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Jacob Burckhardt Werke Bd. 28: Geschichte des Revolutionszeitalters / Werke 28 - Burckhardt, Jacob Chr.
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"Ein monumentales Unternehmen, so gründlich wie einladend gestaltet; ein Ereignis." Gustav Seibt, DIE ZEIT Jacob Burckhardt gewinnt in diesem Band erstmals als Zeithistoriker und Analytiker der Französischen Revolution Profil. In seiner berühmten Vorlesung zum Revolutionszeitalter zeigt er die welthistorische Bedeutung dieses historischen Umbruchs auf. Im Geschichtsbild Jacob Burckhardts kommt der Französischen Revolution ein zentraler Stellenwert zu. Sie bildet für ihn den düsteren Auftakt zur Geschichte seiner eigenen Zeit, öffnet dem Historiker aber auch die Augen für die bewegenden Kräfte…mehr

Produktbeschreibung
"Ein monumentales Unternehmen, so gründlich wie einladend gestaltet; ein Ereignis."
Gustav Seibt, DIE ZEIT
Jacob Burckhardt gewinnt in diesem Band erstmals als Zeithistoriker und Analytiker der Französischen Revolution Profil. In seiner berühmten Vorlesung zum Revolutionszeitalter zeigt er die welthistorische Bedeutung dieses historischen Umbruchs auf. Im Geschichtsbild Jacob Burckhardts kommt der Französischen Revolution ein zentraler Stellenwert zu. Sie bildet für ihn den düsteren Auftakt zur Geschichte seiner eigenen Zeit, öffnet dem Historiker aber auch die Augen für die bewegenden Kräfte der Geschichte überhaupt. Der neue Band der Jacob Burckhardt Werke macht erstmals Burckhardts Sicht auf die Französische Revolution zugänglich. Friedrich der Große und Joseph II. werden darin gleichermaßen als revolutionäre Akteure präsentiert wie Mirabeau, Robespierre und schließlich Napoleon.
Die Ausgabe wird von der Jacob Burckhardt-Stiftung, Basel, herausgegeben und gemeinsam von den Verlagen C.H.Beck, München, und Schwabe, Basel, veröffentlicht. Auslieferung über Verlag C.H.Beck.
Autorenporträt
Dr. Wolfgang Hardtwig ist Professor für Neuere Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur Kulturgeschichte der Neuzeit.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.06.2012

Die Griechen sind einfach herrliche Tagediebe
Diesen Täuschern lauscht man gerne: Der neue Band in der Edition von Jacob Burckhardts „Griechischer Culturgeschichte“
Die große Ausgabe der Werke des großen Kulturhistorikers Jacob Burckhardt kommt voran. Auf siebenundzwanzig Bände ist sie angelegt, der zweiundzwanzigste davon soeben erschienen. Ein Projekt von dieser Größenordnung kann nicht von einem Verlag allein gestemmt werden, selbst wenn es sich um C. H. Beck handelt. Um eine so umfangreiche Arbeit so gewissenhaft durchzuführen – der Band enthält nebst 800 Seiten Text noch 600 Seiten Kommentar, Glossar, Register und textkritischen Apparat – mussten sich finanzkräftige Stiftungen wie der Schweizerische Nationalfonds und die Freiwillige Akademische Gesellschaft Basel beteiligen; denn Burckhardt wirkte ja in Basel. Dennoch kostet das Ergebnis noch den nicht unerheblichen Betrag von 248 Euro.
Der neue Band enthält Burckhardts Aufzeichnungen für seine Vorlesung über die Griechen, die er seit 1874 immer wieder hielt; aber das Material, das sich hier türmt, übersteigt alles, was sich in einer Semester-Wochenstunde maximal sagen lässt. Zwischen einem durchlaufenden Text, wie er in den früheren Bänden seiner „Griechischen Culturgeschichte“ zu lesen ist (dieser ist der vierte), und einem bloßen Konvolut von Notizen hält der Band eine immer noch gut und mit Gewinn lesbare Mitte.
Burckhardt breitet einen ungeheuren Materialreichtum aus. Das ist nicht so langweilig, wie es klingt: Denn die antiken Autoren, die Historiker eingeschlossen, erzählen durch die Bank gute und einprägsame Geschichten; die zitierbare Anekdote ist sozusagen ihre Lebensluft, und deswegen werden sie auch nicht um das Ihrige gebracht, wenn man sie in Brocken und Bröckchen bietet. Dabei unterwirft Burckhardt sein Material einem klaren System, dem er die Fülle dienstbar macht.
Ein kleines Kapitel gleich am Anfang befasst sich beispielsweise mit der griechischen Namensgebung. Jacob Burckhardt betont den Unterschied zur Phantasielosigkeit der Römer in diesem Punkt. Namen zu finden kostet die Griechen gar nichts. „Hesiod schüttelt 50 Nereidennamen aus dem Ermel (. . .) die 50 Danaiden und die 50 Aegyptiden, wovon doch 49 sogleich thatlos sterben –“. Es folgt eine Episode vom Komödiendichter Aristophanes, worin ein Mann und eine Frau sich um den Namen ihres Sohns streiten. Der Mann, konservativ gesinnt, möchte ihn nach dem Großvater Pheidonides nennen; „der aristocratischen Mutter aber steckt ein Xanthippos, Charippos, Kallipides im Kopf“ – „hippos“ ist das Pferd, es käme also wahlweise ein strahlendes Pferd, ein anmutiges Pferd und der Abkömmling eines schönen Pferdes heraus –, „endlich vertragen sich beide auf Pheidippides“, der nun sowohl dem Großvater als auch den Rossen ihr Recht lässt. Damit hat der Dichter (und der Gelehrte, der es auffindet und einzeln herausnimmt) mit wenigem sehr viel über die athenische Gesellschaft des 5. Jahrhunderts gesagt: über den Zusammenstoß der Mentalitäten, über ihren Dünkel und ihre geistige Beweglichkeit, im Guten wie im Schlechten. Oder zu den Haartrachten: Ein Mann aus Chios lässt sich das Haar färben. „Als er aber in Sparta auftritt (etwa als Gesandter) sagte Archidamos: dieser trägt die Lügen nicht nur in der Seele, sondern auch auf dem Kopf herum.“ Das charakterisiert die Spartaner in einem Satz.
Kulturgeschichte, das heißt für Burckhardt, dass er als Quelle vor allem die Literatur heranzieht (die bildende Kunst hier weit weniger) und als Ziel die Typisierung anstrebt; die gleichzeitigen archäologischen Aktivitäten eines Schliemann, auf den keins von beiden zutrifft, betrachtet er mit einer gewissen Distanz. Burckhardt gliedert die Epochen der Griechen in den „heroischen“, den „agonalen“ und den „colonialen“ Menschen; er verfolgt, welchen Veränderungen die Wertschätzung der Arbeit oder der Frauen unterliegt (zwiespältiges Resultat: die Stellung der Frau verschlechtert sich mit dem Vordringen der Demokratie); und er liebt seine Griechen gerade in ihrer tiefen Ambivalenz. Mehr als einmal nennt er sie herrliche Tagediebe, die zur praktischen Besserung der Lebensverhältnisse so gut wie nichts und zur Kultur alles beigetragen haben, auf deren wunderbar beredtes Wort man so gern lauscht, aber sich leider nicht verlassen kann. Zur berühmten Rede des Perikles auf die Gefallenen des Peloponnesischen Krieges merkt Burckhardt an: „Wer einen Toast halten will, sollte immer vorher diese Rede lesen. (. . .) So muss zu reden verstehn wer Jahrtausende täuschen will!“ Das Emporblühen der griechischen Polis an hundert Stellen ist bezahlt mit der elendesten Kirchturm- oder besser Akropolis-Politik und großer Grausamkeit im Umgang miteinander, einem mörderischen Aderlass. Burckhardt vergisst nicht zu erwähnen, dass Athen gleichermaßen für den süßesten Honig wie für den tödlichsten Schierling bekannt war.
Burckhardts Held aber ist Alexander der Große: Urgriechisch in seinem maßlosen Vorwärtsstreben und seiner forschenden Neugier, ungriechisch allein darin, dass er Verträge hielt, hängt es ganz allein von ihm ab, dass die griechische Spezialkultur ihre Wirkung auf die ganze Welt zu entfalten vermag. Er leitet das Zeitalter des kosmopolitischen Hellenismus ein. Der Hellenismus wird damals noch einigermaßen misstrauisch als Periode des Niedergangs nach der hohen Zeit der Klassik bewertet; dieser Einschätzung tritt Burckhardt nachdrücklich entgegen, wie das folgende Zitat zeigt:
„Allein wir können wenigstens in Betreff des Hellenismus die Dinge unmöglich anders wünschen als sie geschehen sind. Und hiebei handelt es sich nicht bloß um das Curiositäteninteresse des Historikers. Wir können nicht wünschen, daß statt einer macedonischen Obmacht in Griechenland und Eroberung Persiens etwa eine Überwältigung des entzweiten und zerrütteten Griechenlands durch irgend eine neue barbarische Naturmacht Asiens oder des scythischen Nordens stattgefunden hätte. Wir können nicht wünschen, daß Rom, wie in diesem Falle wohl geschehen wäre, ohne die hellenistische Bildung blieb, denn nur dem Philhellenismus der Römer für ein noch am Leben befindliches Griechenland verdanken wir das Weiterleben der Cultur der ganzen alten Welt. Das hellenisirte Römerthum aber war der unentbehrliche Boden für die Verbreitung des Christenthums. Und das Christenthum, abgesehen von seiner Eigenschaft als Religion, sollte dann die einzige Brücke werden welche die alte Welt mit ihren germanischen Eroberern zu verbinden bestimmt war. In dieser ganzen Kette von Ursachen und Wirkungen aber ist der Hellenismus der wichtigste Ring.“ Ob sich dieses geschichtsphilosophische Modell so halten lässt, darüber kann man diskutieren. An Perspektive fehlt es ihm jedenfalls nicht.
Es wäre schade, wenn diese Ausgabe als ein Werk nur für sprachkundige Fachleute wahrgenommen würde, denn das müsste den Kreis der potenziellen Leser auf weniger als ein Prozent einengen. Am besten hält man fest: Wen die Haupttexte der „Griechischen Culturgeschichte“, „Die Griechen und ihre Götter“ etwa oder „Zur Gesammtbilanz des griechischen Lebens“ ansprechen, der wird auch dieses umfangreiche Seitenstück mögen, das alles noch einmal auf lebendige und abwechslungsreiche Weise erläutert und vertieft. Nicht zuletzt macht das umfangreiche Register es auch zum Nachschlagewerk tauglich.
BURKHARD MÜLLER
JACOB BURCKHARDT: Kritische Gesamtausgabe. Griechische Culturgeschichte. Band IV: Der hellenische Mensch in seiner zeitlichen Entwicklung. Hrsg. von der Jacob Burckhardt-Stiftung Basel. Verlag C. H. Beck, München, und Schwabe Verlag, Basel 2012. 1414 Seiten, 248 Euro.
Er liebte seine zwiespältigen Griechen: JacobBurckhardt.
Abb.: Blanc Kunstverlag
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2010

Wir sind die Woge, die uns trägt

Die Kunst historischer Betrachtung auf einem Höhepunkt: Jacob Burckhardts faszinierende Geschichte des Revolutionszeitalters liegt zum ersten Mal vor.

Der Verfasser der monumentalen Biographie Jacob Burckhardts, Werner Kaegi, hat berichtet, dass dieser, als er zum ersten Mal über das Revolutionszeitalter lesen wollte, einem Freund anvertraut habe, vor der neueren Geschichte seit 1763 - eben dem Revolutionszeitalter - graue es ihm, "aber ich muß doch einmal anbeißen". Die Angst des Historikers vor seinem Gegenstand war untypisch für den Basler Historiker, der sich, ohne gehemmt zu sein, ein ungeheures Pensum aufladen konnte. Das tat er denn auch in diesem Fall.

Insgesamt las Burckhardt diese Vorlesung zwischen 1859 und 1881 zwölfmal. Das Echo war ungewöhnlich groß und reichte weit über den engeren Hörerkreis hinaus. Man hat sie "eine der glanzvollsten und ergreifendsten" seiner Vorlesungen genannt. Aber warum das Grauen und später die Betonung der völligen Unvergleichlichkeit? Anlässlich der Wiederaufnahme im Jahr 1867 bemerkte Burckhardt, dieser Kurs sei wie kein anderer, da er vom Anfang dessen rede, was noch fortwirke und wirken werde, "von dem Weltalter, dessen weitere Entwicklung wir noch nicht kennen".

In jedem Jahr, in dem Burckhardt über das Revolutionszeitalter las, konnte ein Ereignis sich als Urschrift der Revolution entpuppen. Die Illusion der Ruhe nach dem Sturm, die von 1815 bis 1848 geherrscht hatte, war zerstoben. Ob es die Kriege des Zeitalters waren, die Aufstände und cäsaristischen Tendenzen - überall zeigten sich unmittelbare Wirkungen des anfänglichen Geistes der Revolution.

So wird die Gegenwart in Burckhardts Vorlesungen zur Bedrohung in dem Maße, in dem sie die Handschrift einer Vergangenheit zeigt, die ihre gewaltige Wirksamkeit noch nicht verloren hat. Nicht zuletzt in dieser Spannung zwischen Revolutionsgeschichte und Zeitgeschichte ist die Faszination begründet, die von der jetzt erstmals veröffentlichten Vorlesung ausgeht.

Das im Lauf der Jahre angewachsene Konvolut, das Burckhardt seiner Vorlesung zugrunde legte, umfasst rund tausendeinhundert Druckseiten. Aber der Leser ist denn doch überrascht, dass es sich zum größten Teil um Exzerpte handelt. Jacob Burckhardt hat also eine dichte, kompakte Sammlung von Exzerpten vor allem aus der zeitgenössischen historiographischen Literatur angelegt, die der Vorlesung, der Erschließung ihres Gegenstandes, irgendwie dienen sollte. Oder diente diese mächtige Exzerptsammlung in erster Linie der Vorbereitung des Historikers auf sein Thema?

Erstaunlich ist nun, dass der Leser sich dabei ertappen kann, aus dem Text der Exzerpte - soweit es sich nicht um französische oder andere fremdsprachige Zitate handelt - die Stimme des Vortragenden herauszuhören, so subtil und zwingend sind viele der Zitate ineinander verfugt, so genau geben sie dem jeweiligen Ereignis Kontur.

Auch als Exzerpierender ist Burckhardt ein Sonderfall. Es ist nicht zu übersehen, dass er aus Zitaten ein ganz frisches Porträt der zeitgenössischen Revolutionsgeschichtsschreibung malt, mit Alexis de Tocqueville und Hippolyte Taine als Hauptakteuren. Das Konvolut der Exzerpte kann so als ein originärer Text Burckhardts gelesen werden, vor allem aber als Kommentar zur Geschichtsschreibung der Revolution.

Burckhardt hat wohl in diesem Fall wie auch sonst frei gesprochen und die jetzt publizierten Blätter dabei lediglich als Munitionierung und Anregung genutzt. Im Falle der Vorlesung über das Revolutionszeitalter wissen wir über das, was Burckhardt seinen Studenten vorgetragen hat, ganz genau Bescheid, weil vor mehr als dreißig Jahren eine Ausgabe des annähernden Wortlauts der Vorlesung erschienen ist. Man kann nun Burckhardts Studien des Revolutionszeitalters zugleich mit dem Text lesen, der für seine Studenten vorgesehen war.

Zum wichtigsten Bestand der neuen Ausgabe gehören die Einleitungen, die Burckhardt bei Beginn seines Kurses vorgetragen hat und die in immer neuen Anläufen zu erfassen suchen, was die Revolution war und ist. Sie gehören zum Bedeutendsten, was historische Reflexion im neunzehnten Jahrhundert hervorgebracht hat, und sie reichen weit über seine eigene Zeit hinaus, bis ins zwanzigste Jahrhundert.

In der nachrevolutionären Welt sah Burckhardt das "Gefühl des Provisorischen, Hinfälligen und Bedrohten" aufkommen, merkwürdigerweise nicht nur als Unbehagen, sondern auch als Glücksgefühl. Unsicherheit über die Zukunft sei das Kennzeichen der Zeit. Die Zukunft beginne in einem "wenig erfreulichen Licht" zu erscheinen, es komme "die große Daseinsfrage". Von ihr wollen seine Vorlesungen "einige Fäden abwickeln" - wie die Parzen, die den Schicksalsfaden spinnen. Doch hier wird eine Penelope-Arbeit vollbracht, denn zur Daseinsfrage gehört,dass es mit der "unsichtbaren Grundlage unseres Daseins gänzlich dahin" ist.

Dabei hat Burckhardt das Revolutionszeitalter nicht nur negativ bilanziert. Auf der positiven Seite stand, dass die ungeheuren Veränderungen seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts dem historischen Interesse einen unvergleichlichen Auftrieb gaben. Sowohl die weiter zurückliegende Vergangenheit als auch alles, was seit 1789 ans Tageslicht gekommen war, hatte, wie er sich ausdrückte, einen zwingenden Charakter angenommen, dem sich die Zeitgenossen nicht entziehen konnten. Für Burckhardt war Geschichtsschreibung seither etwas anderes geworden.

Seine Formel für das Erkenntnisinteresse des Historikers lautet 1867: "Wir möchten gern die Welle kennen, auf welcher wir im Ozean treiben, allein wir sind diese Welle selbst." Und zwei Jahre später: "Sobald wir uns die Augen ausreiben, bemerken wir freilich, daß wir auf einem mehr oder weniger gebrechlichen Schiff auf einer Million Wogen dahintreiben, welche durch die Revolution in Bewegung gesetzt worden sind. - Wir sind diese Woge selbst." Die vielen Varianten dieses Bildes kulminieren immer in dem "Wir sind diese Woge selbst", das der geschichtlichen Erkenntnis eine nahezu unmögliche Aufgabe überträgt. Denn der um Distanz bemühte Betrachter ist in jedem Augenblick - unabhängig von dem, was er selbst denken möchte - von den Hauptkräften des Geschehens bis in alle Fasern durchdrungen.

Das entscheidend Neue, das mit der Revolution in die Welt kam, war für Burckhardt das grenzenlose "Ändern-Dürfen" und "Ändern-Wollen", zusammenhängend mit der öffentlichen Meinung, die den Völkern neue Leidenschaften eingab, aber auch die Überzeugung von der "höchsten Freiheit des Individuums, bei Allmacht und Allfürsorge des Staates" oder die "allgemeine Berechtigung des Mitstimmens und Mitbestimmens".

Bis in ihre tiefsten Schichten waren die Menschen des Revolutionszeitalters, ob sie wollten oder nicht, durchdrungen von den Überzeugungen, die von 1789 aus den Siegeszug angetreten hatten. Burckhardt sah sogar die innerlich widerstrebenden Individuen in diesem revolutionären Sturm stehen. Damit hat er nicht nur eine Erfahrung erstmals formuliert, die im zwanzigsten Jahrhundert sinnfällig wurde, die der totalitären Überwältigung, sondern durch diesen Fatalismus verlieh er dem historischen Interesse am Ende der Revolutionsperiode ein geradezu existentielles Interesse.

Man wird unter diesen Umständen alles, was Burckhardt über das Glück der Erkenntnis und das Glück in der Revolutionsperiode sagt, als Anrufung eines besseren Geschicks lesen. In der Einleitung zur Vorlesung von 1869 ist Burckhardt sogar so weit gegangen, eine positive Bilanz der Epoche zu ziehen. Auf der Seite des Gewinns sah er die Einsicht in die "rasche Vielgestaltigkeit des neuen Lebens".

Die letzten Generationen hätten "unendlich viel mehr erlebt", neben Staatsumwälzungen "rasche Änderungen der ganzen Sitte, Kultur und Literatur". Und das alles müsse nun zum geistigen Besitz werden. Letztlich waren es Einsichten über die Menschennatur, verknüpft mit der Abkehr vom Rousseauschen Glauben an die "natürliche Güte" des Menschen, von denen er sich Heilung versprechen mochte.

Das dürfte auch der Grund sein, warum Burckhardt die überragende Rolle intellektueller Verantwortung im revolutionären Prozess Rousseau zugewiesen hat. Die vielen Bezugnahmen auf ihn und die mit grundsätzlichen Erwägungen über geistige Kausalität gefüllte Seiten, gehören deshalb wohl zu den intensivsten Passagen der Vorlesungen. Aus der vermeintlichen Güte der Menschennatur lässt er vor dem Hintergrund des allgegenwärtigen Verdachts die Schreckensmänner hervorgehen - allen voran Marat - und mit ihnen den Umschlag ins Böse.

HENNING RITTER.

Jacob Burckhardt: "Geschichte des Revolutionszeitalters". Aus dem Nachlass herausgegeben von Wolfgang Hardtwig, Simon Kießling, Bernd Klesmann, Philip Müller und Ernst Ziegler. Verlag C. H. Beck, München, und Schwabe, Basel, 2009. 1683 S., geb., 268,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Mit Freuden zeigt Henning Ritter die nun zum ersten Mal vollständig vorliegende Vorlesung "Geschichte des Revolutionszeitalters" an, eine Vorlesung, die Jacob Burckhardt zwischen 1859 und 1881 insgesamt zwölf Mal hielt. Während der Wortlaut der Vorlesung, den die Studenten von Burckhardt in jenen Jahren zu hören bekamen, vor mehr als 30 Jahren publiziert wurde, liegt nun erstmals das gesamte, im Lauf der Jahren immer mehr angewachsene Textkonvolut vor, das dem Basler Historiker als Grundlage diente, erklärt der Rezensent. Sehr überrascht stellt Ritter fest, dass es sich dabei vor allem um Exzerpte zeitgenössischer historiografischer Literatur handelt, deren Zusammenstellung er gleichwohl - zumindest wenn es sich um deutschsprachige Zitate handelt -  den spezifischen Burckhardt-Ton abzulauschen vermeint. Insbesondere die Einleitungen, mit denen Burckhardt seine Vorlesungen eröffnet und in denen er nicht nur immer aufs Neue zu fassen sucht, was das Wesen des Revolutionszeitalters ausmacht, sondern wie es in seine eigene Zeit hinein wirkt, findet der Rezensent sehr aufschlussreich. Der Historiker sah mit der Revolution sowohl Unsicherheit als auch "Glücksgefühl" aufkommen, wobei er der Geschichtsschreibung die unmögliche Aufgabe zuschrieb, mit dem Zeitalter der Revolution etwas zu beschreiben, an dem sie selbst noch Anteil hatte, so Ritter.

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