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Ein Orchester kommt bei einem Busunglück um, nur der Schlagzeuger überlebt und erfüllt den Auftrag allein: die Insassen einer Nervenklinik mit dem kollektiven Erlebnis der Musik aus dem individuellen Wahnsinn zu erlösen. Ein Mädchen steht am Fenster und beobachtet auf der Straße zwei Küssende, den Stein in der Hand, mit dem es die beiden zerschmettern will.Ein Unglück, auf das die Betroffenen nicht reagieren; kryptische Geschehnisse, in deren Zentrum das hinterrücks hereinfahrende Böse steht; Töten, ohne zu wissen, warum: um diese unheimlichen Erfahrungen kreisen die 27 kurzen Prosastücke des…mehr

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Produktbeschreibung
Ein Orchester kommt bei einem Busunglück um, nur der Schlagzeuger überlebt und erfüllt den Auftrag allein: die Insassen einer Nervenklinik mit dem kollektiven Erlebnis der Musik aus dem individuellen Wahnsinn zu erlösen. Ein Mädchen steht am Fenster und beobachtet auf der Straße zwei Küssende, den Stein in der Hand, mit dem es die beiden zerschmettern will.Ein Unglück, auf das die Betroffenen nicht reagieren; kryptische Geschehnisse, in deren Zentrum das hinterrücks hereinfahrende Böse steht; Töten, ohne zu wissen, warum: um diese unheimlichen Erfahrungen kreisen die 27 kurzen Prosastücke des Bandes. Die Normalität, in der wir leben, erscheint als Insel in einem Meer aus Hass, Brutalität und Paranoia.László Darvasi, der Erkunder des Unbegreiflichen, hat früh die Novelle als Form entdeckt, in der seine Kunst der Verrätselung und Verdichtung ihren stärksten Ausdruck findet. Unbeirrt nimmt sein Erzähler den Menschen in den Blick, der seine Wünsche und Handlungen selbst nicht versteht. Darvasis Geschöpfe wirken wie Verzauberte, die zur schönsten, verrücktesten Liebestat und zum entsetzlichsten Verbrechen fähig sind. Es ist die Sprachmacht des Autors, seine buchstäblich bodenlose Phantasie, die aus den abwegigsten, albtraumhaften Szenerien Texte erstehen lässt, die mit ihrer Lakonie und berückenden Schönheit fesseln.
Autorenporträt
Darvasi, LászlóLászló Darvasi, 1962 in Törökszentmiklós geboren, war Lehrer und debütierte mit Gedichten und Kurzprosa. Spätestens seit seinem Roman Die Legende von den Tränengauklern (1999; dt. 2001) gilt der vielfach ausgezeichnete Autor als einer der originellsten Schriftsteller seiner Generation. Er lebt in Budapest.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.01.2017

Schlafwandeln in Ungarn
László Darvasis Novellensammlung "Wintermorgen"

Wer hätte gedacht, dass sich die Novelle, zwischen Slow-Motion-Lebensmitschriften und geschwätzig ausufernden Blogs, gerade heute als quicklebendige und höchst zeitgemäße Gattung erweist? Der ungarische Erzähler, Lyriker und Kolumnist László Darvasi hat ihre konzentrierte Schicksalsgebundenheit schon am Anfang seines Schreibens für sich entdeckt und ist inzwischen ein Meister dieser Form. Seine schnörkellosen und lakonischen Geschichten treffen den Leser mit ihrer tiefen Wahrheit wie ein unerwarteter rechter Haken. Sie sind melancholisch und traurig, oft auch tragisch - und haben doch einen besonderen Dreh ins Komische oder Groteske, der zum Lachen verführt. So wie Franz Kafka oder Beckett gelacht haben beim Schreiben - dieser Aspekt, er hat es in Interviews betont, ist dem Autor wichtig.

"Wintermorgen" heißt die Sammlung auf Deutsch, auf Ungarisch heißt sie "Gott. Heimat. Familie", wobei das letzte Wort abgekürzt ist und so auch "jemanden betrügen" heißen kann. Alle Geschichten spielen im heutigen, desorientierten und wütenden Ungarn, in armen Dörfern, auf grau-verhangenen Landstraßen oder in struppigen Kleinstädten, und sie erzählen von der Verrohung, Einsamkeit und Lebensgier ihrer Bewohner. Darvasis Figuren verstehen sich selbst nicht, sie wissen nicht, wonach sie sich sehnen, und sie werden von der Mordlust, die sie plötzlich überfällt, genauso überrascht wie ihre Opfer. Alle Beteiligten wirken wie Träumer oder Schlafwandler, die zur zärtlichsten, verrücktesten Liebestat genauso fähig sind wie zum entsetzlichsten Verbrechen, und oft geht das eine ins andere über.

Der Autor lässt seine Figuren ins größtmögliche Unglück laufen, um ihnen dann doch noch eine Chance zu geben - und sei es auch nur die eines würdigen Todes: Der gelähmte, stumme Alte, den sein Sohn kurzerhand auf dem Markt verkauft, erlebt eine makabre Odyssee als Leihbettler und Kunstinstallation, landet im Gefängnis und wird von einem gnädigen Zellengenossen sanft ermordet. Die Überlebenden dieser Katastrophen machen einfach weiter, es bleibt ihnen ja auch nichts weiter übrig, und manchmal erleben sie ein unerwartetes Glück, wie in Becketts "Glückliche Tage": Ein Bibliothekar, den das Amt vergessen hat und der aus Not mitsamt Hund in seine Bücherei gezogen ist, tötet den Hund einer Besucherin. Zuletzt wärmen sich beide aneinander, ihre ausgestopften Hunde auf der Couch neben sich.

Aus Nichtigkeiten und Leerstellen lässt Darvasi in jeder Geschichte eine präzise umrissene Welt aufscheinen. "Luxemburg", eine der schönsten und traurigsten Geschichten, handelt von einem tödlichen Arbeitsunfall in einer brutal modernisierten Fabrik. Die Witwe holt, als einziges Überbleibsel, das Radio ihres Mannes und schenkt es dem alten, versoffenen Pförtner - man konnte damit Radio Luxemburg empfangen. Das frühere, sozialistische Elend scheint durch die Risse eines neuen Elends, nichts ist leichter oder schwerer geworden, nur die Jahre sind vergangen. Diese Geschichten sind (mit einer Ausnahme) nicht explizit politisch und sind es doch: Umbrüche und bizarre Machtverhältnisse lassen die Menschen verzweifeln.

"Um auch noch etwas über Literatur zu sagen" heißt die letzte Geschichte, die auf dem Land spielt. Hier tritt zum ersten Mal ein erzählendes "Ich" auf, das in Form einer philosophischen Parabel, die den Hallraum für alles Vorhergehende bildet, vom Schicksalsbesuch eines Sohnes bei seinem Vater berichtet. Der alte Bauer will alle Birken ringsum fällen, weil sie tanzen und das Licht reflektieren. Und während beide in der Küche sitzen und trinken, rasselt der Hund mit seiner Kette, und der Alte verlangt immer wieder seine verlorene Pelzmütze, die vor Regen, Wind und Kälte schützte. Sie ist nicht nur das Bild seiner eigensinnigen Hoffnung, sondern des Traumes vom glücklichen Leben schlechthin. Aber wahrscheinlich hat er sie erfunden.

Alle diese Novellen, sagt Darvasi, spielen sich vor seinen Augen ab und überhaupt schreibe er immer nur über Ungarn. Doch man lasse sich von einigen spezifischen Details nicht täuschen: Es gibt kaum einen Autor, der sensibler und klarsichtiger über die aktuelle Krise Europas erzählt als er. Sein Alter Ego formuliert es in der letzten Geschichte so: "Ich denke darüber nach, was von der Angst erschaffen wird. Inmitten solcher Prozesse leben wir."

NICOLE HENNEBERG.

László Darvasi: "Wintermorgen". Novellen.

Aus dem Ungarischen von Heinrich Eisterer. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 350 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Es gibt kaum einen Autor, der sensibler und klarsichtiger über die aktuelle Krise Europas erzählt als er.« Nicole Henneberg Frankfurter Allgemeine Zeitung 20170131