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Erstmals im deutschsprachigen Raum werden in diesem repräsentativen Reader Arbeiten von Harry G. Frankfurt publiziert, dessen Überlegungen bedeutsam wurden für nicht-utilitaristische Werttheorien, für die Ethik der Fürsorge bzw. der Tugendethik, aber auch für die moderne Rationalitätstheorie. Freiheit und Determinismus sind miteinander vereinbar - diese Auffassung vertritt Frankfurt nachdrücklich. Zunächst entwickelte er ein hierarchisches Modell des Wünschens und arbeitete eine philosophische Begründung für das Argument aus, daß die Bedingung, jemand hätte anders handeln können, keine…mehr

Produktbeschreibung
Erstmals im deutschsprachigen Raum werden in diesem repräsentativen Reader Arbeiten von Harry G. Frankfurt publiziert, dessen Überlegungen bedeutsam wurden für nicht-utilitaristische Werttheorien, für die Ethik der Fürsorge bzw. der Tugendethik, aber auch für die moderne Rationalitätstheorie. Freiheit und Determinismus sind miteinander vereinbar - diese Auffassung vertritt Frankfurt nachdrücklich. Zunächst entwickelte er ein hierarchisches Modell des Wünschens und arbeitete eine philosophische Begründung für das Argument aus, daß die Bedingung, jemand hätte anders handeln können, keine notwendige Bedingung für Freiheit und Verantwortung bildet. In seinen neuesten Arbeiten entwirft er ein umfassenderes Konzept der Selbstbestimmung und der Rationalität, wobei er sein früheres Wunschmodell ersetzt durch ein erweitertes hierarchisches Modell fundamentaler Einstellungen, zu denen neben Wünschen nunmehr auch Überzeugungen und Emotionen zählen, die sich daher zugleich auf Konzeptionen unseres Charakters und unserer Integrität richten.
Autorenporträt
Harry G. Frankfurt, geboren 1929, lehrte Philosophie u.a. in Cornell, Oxford und Yale. Seit 1990 ist er Professor für Philosophie an der Universität von Princeton. Er ist Träger zahlreicher Auszeichnungen und Mitglied der American Academy of Arts and Sciences.Monika Betzler studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Geschichte an der Universität München sowie an der Université Lyon II. Promotion 1992, Master of Public Administration MPA an der Harvard University 1996, Habilitation in Philosophie 2005. Seit 2006 ist sie Professorin für Philosophie mit Schwerpunkt praktische Philosophie an der Universität Bern und seit 2012 Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Bioethik im Außerhumanbereich. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Moralpsychologie, Handlungstheorie, Theorien praktischer Vernunft, normative Ethik
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.10.2001

Frei zu sein bedarf es wenig
Trotz Genetik: Harry G. Frankfurt traut uns die Autonomie zu

Die Stoiker haben sich von der Freiheit der Menschen wahrlich keine übertriebenen Vorstellungen gemacht: Menschliche Freiheit, so ein berühmtes Gleichnis Chrysipps, unterscheide sich nicht wesentlich von der eines Hundes, der, an eine Wagenachse gebunden, nur die Wahl habe, entweder dem Wagen aus freien Stücken zu folgen oder mitgeschleift zu werden. Im letzten Fall wird ihn das Gefühl erfüllen, von einer fremden Macht gezwungen worden zu sein, ihm ersten Fall jedoch wird er sich frei vorkommen. Natürlich hatte der Hund keine Alternative: ob er wollte oder nicht, er mußte dem Wagen folgen. Aber wer sagt denn, daß man nur dann frei ist, wenn man auch hätte anders handeln können?

Dieses Freiheitsverständnis ist zwar weit verbreitet, dürfte auch den Intuitionen des Gemeinverstandes entsprechen, aber deswegen muß es ja nicht auch schon richtig sein. Die Stoiker waren Fatalisten und von einer durchgängigen kausalen Bestimmtheit aller natürlichen Ereignisse und menschlicher Angelegenheiten überzeugt. Das Walten des Fatums kennt keine Nischen, in denen sich ein mit Alternativen jonglierender Wille einnisten könnte. Nur durch Aneignung des über ihn Verhängten kann der Mensch den Bann des Zwangs brechen und Freiheit erleben.

Auch Kant ist ein entschiedener Gegner des Alternativismus. Das Sittengesetz ist keine Alternative; gerade in der Anerkennung seiner Alternativenlosigkeit bezeugt der Mensch die unbegreifliche Existenz einer sich dem Determinismus entziehenden, gleichwohl mit ihm verträglichen Freiheit. In der gegenwärtigen Diskussion ist es vor allem Harry G. Frankfurt, der die skeptische Einstellung gegen den freiheitstheoretischen Alternativismus aufgreift und ein Freiheitsverständnis verteidigt, das sich von der Bedingung existierender Handlungsalternativen freimacht. Seine zentrale These ist personentheoretischer Natur und stützt sich auf die Annahme unterschiedlicher Willensebenen.

Menschen hasten nicht von Handlung zu Handlung, von Situation zu Situation. Sie sind nicht an den "Pflock des Augenblicks" (Nietzsche) gefesselt. Sie haben eine Vorstellung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und verfügen über eine vorausschauend-besorgende Vernunft. Dabei erschöpft sich ihr Streben nicht in der bloßen Abfolge einander ablösender Wunschsequenzen. Denn Menschen sind ihrem Wollen gegenüber nicht neutral. Sie verfügen zumeist über hinreichend genaue Vorstellungen, wie ihr Wollen aussehen soll. Sie unterscheiden richtiges und falsches Wollen. Sie haben Wollensideale, die sie als Werkzeuge der Selbstbewertung verwenden. Wenn sie wollen können, wie sie wollen möchten, dann sind sie in Übereinstimmung mit sich selbst, dann fühlen sie sich in sich selbst zu Hause, dann sind sie frei.

Wer bewacht die Wächter?

Frankfurt begreift Willensfreiheit nach dem Vorbild der Handlungsfreiheit. Bedeutet letztere, das zu tun, was man tun möchte, so bedeutet erstere, das zu wollen, was man wollen möchte. Ermangeln wir der Freiheit im Handeln, wenn wir zu etwas gezwungen werden, was wir nicht wollen, so ermangeln wir in genauer Analogie hierzu der Freiheit im Wollen, wenn wir unseren Vorstellungen von einem richtigen Wollen in unseren tatsächlichen Willensbildungen nicht gerecht werden. Insoweit beruft sich auch Peter Bieri in seinem jüngsten Buch "Das Handwerk der Freiheit" (F.A.Z. vom 9. Oktober) ausdrücklich auf Harry Frankfurt. Während die Ursache der Handlungsunfreiheit unseren Handlungen äußerlich ist, ist die Ursache unserer Willensunfreiheit in uns selbst zu suchen. Allein wir sind laut Frankfurt dafür verantwortlich zu machen, wenn wir unsere Willensbildungen der ersten Stufe nicht mit unseren Willensidealen der zweiten Stufe in Übereinstimmung bringen können.

Hierarchien sind trügerisch; das Problem, das zu lösen sie bestimmt sind, ist hartnäckig und stellt sich stets von neuem. Wer eigentlich bewacht die Wächter? Benötigt Frankfurt nicht eine dritte Volitionsebene, um die Wünsche der zweiten Ebene zu beurteilen und zu bewerten? Und muß er danach nicht auch eine vierte und fünfte fordern? Die Regreßgefahr, die mit dem Hierarchiemodell verbunden ist, läßt sich nur bannen, wenn die Wünsche der zweiten Stufe die höchsten Wünsche einer Person sind. Ein oberster Wunsch ist nach Frankfurt dadurch ausgezeichnet, daß die Person, die ihn hat, sich mit ihm identifiziert. Aber eine Person identifiziert sich nicht mit ihren obersten Wünschen, eine Person ist ihre obersten Wünsche. Sie definieren die Wichtigkeitsgrammatik der Person, das, was sie für gut und erstrebenswert hält; sie bestimmen ihre Bewertungsstandards und ihre Beurteilungsperspektiven. In ihnen spiegelt sich das, was man früher, bevor die analytische Handlungs- und Bewußtseinstheorie den Geist atomisiert und sein Leben pointilliert hatte, Charakter nannte.

Frankfurt ist kein Cartesianer. Seine Person ist kein Selbst, das sich auf dem Markt der Ideale und Wichtigkeiten nach Laune oder nach Maßgabe moralischer Prinzipien bedient. Die Fähigkeit zur Reflexion, von der die Person Gebrauch macht, impliziert weder die Bedingung voraussetzungsloser Selbstwahl noch die Unterwerfung der Willensideale unter allgemein zustimmungsfähige Rationalitätsstandards. Frankfurts Willensfreiheit ist gänzlich unabhängig von der moralischen Qualität der Wünsche zweiter Ordnung. Personalität erschließt sich für ihn nicht über Vernunft- und Moralfähigkeit, sondern über die lebensethischen Wichtigkeiten, durch deren Anerkennung sich Personen ihre Identität verschaffen, die für sie die Muster des für sie richtigen Wollens und Fühlens enthalten.

Willensfreiheitstheoretiker sind entweder Originalisten oder Hypoleptiker. Originalisten verlangen die ausschließliche Verfügung über den Anfang und Ursprung der Willensbildungen, fordern zumindest die ausschließliche Motivierbarkeit durch moralische Gründe. In der Moralphilosophie Kants hat der Originalismus seine reinste Ausprägung gefunden. Hier lassen sich auch die Schwierigkeiten gut studieren, die mit dem Originalismus verbunden sind, hat er doch beträchtliche Mühe, seinen kausal relevanten Freiheitsursprung mit dem Determinismus zu versöhnen. Kein Wunder, daß er eine Schwäche für extravagante Ontologien entwickelt und einer Notwendigkeitswelt eine Freiheitswelt zur Seite stellt.

Meine Sucht gehört mir

Diese Probleme hat der Hypoleptiker nicht. Er knüpft an Vorgegebenes an und richtet sich in der kausalen Unvermeidlichkeit kommod ein. Denn er hat es ja nicht nötig, determinismusverschonte Seinsreservate ausfindig zu machen, in denen sich die Willensfreiheit ansiedeln läßt. Er wendet sich von außen nach innen, vom Objektiven zum Subjektiven. Freiheit wird nicht zu einer ontologischen Bewandtnis, sondern zu einer psychologischen Beschaffenheit. Das einzige, das er unterstellen muß, ist die Fähigkeit zur Selbstbewertung. Und diese Unterstellung ist mit keinem metaphysischen Risiko verbunden.

Willensfreiheit herrscht nach Frankfurt, wenn Personen ihr Wollen erster Stufe und ihr Wollen zweiter Stufe in Übereinstimmung bringen, wenn zwischen den handlungswirksamen Volitionen und ihren charakterverankerten Willensidealen Harmonie besteht. Das ist genuiner Stoizismus. Freiheit zeigt sich in der Weise, wie wir uns zu den inneren und äußeren Umständen unseres Handlungslebens verhalten. Der, der sein Wollen will, ist frei. Auch, wenn dieses Wollen determiniert ist, seine Bekräftigung durch das Wollen zweiter Ebene adelt es, befreit es vom Stigma des Heteronomen. Und selbst wenn die das Wollen zweiter Ebene strukturierenden Grundwünsche ihrerseits nicht autonom ausgebildet worden sind, sondern von der Person als unverantwortetes Identitätssubstrat, als Auswirkung eines Gemenges aus Genetik und Sozialisation vorgefunden wurden, gilt, daß sie gleichwohl Freiheit tragen können. Denn Freiheit ist nichts anderes als innere Selbstübereinstimmung; und damit diese stattfinden kann, ist es nicht erforderlich, daß die beiden Volitionsebenen ihrerseits autonom gebildet worden sind.

Wantons nennt Frankfurt die subpersonalen Wesen, die ausschließlich durch ihre ersten Wünsche bestimmt werden. Sie sind Appetitionsautomaten, die nicht die reflexive Distanz zu sich aufbringen können, um die Gegenwart ihrer Begierden einer kritischen Bewertung zu unterziehen, die nicht in der Lage sind, sich zu sich zu verhalten. Freilich, sollte ein Wanton Frankfurts einschlägige Aufsätze in die Hände bekommen, könnte er sich leicht in eine Person verwandeln, ohne sein Verhaltensrepertoire auch nur um ein Jota verändern zu müssen. Er müßte nur seine Getriebenheit mit dem Ausrufezeichen des Gewolltseins versehen. So würde dann aus dem "Es ist süchtig" ein "Ich bin süchtig und will meine Sucht".

Der schwerwiegendste Einwand gegen den Utilitarismus lautet, daß eine Moralkonzeption nicht richtig sein kann, die für jedes moralische Problem eine Lösung parat hat. Liest man die freiheits- und personentheoretischen Essays Frankfurts, dann kommen ähnliche Bedenken: An einer Willensfreiheitskonzeption kann irgend etwas nicht stimmen, wenn sie sich so widerstandslos jedem denkbaren Manipulationsszenario anschmiegt.

Verfügbare Unverfügbarkeit

Nicht nur bieten Sozialisationsvorgaben kein Willensfreiheitsrisiko, auch genetische Umschöpfungen irritieren die Frankfurtsche Konzeption nicht. Würde sein Zweiebenenmodell die ganze Landschaft der Willensfreiheit ausmessen, dann wäre sicherlich jeder Versuch unsinnig, die Freiheit des Menschen so eng mit der Unverfügbarkeit der menschlichen Natur zu verknüpfen, daß genetische Manipulation als Verletzung der Grundlagen der Freiheit abgewiesen werden könnte.

Eine letzte Bemerkung zu der Einführung der beiden Herausgeberinnen. Frankfurt hat Besseres verdient. Ohne jeden philosophischen Witz wird in zwei Aufsätzen von dürftigem Niveau eine Handvoll analytischer Diskussionsspäne auf einem Teller ausgebreitet, dessen Rand den Autorinnen offenkundig völlig unsichtbar bleibt. Eine kundige Einordnung der Konzeption Frankfurts in die Geschichte und den systematischen Problemkontext der Willensfreiheit fehlt. Bedauerlicherweise wird damit den philosophisch Interessierten, die nicht dem analytischen Diskussionsmilieu verhaftet sind, der Zugang zu einer inspirierenden und herausforderungsvollen Konzeption unnötig versperrt.

WOLFGANG KERSTING

Harry G. Frankfurt: "Freiheit und Selbstbestimmung". Ausgewählte Texte. Herausgegeben von Monika Betzler und Barbara Guckes. Polis, Band 3. Akademie Verlag, Berlin 2001. XII, 235 S., br., 48,50 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der Rezensent Dieter Thomä versucht in seiner Besprechung, den "Paukenschlag" in der Philosophie zu erklären, zu dem der Aufsatz von Harry G. Frankfurt "Willensfreiheit und der Begriff der Person" 1971 geführt hatte. Frankfurt habe damals versucht, Freiheit neu zu definieren und diese nicht auf Einzelentscheidungen zu begrenzen, sondern auf einer zweiten Ebene der Wünsche und Wertungen zu lokalisieren. Der neu erschienene Band "Freiheit und Selbstbestimmung" versammle Texte aus den Jahren 1969- 1999 darunter auch besagten Aufsatz zur Willensfreiheit. Nach Frankfurt verwandle sich Freiheit von einer selbstbestimmten Handlung zur "Qualität eines seelischen Zustands". Die Probleme einer solchen Definition sieht Thomä in der Ausblendung der sozialen Zusammenhänge als Hintergrund für Identitätsbildung. Verwundert zeigt sich der Rezensent auch darüber, dass die Herausgeberinnen, weniger in die Aufsatzsammlung einführten, sondern sich vielmehr als "mind guards" aufführten, die "schwerwiegende Einwände", wie Thomä die Herausgeberinnen zitiert, vortragen würden. Dennoch solle man sich dadurch nicht von der Lektüre Frankfurts selbst abschrecken lassen.

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