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Was macht ein Leben aus? Ilma Rakusa spricht über Dinge, die in unser aller Leben bedeutsam sind und mit denen wir uns auseinandersetzen: Freundschaft, Angst, Alter oder Zärtlichkeit und viele mehr. Sie entfacht in uns eine Neugierde und Entdeckerfreude. Das Leuchten in ihren Augen ist den Zeilen anzumerken: beschwingt klingt das »Querfeldein«, die Lust am Flanieren kommt schon während des Lesens, und nach der Hommage an den Granatapfel wird er niemals mehr nur eine einfache Frucht sein.Ein Alphabet des LebensZu jedem Buchstaben des Alphabets verfasst Ilma Rakusa Beiträge von A wie Anders bis…mehr

Produktbeschreibung
Was macht ein Leben aus? Ilma Rakusa spricht über Dinge, die in unser aller Leben bedeutsam sind und mit denen wir uns auseinandersetzen: Freundschaft, Angst, Alter oder Zärtlichkeit und viele mehr. Sie entfacht in uns eine Neugierde und Entdeckerfreude. Das Leuchten in ihren Augen ist den Zeilen anzumerken: beschwingt klingt das »Querfeldein«, die Lust am Flanieren kommt schon während des Lesens, und nach der Hommage an den Granatapfel wird er niemals mehr nur eine einfache Frucht sein.Ein Alphabet des LebensZu jedem Buchstaben des Alphabets verfasst Ilma Rakusa Beiträge von A wie Anders bis Z wie Zaun, changierend zwischen Prosa, Gedicht und Gespräch. Sie erzählt und dichtet über ihr bewegtes Leben: Werk, Weltsicht und Weggefährten, Reisen und die schönen Künste, Familie und Kindheit. Ihr gelingt der Kunstgriff, abstrakte Begriffe - wie Träume oder Rituale -, Orte, persönliche Erinnerungen und Erfahrungen kaleidoskopartig zu einem Ganzen zu vereinen.
Autorenporträt
Ilma Rakusa, 1946 in der Slowakei geboren, lebt seit 1951 in Zürich. Schriftstellerin, Literaturkritikerin, Übersetzerin (Tschechow, Zwetajewa, Duras, Ki, Kertész, Nádas). Sie erhielt unter anderem den Petrarca-Übersetzerpreis, Adelbert-von-Chamisso-Preis, Schweizer Buchpreis, Manès-Sperber-Preis und Berliner Literaturpreis. Von ihren zahlreichen Werken erschienen bei Droschl ihre Poetikvorlesungen "Farbband und Randfigur" (1994), der Essay "Langsamer!" (2005), die autobiografischen »Erinnerungspassagen« "Mehr Meer" (2009), das Berlin- Journal "Aufgerissene Blicke" (2013), die Erzählungen "Einsamkeit mit rollendem ¿r¿" (2014) und der Gedichtband "Impressum: Langsames Licht" (2016).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Nico Bleutge mag Ilma Rakusas neues Buch, in dem die Autorin in Form von Gedichten und kleineren Erzählungen entlang des Alphabets über ihr Leben nachdenkt. Bleutge lobt zunächst die staunende und mäandernde Art, in der sich Rakusa durch Kindheitserinnerungen, Alltagsbeobachtungen aber auch Ängste bewegt, und spricht von einem "luftigen, lockeren" Buch, in dem auch der Leser "katzenpfotig über die Seiten tapsen" kann frei kann. Besonders gefallen hat dem Rezensenten ein Gedicht über unvergessene, ungarische Wörter aus der Kindheit der Autorin. Einzig die Passagen des Buchs, in denen sich Rakusa selbst interviewt, haben Bleutge nicht ganz überzeugt, weil sie teilweise in vorschneller Kritik münden, und so die sonstige Offenheit des Buchs hier verloren geht, meint der Rezensent. Insgesamt jedoch eine blickschärfende Lektüre, so Bleutge, die den Leser "prallvoll mit Eindrücken" zurücklässt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2019

Lichthasen
aus der Kindheit
Das Lebens-Abc der
Schweizer Dichterin Ilma Rakusa
In seinem Gedichtzyklus „Graphit“ skizziert der Schriftsteller Marcel Beyer eine niederrheinische Landschaft, samt „Busch“ und „Broich“ – und ein paar „Pappelzeilen“, dezenter Hinweis darauf, wie eng das Zittern des Pappellaubs und die Bewegung der Schrift miteinander verbunden sein können. Auch die Dichterin Ilma Rakusa liebt die Pappeln. Im Burgenland ist sie einmal stundenlang dem Ruf der Pappeln gefolgt, von Baum zu Baum, von Ort zu Ort: „Sie üben einen Sog aus, die Pappelreihen, als riefen sie: Gehen, weitergehen! Aber frag nicht, wie weit der Weg ist, es zählt nur der Rhythmus der Fortbewegung, mit offenem Ausgang.“
Ein luftiges, lockeres Pappelbuch hat Ilma Rakusa jetzt geschrieben. In kleinen Kapiteln, oft kaum mehr als zwei, drei Seiten lang, folgt sie dem Lauf des Alphabets. „Alter“ und „Einsamkeit“, „Erinnerung“ und „Haut“, aber auch „Joghurt“ bekommt seinen Eintrag (das tägliche Frühstück, Naturjoghurt nach griechischer Art) oder ein Lieblingswort wie „Oh!“. Überhaupt ist das Staunen eine Art Grundvoraussetzung für ihre Wahrnehmung. „Schau ihn dir an. Schau ihn einfach an“, heißt es einmal. Sich auf die Welt einzulassen, nicht alles gleich einordnen und bewerten zu wollen, eher in Mäandern und in Gedankensprüngen unterwegs zu sein – das zeichnet dieses Abc an seinen besten Stellen aus. Und man staunt als Leser seinerseits, wie es Rakusa gelingt, etwas so Allgemeines wie das Alphabet zu einer so persönlichen Sache zu machen. Wie sie Splitter der eigenen Lebensgeschichte aufgreift, Kindheitstage in Triest etwa, das viele Unterwegssein, ihr Zuhause in Zürich, aber auch Ängste, die den Lebensfluss immer wieder unterströmen und vielleicht eine Gegenkraft sind zu jener Erfahrung von Ruhe und zarter Euphorie, als die sie das Schreiben begreift.
Obwohl der Band kaum merklich nach Motiven und Sprachmomenten komponiert ist, muss man die Einträge nicht nacheinander lesen, sondern kann sich dem Schwung der Assoziation anvertrauen, mal blättern, mal „katzenpfotig“ über die Seiten tapsen. So erfährt man etwas über die sanfte Verwandlungskraft des Schnees oder die Lichthasen aus Ilma Rakusas Kindheit, Lichtfäden, die durch die Jalousien kamen und die über die Decke und den Boden huschten. In einem anderen Kapitel erzählt sie von ihrer Kleidersammlung, von Röcken, Pullovern, Schals, Hüten, Gürteln – und stellt fest: „Die Schränke quellen über, Zeit, gründlich aufzuräumen.“
So ähnlich geht Rakusa in ihrem Buch vor, sie blättert sich durch die Stoffe und lässt, wie schon in ihren Erinnerungspassagen „Mehr Meer“ (2009), ihr „Leben Revue passieren. Eine halb heitere, halb wehmütige Angelegenheit“. Wo sie im Meeresbuch ihrer Kindheit und Jugend in der Slowakei, in Ungarn und in Slowenien nachspürte und vor allem atmosphärische Bilder schuf, sichtet sie nun ihre gesamte Erfahrungswelt, zuweilen erzählend, meist aber in Form von Inventaren, Synopsen oder kleinen Erinnerungsspeichern.
Nicht ganz so intensiv sind manche jener Passagen, in denen sie sich in einer Art Selbstinterview Fragen stellt. Hier stockt der Rhythmus ab und an, wird der „offene Ausgang“ verstellt durch schnelle Kritik, etwa am „vorherrschenden Optimierungswahn“ oder der „Verrohung der Sitten und der Sprache“. Aber bald schon kehrt man mit Ilma Rakusa zurück zur Schärfung des Blicks, liest Beschreibungen und Tagebuchartiges, freut sich über die vielen Gedichte, die in den Band eingestreut sind, über den März, die Zärtlichkeit – oder über Pantoffeln: „Die friulanischen aus dem / vollgestopften Laden in Venedig / samten und seidig / von orientalischem Zuschnitt / vorne spitz hinten offen / du gehst wie auf Pfötchen / pantofolinisch.“
Eines der schönsten Kapitel führt in ihre Kindheitssprache, das zu Hause gesprochene Ungarisch. Kosenamen, Flüche – alles nur in dieser Sprache möglich. Und so folgt man ihr pantofolinisch und erfährt, dass Kartoffeln bei ihr immer noch „krumpli“ heißen und ein Winzling „picike“ genannt wird. Am Ende der Lektüre ist man wie die Autorin nach ihren Spazier- und Pappeltagen „prallvoll mit Eindrücken“. Und erinnert sich daran, wie sehr sie Zitate mag, die sie mit Mandelstam liebevoll Zikaden nennt, weil sie klingen sollen. Also geschwind noch ein Zitat von Ilma Rakusa selbst. Was sie einmal über Saint-Exupérys „Kleinen Prinzen“ notiert, könnte auch eine Beschreibung dieses Buches sein: „Offenmütig buchstabiert er das Alphabet der Dinge, bis ihm und uns die Augen aufgehen.“
NICO BLEUTGE
Ilma Rakusa: Mein Alphabet. Literaturverlag Droschl, Graz und Wien 2019. 312 Seiten, 23 Euro.
„Die Schränke quellen über,
Zeit, gründlich aufzuräumen.“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.01.2020

Die Weltforscherin und ihr Traum
Fürs Zitat ist nicht nur Bedarf beim Buchstaben Z: Ilma Rakusa entwickelt in "Mein Alphabet" ihren literarischen Wertekanon

Die Schweizer Schriftstellerin, Übersetzerin und Literaturkritikerin Ilma Rakusa hat mit "Mein Alphabet" nach "Mehr Meer - Erinnerungspassagen" (2009) ein zweites großes Resümee geschrieben. Wie der Titel sagt, nennt es seine Stichworte in alphabetischer Folge, eine bewährte Methode, sich komplexen Gegenständen zu nähern. In Frankreich hat Roland Barthes es mit seinen "Fragmenten einer Sprache der Liebe" (1977) vorgemacht oder auch Gwenaëlle Aubry mit "Niemand" (2009), einem Buch über ihren psychisch labilen Vater, dessen deutsche Übersetzung wie "Mein Alphabet" bei Droschl erschienen ist. Die Lyrikerin Rakusa freilich hat ihre eigenen Gründe und Verfahren, die sich folgerichtig aus ihrem dichterischen Ansatz ergeben.

Bevor diese betrachtet werden, muss jeder Rezensent gewarnt sein. Denn der Abschnitt "Kritik", in dem Rakusa zunächst ihre eigene literaturkritische Tätigkeit erwähnt, entwickelt klare Wertvorstellungen: "Was will dieses Buch, was will der Autor mit diesem Buch? Wird ein Werk seinen eigenen Voraussetzungen gerecht, ist das schon beachtlich, unabhängig davon, ob es meinen Geschmack trifft oder nicht." Das Argument, das in bester autonomieästhetischer Tradition steht, ist nur halb überzeugend, wie eine Fortführung ad absurdum zeigt: Eine Kathedrale aus Kuhdung kann ihrem Anspruch vollkommen gerecht werden, ist aber trotzdem - Mist. Interessanter ist, was Rakusa am Umgang mit ihrem eigenen Werk bemängelt: "Zum x-ten Mal beschreibt da jemand meine Biographie mit Migrationshintergrund, legt mich auf Themen wie Heimatlosigkeit und Reisen fest, nur um die Hauptsache, die Sprache, macht er einen Bogen. Für mich gehört Sprache in den Fokus der Kritik, denn an ihr lassen sich die Literarizität und stilistische Eigenheit eines Textes ablesen." Die Vorgaben der promovierten Literaturwissenschaftlerin leuchten ein und sollten berücksichtigt werden.

"Mein Alphabet" enthält 109 Einträge, von "Anders" bis "Zaun", die allerdings nur nach den Anfangsbuchstaben sortiert sind: "Plausch" darf auf "Prinzessin, Prinz" folgen. Die Länge variiert zwischen wenigen Zeilen und ein paar Seiten. Sie beginnen - mit seltenen Ausnahmen ("Ljubljana") - nicht mit Definitionen, aber viele Einträge stellen ihren Gegenstand eingangs vor, naturgemäß in seiner Bedeutung für die Autorin. Es finden sich feine Abwandlungen, etwa die Auffächerung möglicher Spielarten von "Ruhe". Besonders reizvoll sind sprachlich motivierte Übergänge wie zwischen "Weiß" und "Wort": "Weiß" ist das Titel- und zugleich das Schlusswort, allerdings in neuer Bedeutung; im Folgeeintrag "Wort" wird es zentral und schließt ihn abermals ab. Ähnlich poetisch ist der Wechsel von "Zitat" zu "Zikadensommer": Rakusa zitiert den russischen Dichter Ossip Mandelstam, der "Zitate liebevoll Zikaden" nannte, und schafft damit performatives Exempel, mühelose Verbindung und sprachliche Dichte zugleich.

Apropos Zitate: Rakusa ist gastfreundlich, sie lässt gern andere zu Wort kommen; ein Eintrag kann eine Viertel- bis halbe Seite Fremdtext enthalten. "Mein Alphabet" hat Züge einer Anthologie, die neben den Leib-und-Magen-Autoren Brodsky, Dostojewski, Kis, Mayröcker, Ponge, oder Tschechow noch viele andere versammelt. Und apropos sprachliche Dichte: Variation entsteht nicht zuletzt dadurch, dass einige Einträge Gedichte sind. Diese können programmatisch sein, wie "Kindheit": "Erinnerung faltet sich aus / als wär sie ein Blatt Papier / beschrieben unbeschrieben / dazwischen fließende Säume / Strandlinien etc. / Ich reib mir die Kopfknie wund / bis taktil luzid / die Szenen springen". Sie können ebenso auf ihr Motiv konzentriert sein wie auf den Frühlingsanfang in "März".

Ansonsten sind die Einträge geprägt von Erinnerungen, Leiden, Vorlieben der 1946 Geborenen - sowie von essentiellen literarischen Themen, Motiven, Verfahren. Manchmal gehen diese nahtlos ineinander über, besonders wenn Rakusa von Schriftstellern spricht, die sie persönlichen kennt beziehungsweise kannte oder die ihr literarisch nahestehen; die Einträge "Esterházy (Péterke, mein Engel)" und "Zwetajewa" illustrieren die beiden Fälle. Entwickelt wird der reiche Fundus teils im Gespräch mit "C. O.", ohne dass dieser Punkt näher erläutert würde.

Was erfährt der Leser? Es gibt Anklänge an "Mehr Meer" bis in Formulierungen hinein, aber die Akzente verschieben sich. Im Vorgänger war die Herkunft essentiell, das familiäre Abenteuer zwischen Slowakei und Ungarn, Triest und Schweiz. Nun sind es persönliche Neigungen und Befindlichkeiten ("Migräne"), der Rahmen des Schaffens also, vor allem aber wesentliche Positionen im literarischen Selbstentwurf. Rakusas Japan-Affinität, in Modefragen, in der Liebe zu Haiku, No-Theater oder "Fadheit", wird entwickelt. Ihre Kindheitsliebe zum Märchen erklärt sie immer wieder neu. Ebenso wendet sie sich modernen Malern wie Giorgio Morandi und Kasimir Malewitsch zu oder Theater und Architektur, die gern sakral sein kann. Überhaupt Gott: Im entsprechenden Eintrag setzt sie apodiktisch: "Gott ist." So willensstark entscheidet die "halb-häretische Katholikin" die Frage nach der Transzendenz, erwähnt auch ihr Erweckungserlebnis Ostern 1959. In dieser Perspektive wundert ihr metaphysischer Wagemut nicht: "meine Suche gilt dem Guten, Wahren und Schönen".

Dass die Suche nach überzeitlichen Gewissheiten in antiker und christlicher Tradition mit modernen Mitteln angegangen wird, zeigen die literaturzentrierten Einträge. Dort erfährt man viel über literarische Motive ("Licht") sowie über poetische Stimmungen und Gewohnheiten, welche Rakusa kultiviert, etwa traumintensiven Schlaf und Flanieren ("Umweg"). Vor allem jedoch finden sich poetologische Erläuterungen, mal an erwarteter Stelle ("Poetik"), mal überraschend. In "Interpunktion" wird die Prägung durch Lateinunterricht und Musik - Rakusa hat intensiv Klavier gespielt - geschildert. Der Doppelgenealogie entspricht eine Doppelfunktion: Einerseits dient Zeichensetzung zur semantischen Klärung, andererseits erzeugt sie "eine rhythmisch-musikalische Gliederung". Die Dichterin spricht vom "Partiturcharakter meiner Texte", der zum mündlichen Vortrag auffordert.

Ähnlich aufschlussreich sind die Einträge "Listen", "Neun" oder "Schreiben (Scribo, ergo sum)". "Neun" erläutert den Neunzeiler, eine für Rakusa zentrale Gedichtform, und den Wert formaler Einschränkung allgemein: "Im Rahmen einer Form, einer bestimmten Vorgabe, kommt meine Phantasie erst recht in Gang." Womit auch die Gestalt von "Mein Alphabet" erklärt wäre; die Spätavantgardisten von Oulipo hätten applaudiert. "Reim" verteidigt Formales auf ähnlich eindringliche Weise. Auf den ersten Blick kontraintuitiv, auf den zweiten umso überzeugender beschwört Rakusa die "Sprengkraft des Reims", die in der unverhofften Verbindung besteht. Und wendet das Verfahren konsequent auf das Wort selbst an: "Was reimt sich auf Reim? Keim, Leim, Heim."

Wenn Rakusa die literaturkritischen Klischees zu ihrem Werk mit "Themen wie Heimatlosigkeit und Reisen" resümiert, so ist das doppelt zu bedauern. Zum einen eben wegen ihrer hellsichtigen Sprachbeobachtungen, zum anderen, weil die Passagen zu mehr oder weniger fernen Ländern mitunter Schwächen zeigen. "Mein Alphabet" malt das Porträt einer von Neugier und Fernweh Getriebenen. Reisen - ob erlebte oder erträumte - nehmen Raum ein, liefern Gegenstände. Rakusa hat viele Fahrten unternommen und bedauert desto intensiver, mit der Transsibirischen Eisenbahn nicht weit gekommen zu sein; die mongolische Wüste ist ihr ein Sehnsuchtsort. Sie, die als Kind "Weltforscherin" werden wollte, kompensiert Verpasstes durch das Lesen von Reiseberichten, ist sich dabei des Wildwuchses der Einbildungskraft bewusst: "Träume, nie realisierte Träume", befindet sie luzide zu Seidenstraßen-Phantasien.

Leider belegt der real gesammelte Reisefundus nicht immer dieselbe Klarsicht. Die geliebte Provence duftet etwas sehr nach Lavendel, und in "Plausch" bekommt die Unterhaltung älterer Italienerinnen ordentlich Lokalkolorit aufgetragen; das überrascht angesichts von Rakusas Triester Kindheit. Schließlich finden sich im Eintrag "Osten" Überlegungen zum GULag, die in einer völkerpsychologischen Analyse Russlands enden: "Richtet es sich nach Westen aus, hat es Phantomschmerzen, richtet es sich nach Osten aus, erst recht. Vielleicht ist es schlicht zu groß, um sich zu finden. Und lässt sich darum nur von harter Hand regieren." Der Rezensent hofft, ein Ironiesignal überlesen zu haben.

Das aber sind verhältnismäßig wenige weiche Stellen in einem sprachlich und gedanklich streng gefestigten Text - auffallen können sie nur, weil Rakusa ansonsten äußerst stilsicher und abgeklärt formuliert. Wenige Zeilen später findet sie zur gewohnt nüchternen, wohldosierten Spannung im Verbalbogen zurück. Und hinterlässt Bedauern, dass sie dem Alphabet nicht ein paar Einträge mehr abgetrotzt hat.

NIKLAS BENDER

Ilma Rakusa: "Mein Alphabet".

Literaturverlag Droschl, Graz 2019. 312 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Kleist-Preis 2019: »Ilma Rakusa ist eine geborene Kosmopolitin und Europäerin; sie verkörpert in einzigartiger Weise den Typ einer femme de lettres, wie er heute kaum noch anzutreffen ist.« (aus der Begründung der Jury) »Rakusas Sprache ist von bewundernswerter eleganter Leichtigkeit, Großes steht neben Kleinem, OK neben Osten, Pasta neben Poetik. Selten wurde ein Alphabet mit so viel Eleganz und Zauber buchstabiert.« Cornelia Zetzsche, BR Diwan) »"Mein Alphabet" ist der äußerst gelungene Versuch, eine literarische Autobiographie einmal anders zu schreiben. Die Autorin hat in der Leichtigkeit der kurzen Passagen Gewichtiges, ja, Existentielles zu unser aller Sein und Denken zu sagen. Eine feinfühlig und sprachlich gekonnt geschriebene Lebensbeschreibung, also lohnende Lektüre.« (Andreas Puff-Trojan, SWR2) »Rakusas Text plädiert für eine aufrichtige Selbstwahrnehmung und vor allem den Mut, in Zeiten schnell aufkommender und vergehender Moden ganz bei sich zu sein.« (Björn Hayer, SPIEGEL online) »"Mein Alphabet" setzt sich in poetischer Beschwingtheit über die Enge des Ichs hinweg und macht das Leben weit.« (Paul Jandl, NZZ)