euro.

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