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Dreh- und Angelpunkt von Georges Perecs Kultklassiker ist ein Pariser Mietshaus, das in 99 Kapiteln ebenso viele Zimmer vorstellt, und deren exakt 1467 Figuren zählendes Personal (Bewohner und Besucher, Vorgänger und Liebhaber, Verwandte und Verflossene...) an einem Roman sondergleichen weben, an Romanen im Plural. Unwiderstehlich hineingezogen in ergreifende, tragische, witzige, unwahrscheinliche, verrückte Erzählungen lesen wir von Einsamkeit und Verstrickung, Scheitern und Glück und dabei stets große Literatur. Das Leben. Gebrauchsanweisung entwirft ein kaleidoskopisches Panorama, ein kunstvoll gestaltetes Puzzle der menschlichen Existenz. …mehr

Produktbeschreibung
Dreh- und Angelpunkt von Georges Perecs Kultklassiker ist ein Pariser Mietshaus, das in 99 Kapiteln ebenso viele Zimmer vorstellt, und deren exakt 1467 Figuren zählendes Personal (Bewohner und Besucher, Vorgänger und Liebhaber, Verwandte und Verflossene...) an einem Roman sondergleichen weben, an Romanen im Plural. Unwiderstehlich hineingezogen in ergreifende, tragische, witzige, unwahrscheinliche, verrückte Erzählungen lesen wir von Einsamkeit und Verstrickung, Scheitern und Glück und dabei stets große Literatur. Das Leben. Gebrauchsanweisung entwirft ein kaleidoskopisches Panorama, ein kunstvoll gestaltetes Puzzle der menschlichen Existenz.
Autorenporträt
Georges Perec war einer der wichtigsten Vertreter der französischen Nachkriegsliteratur und Filmemacher. Als Sohn polnischer Juden musste Perec als Kind die deutsche Besetzung Frankreichs miterleben. Sein Vater fiel 1940 als Freiwilliger in der französischen Armee, seine Mutter wurde 1943 nach Auschwitz verschleppt. Kurz vor ihrer Verhaftung konnte sie ihren Sohn mit einem Zug des Roten Kreuzes aufs Land schicken und ihm so das Leben retten. 1967 trat Perec der literarischen Bewegung Oulipo bei, die Raymond Queneau ins Leben gerufen hatte. Das Kürzel Oulipo steht für »L' Ouvroir de Littérature Potentielle«, d.h. »Werkstatt für Potentielle Literatur«. Die Schriftsteller von Oulipo, die aus dem »Collège de Pataphysique«, surrealistischen Gruppierungen oder dem Kollektiv »Nicolas Bourbaki« stammten, erlegten ihren Werken bestimmte literarische oder mathematische Zwänge auf, etwa den Verzicht auf bestimmte Buchstaben. Perecs Werk »Anton Voyls Fortgang« kommt so ganz und gar ohne den Buchstaben E aus. In den 70er Jahren begann Perec ebenfalls mit Erfolg Filme zu drehen. Kurz vor seinem 46. Geburtstag starb Georges Perec an Lungenkrebs.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Fast schon feierlich liest sich Stefan Zweifels große Besprechung dieses im Grunde unübersetzbaren "Grab- und Mahnmals einer radikalen Literatur-Literatur", das seine Existenz im Deutschen nur der "Sprachspielmacht" von Pérecs deutschem Übersetzer Eugen Helmlé und natürlich dem Engagement des kleinen Diaphanes Verlags verdanke. Zweifel lässt noch einmal Revue passieren, wie Pérec, der seine Mutter in Auschwitz verlor, sich selbst strikteste sprachliche Zwänge auferlegte, um seine Romane zu schaffen: Romane ohne den Buchstaben E oder im Gegenteil mit dem E als einzigem Vokal. Der vorliegende Roman aber, so Zweifel, basiert auf einem noch viel komplexeren Regelwerk, das zum Bedauern des Kritikers aber weder in der französischen noch in der deutschen Ausgabe offengelegt wird. So irrt er fasziniert durch das Labyrinth des in dem Roman geschilderten Hauses und das Leben eines Künstlers, der das Verschwinden seines Werks praktiziert und von der "zweckfreien Vollkommenheit des Nutzlosen" träumt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.12.2017

Das fehlende Puzzlestück
Endlich auf Deutsch wieder da: Georges Perecs mathematisch-magisches Hauptwerk
„Das Leben Gebrauchsanweisung“ kombiniert die strenge Regel und den Zufall
VON STEFAN ZWEIFEL
Mir träumte, Georges Perec sei drei Jahre alt und käme mich besuchen. Ich umarmte ihn, ich küsste ihn, und während er mit der Achterbahn von Astroland fuhr, sprach ich zu mir selbst: Ich bin zwar ein Taugenichts, aber um auf dich aufzupassen, dazu reicht es noch, niemand wird dir etwas antun, niemand wird versuchen, dich zu töten. Dann begann es zu regnen, und wir gingen still nach Hause. Aber wo war unser Zuhause?“ Roberto Bolaño brachte diesen Traum zu Papier im Jahr 2000 zu Papier, während der Arbeit an „2666“, seinem letzten Roman, der so etwas wie das letzte Aufbäumen einer Avantgarde darstellt, die 1978 in Georges Perecs Roman über ein Haus in Paris gegipfelt hatte. Dieses Haus ragte als Grab- und Mahnmal einer radikalen Literatur-Literatur ins Unbehauste jenes Himmels, vor dem man den kleinen Georges Perec, dieses von seiner Mutter verlassene Kind, hätte beschützen wollen: Weht nicht aus Perecs gigantischen literarischen Experimentalbauten eine kalte Wehmut herüber, die all sein Sprachwitz nicht überspielen kann?
In der Literatur gibt es immer wieder solche Aufstiege (oder Abstiege?) ins Absolute. Der Weltgeist scheint in ihrem Rhythmus zu schreiten, von Homers Irrfahrten durch die Fremde ins Eigene über Dantes Höllensturz, der aus den Kerkern des Marquis de Sade ins aktuelle „Me too“ wetterleuchtet, von Rimbauds Schweigen bis hin zu diesem Roman, der auf dem komplexesten mathematischen Regelwerk gründet, das je für ein literarisches Werk geschaffen wurde. Die französische Reihe Pléiade reiht gerade mit dem reich bebilderten „Album Perec“ und einer zweibändigen textkritischen Ausgabe den Autor unter die Klassiker. In Deutschland hat der Verlag Diaphanes Perec in elf Editionen wieder ins Bewusstsein gehoben. Dies dank der außerordentlichen Sprachspielmacht seines Übersetzers Eugen Helmlé, der Perecs Wagnisse – darunter einen Roman ohne ein einziges „e“ und, als Gegenstück, einen Roman mit dem „e“ als einzigem Vokal – über den Rhein des Vergessens trug.
Ein letztes Mal noch sah Georges Perec als kleines Kind seine Mutter am Bahnhof Gare de Lyon, bevor sie nach Deutschland transportiert und in Auschwitz vergast wurde, wie er in seinem Roman „W oder die Kindheit“ berichtet. Die Sehnsucht nach der verschwundenen Mutter hat kein Autor je mit so verzweifelter Verspieltheit in Worte gefasst wie er. Als sein Kriminalroman „La disparition“ (deutsch: „Anton Voyls Fortgang“) erschien, fand so mancher Kritiker, der Plot sei unverständlich: Ohne zu merken, dass im ganzen Buch nicht nur der Protagonist Anton Voyl, sondern mit ihm auch ein Vokal, eine „voyelle“, verschwunden war: das „e“. Mit unvorstellbarer Virtuosität hatte Perec einen Krimi geschrieben, in dem die Leiche ein Buchstabe ist. Eben das „e“.
Diesem Sprachvirtuosen haben nach seinem Tod 1982 immer mehr Leser und Autoren nachgetrauert, von Paul Auster bis Marcel Beyer. Roberto Bolaño meinte, nun sei nur noch eine „Aprèsgarde“ möglich. Sie habe die Errungenschaften der Avantgarde gegen die Wiederkunft von Balzacs Romanprinzip und gegen den allgegenwärtigen Plattsinn des Plots unter amerikanischer Hegemonie zu verteidigen.
Das Kindheitstrauma überwand Perec durch drei Psychoanalysen bei Koryphäen wie Françoise Dolto oder J. B. Pontalis, der den Fall Perec in „L’amour des commencements“ umschrieb. Als Autor aber fand er die Rettung nicht in der freien Assoziation, wie sie Freud oder die Surrealisten gestaltet hatten, sondern auf paradoxe Weise im Regelzwang. Der Literat wird zur Ratte, die aus dem selbstgewählten Labyrinth einen Ausweg sucht.
Nach Perecs Tod fand man in seinem Nachlass Hunderte Seiten, in denen er das Regelwerk seines Meisterstücks festlegte: das Leben als Gebrauchsanweisung. Zunächst stößt man auf Skizzen mit jeweils zehn Farben, Gesten, Möbeln oder Zitaten aus der Weltliteratur, die auf algorithmische Weise kombiniert werden, um für jedes Kapitel 42 Schlüsselworte festzulegen, um die sich das jeweilige Kapitel ranken muss. Diese Zwänge, dachte Perec, engen die Fantasie nicht ein, sondern entfesseln sie. So sei eine programmatische Notiz Friedrich Nietzsches zu verwirklichen: „Literatur des 20. Jahrhunderts: verrückt und mathematisch zugleich, analytisch-fantastisch: die Dinge wichtiger und im Vordergrund, nicht mehr die Wesen; ... mehr von der Geschichte im Kopfe erzählend als von der im Herzen.“
In einem Pariser Mietshaus überkreuzen sich, von Zimmer zu Zimmer, vom Keller über den Aufzug bis unters Dach, die Spuren eines Kunst-Projektes, das am Ende keine Spur mehr hinterlassen sollte: in 500 Aquarellen, die der exzentrische Millionär Bartlebooth in 500 Häfen malte, bevor er sie von Gaspard Winckler, einem Meister des Puzzles, zerschneiden ließ, um sie je und je zusammenzusetzen. Zuletzt sollten sie, ins Wasser des Vergessens getaucht, wieder ganz weiß werden und vor dem Hafen ihres Ursprungs versenkt werden. Doch Winckler, der sein Leben diesem Werk ohne Werk widmet, stirbt über dem letzten Teil des 439. Puzzles, das nicht die fehlende Form eines „x“ aufweist, sondern des „w“. Wieder einmal verhindert das Verschwinden der Mutter – die Lücke der Trauer – die Vollendung eines Meisterwerks, das uns vor der Trauer des Unvollendeten retten soll.
Das Puzzle ist kein einsames Spiel – man spielt immer gegen den Puzzlebauer. Auch das Lesen ist kein einsames Spiel. Man spielt immer mit dem Autor. Doch soll man seine Regeln befolgen? Sie veröffentlichen? Die Pléiade-Edition verzichtet genauso wie die neue deutsche Edition auf eine Offenlegung der Regeln. Schade.
Nur nach und nach erschließt sich der verrätselte Plot. Man verliert sich in Binnengeschichten, die durch Jahrhunderte irrlichtern, und ahnt, dass hier wie in Raymond Roussels „Locus Solus“ willkürlichen Strukturprinzipien herrschen. Die Listen all der Dinge, die in den Zimmern vom Leben ihrer Mieter zeugen, führen zuweilen zu abstrusen Imaginationen, zuweilen in die Ödnis des Enzyklopädischen. Bald fragt man sich: Wie soll man das Buch lesen? Von A bis Z, oder indem man dem Zufallsprinzip folgt und einfach irgendwo anfängt, um im Nirgendwo zu enden? Beginnt man im Kapitel 87, kann man eine feinsinnige Analyse des Kunstsystems von heute erkennen. Die Marvel-House-Compagnie plant, ein Netz von 24 Hotels über den Globus zu ziehen, in dem die Zimmer mit Kunstwerken verziert werden sollten. Ein Kritiker wird mit dem Auftrag betraut. Schon lässt jeder Galeriebesuch dieses Kritikers die Preise der ausgestellten Künstler in den Himmel schießen.
Doch Bartlebooth, dessen Name an Melvilles Figur „Bartleby“ und dessen „I would prefer not to“ erinnert, wehrt sich, langsam erblindend, gegen den Zugriff des Marktes und versenkt seine letzten Werke nicht mehr in Hafengewässern, sondern schickt sie in eine Müllverbrennungsanlage. „Er wollte, dass das ganze Projekt sich von selbst wieder schließt, ohne Spuren zu hinterlassen, wie ein Ölmeer, das sich über einem ertrinkenden Mann schließt, er wollte, dass nichts, aber absolut nichts davon übrig bleibt, dass nichts anderes als die Leere daraus hervorgehe, das makellose Weiß des Nichts, die zweckfreie Vollkommenheit des Nutzlosen.“
Georges Perec führt uns an nur einem Tag, am 23. Juni 1975, in einer gigantischen Momentaufnahme durch alle Zimmer des Hauses. Der Leser verfolgt diese Schilderung, als wäre er ein Archäologe, der die Spuren einer vergangenen Zivilisation zusammenträgt – und sich selbst darin findet und verfehlt. Liest er von einer Badewanne, wird er daran gemahnt, wer hier schon einmal badete. Folgt er diesem Gedanken, wird er zu bildlichen Reflexionen darüber verleitet, was ihn mit den anderen Bewohnern verbindet. Und je intensiver er sich damit beschäftigt, desto mehr wird er zum Erfinder eines neuen Ich, das ein anderer ist, ein anderer, dessen Umrisse sich in ein großes Ganzes fügen, das nie zur Ruhe kommt, in dem immer ein letztes Puzzlestück fehlt. So trägt ein jeder von uns Perecs Lücke durch das Leben.
Perecs winzige Wohnung in Paris wurde vor Kurzem für 745 500 Euro zum Kauf angeboten. Wer die Gelegenheit nicht hatte, einen solchen Fetisch der Avantgarde zu erwerben, kann sich mit diesem Buch trösten. In ihm und unserer eigenen Fantasie finden wir jenes Zuhause, in dem sich das träumende Ich Bolaños mit dem unbehausten Perec einnisten wollte.
Georges Perec: Das Leben Gebrauchsanweisung. Aus dem Französischen von Eugen Helmlé. Diaphanes Verlag, Berlin 2017. 848 Seiten, 25 Euro.
Diesem Sprachvirtuosen haben
nach seinem Tod immer mehr
Leser und Autoren nachgetrauert
Vor Kurzem wurde Perecs winzige
Wohnung in Paris für 745 500 Euro
zum Kauf angeboten
Zwänge engen die Fantasie nicht ein, sondern entfesseln sie ins Unberechenbare: Georges Perec im Jahr 1978.
Foto: Gamma-Rapho/Getty Images
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»Ein Buch, das man jedes Jahr mindestens einmal lesen sollte.« Harry Rowohlt