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Neapel, Italien: Rosa spricht zu ihrer eben verstorbenen Mutter Vincenzina. Und sie erzählt: Wie Vincenzina, eine Analphabetin vom Land, in die Großstadt flieht und Rafele trifft, den Sprössling einer großbürgerlichen Familie. Mitten in den Kriegstrümmern blüht eine verbotene Liebe auf. Rafeles Mutter bietet ihr Geld an, um sie für den zurückgenommenen Heiratsantrag zu entschädigen - und sie loszuwerden. Doch Vincenzina bleibt an Rafeles Seite, der sie mit seinen Affären zur Verzweiflung treibt. Ist das Liebe? Oder ein Fluch, der über Generationen hinweg bestehen bleibt? Wanda Marascos…mehr

Produktbeschreibung
Neapel, Italien: Rosa spricht zu ihrer eben verstorbenen Mutter Vincenzina. Und sie erzählt: Wie Vincenzina, eine Analphabetin vom Land, in die Großstadt flieht und Rafele trifft, den Sprössling einer großbürgerlichen Familie. Mitten in den Kriegstrümmern blüht eine verbotene Liebe auf. Rafeles Mutter bietet ihr Geld an, um sie für den zurückgenommenen Heiratsantrag zu entschädigen - und sie loszuwerden. Doch Vincenzina bleibt an Rafeles Seite, der sie mit seinen Affären zur Verzweiflung treibt. Ist das Liebe? Oder ein Fluch, der über Generationen hinweg bestehen bleibt? Wanda Marascos Familiensaga ist eine literarische Sensation, selten hat man die Seele einer Stadt, in der Schönheit und Hölle nebeneinanderstehen, so zauberhaft erzählt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Wanda Marasco wurde 1953 in Neapel geboren, wo sie heute als Schriftstellerin und Theaterregisseurin lebt. Am Hügel von Capodimonte ist ihr erster Roman in deutscher Übersetzung. Er stand 2017 auf der Shortlist des Premio Strega.
Rezensionen
"Die expressionistisch verknappte, sinnenoffene, gedankensprunghafte Prosa der Wanda Marasco erfasst Neapels Stimmen, Farben, Gerüche, Schatten und taucht sie in ein ständig wechselndes, zwischen dämonischen Schrecken und moribunder Schönheit changierendes Licht. Neapel sehen und sterben? Neapel lesen und staunen!" Andreas Rossmann, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.11.18

"Wanda Marasco tastet sich ins Innere Neapels vor und fängt den magisch schönen, grausamen Charakter der Stadt und ihrer Bewohner ein." Maike Albath, Süddeutsche Zeitung, 11.08.18

"Der bitter-poetische Neapel-Roman von Wanda Marasco entwirft ein großartiges und zugleich beklemmendes Panorama der Stadt am Vesuv. Virtuos erzählt die Autorin die Geschichten der Neapolitaner. (...) Was in den Büchern der weltberühmten Elena Ferrante als immens detailliertes, konventionelles Zeitpanorama erscheint, wird bei Wanda Marasco sprachakrobatisch und mit originellen Metaphern zu filigranen Miniaturen verdichtet." Franz Haas, Neue Zürcher Zeitung, 28.07.18

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.08.2018

Zimmer aus Asche
Wanda Marasco tastet sich ins Innere Neapels vor und fängt den magisch schönen, grausamen Charakter der Stadt und ihrer Bewohner ein
Neapel ist ein Körper. Ein räudiger, schwitzender, faulender, stinkender Körper, und die Eingeweide sind die winzigen Erdgeschosswohnungen, Bassi genannt, in denen die ärmsten Familien hausen. Rosa muss als Dreizehnjährige ihre frisch verwitwete Mutter Vincenzina Umbriello dorthin begleiten und notieren, wer welche Schulden hat, was beglichen wurde, wie hoch die Zinsen sind und welche Summen noch fehlen. Der Wucherer, für den sie unterwegs ist, wird im Viertel verachtet, aber Vincenzina sieht keine andere Möglichkeit. Sie kommt aus einer armen Bauernfamilie, und die Schwiegereltern haben ihrem Sohn die Ehe mit ihr nie verziehen.
Unter den Bewohnern der Bassi sind das Mannweib Tetella, die Schmugglerin Sisina, der mädchenhafte Mariomaria und der Jäger Sepe, der bei der amerikanischen Flugabwehr war. Ein ums andere Mal hört die heranwachsende Rosa Geschichten von Gewalt und Tod, die sie bis in den Schlaf verfolgen.
Die Neapolitanerin Wanda Marasco, Jahrgang 1953, hat sich als Dramatikerin, Lyrikerin und Romanautorin einen Namen gemacht, war im Brotberuf viele Jahre lang Lehrerin in der Peripherie der Stadt. Große Aufmerksamkeit fand ihr Buch über den berserkerhaft-volkstümlichen Künstler Vincenzo Gemito. In ihrem Roman „Am Hügel des Capodimonte“, der in die Endauswahl des wichtigsten italienischen Literaturpreises Premio Strega 2017 kam, kreist sie um eine Kindheit in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Den Rahmen bildet Vincenzinas Tod: Ihre Tochter Rosa gibt der Sterbenden ein letztes Mal etwas zu trinken, harrt gemeinsam mit der rumänischen Pflegerin am Bett aus, wäscht dann den Leichnam und kleidet ihn an. Während dieser Prozeduren spricht die Ich-Erzählerin die Mutter immer wieder direkt an und erweckt in kurzen Kapiteln die Vergangenheit schubweise zum Leben.
Zuerst wird die – nur erahnte – Geschichte der beiden Herkunftsfamilien aufgefädelt, die Gewalttaten auf dem Dorf, der ermordete Großvater, das Schicksal der Tante Iolanda, die im Irrenhaus landete. Genauso furchteinflößend ist der Arzthaushalt, aus dem ihr Vater Rafele stammt: großbürgerlich, aber geknechtet von der Mutter Lisuccia, die in der Trauer um den Verlust ihrer Tochter gefangen ist und damit alle anderen terrorisiert.
Gegen den Wunsch der Familie hält Rafele sein Wort, heiratet Vincenzina und bezieht mit ihr den obersten Stock im Vico Unghiato. Von dort aus klettert seine Frau später den Capodimonte hinunter zu den Bassi. Die eigentliche Heldin der pulsierenden Bildergalerie Marascos ist die Stadt selbst. Ein bisschen wähnt man sich wie auf einem Gemälde von Bosch – Höllenfratzen blitzen auf, Gesichter aus Albträumen, Getier, Gewimmel, Zwangsvorstellungen, von denen vor allem die Frauen heimgesucht werden, vermittelt in einer wuchernden, lyrisch-expressionistischen Sprache.
Neapel ragt bis in den Satzbau hinein; sein poröser Charakter lagert sich in flackernden Bildern ab. Da ist von „Lichtspielstrahlen“ und „Sonnenfäden“ an den Handgelenken der Eltern die Rede und von Buchstaben, die „zerquetschte Würmer“ sind. Rosa betritt in einem Basso zwei „Zimmer aus Asche“, die Luft zischt „wie ein Schuss heißes Öl“. Manchmal sind die Vergleiche forciert, aber die Autorin macht den triebhaften Charakter des Milieus auch über ihre Stilmittel sinnfällig.
Wanda Marasco knüpft an eine lange Tradition an. Schon 1884 hatte die Journalistin und Schriftstellerin Matilde Serao vom „Bauch von Neapel“ gesprochen und in ihren Reportagen die schimmelnden Bassi beschrieben. Curzio Malaparte setzte in „Die Haut“ (1949) mit seinen Schilderungen eines Mannes, der in einem der Untergeschosse das jungfräuliche Geschlecht seiner Tochter den amerikanischen Soldaten zum Betasten feilbietet, gezielt auf grelle Effekte und die Mystifizierung des Obszönen. Näher an der Wirklichkeit war zweifellos der Besatzungsoffizier Norman Lewis mit seinem faszinierenden Lagebericht in „Neapel ’44“ (1978). Bei Marasco schimmert vor allem die legendäre Schriftstellerin Anna Maria Ortese durch: Sowohl, was das Sujet betrifft und die Empfänglichkeit für den gewitzten Überlebenswillen der Armen, als auch, was den Geschmack an einer barocken Erzählweise angeht. Ihr Stationendrama, das eine Art Stabat Mater ist und mit der Eröffnungsszene der sterbenden Mutter auf die neapolitanische Statue des „Cristo Velato“ von Giuseppe Sanmartino anspielt, hat mit der weltweit erfolgreichen, schmissigen Neapel-Tetralogie von Elena Ferrante kaum etwas zu tun.
Wanda Marasco verzichtet auf einen eingängigen Handlungsfaden und setzt auf eine theatralische Inszenierung von Räumen und Licht. Ihr Roman weist eine ausgefeilte Metaphorik von oben und unten auf, jeder Gang über die Treppe hinunter zu den dunklen Bassi und wieder hinauf markiert einen Wendepunkt. Während die Frauen nie ihre vitale Zähigkeit verlieren, sind die Männerfiguren von Schwäche gekennzeichnet: entweder konfliktscheu und angepasst, wie Rafeles Vater, oder bequem und triebgesteuert, wie Rafele selbst. Auch die Mutter ist eine ambivalente Figur und keine Mater Dolorosa. Sie schlägt ihre Kinder und schikaniert sie. Das Verschattete von Vincenzina lässt die Autorin im Nachnamen ihrer Heldin anklingen, Umbriella, in dem das italienische Wort ombra mitschwingt. Marascos Roman ist auch ein Versuch, dem schattenhafte Dasein der armen Neapolitaner Ausdruck zu verleihen. Die Schriftstellerin kennt die Mühseligen und Beladenen Neapels wohl besser als ihr jüngerer Kollege Roberto Saviano, denn sie hat in Scampia, wo Saviano für seinen dokumentarischen Roman über die Camorra „Gomorrha“ recherchierte, jahrelang als Lehrerin gearbeitet. Mit „Am Hügel von Capodimonte“ schreibt sie die unendlichen, immerwährenden Erzählungen über den magischen, schönen und grausamen Charakter der Stadt fort.
MAIKE ALBATH
Wanda Marasco: Am Hügel von Capodimonte. Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Annette Kopetzki. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2018. 238 Seiten, 22 Euro.
Man wähnt sich wie
auf einem Gemälde von Bosch,
Höllenfratzen blitzen auf
Die Stadt ist ein räudiger Körper. Wanda Marasco hat am Rande Neapels als Lehrerin gearbeitet.
Foto: mauritius images
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Andreas Rossmann schwelgt in dem Neapel-Bild, das Wanda Marasco für ihn viel weniger konventionell zeichnet als Elena Ferrante. Genaue Beobachtung der Figuren, Stimmen, Gerüche und Farben, eine Darstellung von Lebensgeschichten in Szenen, Miniaturen, Ahnungen und Alpträumen sowie die knappe, sprunghafte Prosa überzeugen Rossmann. Die Lebensrückschau der Erzählerin am Totenbett der Mutter wird für ihn zum Mosaik einer rohen Wirklichkeit, die sich bei Marasco zwar nicht zum Epochengemälde rundet, Zeitgeschichte und Politik weitgehend ausspart, aber dafür umso mehr die morbide Schönheit der Stadt und ihrer Bewohner einfängt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2018

Auf den Rundgängen durch die Hölle
Neapel für Fortgeschrittene: Wanda Marascos Roman "Am Hügel von Capodimonte" zersetzt das Postkartenidyll

"Neapel sehen und sterben". Das geflügelte Wort wird auch in diesem Roman aufgerufen und nimmt eine eigenwillige Wendung. Wanda Marasco lässt gleich auf der ersten Seite ihre Kunst des genauen Beobachtens aufblitzen, wenn die Ich-Erzählerin Rosa verstohlen "die Spuren aller abgeschlossenen Handlungen auf dem Körper" von Vincenzina Umbriello beobachtet, "die zu einer vollendeten Stille verstrickten Haare, die mit einem undurchdringlichen Sprühregen gefüllten Augen, die zwischen zwei Hautrinnen eingezwängten Lippen". Späte, heimliche Annäherung an die Mutter, die im Sterben liegt.

Es gibt in der europäischen Gegenwartsliteratur kaum eine Stadt, in der sich Leser so gut auskennen können, nicht erst Elena Ferrantes vierbändige "Neapolitanische Saga" über die Freundinnen Lila und Lenù lädt dazu ein. Auch wer nie über die Via Toledo gebummelt, in die Buchläden an der Port'Alba getreten oder zum Nationalmuseum im Königsschloss auf den Capodimonte gepilgert ist, kann hier bewandert sein.

Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg, seit dem Schocker "Die Haut" von Curzio Malaparte hat die "einheimische" Literatur die Postkartenansicht, die vor allem ausländische Schriftsteller von der Stadt am Golf malten, gründlich zersetzt, und doch bauen etwa Erri De Luca, Diego De Silva und Roberto Saviano sehr verschiedene Textstädte, denen Wanda Marasco eine weitere hinzufügt. Der deutsche Titel holt den Leser bei seinen Ortskenntnissen ab: Aus "La compagnia delle anime finte" (Die Gemeinschaft der falschen Seelen) ist - in der vielstimmigen Übersetzung von Annette Kopetzki - "Am Hügel von Capodimonte" geworden.

Vico Unghiato 53, dritter Stock. Diese Adresse im Rione Sanità setzt Anfang und Ende. "Trink, Ma, trink", sind "letzte Worte", die Rosa an Vincenzina richtet, um dann doch noch einmal das Gespräch mit ihr zu suchen. Zu spät. "Es ist vorbei. Signora ist gestorben", sagt Carmen, die rumänische Pflegekraft, 220 Seiten später, als Rosas Geschwister Lisa, Nando und Giulietta sowie ihre Kinder Chiara und Giuseppe ans Totenbett treten. Ein Augenblick, vielleicht auch ein paar Stunden liegen dazwischen. Und ein ganzes Leben, dessen sich die verwitwete Tochter zu vergewissern versucht: "Ich weiß nicht, ob dies deine wahre Geschichte ist, aber ich lerne gerade, eine zu konstruieren, die dir ähnelt." Der Versuch gerät zu einem prosaischen "stabat mater". Manchmal erzählt Vincenzina auch selbst. In Neapel sprechen auch die Toten.

"Auf dem Körper ist das Muster der Gassen zurückgeblieben, durch das wir gemeinsam gegangen sind, Basso für Basso, ebenerdige Wohnlöcher." Die Mutter, von der Stadt gezeichnet, wird zu deren Allegorie, denn die Tochter löst den Abdruck auf in Geschichten. Sie hält sich zunächst an die eigene Biographie, angefangen bei dem Schulausflug in den Untergrund, den Nunziata, ihr verrückter Lehrer, in der vierten Grundschulklasse unternahm, sie nimmt Spuren auf, gräbt in der Zeit. Ein kleines Porträtfoto - "Für Rafele, Oktober 1947" - gibt Zeugnis: Im März 1946 war Vincenzina, als sie Schutz vor dem Regen suchte, Raffaele Maiorana begegnet, da hatte ihre Mutter Adelì die Siebzehnjährige gerade aus Villaricca in die große Stadt geschickt, wo sie in der Via Duomo als Hausmädchen arbeitet. Sein Lächeln, zwei Goldzähne, und es ist um sie geschehen. Eine Klassenliebe, gegen die Ordnung.

Als Rafele erkennen muss, dass seine Familie Vincenzina nicht akzeptieren wird, retten ihre grobschlächtigen Brüder ihre Ehre: Sie drohen mit Prügeln, und der Arztsohn, der es nur zum Buchhalter gebracht hat, heiratet die arme Schönheit vom Land.

Anrede und Reflexion. "Hörst du mich, Ma? Das ist die Geschichte, die in der Welt war, bevor ich geboren wurde." Rosa reimt sich zusammen, wie die Eltern sich kennenlernten, und verfolgt deren ungleiche Herkunft: In dem Elf-Zimmer-Palazzo neben dem Dom regiert Lisa, die mit dem gutmütig-schwachen Chirurgen Ennio verheiratet und seit dem Kindstod ihrer Tochter Filomena verbittert ist, mit ähnlich eiserner Hand wie in Villaricca Adelì, die mit neun Kindern in einem "großen Raum mit angrenzendem Klo, Kochstelle und Stall an der Hinterseite" haust. Ihr "hurender" Mann Biasino wird auf frischer Tat ermordet, ihrer schönsten Tochter zerschneidet sie das blaue Kleid mit dem weich fallenden Glockenrock, woraufhin Iolanda nicht an der Seite eines stattlichen Offiziers, sondern im Irrenhaus landet.

Neapel nach dem Krieg, zwei Familien, gesellschaftliche Schranken und Ausbruchversuche - die thematischen Parallelen zu Elena Ferrante sind offenkundig, aber der Vergleich stutzt den Welterfolg zur konventionellen Erzählkunst. Wanda Marasco, die 1953 in Neapel geboren wurde, Philosophie und danach Theaterregie studiert sowie lange als Lehrerin gearbeitet hat, rollt kein Epochengemälde auf. In dichten, mosaikartig gefügten Szenen und Miniaturen, Ahnungen und Albträumen, Kindheitsängsten und Familientragödien komponiert sie das Bild einer Lebenswirklichkeit, die von Vitalität und Verrohung, Glaube und Gewalt bestimmt und zerrissen wird.

Politik und Zeitgeschichte kommen nur am Rande vor, Wirtschaftsboom und Democrazia Cristiana, De Gasperi, Saragat, Andreotti. Doch die Perspektive weitet sich. Die Wege durchs Viertel, die tratschenden "Hauskrähen" auf der Treppe, Unglücksraben und schräge Vögel, Begegnungen und Schicksalsschläge: Rafele stirbt einen langen Leberkrebstod, die Behandlung kostet so viel, dass Vincenzina danach für den mafiösen Geldverleiher Musca arbeiten und die kleine Rosa, weil sie rechnen kann, sie "auf den Rundgängen durch die Hölle, auf der Spirale der Wohnlöcher" begleiten muss.

Erniedrigte und Beleidigte, "verquere Menschen und schiefe Wohnungen": Die Schmugglerin Sisina, die Klavierlehrerin Capece, die, Knaben und süßen Likören zugetan, sich erhängt, der Transsexuelle Mariomaria, die einfältige Emilia, die vergewaltigt wird, die vernachlässigte Halbwaise Annarella, die sich im Wald von Capodimonte mit dem Frisör trifft, der Jäger Sepe, der sich, verarmt und traumatisiert, an seinen Kriegserinnerungen wärmt. Bis Musca, nachdem sein Capo gestorben ist, auf der Treppe einem Herzinfarkt erliegt, weil keiner Erste Hilfe leistet.

Die Lebensgeschichten konfrontieren mit der bedrängenden Gegenwart einer alten Stadt, die archaische Sitten und überlieferte Zwänge im Chaos gefangen halten. Die expressionistisch verknappte, sinnenoffene, gedankensprunghafte Prosa der Wanda Marasco erfasst ihre Stimmen, Farben, Gerüche, Schatten und taucht sie in ein ständig wechselndes, zwischen dämonischen Schrecken und moribunder Schönheit changierendes Licht. Neapel sehen und sterben? Neapel lesen und staunen!

ANDREAS ROSSMANN

Wanda Marasco: "Am Hügel von Capodimonte". Roman.

Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki. Zsolnay Verlag, Wien 2018. 240 S., geb., 22,- [Euro].

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