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Gewalt, Popkultur, Schmutz, Feminismus und urbane Slums: In einer eigenwillig in Szene gesetzten Sprache beschreibt Johanna Maxl in ihrem Debütroman das Lebensgefühl einer Generation. Gewitztes Verwirrspiel und tragischer Bericht zugleich, ist ihr literarisches Album die atemlos und schlaglichtartig erzählte Geschichte der Suche nach der offenbar grundlos verschwundenen Johanna, mutmaßlich die Mutter der hier im Kollektiv und einzeln sprechenden Kinder. Im Laufe der Geschichte, in der Erinnerungen an Johanna aufblitzen, Fragen nach ihrem Verschwinden gestellt und teilweise absurde Bruchstücke…mehr

Produktbeschreibung
Gewalt, Popkultur, Schmutz, Feminismus und urbane Slums: In einer eigenwillig in Szene gesetzten Sprache beschreibt Johanna Maxl in ihrem Debütroman das Lebensgefühl einer Generation. Gewitztes Verwirrspiel und tragischer Bericht zugleich, ist ihr literarisches Album die atemlos und schlaglichtartig erzählte Geschichte der Suche nach der offenbar grundlos verschwundenen Johanna, mutmaßlich die Mutter der hier im Kollektiv und einzeln sprechenden Kinder. Im Laufe der Geschichte, in der Erinnerungen an Johanna aufblitzen, Fragen nach ihrem Verschwinden gestellt und teilweise absurde Bruchstücke des mal kindlichen, mal jugendlichen Alltags preisgegeben werden, verlieren die Lesenden mit den Kindern den Boden unter den Füßen, und stürzen ins Offene. Maxls literarische Vermessung fluider Identitäten im 21. Jahrhundert ist die wie mit einer Handkamera gefilmte Dokumentation der Gegenwart: zu nah, zu fern, unscharf und überscharf zugleich.
Autorenporträt
Johanna Maxl arbeitete mit ihren literarischen Texten bislang vor allem intermedial, in Performances oder Installationen. Mit dem Künstler Jakub simcik leitet sie die interdisziplinäre Plattform Initiative Wort & Bild. Nach dem Studium am Deutschen Literaturinstitut ist sie Meisterschülerin in der Fachklasse für Intermedia an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Unser großes Album elektrischer Tage, auch von der Performancegruppe James & Priscilla inszeniert, ist ihr Debütroman über fluide Identitäten im 21. Jahrhundert.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.11.2018

Die Améliehaftigkeit
der Sprache
Johanna Maxls Debütroman
„Unser großes Album elektrischer Tage“
VON JULIANE LIEBERT
Wer um die Wende zum 21. Jahrhundert in die Pubertät kam oder sich gerade anschickte, sie zu verlassen, konnte kaum verhindern, von Amélie Poulain traumatisiert zu werden. Im August 2001, einen Monat vor den Terroranschlägen auf das World Trade Center, startete der Film von Jean-Pierre Jeunet in den deutschen Kinos und transformierte Legionen mausgrauer Mittelstandsmädchen zu romantischen Pariserinnen (jedenfalls in ihren Träumen) mit betont verschmitzt lächelnden rot geschminkten Lippen, großen schwarzen Knopfaugen und schwarzem Bob mit verspielter Pony-Gardine auf dem Kopf.
Die Häuser sollten Patina haben, die Straßen nicht zu breit sein, die Läden klein und pittoresk und selbstverständlich inhabergeführt. Ausländer kamen nur als Gemüseverkäufer vor und störten nicht weiter. Alles, was man in dieser Welt tat, war in das warme Gelb getaucht, das im Kino wilde Jugend und intensive Sommer anzeigt.
Für eine Weile schien es, als ließen sich Regression und Anarchie zu etwas Putzigem vereinen. Nachdem Islamisten mit Flugzeugen das nur wenige Jahre zuvor ausgerufene Ende der Geschichte vorzeitig beendet hatten, war es nur umso verlockender, an ein Bohème-Märchen zu glauben.
Die arme Audrey Tautou begriff wohl als Erste, was sie da angerichtet hatte, und versuchte gegenzusteuern, indem sie eine psychopathische Stalkerin in dem hierzulande gewohnt subtil wortspielerisch betitelten Film „Wahnsinnig Verliebt“ darstellte. Doch es war zu spät. Glücklicherweise wurde die Welt von ganz allein immer schlechter, was irgendwann nicht mehr ignoriert werden konnte. Die Amélies heirateten, wurden Feministinnen oder Sachbearbeiterinnen und der Spuk war vorbei.
Dachte man. Doch nun erscheint Johanna Maxls laut Verlag „Debütroman über fluide Identitäten im 21. Jahrhundert“ mit dem schwer nach Achtziger-Futurismus klingenden Titel „Unser großes Album elektrischer Tage“. Über dessen Welt schwebt, so kommt es einem jedenfalls vor, eine gigantische Amélie. Die Protagonistin des Albums, das mit Roman zumindest mutig bezeichnet ist, heißt wie die Autorin Johanna und ist abwesend. Eine Handlung in diesem Sinne gibt es nicht, der Text besteht aus hingetupften Prosaminiaturen.
Erzählt wird aus der Perspektive eines ominösen „Wirs“, das eine Schar LSD-verstrahlter Kinder aus dem Märchenwald gehören könnte. Diese postmodernen Märchenzwerge haben eine ziemlich nervtötende Neigung zur Personifikation von Abstrakta. Da sagt die Zukunft „nein danke“, und das 21. Jahrhundert läuft beschämt von dannen. Manchmal verheddern sich die Sätze in kryptischer Poesie, werden schlicht unverständlich. Zitate sind eingestreut wie Bruchstücke aus dem Notizbuch der Autorin. Auf einigen Seiten stehen nur wenige Zeilen, als handele es sich um knappe Prosagedichte. Der Text ist so gesetzt, dass der Eindruck eines Puzzles entsteht – oder eines beständigen Auf- und Abblendens.
Ab und zu werden Namen aus der Popkultur gedroppt oder die notorische erste Person Plural sagt mitten ins Märchenland hinein „easy“. Die mutmaßlichen Wir-Zwerge können durchaus auch schwarzen Humor und servieren ein paar skurril apokalyptische Szenen von bestechender Logik: „Die Tiere des Waldes sind am Apparat. Sie sind vom Feuer eingeschlossen. Mit letzter Kraft hüllen sie ihre Scham über die Vermeidbarkeit ihres Todes in Humor. Sie schämen sich, wie man sich schämt, wenn man nachts von einer maskierten Person in Stücke gehackt wird, allein, weil man zu vergesslich, zu faul, zu müde war, die Tür abzuschließen.“
All das ändert nichts an der alles durchdringenden Améliehaftigkeit der Sprache. Man kann die Schminke von Amélie verschmieren. Man kann sie als Voodoopuppe nutzen. Man kann die Verwerfungen eines Jahrhunderts als Filmbilder auf ihr Gesicht projizieren, als wäre sie das Bühnenbild einer durchschnittlichen Theaterinszenierung unserer Zeit. Sie wird das alles erdulden und trotzdem niedlich verschmitzt lächeln. So ergeht es auch Maxls Sprache.
Dass sie überhaupt diesen Eindruck erzeugt, beweist aber auch, dass sie durchaus Rhythmus, Bildkraft und Witz hat. Leider kunstmärchelt sie allzu wohlig vor sich hin. Man würde gern ein Kettensägenmassaker unter ihren präzisen Perioden anrichten. Die fiktive Johanna wird als flirrendes Wesen vorgestellt, affizierbar von Schönheit, allergisch allein gegen die Vorstellung, sich einem Älterwerden zu unterwerfen, anscheinend resistent gegen Verantwortung, in einer Affäre mit einer Sportlehrerin. Wenn sie beleidigt ist, hört sie – Björk. Was die Wir-Zwerge wenigstens naserümpfend vermerken. Vor allem aber ist sie abwesend. Und das wird irgendwann langweilig.
In regelmäßigen Abständen flammt im Literaturbetrieb die Debatte darüber auf, ob es so etwas wie eine gekonnte, aber öde „Schreibschulprosa“ gibt. Meistens versandet sie rasch ohne neue Erkenntnisse. Sollte dieser Begriff ein tatsächlich existierendes Phänomen bezeichnen, hat es wohl nicht so unmittelbar mit Institutionen wie dem Deutschen Literaturinstitut in Leipzig zu tun, an dem auch Johanna Maxl studiert hat, sondern eher damit, dass immer mehr, immer besser, aber auch arbeitsmarktkonformer ausgebildete junge Menschen unter Karrieredruck kreativ sind – oder glauben, es sein zu müssen. Der in diesen Debatten gern geäußerte Vorwurf der Erfahrungsarmut, wird meist ebenso schnell als unterkomplex vom Tisch gewischt.
Vielleicht trifft er aber etwas Wesentliches, wenn man den richtigen Begriff von „Erfahrung“ hat. Man muss nicht aus einem Bürgerkriegsgebiet kommen oder Insiderwissen über britische Eliteunis haben, um etwas erzählen zu können. Zu erfahren ist vielmehr ein Bruch in der Wirklichkeit, die Notwendigkeit, die Welt durch Schreiben neu zu verstehen. Eine Mischung aus Drang und Lust. Und eben die vermitteln viele Texte leider nicht. „Unser großes Album elektrischer Tage“ liest sich wie die zum Roman erklärten Fingerübungen einer eigentlich talentierten Autorin.
Johanna Maxl: Unser großes Album elektrischer Tage. Roman. Matthes & Seitz, Berlin 2018. 200 Seiten, 20 Euro.
Eine Weile schien es, als ließen
sich Regression und Anarchie
zu etwas Putzigem verschmelzen
Wie eine Schar LSD-verstrahlter Kinder: Die fiktive Johanna wird als flirrendes Wesen vorgestellt, affizierbar von Schönheit, allergisch allein gegen die Vorstellung, sich dem Älterwerden zu unterwerfen.
Foto: Wladislaw Peljuchno
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