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Demokratische Imperien stehen vor einem besonderen Stabilitätsproblem: Sie müssen den imperialen Herrschaftsraum sichern, ohne dadurch die eigenen demokratischen Institutionen zu gefährden. Das antike Römische Reich ist an dieser Aufgabe spektakulär gescheitert, und in den USA befürchten derzeit viele, dasselbe Schicksal zu erleiden. Diese Sorge ist nicht unbegründet, denn heute wie damals droht die innere Machtbalance durch imperiale Akteure aus dem Gleichgewicht zu geraten. Gerne wird in solchen Situationen die einigende Wirkung eines äußeren Feindes beschworen. Ob jedoch der Zusammenhalt…mehr

Produktbeschreibung
Demokratische Imperien stehen vor einem besonderen Stabilitätsproblem: Sie müssen den imperialen Herrschaftsraum sichern, ohne dadurch die eigenen demokratischen Institutionen zu gefährden. Das antike Römische Reich ist an dieser Aufgabe spektakulär gescheitert, und in den USA befürchten derzeit viele, dasselbe Schicksal zu erleiden. Diese Sorge ist nicht unbegründet, denn heute wie damals droht die innere Machtbalance durch imperiale Akteure aus dem Gleichgewicht zu geraten. Gerne wird in solchen Situationen die einigende Wirkung eines äußeren Feindes beschworen. Ob jedoch der Zusammenhalt tatsächlich gestärkt wird oder vielmehr das Gegenteil eintritt, hängt von spezifischen benennbaren Umständen ab.
Autorenporträt
Dr. Marco Walter ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 644 »Transformationen der Antike« der Humboldt-Universität zu Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2015

Mit Dekadenz kommt man nicht weiter
Imperientest: Marco Walter vergleicht Rom mit den Vereinigten Staaten

Der Sowjetblock zerfallen, in Osteuropa Demokratien etabliert, die Vereinigten Staaten auf dem Weg zur fiskalischen Konsolidierung, humanitäre Kriegsintervention auf dem Balkan, Iran und der Irak eingedämmt, Israel und Palästinenser auf dem Weg zur Verständigung, Wohlstand für alle durch deregulierte Finanzmärkte, dazu die verheißungsvolle Idee vom Ende der Geschichte, das alles unter dem Schirm der weltweit einzigen verbleibenden, wohlwollenden Ordnungsmacht: Nicht zufällig kam vor gut fünfzehn Jahren der Vergleich zwischen den Vereinigten Staaten und dem guten Römischen Reich der Kaiserzeit auf.

Herfried Münkler sezierte 2005 die "Logik der Weltherrschaft" mit chronologisch umgekehrter Teleologie, indem er das antike Rom zum Modell erhob und zeigte, wie Imperien die "augusteische Schwelle" zur Langlebigkeit überwinden können. Am Ende konstatierte er die Wiederkehr des Imperiums im postimperialen Zeitalter und stellte für die Vereinigten Staaten die Frage nach der Vereinbarkeit von Imperium und Demokratie. Diese Frage hat jetzt Marco Walter in einer bei Münkler entstandenen Dissertation breiter entwickelt. Es geht ihm darum, die Bewegungskräfte eines im Zentrum demokratisch verfassten Imperiums zu erhellen und zu einer belastbaren Theoriebildung zu gelangen.

Schulmäßig wird das Imperium aus politiktheoretischer Perspektive definiert, von der bloßen Hegemonie unterschieden und gegen die Kontamination durch den Imperialismus verteidigt. Unklar bleibt freilich, wie oft in der politikwissenschaftlichen Diskussion, der hermeneutische Status historischer Generalisierungen, wenn durchaus treffend festgestellt wird, Imperien scheiterten "meist nicht an inneren Widerständen, sondern an Entwicklungen in wenig beachteten oder außerhalb ihrer Reichweite liegenden Randlagen".

Den Vergleich zwischen Rom und den Vereinigten Staaten identifiziert Walter freilich selbst als eine Sache fast ausschließlich der Deutungseliten - und selbst das verwundere im Rückblick noch, da "Rom im Speziellen und die Antike im Allgemeinen ihrer Überzeugungskraft im tagespolitischen Geschäft verlustig gegangen" sei. Leider ist auch bei Walter von den Funktionsmechanismen der tatsächlichen römischen Macht- und Herrschaftspolitik, wie sie zuletzt Greg Woolf elegant vorgestellt hat (F.A.Z. vom 23. Mai), zu wenig die Rede. Die bekannten Dekadenzdiskurse mögen rezeptionsgeschichtlich bedeutsam gewesen sein, aber zur Erklärung tragen sie wenig bei.

Das lange Kapitel zum Ende der römischen Republik aus politiktheoretischer Perspektive bietet wenig mehr als ein Sammelsurium von nicht Zusammengehörigem, diskutabel allenfalls für die Ideenhistorie. Denn auf der Ebene der Realgeschichte stellen sich die Dinge weit weniger schematisch als in der Figur vom "doppelten Dekadenzproblem" dar. Entstehen konnte die römische Machtbildung gerade wegen der republikanischen Züge des politischen Systems: Zahlreiche Adlige konkurrierten heftig und in jeweils begrenzter Zeit um Ehre und Beute; das ergab keine konsistente Politik, aber eine ungeheure Dynamik.

Es ist auch eine Mär, dass die Senatoren direkte Herrschaft eigentlich gar nicht wollten oder das so entstandene Reich nicht dauerhaft hätten dominieren können, Republik und dauerhafte Herrschaft nach außen einander also ausgeschlossen hätten. Dazu waren die Römer allemal erfinderisch genug - wenn es auch ihren Untertanen unter der Herrschaft eines berechenbaren, kontinuierlich agierenden Monarchen besser erging, wie selbst der grimmige Tacitus rückblickend zugeben musste. Aber ein konsistentes Handeln im imperialen Rahmen ist keineswegs zwingend von der Regierungsform abhängig, nicht in Rom, noch weniger im Zeitalter professioneller Apparate. Doch in erster Linie ist es die Nemesis der sich überholenden Wirklichkeit, die auch dieses erfreulich konzise Buch am Ende mit sich fortreißt.

Der Autor versucht Schritt zu halten, indem er sich auf den Faktor Angst im Binnenraum imperialer Politik konzentriert, von der antiken Idee einer Eintracht stiftenden, heilsamen Bedrohung (metus hostilis) über Hobbes' angstbesetzten Naturzustand bis hin zur Politik im Zeichen der Terrorfurcht nach dem 11. September 2001. Dankbar erfährt man, warum neuropsychologische und existenzphilosophische Unterscheidungen von Angst und Furcht untauglich sind. Dass Angst und Zorn mobilisieren, aber auch spalten und lähmen können, wusste man schon länger, findet es aber nun wissenschaftlich untermauert. In jedem Fall legen weder die Welt insgesamt noch die Vereinigten Staaten in ihrem jetzigen Zustand - ratlos, marode, paralysiert und tief gespalten - die Rede von einer Ordnung nahe, geschweige denn von einer imperialen. Da hilft es wenig, ihnen nach wie vor "als einzigem Akteur die globale Interventionskapazität" zuzuschreiben.

UWE WALTER.

Marco Walter: "Nützliche Feindschaft?" Existenzbedingungen demokratischer Imperien - Rom und USA.

Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2015. 210 S., br., 32,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Politikwissenschaftler Marco Walter geht in "Nützliche Feindschaft?" einer Frage nach, die sein Doktorvater Herfried Münkler nach dem Verhältnis von Imperium und Demokratie im Hinblick auf das antike Rom und die heutigen Vereinigten Staaten gestellt hatte, berichtet Uwe Walter. Die Zusammenführung ideengeschichtlicher Aussagen und moderner neurowissenschaftlicher Befunde über den politischen Nutzen von Angst vor äußeren Feinden findet der Rezensent interessant, die historischen Verallgemeinerungen und Vergleiche weniger. Zu sehr orientiere sich der Autor an den Gemeinplätzen der Rezeptionsgeschichte Roms und zu wenig an der tatsächlich Geschichte, wodurch der Vergleich von vorneherein hinkt, kritisiert Walter.

© Perlentaucher Medien GmbH