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17 Kundenbewertungen

Der Sebi ist nicht gemacht für die Feldarbeit oder das Soldatenleben. Viel lieber mag er Geschichten. Im Jahr 1313 hat so einer es nicht leicht in einem Dorf in der Talschaft Schwyz, wo Engel kaum von Teufeln zu unterscheiden sind. Vom Halbbart, einem Fremden von weit her, erfährt er, was die Menschen im Guten wie im Bösen auszeichnet - und wie man auch in rauen Zeiten das Beste aus sich macht.

Produktbeschreibung
Der Sebi ist nicht gemacht für die Feldarbeit oder das Soldatenleben. Viel lieber mag er Geschichten. Im Jahr 1313 hat so einer es nicht leicht in einem Dorf in der Talschaft Schwyz, wo Engel kaum von Teufeln zu unterscheiden sind. Vom Halbbart, einem Fremden von weit her, erfährt er, was die Menschen im Guten wie im Bösen auszeichnet - und wie man auch in rauen Zeiten das Beste aus sich macht.
Autorenporträt
Charles Lewinsky, 1946 in Zürich geboren, ist seit 1980 freier Schriftsteller. International berühmt wurde er mit seinem Roman ¿Melnitz¿. Er gewann zahlreiche Preise, darunter den französischen Prix du meilleur livre étranger. ¿Der Halbbart¿ war nominiert für den Schweizer und den Deutschen Buchpreis. Sein Werk erscheint in 16 Sprachen. Charles Lewinsky lebt im Sommer in Vereux, Frankreich, und im Winter in Zürich.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensent Jörg Magenau liest diesen Roman als grandioses "Lehrstück des Erzählens und der Geschichtsschreibung". In ihm erfindet der junge Sebi, angehender professioneller Geschichtenerzähler in der Schwyz des beginnenden 14. Jahrhunderts, eine glorreiche Heroenerzählung von der historischen Schlacht der Schwyzer gegen die Habsburger und wird, obwohl er selbst sich seiner hanebüchenen Beschönigung der Tatsachen schämt, dafür regelrecht gefeiert, so Magenau. Der Kritiker verspricht, dass das Buch in bunten Farben ausmalt, wie volksverhetzende Narrative zu Gewalttaten und diese wieder zu schillernden Geschichten werden - in seinen Augen ein brandaktuelles Thema.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.10.2020

Umbauarbeiten am Mythos

Auch Klio richtet: Charles Lewinsky fabuliert in seinem Schelmenroman "Der Halbbart" mit dem Teufel um die Wette. So frech wurde die Gründungslegende der Schweiz noch nie erzählt.

Pfeil und Bogen, Hellebarden, Kanonen, Atombomben: jedes Zeitalter erfindet seine Wunderwaffe. Die mächtigste von allen aber kennt kein technisches Apriori. Es ist, selbstverständlich, das Wort. Es war im Anfang, und es wird am Ende sein. Ein König ohne Chronist verliert sich spurlos im Strom der Geschichte. Und was wahr ist, bestimmt der Diskurs. Es gibt nur eine Möglichkeit, eine historische Meistererzählung noch einmal aufzuschnüren: eine meisterliche Neuerzählung.

Dass der Schweizer Autor Charles Lewinsky vieles kann und wenig scheut, beweist er seit Jahrzehnten. Er hat erfolgreiche Theaterstücke, Kinderbücher, Krimis, Sitcom-Drehbücher, Manifeste und Satiren ebenso verfasst wie von der Kritik gefeierte Romane zur Zeitgeschichte ("Melnitz", "Gerron", "Kastelau"), über die Faszination des Bösen ("Andersen") oder den Literaturbetrieb ("Der Stotterer"). Die Manipulation durch Sprache ist ein wiederkehrendes Thema. Mit Mitte siebzig legt er nun sein Opus magnum vor, einen lumpenphilosophischen Abenteuer-Schelmenroman vom Schlage des "Simplicius Simplicissimus", der sich voller Fabulierlust an der ewigen Gewaltfrage abarbeitet. Der Fokus liegt auf der zentralschweizerischen Bauernschicht des Hochmittelalters, und wie das im Dreißigjährigen Krieg spielende Vorbild stellt das Buch sozusagen die Theodizeefrage von unten. Ist Gott nur eine Idee des Teufels, um die Menschheit mit einem unerreichbaren Ideal zu quälen? Trotz mancher Gewaltexzesse in "Der Halbbart" weicht aber das Rohe von Grimmelshausens Barockprosa einer verspielten Nachdenklichkeit, die nichts Moralisierendes hat und doch eine andere Wirklichkeit denkbar werden lässt. Die Kunst hätte ihr die Regeln zu geben, was Schiller, vielleicht vorschnell, Utopie nannte. Ein wenig "Schlafes Bruder"-Romantik hat Lewinsky auch hinzugefügt.

Dass das Buch zugleich von der Macht des Literatur handelt, wird schnell deutlich, denn der Erzähler Eusebius, genannt Sebi, aus dessen Perspektive wir auf das Geschehen blicken, ist nicht nur ein für die Feldarbeit unbrauchbarer Bauernjunge, sondern auch ein verträumter Geschichtenerzähler. Er ahnt, dass dieses scheinbar nutzlose Talent seinen Nutzen hat: "Ich glaube, wenn es keine Geschichten gäbe, die Leute würden an der Langeweile sterben wie an einer Krankheit." Im selben Moment bemerkt er freilich, dass die verrücktesten Dinge wahr zu werden scheinen, "wenn man sie nur oft genug erzählt". Gleichwohl, er beschließt, Geschichtenerzähler zu werden, ein über die Dörfer ziehender Unterhalter (und nicht etwa klassischer Minnesänger, was bei seiner Stellung undenkbar wäre). Dazu geht der Dreizehnjährige in die Lehre bei einem Mütterchen, das sich so sein Auskommen sichert. Unzählige Teufelsfabeln werden nun erzählt, die meist davon handeln, dass der Satan beim Wettlauf um die Seelen der Sterblichen die Hörner vorn hat. Einer Instanz nur muss er sich beugen: den Erzählern. Sie bestimmen den Diskurs. Und hier begegnen sie als Fackelträger der Aufklärung.

Inhaltlich handelt es sich um die gewitzt neu erzählte Vorgeschichte der berüchtigten Schlacht am Morgarten aus dem Jahr 1315, in der die verbündeten Eidgenossen den Habsburgern eine empfindliche Niederlage beibrachten: der Nukleus der heroischen Ursprungslegende der Schweiz. Exakt recherchiert ist das sicher, aber Lewinsky ist kein Umberto Eco. Mediävistisch akkurat muss es für ihn nicht zugehen. Das zeigt sich schon an den Mentalitäten der Hauptfiguren: Sie denken, fühlen und handeln wie moderne Individualisten. Neben Sebi ist da etwa der Halbbart, ein geheimnisvoller Flüchtling, der im zwischen Einsiedeln und Schwyz gelegenen Dorf des Ich-Erzählers wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein scheint. Sein halbes Gesicht ist verbrannt, daher der Name.

Dem Aberglauben und der Frömmigkeit steht der Halbbart, der sein Judentum nicht grundlos privat hält, skeptisch gegenüber. Er verdient sich Anerkennung als Physikus, indem er in Medizinfragen rational vorgeht. Dem elternlosen Helden wird er Freund und Mentor, aber zugleich ist da etwas Dunkles in ihm: eine halbverbrannte Seele, um die Himmel und Hölle ringen. Zum Hiob fehlt ihm die Schicksalsergebenheit; er schwankt vielmehr zwischen Philanthropie und archaischer Rachegier. Eine ganz vom Erinnerungsschmerz bestimmte Identität wirkt freilich so wenig mittelalterlich wie das Wissenschaftsethos des Halbbarts. Er ist es denn auch, der hier eine moderne Waffe erfindet (bei Grimmelshausen bringt Simplicius dem Zaren das Schießpulver), aber Sebi darf ihr den Namen geben: "Halbbarte", woraus dann wohl die "Hellebarde" wurde. So zeitgenössisch aber die Psychologie der Protagonisten, so virtuos sind sie auf Handlungsebene in eine opulent ausgemalte prämoderne Gesellschaft eingewoben, deren Nöte, Freuden und Konflikte durchaus historisch stimmig wirken.

Den nüchternen Erzählton, betont naiv, aber stets augenzwinkernd mit uns Nachweltlern verbündet, trifft der Autor hervorragend, wobei schon die vielen Helvetismen ("stotzig", "kurlig", "verschnäpft") dem Stil eine rustikale Aura verleihen. Geschickt hat Lewinsky die große Geschichte, den zur jahrzehntelangen Fehde ausgewachsenen Marchenstreit zwischen dem Kloster Einsiedeln - respektive seinen habsburgischen Schutzherren - und den Landleuten des Ortes Schwyz, auf eine familiäre Konstellation herunterprojiziert. Zwei Brüder hat der Sebi, den bedachtsam-klugen, bei einem Unfall zum Krüppel gewordenen Geni (Origenes), der es zum diplomatischen Politiker im Dienste des Landammanns von Schwyz bringt und auf Frieden dringt, sowie den impulsiven Poli (Polydor), der sich bald, animiert von einem voller Abscheu porträtierten gewaltversessenen Soldatenonkel, als Anführer eines rebellisch-räuberischen Fähnleins aufspielt.

Auch im Kloster geht es autoritär zu, wie der als Abtsmündel aufgenommene Sebi feststellen muss. Ein Utilitarist wie sein Freund Hubertus mag sich dort wohl fühlen, der Held aber flieht entsetzt, als von ihm das Verschleiern eines abscheulichen Verbrechens verlangt wird. Die Schwyzer kommen indes noch schlechter weg. Der Stolz steigt ihnen zu Kopf: "Wenn einer zu viel Mut hat, habe ich einmal sagen hören, bleibt kein Platz für den Verstand." Gerüchte, Ängste und Unzufriedenheit wachsen schneller als Einsichten. Gewalt zeugt Gewalt, da sind Aktion und Reaktion kaum noch zu trennen, zumal in den Wirren rund um die Doppelwahl von 1314, als ein Habsburger und ein Wittelsbacher sich zu Königen des Reiches krönen ließen. So braut sich Tag um Tag eine große Auseinandersetzung zusammen. Entgegen der Überlieferung ist der Überfall auf das Kloster Einsiedeln samt Schändung der Kirche und Entführung der Mönche in der Dreikönigsnacht 1314 hier allerdings keine Folge der Exkommunikation (Bann und Interdikt), sondern geht ihr sogar voraus.

Und auch wie dieser Überfall auf das Kloster sowie der Angriff auf das Heer von Herzog Leopold von Österreich, Bruder des Habsburgerkönigs Friedrich des Schönen, bei Morgarten dann abläuft, das nimmt sich in der Nahsicht unseres Beobachters viel unheroischer aus, als es die Geschichtsbücher berichten. Wie die beiden Versionen doch noch zueinanderfinden, über die Waffe des Wortes natürlich, das ist der finale und wunderbar selbstbezügliche Clou dieses fulminanten Romans. Ganz unabhängig von dieser Parabel über das Dichten und Richten der Historiographen-Muse Klio führt uns Lewinsky darin mit schier überbordender Kreativität vor Augen, wie fatal und unverbesserlich der Mensch dem inneren Teufel immer wieder freien Lauf lässt: "Wenn man lang genug gefressen hat, will man auch einmal kotzen." Dass ein solches Buch auch noch im besten Sinne ein Schmöker ist, den man kaum aus der Hand legen möchte, bezeugt das Können des Autors.

OLIVER JUNGEN

Charles Lewinsky:

"Der Halbbart". Roman.

Diogenes Verlag, Zürich 2020. 688 S., geb., 26,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2020

Gschpüri und Gsüchti
Charles Lewinskys historischer Roman „Der Halbbart“ über den Freiheitskampf
der Schweizer Urkantone ist zermürbend einfältig
VON BURKHARD MÜLLER
Eusebius heißt er eigentlich, aber dieser Name ist natürlich für einen Bauernbub aus der Talschaft Schwyz viel zu gewichtig, und so nennt er sich und nennen ihn alle nur Sebi, genau wie seine älteren Brüder Origenes und Polykarp Geni und Poli heißen. Da er bloß eine halbe Portion ist, gibt man ihn als „Postulanten“, der sich seine Mönchswürde schwer wird verdienen müssen, ins nahe Kloster Einsiedeln, wo er als Schweinehirt arbeiten muss, sich über die Härte und Heuchelei der Brüder wundert und bei Nacht und Nebel flieht, als der Prior ihm zumutet, den bei der Geburt getöteten Bankert eines Mönchs ohne Aufsehen an die Schweine zu verfüttern.
Das kleine Mädchen begräbt er auf eigene Faust im winterlichen Wald, tauft es auf den Namen Perpetua (aus der vermutlich bei längerem Leben eine Peti geworden wäre) und stellt sich vor, wie sie trotz mangelndem katholischen Ritus dennoch am Limbus vorbei in die Schar der Engel eingeht. Von nun an ist es aus mit der Ruhe seines Lebens, er muss sich bei dem Schmied Stoffel und dessen lieblicher Tochter Kätterli verstecken, wobei ihm der Halbbart behilflich ist, ein rätselvoller Fremdling mit halbverbranntem Gesicht (daher der titelgebende Name), der die Heilkunst versteht, ihn Lebensklugheit lehrt und ihn in das noch weithin unbekannte „Schachzabel“ einführt, das Schachspiel; wie sich nur allmählich und indirekt erweist, ist der Halbbart ein Jude, der den Versuch, ihn wegen eines angeblichen Hostienfrevels auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen, nur äußerst knapp überlebt hat.
Ein Mittelalter-Roman also, der sich von anderen seiner Art nur mäßig unterscheidet. Immer ist hier einer der Held, der sich durch sein waches, kritisches Wesen für den heutigen Leser vorteilhaft von seinem zeitbedingt dumpfen Umfeld abheben darf: eine randständige Figur, die sich mit anderen ihresgleichen, Wanderhuren, weisen Frauen, den wenigen vernünftigen und humanen Männern, die es in einer solchen Umwelt gibt, zu einem heimlichen Bündnis der Moderne gegen die geballte repressive Rückständigkeit verflossener Epochen zusammenschließt.
„Der Halbbart“ heißt das Buch zwar, aber erzählt wird es vom Sebi. Woher ein anfangs circa zwölf-, am Ende vielleicht 17-jähriger Bauernsohn in einer Ära, die fast niemals ich sagt, so viel eigenes Ego und neuzeitliche Intelligenz bekommen haben soll, wird nicht erörtert. Denn das ist die uneingestandene Grundlage des angestrebten identifikatorischen Lesevergnügens, welches man sich nicht denkfaul und selbstgefällig genug vorstellen kann.
Es ist die ewige Crux der historischen Romane, wenigstens aller, die es mit Zeiten vor dem 18. Jahrhundert zu tun haben, als mit der Empfindsamkeit auch der moderne Roman entsteht. Aber lassen sich ältere Epochen mit dieser individualistisch verplauderten Form einfangen?
In der Manessischen Handschrift, entstanden etwa zur gleichen Zeit, in der Lewinskys Roman spielt (und ebenfalls in der Schweiz), ähneln sich die Bildnisse selbst hochrangiger Personen so sehr, dass man begreift: Darauf kam es nicht an. Ein Autor, der sich das 14. Jahrhundert vornimmt, muss schon ein begnadeter Ränkeschmied sein wie Umberto Eco im „Namen der Rose“, dass man ihm seine Anachronismen abkauft, die solche der Seele sind und sich durch noch so sorgfältige Recherche nicht abstellen lassen.
Ein Romancier wie Eco ist Charles Lewinsky aber mitnichten. Seine Story dümpelt chroniknah und spannungsfern durch die Vorgeschichte der Schlacht von Morgarten, in der die Schweizer Urkantone 1315 die Herrschaft der Habsburger abschüttelten. Das Ambiente, in dem statt eines Haferbreis stets und immer ein „Haberbrei“ verzehrt wird, kennt man zur Genüge von den Mittelaltermärkten mit ihrer Emphase auf Selbstgesottenem und Selbstgefilztem.
Dass hier etwas nicht stimmt, verrät sich im Stil. Dem in jeder Hinsicht frühreifen Protagonisten wird eine Sprache in den Mund gelegt, die die Quadratur des Kreises vollbringen soll, zugleich bodenständig-altertümlich zu klingen und doch dem Leser der Gegenwart lebensvoll einzuleuchten. Es hört sich so an: „Ich habe ein Paternoster gesagt und mich bedankt, dass der heilige Christophorus mich auf allen Wegen beschützt hat. Ich habe ihn gebeten, sich um die kleine Perpetua zu kümmern, falls sie bei ihm im Paradies sein sollte. Für mich selber habe ich mir vorgenommen, eine Geschichte zu erfinden, in der ein neugeborenes Mädchen in den Himmel kommt und von dort aus Wunder macht. Die anderen Heiligen haben sie alle gern, stelle ich mir vor, und spielen mit ihr, weil sie die Jüngste ist. Und der heilige Josef, der ja ein Zimmermann ist, schnitzt ihr vielleicht ein Wasserrad.“
Das ist rührselig zum Steinerweichen, besonders mit seinem Perfekt als durchgehaltenem Tempus; auf fast 700 Seiten hat es das Werk der Erzählung zu vollbringen und zermürbt die Geduld auch des langmütigsten Lesers, zumal es oft in krassem Wechsel des Registers neben dem Konjunktiv der indirekten Rede zu stehen kommt. Erschwerend wirkt, dass sich bestimmt alle Mitwirkenden des Schwyzerdütsch bedienen, das Buch aber natürlich auf Hochdeutsch geschrieben ist. Als regionale Unterpfänder streut Lewinsky zahlreiche Helvetismen ein, für deren Erklärung er den geneigten Leser auf seine Webseite verweist. Aber dass ein Gschpüri ein Gefühl und ein Gsüchti eine Krankheit ist, kriegt er schon selbst heraus; selbst dass „füdliblutt“ so viel heißen muss wie splitternackt, kann er sich ausrechnen.
Der Sebi begibt sich schließlich in die Lehre des Teufels-Annelis, das ihm beibringen soll, wie man gute Geschichten erzählt. Das, wie sich erweist, ist seine wahre Bestimmung; und der Leser darf ihm bei seinen Probestücken lauschen. Geschichten, die vom Geschichtenerzählen handeln, sind in der Regel keine gut erzählten Geschichten: Denn sie verlagern den Akzent vom Mitgeteilten auf den Mitteiler, und daran kann kein Hörer Interesse haben.
Das Buch hat noch eine halbverdeckte zweite Ebene. Der Halbbart heißt nicht zuletzt deswegen so, weil er den Namenspatron der „Halbbarte“ abgibt, der Hellebarde also, jener in Adelskreisen nicht satisfaktionsfähigen Stangenwaffe, mit der die Schweizer Bauern bei Morgarten die habsburgischen Ritter vom Pferd zogen. (Die Etymologie ist nett aber falsch – es stecken in Wirklichkeit die alten Wörter „Barte“ = „Beil“ und „Helm“ = „Griff“ darin.) Und es werden erhebliche Zweifel an der nationalen Geschichtsschreibung geäußert, die Morgarten als Heldentat nach dem Vorbild von David gegen Goliath feiert; in Wirklichkeit sei es ein feiger kleiner Hinterhalt gewesen.
Charles Lewinsky betätigt sich, was ein Leser aus dem „großen Kanton“, sprich Deutschland, gar nicht unbedingt mitbekommt, als Nestbeschmutzer der eidgenössischen Sache. Aber das sollen die Schweizer vielleicht am besten unter sich ausmachen.
Charles Lewinsky: Der Halbbart. Roman. Diogenes, Zürich 2020, 686 Seiten, 26 Euro.
„Und der heilige Josef, der ja ein
Zimmermann ist, schnitzt ihr
vielleicht ein Wasserrad“
Geschichten, die vom Erzählen
handeln, sind in der Regel
keine gut erzählten Geschichten
Der Bund auf dem Rütli: Die drei ersten Eidgenossen Werner Stauffacher,
Walter Fürst und Arnold Melchthal. Holzstich, um 1860.
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»Der Halbbart ist ein neuer Lewinsky - und das reicht als Qualitätssiegel.« SonntagsBlick SonntagsBlick