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Die politisch-theologischen Antipoden Franz Kafka (1883-1924) und Carl Schmitt (1888-1985) hatten sachlich einiges gemeinsam: Sie waren beide Juristen und Avantgardisten; sie kritisierten den rechtspositivistischen Anstaltsstaat, personalisierten und dämonisierten die bürokratische Herrschaft. Darum spiegelte Schmitt seine Justizerfahrung nach 1945 auch in Kafka-Notaten und betrachtete die Bundesrepublik als "Kafkanien". Reinhard Mehring erörtert irritierende Nähen in der dystopischen Wahrnehmung des modernen Staates als Baustein zur politischen Wirkungsgeschichte Kafkas und zur Verdeutlichung…mehr

Produktbeschreibung
Die politisch-theologischen Antipoden Franz Kafka (1883-1924) und Carl Schmitt (1888-1985) hatten sachlich einiges gemeinsam: Sie waren beide Juristen und Avantgardisten; sie kritisierten den rechtspositivistischen Anstaltsstaat, personalisierten und dämonisierten die bürokratische Herrschaft. Darum spiegelte Schmitt seine Justizerfahrung nach 1945 auch in Kafka-Notaten und betrachtete die Bundesrepublik als "Kafkanien". Reinhard Mehring erörtert irritierende Nähen in der dystopischen Wahrnehmung des modernen Staates als Baustein zur politischen Wirkungsgeschichte Kafkas und zur Verdeutlichung der Rechtsskepsis von Schmitts Spätwerk.Generally considered antipodes in political as well as theological matters, Franz Kafka (1883-1924) and Carl Schmitt (1888-1985) had more in common that meets the eye: they were both jurists and avant-gardists; they criticized the legal positivist institutional state, personalized and demonized bureaucratic rule. That is why Schmitt penned notes on Kafka in order to reflect his judicial experience after 1945, regarding the German Federal Republic as "Kafkanien". Reinhard Mehring discusses the irritating proximities both authors show concerning the dystopian perception of the modern state as elements for the political history of Kafka's impact and for clarifying the legal skepticism of Schmitt's late work.
Autorenporträt
Reinhard Mehring ist Professor für Politikwissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Er hat zahlreiche Bücher u.a. über Martin Heidegger, Thomas Mann und Carl Schmitt publiziert, darunter 2009 die große Biographie "Carl Schmitt. Aufstieg und Fall" (C.H. Beck; Neuauflage 2022); zuletzt erschien: "Carl Schmitts Gegenrevolution" (2021).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2022

Unter Juristen
Reinhard Mehring versucht, Carl Schmitt und Franz Kafka miteinander ins Gespräch zu bringen

Kakanien ist bekanntlich Robert Musils ironische Bezeichnung für die 1918 untergegangene österreichisch-ungarische "K.-u.-k.-Monarchie". Wenn Carl Schmitt, immer auf der Suche nach originellen und geistreichen Wendungen und Begriffen, von Kafkanien spricht, dann will er damit den Zustand der von ihm herzlich verachteten frühen Bundesrepublik umschreiben. Diesen Ausdruck wählt Reinhard Mehring, seinerseits eminenter Schmitt-Kenner und Verfasser der bislang umfassendsten Biographie über den - wie er notorisch genannt wird - "umstrittenen" Denker und Staatsrechtslehrer, zum Titel eines knappen, recht unterhaltsamen und an Gedanken reichen Essays.

Wie der Untertitel verrät, versucht sich Mehring an einer Parallelisierung von Carl Schmitt und Franz Kafka. Beide waren Juristen, beide werden vom Verfasser als Ästheten und Avantgardisten vorgestellt, und nicht nur und ganz selbstverständlich bei Carl Schmitt, sondern auch bei Franz Kafka stehen häufig juristische Motive wie Gesetz, Urteil, Prozess und Strafe sogar titelgebend im Zentrum - wenn auch in satirischer Verfremdung. Dass Mehring beide zu den Kritikern des Rechtspositivismus zählt, besagt indes angesichts der bekannten Zerrbilder, die sich mit diesem Etikett verbinden, eher wenig.

Ohnehin muss man feststellen, dass sich Kafka nie auf Schmitt bezogen hat, der zum Zeitpunkt von Kafkas Tod 1924 ja erst am Anfang seiner später steil aufsteigenden und danach ebenso steil abfallenden Karriere stand. Umgekehrt findet sich in Schmitts so gut wie lückenlos dokumentiertem Gesamtwerk einschließlich der Tagebücher wiederum der Name Kafkas praktisch nirgends - lediglich im berühmt-berüchtigten "Glossarium" der Jahre 1947 bis 1958 wird er an einigen Stellen erwähnt, wie Mehring im siebten und längsten Kapitel näher ausführt.

Hier gelingen ihm zwar durchaus intensive Einblicke in und Interpretationen von Kafkas Werk. Er betont dessen dystopischen Gehalt und archaische Religiosität ebenso wie den satirischen Charakter und die verfremdende Zeichnung eines geradezu klaustrophobisch verrechtlichten Alltags. Freilich leiden die Versuche, beide Protagonisten miteinander ins Gespräch zu bringen, daran, dass Schmitt nur wenige Notate zu Kafka hinterlassen hat, die sich allesamt auf den "Prozess" beziehen und auch nicht von vertiefter Auseinandersetzung mit dem Roman oder gar seinem Autor zeugen. Doch will Mehring aus diesen wenigen Notizen ersichtlich Honig saugen, indem er den dürftigen Schmitt'schen Originaltext einer weit ausgreifenden, dabei häufig sehr assoziativen Auslegung unterzieht, die man zuweilen nur als Überinterpretation bezeichnen kann. Wenig überzeugend sind auch Hypothesen nach dem Motto: Das hätte Schmitt eigentlich zu Kafka sagen, das hätte er in seine eigenen Schriften einbauen, das hätte ihn interessieren können. Denn es war eben anders. Tatsächlich dienen die Notate zu Kafka denn auch häufig lediglich als Absprungbrett für höchst kenntnisreiche, ja virtuose Exkursionen in das vielschichtige, sich über fast sechs Jahrzehnte erstreckende Werk Carl Schmitts.

Die letzten drei kurzen Kapitel haben mit dem Buchtitel eher wenig gemein: Auf eine Skizze von Hannah Arendts Kafka-Rezeption folgt ein Abschnitt, der vielversprechend mit "Anerkennung der Bundesrepublik?" überschrieben ist, in dem es aber im Wesentlichen um Tyrannenmord und Martyrium auch im Kontext der RAF geht. Das Schlusskapitel bietet einige Notizen zur Corona-Krise und zum (schwierigen) Primat des Europarechts im Verhältnis zum Recht der Mitgliedstaaten, bevor es mit dem Hinweis auf die berühmte Formulierung Rousseaus aus dem "Contrat Social" (1762) endet: "Finde eine Form des Zusammenschlusses, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitglieds verteidigt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso frei bleibt wie zuvor." Dieses Rätsel scheint in der Tat ungelöst. Den im Untertitel prominent erwähnten modernen Verfassungsstaat könnte man vielleicht als Lösungsversuch begreifen, doch wird dieser nirgendwo eingehender thematisiert. Insgesamt fehlt dem Gedankenpotpourri dieses hochintellektuellen und kurzweiligen Büchleins eine durchgängige Argumentationslinie. Aber das kann man von einem Essay auch nicht erwarten. Vielleicht darf man es noch nicht einmal.HORST DREIER

Reinhard Mehring: "Kafkanien". Carl Schmitt, Franz Kafka und der moderne Verfassungsstaat. Dekonstruktion und Dämonisierung des Rechts.

Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2022. 150 S., br., 22,80 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Horst Dreier liest den Essay des Carl-Schmitt-Kenners Reinhard Mehring mit Interesse. Das Unzusammenhängende der Kapitel scheint ihm der Form geschuldet, der Leser solle lieber nicht nach einer durchgängigen Argumentationslinie Ausschau halten, rät Dreier. Dann aber bietet der Text, abgesehen noch von einigen auf den Rezensenten erzwungen wirkenden Parallelisierungen Kafkas und Schmitts (siehe Buchtitel), durchaus Anregendes, findet Dreier. So etwa "kenntnisreiche Exkursionen" in das Werk Schmitts oder eine Skizze zu Hannah Arendts Kafka-Lektüre.

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