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180 Kilometer wandert Paul Scraton entlang der Berliner Stadtgrenze. Die Lesenden folgen den Wegen des Wahlberliners, die sie entlang der Trennungslinie zwischen Stadt und Land führen. Scraton beschreibt die Außenbezirke, die niemanden interessieren, über die sonst niemand ein Wort verliert, außer, dass es dort grau und trostlos sei. Doch gerade in den unscheinbarsten Ecken, sei es in der Gropiusstadt, in Spandau oder Tegel, entdeckt er eine Vielfalt an Geschichten und Geschichte, die selbst er nicht für möglich gehalten hätte. Am noch immer nicht fertiggestellten Berliner Flughafen, an den…mehr

Produktbeschreibung
180 Kilometer wandert Paul Scraton entlang der Berliner Stadtgrenze. Die Lesenden folgen den Wegen des Wahlberliners, die sie entlang der Trennungslinie zwischen Stadt und Land führen. Scraton beschreibt die Außenbezirke, die niemanden interessieren, über die sonst niemand ein Wort verliert, außer, dass es dort grau und trostlos sei. Doch gerade in den unscheinbarsten Ecken, sei es in der Gropiusstadt, in Spandau oder Tegel, entdeckt er eine Vielfalt an Geschichten und Geschichte, die selbst er nicht für möglich gehalten hätte. Am noch immer nicht fertiggestellten Berliner Flughafen, an den Hinterausgängen von Megamärkten und Outlet-Centern, den ausgedehnten Industriebrachen, zwischen den sporadischen Flüchtlingsunterkünften des 21. Jahrhunderts, und den halb zerfallenen Gedenktafeln für an der Mauer Gestorbene - überall findet er Erstaunliches und vitales Treiben. Dieses Buch ist nicht nur eines über die »Brücke der Spione«, über den Bauern Qualitz, der im November 1989 aus lauter Trotz die Mauer in Lübars mit dem eigenen Traktor einriss, und über die Häuser der Wannseekonferenz, sondern auch eine Reflexion über unser Verhältnis zu genau jenen Gegenden, die wir schon gar nicht mehr zur Stadt dazu zählen, eine Hymne auf die Grenzregionen und eine Erkundung des eigenenUmlands.
Autorenporträt
Paul Scraton, geboren 1979 in Lancashire, studierte International Studies an der University of Leeds, bevor er 2001 nach Berlin zog. Er ist Herausgeber des Magazins Elsewhere und Autor mehrerer Bücher über verschiedene Landstriche in Deutschland. Auf Englisch erschienen u. a. Erzählungen über Berlin sowie seine Erkundungen der Ostseeküste: Ghosts on the Shore. Travels Along Germany's Baltic Coast (2017).    
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.06.2020

Den Tellerrand entlang
Paul Scraton umrundet in
zehn Spaziergängen seine
Wahlheimat Berlin. Ein
Abenteuer im Grenzgebiet
Den Tellerrand habe er lange nicht im Blick gehabt, schreibt Paul Scraton in seinem Berlin-Buch „Am Rand“. Als er vor 15 Jahren in die Stadt gezogen sei, habe er sich anfangs natürlich einen intensiven Eindruck von ihr verschafft, von den zentralen Vierteln – und habe sich dann über den Tellerrand hinaus orientiert ins Umland. Aber die Grenze selbst, all die „Orte, die nicht mehr ganz zur Stadt gehörten, aber auch noch nicht ländlich waren“, hat der Engländer lange ignoriert.
Die Idee, Berlin an seiner Peripherie in zehn Spaziergängen zu umrunden, ist in ihm gereift angesichts der Brexit-Entwicklung. Scraton fühlt sich von seiner Heimat zunehmend ausgestoßen, als Europäer, als den er sich begreift. In der deutschen Hauptstadt sei er aber nur Wahl-Berliner. Das Gefühl, mehr über Berlin wissen zu müssen, um enger dazuzugehören, sei immer stärker geworden. Und so ist er im Spätwinter und Frühling des letzten Jahres jede Woche einmal mit öffentlichen Verkehrsmitteln an den Stadtrand gefahren und von dort zu Fuß losgelaufen. Jeder Spaziergang begann dort, wo der vorherige geendet hatte. Rund 180 Kilometer war der 40-Jährige insgesamt unterwegs, im Uhrzeigersinn rund um die Hauptstadt. Begonnen hat er an der Greenwichpromenade am Tegel-See; für einen Engländer ein naheliegender Gedanke, diese Promenade gewissermaßen als den Nullmeridian seiner Umrundung zu wählen, die immer wieder auch entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze führt.
Stellenweise ist das kein Revier für Fußgänger: Die Peripherie ist die Zone der Ausfallstraßen und Autobahnkreuze, auch der Gefängnisse, Schrottplätze, Kläranlagen und Müllhalden. Ein Bezirk des „Ausrangierten und Weggeworfenen“. Paul Scraton schreibt einmal vom Treibgut, das in den Außenbezirken strandet, und von dem nicht immer ganz klar ist, von welcher Seite es angeschwemmt wird. Einerseits. Andererseits befinden sich in den Randbezirken, vor allem im ehemaligen Ostteil der Stadt, sechs Großwohnsiedlungen, etwa Neu-Hohenschönhausen, Marzahn und die Gropiusstadt, in denen rund ein Zehntel aller Berliner leben. Und auch die Villensiedlungen am Griebnitzsee sowie der Wannsee, der in den Jahrzehnten der Teilung die einzige wirklich zugängliche ländliche Gegend für Westberliner war, die sie ohne Flugzeug, Eisenbahn oder eine Autofahrt über DDR-Transitstrecken erreichen konnten.
„Am Rand“ ist ein Buch über sehr unterschiedliche Milieus und Soziotope, auch eines über die Geschichte der Stadterweiterungen. Ohne darüber selbst auszuufern. Scraton untersucht den Charakter der „Zwischenstädte“, wie er sie nennt, die ohne Hoch- und Massenkultur auskommen, die aber keineswegs schon der umliegenden Provinz zugerechnet werden können. Er streift durch sogenannte Edgelands, verborgene Winkel, die vor allem Jugendliche für sich erobern und die es an der Peripherie häufiger gibt als im Zentrum – das ist von seiner Route oft viele Kilometer entfernt, manchmal nur eine Ahnung am Horizont. Aber das eine wäre ohne das andere nicht zu haben: Die Peripherie ist für sich genommen nicht eigenständig genug, beherbergt jedoch wesentliche Teile der städtischen Infrastruktur.
STEFAN FISCHER
Paul Scraton: Am Rand. Um ganz Berlin.
Aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer.
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2020. 208 Seiten, 22 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Peter Geimer bekommt Lust, die Ränder der Städte zu erkunden mit Paul Scratons Buch. Der Autor versteht es laut Rezensent, abseits von Berlins quirliger Mitte auf Spannendes zu stoßen, auf Füchse und Hühner, Traktoren, Sofas und ausrangierte Flugzeuge. Oder auf Otto Lilienthals Hügel. Dass die urbanen Randzonen voller Überraschungen sind, kann der Autor vermitteln, versichert Geimer, der Scraton bereitwillig folgt - nach Gropiusstadt, in Schrebergärten, nach Spandau und Köpenick. Und noch etwas stellt Geimer beim Lesen entzückt fest: Die Zeit scheint an den Rändern langsamer zu vergehen, zumindest, wenn Scraton, der selbstredend zu Fuß unterwegs ist, ihr in Text und Fotografie begegnet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2020

Und oben kreist der Rotmilan

In Tagesmärschen die Peripherie entlang: Paul Scraton erkundet zu Fuß das Berliner Umland.

Die Zentren unserer Städte, so hat Roland Barthes vor einem halben Jahrhundert geschrieben, seien "durch Fülle gekennzeichnet". In ihnen sammeln und verdichten sich die Werte der Zivilisation - das Geld mit den Banken, die Ware mit den Kaufhäusern, die Spiritualität mit den Kirchen. "Ins Zentrum gehen heißt, die soziale ,Wahrheit' treffen, heißt an der großartigen Fülle der ,Realität' teilhaben." Zur Wirklichkeit der Städte gehören aber auch ihre Ränder, die Peripherie, an der die urbane Dichte zerfranst und sich mit der Topographie des Umlands vermischt.

Neben Architekten und Stadtplanern haben immer wieder auch Schriftsteller diese Zwischenorte aufgesucht, Peter Handke etwa, der einige seiner Erzählungen in der "Niemandsbucht" am Rand von Paris ansiedelt, oder Marcel Beyer, dessen Erzähler es einmal aus der Mitte Dresdens in eine Plattenbausiedlung verschlägt, wo neben Altglascontainern ausrangierte Polstermöbel unter freiem Himmel stehen.

Am Beispiel Berlins hat sich nun der englische Sachbuchautor und Schriftsteller Paul Scraton dieser urbanen Randzonen angenommen. Es ist ein Vergnügen, in einem Berlin-Buch einmal nichts vom Puls der Zeit und den trendbewussten Bewohnern dieser Stadt zu lesen, sondern vom Leben an ihren Rändern - von den Straßendörfern im Norden, den Bewohnern der Großsiedlung Gropiusstadt, von Datschengärten mit Badewannen und ausgeschlachteten Motorrädern. In zehn Kapiteln berichtet der Autor von seinen Tagesreisen, beginnend an einem Januartag an der Uferpromenade des Tegeler Sees über Ahrensfelde, Köpenick, Wannsee und Spandau bis an den Ausgangspunkt zurück.

Seit im neunzehnten Jahrhundert die Eisenbahn und später S- und U-Bahn das Berliner Umland erschlossen, hat die Stadt sich kontinuierlich ausgedehnt und ehemals eigenständige Gemeinden in sich aufgenommen. Scraton trifft noch heute auf Wohnkomplexe, die auf Google Maps nicht verzeichnet sind. Ihre Bewohner haben in den Gärten Trampoline und Schaukeln aufgestellt, und man ahnt, dass ihnen das Leben im Zentrum der Stadt genauso randständig und fern erscheinen muss wie umgekehrt den Innenstadtbewohnern die Peripherie.

Auch scheint es, als vergehe die Zeit an den Rändern langsamer, wenn Scraton etwa die Vorstadtgärten am Tegeler Fließ beschreibt und daran erinnert, dass vor elftausend Jahren hier zweimal im Jahr Rentiere den Flusslauf überquerten. In den gängigen Reiseführern kommen diese Orte nicht vor. Scraton gelingt es, Aufmerksamkeit für solche vermeintlichen Leerstellen zu erzeugen. In Marzahn entziffert er den stummen Dialog, den zwei Graffiti-Sprayer auf einer Wasserrohrleitung entlang des Flüsschens Wuhle miteinander geführt haben, in Lichtenrade führt sein Weg an einem kegelförmigen Hügel vorbei, von dem aus Otto Lilienthal seine ersten Flugversuche unternommen hat.

In Tegel stößt Scraton an einem Waldsaum auf eine ausrangierte Boeing 707, jene vor fünfzig Jahren von der palästinensischen Volksfront entführte Maschine, die heute am Rande des Flugfelds sich selbst überlassen ist. Zu seinen Begleitern gehören immer wieder die Tiere der Stadt, ein Fuchs, der in Hohenschönhausen seinen Weg kreuzt, Scharen von Nebelkrähen, Schafe, Hühner und ein Rotmilan, der einsam über der ehemaligen Zonengrenze kreist.

Scratons Buch ist nicht zuletzt eine Hommage an das Gehen. "Ich hegte auf meinen Spaziergängen um Berlin herum allmählich den Verdacht, dass die Menschen, die die Entwicklungen am Stadtrand am besten verstehen, diejenigen sind, die mit ihren Hunden Gassi gehen." Der Autor weiß, dass man zu Fuß unterwegs sein muss, wenn man die unmerklichen Übergänge im Erscheinungsbild einer Stadt oder auch nur die Nuancen des Wetters im Verlauf eines Tages erfassen will. Das Gehen, schreibt er, "macht aus dem Spaziergänger ein Politikum, vor allem an den Orten wie den Zufahrtsstraßen zu Flughäfen, an denen es keine Fußwege gibt, oder den ehemals öffentlichen Orten, die privatisiert wurden".

So führt der Weg des Autors über Trampelpfade, an Bahntrassen und Waldrändern entlang, in Gebiete, in die man ausgelagert hat, wofür es im Zentrum keinen Platz gibt. "Wollen Sie ein Sofa kaufen?", fragt den Autor einmal ein Unbekannter im Brachland unweit eines Einkaufszentrums und weist ihm freundlich den Weg in das nahe gelegene Waltersdorf.

Der Text flacht nur dort gelegentlich ab, wo der Autor vom aufmerksamen Schauen und Beschreiben abkommt und in ein allgemeines Räsonieren gerät oder historisches Lexikonwissen referiert. Aber rasch findet er zu seinen Beobachtungen zurück und beweist ein besonderes Gespür für die Peripherie als Schauplatz unerwarteter Brüche und Vermischungen: In Marienfelde findet er sich unweit eines Gewerbegebiets mit Automatenspielcasino plötzlich auf einer kopfsteingepflasterten Dorfstraße wieder. "Ein Traktor rollte aus der Einfahrt eines Hofes heraus. Wo war das Feld, zu dem er unterwegs war?" Versehen mit Fotografien des Autors und in der klaren Übersetzung von Ulrike Kretschmer macht dieses Buch Lust, sich aufzumachen und an die Ränder zu gehen, ganz gleich, in welcher Stadt man zu Hause ist.

PETER GEIMER

Paul Scraton: "Am Rand". Um ganz Berlin.

Aus dem Englischen von Ulrike Kretschmer. Matthes & Seitz Verlag,

Berlin 2020. 208 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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