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Es ist die »Stunde der Spezialisten«, wenn der größte Feind der Wahrheit nicht die Lüge ist, sondern die Überzeugung. NS-Deutschland 1940: Max Koenig ist Professor für Altertumsforschung. Die Diagnose eines ererbten Nervenleidens, das einmal der »Schwarze Gast« hieß, reißt ihn aus seiner Karriere und fort von seiner italienischen Frau und der kleinen Tochter. Emphatisch und erschütternd klar: Barbara Zoeke gibt den Opfern und Tätern eines der verdrängten Verbrechen der Nationalsozialisten eine literarische Stimme - eine »Litanei auf die Farbe Schwarz«

Produktbeschreibung
Es ist die »Stunde der Spezialisten«, wenn der größte Feind der Wahrheit nicht die Lüge ist, sondern die Überzeugung. NS-Deutschland 1940: Max Koenig ist Professor für Altertumsforschung. Die Diagnose eines ererbten Nervenleidens, das einmal der »Schwarze Gast« hieß, reißt ihn aus seiner Karriere und fort von seiner italienischen Frau und der kleinen Tochter. Emphatisch und erschütternd klar: Barbara Zoeke gibt den Opfern und Tätern eines der verdrängten Verbrechen der Nationalsozialisten eine literarische Stimme - eine »Litanei auf die Farbe Schwarz«
Autorenporträt
Barbara Zoeke wuchs im thüringischen Vogtland auf und legte ihr Abitur in Düsseldorf ab, ehe sie in Köln und Münster Psychologie studierte. Sie ist heute diplomierte und habilitierte Psychologin, die eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten zu Perzeption und Gedächtnis, aber auch literarische Essays und Kurzprosa veröffentlicht hat. Seit 2008 lebt sie in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2017

Mit SS-Uniform unter dem Arztkittel

Böses Thema in brillanter Darstellung: Barbara Zoekes Roman "Die Stunde der Spezialisten" erzählt vom Horror der Euthanasie.

Von Friedmar Apel

Die Aufarbeitung der Naziverbrechen hat unaufhörlich Tatbestände ans Licht gebracht, gegen die sich die Vorstellung sträubt. Zum Widerwärtigsten zählt die systematische Ermordung von mehr als 200 000 Kranken als "unwertes Leben" durch Ärzte, die mit der Ideologie einer Reinigung deutschen Erbguts gerechtfertigt wurde. Dass Mediziner, zu deren Ethos der Grundsatz gehört, den Kranken nicht zu schaden, in der Mordmaschinerie persönlich Hand anlegten, ist unfassbar. Und doch muss es begriffen werden, eine gesellschaftliche Verständigung über medizinische Ethik kann in Deutschland nicht ohne Kenntnis der Verbrechen von Ärzten in der Nazizeit erfolgen.

Die historische Forschung mit ihren distanzierten Beschreibungen und Statistiken erreicht die meisten Menschen aber leider nicht. Medien, Kunst und Literatur sind für die Vergegenwärtigung der Geschehnisse unabdingbar. Ruth Klüger hat dafür plädiert, die literarische Darstellung der Naziverbrechen nicht übermäßig mit Vorschriften zu umstellen, wie problematisch die Fiktionalisierung auch sein mag. Die Darstellung der Ermordung von Kranken ist jedenfalls eine emotional und intellektuell extrem fordernde Aufgabe.

Die Schriftstellerin und habilitierte Psychologin Barbara Zoeke hat sich ihr auf der Basis umfangreicher Forschungen und Kenntnisse gestellt und dabei eine so differenzierte wie sinnfällige Konstruktion entwickelt. Gemäß Saul Friedländers Maxime, der Erinnerung Namen zu geben, gestaltet sie die Erzählung der furchtbaren Geschehnisse als symbolische Rückverwandlung von Akten in menschliche Stimmen. Das wird auch in der gewohnt aufwendigen Edition der Anderen Bibliothek graphisch sinnfällig gemacht, indem Abbildungen der Kopfzeilen damaliger Meldebögen zur Erfassung chronisch Kranker mit Kapitelüberschriften und Namen der Protagonisten überschrieben werden.

Der erste Teil des Romans "Die Stunde der Spezialisten" stellt den Altertumsforscher Max Koenig vor. Er leidet an der Huntingtonschen Krankheit, früher als erblicher Veitstanz bekannt, einer unheilbaren degenerativen Nervenkrankheit. Seine Geschichte erzählt er im Krankenhaus in Wittenau, wo sich ihm der exzentrische Lateinlehrer Carl Hohein, der an einer Litanei auf die Farbe Schwarz schreibt, und ein mongoloider Junge namens Oscar - "mit c" - angeschlossen haben.

Unter der Betreuung der mitfühlenden Oberschwester Rosemarie ist das Leben im Krankenhaus beinahe noch normal, doch der Chefarzt präsentiert sich schon in der schwarzen SS-Uniform unter dem offenen weißen Kittel, und auch der Anstaltspfarrer trägt ungeniert das Abzeichen der systemkonformen Deutschen Christen. Schließlich müssen die seit 1939 im ganzen Reich verteilten Meldebögen ausgefüllt werden, in denen die Kranken vor allem nach ihrer Arbeitsfähigkeit klassifiziert werden. Sie wissen trotz der besorgten Blicke von Schwester Rosemarie nicht, dass ein rotes Plus im schwarz umrandeten Feld links unten ihr Todesurteil bedeutet. Die Stunde der Spezialisten war gekommen. "Wir waren zu Akten geworden, wir waren zu Nummern geworden."

Der zweite Hauptteil des Romans wird von dem SS-Mann Chefarzt Friedel Lerbe erzählt, der die Anstalt in Bernburg leitet, in die auch Koenig schließlich verbracht wird. In der Gestaltung von Lerbes Selbstbild hält sich die Autorin von einer hybriden Dämonisierung des Täters, wie sie Jonathan Littell in "Die Wohlgesinnten" in dem SS-Offizier Maximilian Aue gestaltet hatte, ostentativ fern. Sie scheint eher Hannah Arendts Formel der "Banalität des Bösen" im Sinn gehabt zu haben. Wie Eichmann erzählt Lerbe von seiner treuen Pflichterfüllung in geheimer Reichssache. Obwohl er sich über die Spießer erhaben fühlt, bestehen seine Lebensziele im beruflichen Aufstieg und in der Verheiratung mit der großen, blonden und blauäugigen Anja Haye. Er selbst entspricht nicht dem nordischen Ideal, was sein Geltungsstreben aber nur erhöht.

Die Durchschnittlichkeit dieses ärztlichen Täters und die Schlichtheit seines Erzählens bringen die ganze Perversion der Krankenermordung in vermeintlichen Duschräumen nur umso entsetzlicher zur Geltung. "Vorsichtig drehte ich die Ventile beider Gasflaschen etwas weiter auf; nach und nach wurde es nebenan still. Sehr still. Noch fünf Minuten, dann konnte ich die Zufuhr von Kohlenmonoxyd stoppen. Ich blieb, ohne durch das kleine Sichtfenster zu sehen. Einfach warten. Nichts denken, nichts wollen, einfach warten."

Lerbe hält sich für kultiviert, über die Rohheit des SS-Manns und Oberpflegers Nolte und über die Leichenbrenner, die die Asche der Ermordeten nachts heimlich entsorgen wie Unrat, fühlt er sich erhaben. So nennen sie ihn "Doktor Pinkel". Gelegentliches Unwohlsein spült Lerbe mit Whiskey hinunter, zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse steht seine stets gutgelaunte Sekretärin zur Verfügung, die er Grübchen nennt.

Die Schlussteile werden mit der Stimme der Autorin erzählt - zum Teil in Form von Kommentaren, die aber Elemente des Geschichtsunterrichts weitgehend vermeiden. Dafür hat Barbara Zoeke das Buch mit für sich lesbaren historischen Anmerkungen versehen, die auch die realen Vorbilder der Personen entschlüsseln. Nachgetragen wird schließlich die Geschichte von Carl Hohein, der entkommen zu sein schien und hoffte, dorthin zu gelangen, wo sich alle treffen wollten, wenn der Krieg vorbei sein sollte: am "Meer der Etrusker, wie Professor Koenig diese Küste immer nannte". Dorthin gelangt aber nur Elfriede, genannt Elfie, Carls Freundin. Ihr eingedenkender Blick aufs Meer bewirkt zum Schluss, dass die Geschichte nicht in vollkommener Hoffnungslosigkeit endet.

Barabara Zoeke hat eine historisch authentische, belehrende und zugleich spannende und sehr bewegende Geschichte geschrieben. Das ist eine bewunderungswürdige Leistung. Es handelt sich zweifellos um ein Buch, das nicht nur jeder junge Mediziner unbedingt lesen sollte.

Barbara Zoeke: "Die Stunde der Spezialisten". Roman.

Die Andere Bibliothek, Berlin 2017. 300 S., Abb., geb., 42,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2017

Kopfleuchten am etruskischen Meer
Was sind „Ballastexistenzen“? Barbara Zoekes beunruhigend guter Wissenschafts-Roman „Die Stunde der Spezialisten“
Dies ist ein sehr erstaunliches Buch, und deshalb ist es gut, zuerst gar nicht so sehr auf den Stoff und das Thema zu achten. Die Sprache ist klar, ohne Schnörkel. Es wird viel in Dialogen gesprochen, ansonsten gibt es knappe Situationsbeschreibungen und atmosphärische Verdichtungen. Man ist sofort mitten im Geschehen, aber erst allmählich werden die Beziehungen zwischen den Personen deutlicher. Die zeitgeschichtliche Dimension, die das Wichtigste und Zentrale an diesem Buch ist, stellt sich in ihrer ganzen Wucht nur langsam her. Im ersten Kapitel, das am längsten ist, werden die Figuren gleich plastisch, sie bekommen ihre eigene emotionale Welt und Unverwechselbarkeit, ohne dass es langer Erklärungen oder psychologischer Umkreisungen bedarf. Und das ist vielleicht das Verblüffendste, denn die Autorin ist Psychologin und hat das Fach als Privatdozentin an verschiedenen Universitäten gelehrt. Dieser Roman kommt nicht aus dem Literaturbetrieb. Aber woher er genau kommt, bleibt bis zum Schluss sein Geheimnis.
Die Hauptfigur Max Koenig ist ein Altertumsforscher, der in den dreißiger Jahren an den Universitäten Leipzig und Berlin lehrt, viel in Italien unterwegs war und dort auch seine Frau Fee kennengelernt hat. Eines Tages stürzt er schwer, und es verdichtet sich der Verdacht, dass auch er die Erbkrankheit hat, die er bei seinem Vater kopfschüttelnd erlebte – ein Nervenleiden, das seltene Huntingtonsche Syndrom, bei der der Körper die Kontrolle über seine Funktionen verliert.
Die Nazis wollen „lebensunwertes Leben“ ausmerzen, das ist von vornherein klar. Jemand wie Max Koenig ist mit dem Ziel eines „gesunden Volkskörpers“ nicht zu vereinbaren. Das Eigentümliche an Barbara Zoekes Roman ist dabei, dass inmitten dieser ausweglosen, barbarischen historischen Konstellation eine merkwürdig schwebende, poetisch-fremde Atmosphäre entsteht, die nichts relativiert und dennoch an etwas Menschliches gemahnt. Die Stationsschwester Rosemarie stellt dem Altertums-Professor zwei Personen zur Seite, die ihn unterstützen. Elfi ist ein hübsches, zauberhaftes Wesen, das manchmal „Traumdeutsch“ spricht, und sie bildet ein entrücktes Paar mit Carl, einem ehemaligen Lehrer mit „Kopfleuchten“. Er komponiert eine Litanei auf die Farbe „Schwarz“ und wird wie Elfi als „schizophren“ eingestuft. Da Max selbst nicht mehr schreiben kann, diktiert er diesem Carl seine Briefe, und er entwirft die Vision des „etruskischen Meers“, an dem sie alle später wieder zusammenfinden werden – und wo der Roman schließlich in einem realistisch-nüchternen Ausblick auch wirklich endet.
Bei alldem liegen viele Klischees in der Luft, und überall könnten Abstürze ins Eindeutige und Kitschige lauern. Doch nichts davon ist in diesem Roman zu spüren. Im zweiten Teil wechselt abrupt die Perspektive: Jetzt erzählt der Chefarzt Dr. Friedel Lerbe, der in der Heilanstalt Bernburg an der Saale für die unauffällige Massentötung von „Ballastexistenzen“, also für das Euthanasie-Programm der Nazis zuständig ist. In ihm verkörpert sich die monströse Normalität des deutschen Alltags und Berufslebens in den dreißiger Jahren, die gespenstische Spaltung zwischen der perfekt organisierten Form des Tötens und dem eigenen privaten Raum.
Barbara Zoekes Roman bleibt ganz nah am Geschehen. Nirgends wird tatsächlich ausgesprochen, dass es hier um eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Wissenschaft geht und um äußerst aktuelle Bezüge. „Unpolitische“ Wissenschaft gibt es nicht, im Gegenteil – gerade diese Haltung ist am anfälligsten für ideologische Zurichtungen. Der durchaus menschlich wirkende und sinnlichen Genüssen gegenüber äußerst aufgeschlossene Friedel Lerbe ist ein Musterbeispiel.
Er bleibt ganz konsequent in seinem eigenen System und leistet zusammen mit seinen Vorgesetzten eine elaborierte, intelligente wissenschaftliche Arbeit. Die „Spezialisten“ sind zum Ungeheuerlichsten in der Lage – dies zieht sich als Prophezeiung von Max Koenigs Doktorvater Gustaf Clampe zwischen den Zeilen durch den gesamten Roman, und das betrifft nicht nur die Nazis. Dass es eine Linie gibt zur Möglichkeit eines geklonten Menschen, zu Designer-Babies und computergestützten neuen Formen von „Menschenzucht“, ist deutlich erkennbar. Dies ist nicht nur ein Buch über Euthanasie.
So unaufwendig die Sprache dieses Romans auf den ersten Blick wirkt, so kunstvoll verwoben sind die Motive und Bezüge. Es gibt eine nie zu konkret ausgeleuchtete italienische Ebene mit immer wieder aufblitzenden Sehnsüchten, es gibt scharf umrissene Szenen aus dem Nazi-Alltag, der als selbstverständliches Umfeld erfahren wird, es gibt genau recherchierte historische Details. Wie der Schauspieler Carl Raddatz einmal plötzlich im „Salon Kitty“, einem Charlottenburger Bordell, ein nazikritisches Gedicht vorträgt und die beteiligten Diplomaten und Parteifunktionäre sich dabei nichts anmerken lassen, ist eine schräge, vieldeutige Momentaufnahme. Und dass Max Koenig und Fee ihre Hochzeitstage ausgerechnet um den 30. Januar 1933 herum im Hotel Adlon verbringen, vor dem Hintergrund des großen Fackelzugs der Nazis, wirft ein irritierend flackerndes Licht auf die zeitgeschichtlichen Konstellationen. Koenigs Förderer, der Ordinarius Clampe, zitiert einmal Heinrich Heine, der von der „Berserkerwut der Deutschen“ sprach, und verbindet dies mit einem Satz des Oberberserkers der Nazis: „Unser Mitleid muss hygienisch orientiert sein, nicht philosophisch oder sentimental.“ Nach der Lektüre dieses Buches lesen sich auch aktuelle Universitäts-Curricula anders.
HELMUT BÖTTIGER
Hier ist die „Berserkerwut
der Deutschen“ am Werk,
von der Heinrich Heine sprach
Barbara Zoeke:
Die Stunde der Spezialisten. Roman. Die Andere Bibliothek, Berlin 2017. 294 Seiten,
42 Euro.
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"Sie erzählt eine so anrührende wie spannende Geschichte, die sich der Dämonisierung enthält und mit Hannah Arendt die Banalität des Bösen für sich sprechen lässt." Ute Büsing RBB Inforadio 20181029