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Roger Willemsen war einer der vielseitigsten und bekanntesten Intellektuellen der Gegenwart. Nach seinem unerwarteten Tod mit nur sechzig Jahren stellt sich die Frage "Wer war Roger Willemsen?" neu. Was trieb ihn an, und welche Überzeugungen leiteten ihn? Wie lässt sich sein schillerndes Werk fassen? Dieser Band sucht in einem langen Gespräch, das die Herausgeberin Insa Wilke mit Roger Willemsen ein Jahr vor seinem Tod führte, nach Antworten und ergänzt sie um zahlreiche Materialien und Beiträge von Weggefährten, Lesern und Kollegen. Es entsteht das Bild eines außergewöhnlichen Menschen und eines einmaligen künstlerischen und intellektuellen Werks.…mehr

Produktbeschreibung
Roger Willemsen war einer der vielseitigsten und bekanntesten Intellektuellen der Gegenwart. Nach seinem unerwarteten Tod mit nur sechzig Jahren stellt sich die Frage "Wer war Roger Willemsen?" neu. Was trieb ihn an, und welche Überzeugungen leiteten ihn? Wie lässt sich sein schillerndes Werk fassen? Dieser Band sucht in einem langen Gespräch, das die Herausgeberin Insa Wilke mit Roger Willemsen ein Jahr vor seinem Tod führte, nach Antworten und ergänzt sie um zahlreiche Materialien und Beiträge von Weggefährten, Lesern und Kollegen. Es entsteht das Bild eines außergewöhnlichen Menschen und eines einmaligen künstlerischen und intellektuellen Werks.
Autorenporträt
Insa Wilke wurde 1978 in Bremerhaven geboren und lebt als Publizistin, Literaturkritikerin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Sie veröffentlichte u.a. die Monographie ¿Ist das ein Leben. Der Dichter Thomas Brasch¿ (2010) und ¿Bericht am Feuer. Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph Ransmayr¿ (2014). 2010 übernahm sie die Programmleitung im Literaturhaus Köln und gab diese Tätigkeit zugunsten des freiberuflichen Arbeitens 2012 wieder auf. 2014 wurde sie mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2015

Der enthusiastische Eloquenzexperte
Vom Existenzrecht des Texters: Ein Materialienband zum sechzigsten Geburtstag von Roger Willemsen

Jedes Frühjahr finden in Köln die Roger-Willemsen-Festspiele statt. Zwar werden einige weitere Autoren eingeladen, aber niemand trat auch nur annähernd so häufig bei der "Lit.cologne" auf wie Willemsen. Er ist das intellektuelle Schwerkraftzentrum dieses Festivals, zudem Bühnenprofi in Vollendung. Ob er sich dem Glück zuwendet oder der Niederlage, der Melancholie oder der Kontaktanzeige, ob er Hiob, Upton Sinclair oder Nina Berberova behandelt, stets findet er im Kleinen das Ganze wieder - wie etwa im Parmesankäselaib, den Samuel Pepys 1666 in seinem Londoner Garten vergrub, um ihn vor dem Großen Feuer zu retten.

Sein Expertentum scheint dabei so unbegrenzt zu sein wie sein Enthusiasmus, seine Eloquenz und seine Konstitution. In der Literaturgeschichte kennt er alle Winkel, im Jazz jeden Ton und in Afghanistan jedes Dorf. Reportagen von den bizarrsten Weltregionen hat er vorgelegt, durchtriebene Versgebilde, ambitionierte Musil-Studien, Kunstreiseführer, Attacken gegen deutsche Überheblichkeit, Reflexionen über Lebensbrüche, Debattenbücher über Guantánamo oder das deutsche Parlament. Filme hat er gedreht, das Fernsehen mit herausragenden Interviews beglückt und zahlreiche Rundfunkreihen konzipiert. Seit Jahren stellt er gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern Weltmusik vor. Die Diagnose fällt leicht: multiple Schwerstbegabung. Sendepausen gibt es nur während des Anhimmelns talentierter schöner Frauen.

Die Herzen des Publikums fliegen Willemsen nur so zu. Fast zwangsläufig korrespondiert damit Reserve im höheren Feuilleton gegenüber dem Klassenbesten, den Willemsen in aller Unbescheidenheit auch gerne gibt. Die Universität hat er kurz vor der Professur verlassen, als ihm aufging, hier nicht wirklich wirken zu können, das Fernsehen, als man ihm in die Programmplanung hineinreden wollte.

Es war eine richtige Entscheidung der Literaturkritikerin Insa Wilke, die von ihr herausgegebene Geburtstagsgabe als Leben-und-Werk-Interview mit dem Geehrten anzulegen und zusätzliche Materialien - kleine Texte Willemsens, Elogen von Weggefährten und Sekundärliterarisches - einfach an passenden Stellen einzufügen. Etwas straffer hätte das Interview ausfallen können, und Prätentiöses wäre zu dämpfen gewesen: "Wo kommen Sie her?" "Aus der Sprachlosigkeit." Herrje. Es passt aber, dass Willemsen, der Perfektionist, in der eigenen Festschrift den Ton angibt, seine eigene Interpretationshilfe ist. Hier und da legt er sogar Köder aus für die Verächter, die in Zukunft den Verehrerinnen entgegenhalten können, dass schon der junge Roger von den eigenen Eltern "Klokasten" genannt wurde, weil er wie eine Dauerspülung seine Umgebung zutextete.

Das hier wohl erstmals edierte Frühestwerk (mit sieben Jahren: "Wie lecker ist das Essen und das Leben knusprig dazu") wirkt eher altklug als ingeniös. Was die tieferen Einsichten angeht, wäre selbst die emphatische Abiturrede verzichtbar gewesen, aber sie hat hier nicht den Status einer Trouvaille aus dem Vorlass, sondern markiert den Startpunkt einer Karriere, die vom Existentialismus der Jugend (inklusive zweimaligem Sitzenbleiben) über eine kurze Phase studentischer Systemkritik bald zur Haltung der empathisch-emphatischen Beobachtung des Besonderen, Ausgeblendeten und Verknacksten fand.

Dass Willemsen bereits zu Studienzeiten unangefochten die Spitzenposition als Mädchenschwarm besetzte, lässt der "Zeit"-Feuilletonchef und ehemalige Kommilitone Jens Jessen durchblicken, um dann etwas lästerlich hinzuzufügen, dass es die Ludwig-Maximilians-Universität seinerzeit schwer erschüttert habe, als der junge Musil-Experte in einem Seminar einmal nicht die Bestnote bekam. Vom Studienkollegen Joseph Vogl stammen zwei über die eigene Schlauheit stolpernde Werkbetrachtungen im typischen Vogl-Sound.

Ansonsten gibt es viele Knickse: Die Kunsthistorikerin Anne-Marie Bonnet verneigt sich vor dem Spracherotiker, der Pianist Frank Chastenier vor dem musikalisch Seelenverwandten, der Feuilletonist Lothar Müller vor dem Grenzgänger, die Schriftstellerin Ines Geipel vor dem Trotzdem-Sager und der Dichter Thomas Gsella vor Willemsens Mut zu miesen Reimen. Noch einmal antworten Politiker auf den Phrasendrescherei-Vorwurf aus "Das Hohe Haus", und sie tun das erschreckend plump, stellen unisono heraus, die Politik werde ja nicht im Parlament gemacht, sondern in Ausschüssen und Hinterzimmern, ohne zu merken, dass sie eben damit die Bankrotterklärung des Politischen unterzeichnen.

Treffend sind die Analysen Willemsens selbst, etwa in Bezug auf die Universitätsdeformation namens "Bologna-Prozess". Noch härter geht er mit dem Fernsehen ins Gericht. Dieses Medium könne eine geniale multiästhetische Offerte sein, heißt es, bringe aber mit gewaltigen Summen lediglich ein kindisches Programm zustande, eine "Kapitulation vor einem trivialisierten Massengeschmack". Diese Unterforderung habe System, denn das Fernsehen fungiere als "Antagonismus der Arbeitswelt": Der "Hochleistungsmensch", der alle Konzentration für seine tägliche Arbeit verbrauche, nehme für sich in Anspruch, "erlöschen zu dürfen". Die Sendeanstalten geben diesem Anspruch statt im Sinne des Bruttosozialprodukts. Willemsen aber gestattet das Erlöschen keineswegs, sondern nimmt das Publikum bei der Hand.

Er mag die Einsamkeit als Schreibmovens besingen, den "Begriff des Mangels" als Leitmotiv des eigenen Werks herausstellen (freilich schon mit dem Hinweis, es gehe stets darum, "ihn umzumünzen in Fülle"), doch stellt seine Agenda ganz auf Opulenz und Geselligkeit ab, schon aus Eigeninteresse. Alles Gelehrte braucht Schüler, sonst räsoniert es nicht. Wenn es immer noch die Universitätsmädchen sind, die mitschwingen, umso besser. So bleibt Roger Willemsen letztlich der Kulturreiseführer mit hochgerecktem Schirm, ein "Lotse", wie er selbst sagt: Er schnuppert kurz in die Luft, und schon hat er etwas in der Nase, läuft, buddelt (dafür die Maulwurfhände) und zaubert aus dem Nichts einen großen Parmesankäse hervor. Am Samstag wird er sechzig Jahre alt. Chapeau!

OLIVER JUNGEN.

Insa Wilke (Hrsg.): "Ein leidenschaftlicher Zeitgenosse". Zum Werk von Roger Willemsen.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2015. 520 S., br., 24,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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ein aufrichtiges und kurzweiliges Portrait, das [...] am Ende vor allem eines lehrt: Leidenschaft ist die Triebfeder zu großen Taten. Fest steht: Willemsen hat davon reichlich. Sebastian Meißner literaturkritik.de 20151021