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Nach Jahrzehnten deutschen Stillschweigens zu den in Griechenland während der Okkupation von 1941 bis 1944/45 begangenen Untaten mehrt sich in den letzten Jahren das öffentliche Erinnern. Der unterbelichtete Teil der gemeinsamen Vergangenheit verlangt jetzt vertiefte Kenntnisse, vor allem auch der Vor- und Nachgeschichte dieser traumatischen Erfahrungen. Hagen Fleischer ist der international wohl renommierteste Kenner der deutsch-griechischen Zeitgeschichte. Die vorliegende Auswahl seiner bislang zumeist nur auf Griechisch publizierten Analysen bietet das notwendige Faktenwissen auf…mehr

Produktbeschreibung
Nach Jahrzehnten deutschen Stillschweigens zu den in Griechenland während der Okkupation von 1941 bis 1944/45 begangenen Untaten mehrt sich in den letzten Jahren das öffentliche Erinnern. Der unterbelichtete Teil der gemeinsamen Vergangenheit verlangt jetzt vertiefte Kenntnisse, vor allem auch der Vor- und Nachgeschichte dieser traumatischen Erfahrungen. Hagen Fleischer ist der international wohl renommierteste Kenner der deutsch-griechischen Zeitgeschichte. Die vorliegende Auswahl seiner bislang zumeist nur auf Griechisch publizierten Analysen bietet das notwendige Faktenwissen auf quellengesättigtem Fundament. Behandelt werden dabei unter anderem das Griechenlandbild der deutschen Politik nach dem Ersten Weltkrieg; die deutsche Besatzung und Ausplünderung des Landes im Bündnis mit Italien und Bulgarien; das gesamte Spektrum des griechischen Widerstands sowie der Kollaboration; die Auslöschung jahrhunderte-, wenn nicht jahrtausendealten jüdischen Lebens auf griechischem Boden und das Überleben allzu Weniger; die sogenannte »Wiedergutmachung« von 1960, als einzigem Anhaltspunkt für die Standardfloskel deutscher Politik bis heute, »alles ist juristisch wie politisch abschließend geregelt«. Ein notwendiges Buch voller schmerzhafter und notwendiger Lehren aus der Vergangenheit.
Autorenporträt
Hagen Fleischer ist Historiker und lebt seit 1977 in Griechenland, seit1985 als Doppelstaatsbürger. Nach und z.T. neben publizistischer Tätigkeit, lehrte er seit 1979 an den Universitäten Rethymnon (Kreta) und Athen, wo er das Fach Zeitgeschichte begründete. Dabei legte er den Schwerpunkt auf in Griechenland damals noch gültige Tabuthemen (Zweiter Weltkrieg, Widerstand und Kollaboration, Bürgerkrieg, Holocaust). Parallel galt und gilt sein besonderes Interesse den deutsch-griechischen Beziehungen im 20. Jahrhundert bzw. den politischen und kulturpolitischen Akteuren. Er repräsentierte Griechenland in zahlreichen Konferenzen und Kommissionen, z.B. Wien, 1987/88: Internationale Historikerkommission zur Vergangenheit Kurt Waldheims; State Department, 1998: Washington Conference on »Holocaust-Era Assets«; Hamburg, u.a.: 2001¿2004: »Wehrmachts-Ausstellung«. Bis zu seiner Emeritierung 2011 (und bis heute) lehrte er an der Nationalen Kapodistrias-Universität in Athen. In der internationalen Forschung und in tagespolitischen Stellungnahmen engagiert er sich für die immer noch unvollendete Aussöhnung seiner Heimatländer.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2020

Tabak gegen Vergessen
Nachwehen der deutschen Besetzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg

Dieses Buch ist eine Herausforderung. Es hat 366 Seiten, aber dies bei großem Format und kleiner Schrift, so dass ein anderer Umbruch wohl leicht den doppelten Umfang ergeben hätte. Kurzum: Man liest so etwas nicht nebenbei, zumal der Autor noch Nebensätze und Fußnoten mit dichten Informationen spickt, so dass von der ersten bis zur letzten Zeile höchste Aufmerksamkeit gefordert ist. Aber die Mühe lohnt.

Der Historiker Hagen Fleischer, der seit Jahrzehnten in Griechenland lebt, 1944 in Wien geboren wurde, deutsch-griechischer Doppelstaatsbürger und seit 2018 Träger des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse ist, hat sich die Erforschung der nationalsozialistischen Besatzungspolitik in seiner Wahlheimat zur Lebensaufgabe gemacht. Sein Rat wird gesucht. Dass Richard von Weizsäcker 1987 als Bundespräsident die ehemalige Exekutionsstätte von Kaisariani bei Athen besuchte, um dort einen Kranz zum Gedenken an die Opfer deutschen Besatzungsterrors niederzulegen, geht auch auf einen Vorschlag Fleischers zurück. Bevor Joachim Gauck 2014 in Griechenland als erster Bundespräsident um Verzeihung für die deutschen Verbrechen zwischen 1941 und 1944 bat, hatte auch er das Gespräch mit Fleischer gesucht. Außer in den Arbeiten von Heinz A. Richter gibt es in deutscher Sprache keine vergleichbar umfassende Forschung zur Besetzung Griechenlands im Zweiten Weltkrieg.

Der nun vorliegende Band "Krieg und Nachkrieg" enthält mehrere ursprünglich auf Griechisch erschienene Arbeiten, die sich auch mit den andauernden politischen und juristischen Nachwehen der Besatzungszeit befassen. Dabei ruft Fleischer in Erinnerung, wie es überhaupt zur von Hitler ursprünglich nicht geplanten Eroberung und Besetzung Griechenlands kam: Italien hatte Griechenland - gegen Hitlers Rat - angegriffen und steckte fest, woraufhin die Wehrmacht in Marsch gesetzt wurde, um den Verbündeten vor einem Debakel zu bewahren. Der Angriff erfolgte mit bulgarischen Hilfstruppen von Bulgarien aus. Jugoslawien, dessen Regierung keinesfalls, wie von Fleischer behauptet, "deutschfreundlich" war, hatte zwar im März 1941 unter hohem Druck und widerwillig einen Beitrittsvertrag zum deutsch-italienisch-japanischen Dreierpakt unterzeichnet. Doch als Aufmarschgebiet für einen deutschen Angriff auf Griechenland hatte es sich über Monate hinweg verweigert und wurde nach einem schlecht koordinierten Putsch schließlich ebenfalls besetzt.

In Griechenland folgte eine deutsch-italienisch-bulgarische Okkupation, wobei die Deutschen anfangs die am wenigsten unbeliebten Besatzer waren. Deutsche Offiziere zeigten Hochachtung gegenüber den Griechen, die tapfer gekämpft hatten: "Für die angespannten Beziehungen der Achsenpartner war kennzeichnend, dass sich die deutschen Militärs vor Ort mit den Griechen solidarisierten und demonstrativ mit ihnen statt mit den Italienern speisten." Zuvor, so Fleischer, habe sich Oberbefehlshaber Wilhelm List geweigert, an einer "Geschichtsfälschung" mitzuwirken und ein von Rom gefordertes Kapitulationsprotokoll zu unterzeichnen, in dem auch die militärisch geschlagenen Italiener als Sieger auftauchten.

Es gab anfangs, so Fleischer, eine Art Popularitätsskala von "erträglichen" bis "üblen" Besatzern: "In dieser absonderlichen Hierarchie rangierten die Deutschen bis zur abrupten Verschärfung ihrer Ordnungspolitik im Spätsommer 1943 klar an der Spitze; sie galten als einzige unabhängige, das heißt aus eigener Kraft agierende Besatzungsmacht, die infolge des italienischen Fiaskos ... gezwungen war, zugunsten ihres Partners zeitlich begrenzt einzugreifen. Kontinuierlich an letzter Stelle standen die bulgarischen ,Erbfeinde', mit denen fast kein Grieche zusammenarbeiten wollte."

Bulgarische Kriegsverbrechen in Griechenland, so das Massaker von Drama in Ostmakedonien 1941, bei dem mehr als 2000 Menschen getötet wurden (was bis heute in Bulgarien fast niemand weiß), stabilisierten diese Rangfolge. Doch so blieb es nicht. Die wachsende Brutalisierung der deutschen Besatzung mit ihren Massakern sowie die Ausweitung der Judenvernichtung auf Griechenland bestimmten immer stärker das Bild. Dies alles vor einem Hintergrund ständiger militärischer Improvisation, wie Fleischer verdeutlicht: So war Ende 1941 befohlen worden, Kreta zur Nachschubstelle für Truppen und Material des Afrikakorps auszubauen. Ein Flughafen auf neuestem technischen Stand wurde angelegt. Doch nach Rommels Niederlage bei El Alamein wurde der zum Risiko: "So rissen die Deutschen den nahezu fertiggestellten Flughafen wieder ab, um einer eventuellen alliierten Truppenlandung kein Einfallstor zu bieten."

Vereinzelt kam es während der Okkupationsjahre zu Allianzen zwischen griechischem Widerstand und Besatzern. Immer deutlicher wurden die Deutschen in bürgerlichen Kreisen nämlich als das im Vergleich zur inländischen "kommunistischen Gefahr" geringere, da ephemere Übel bezeichnet. Gestützt auf deutsche Lageberichte stellt Fleischer fest, dass die große Mehrheit der Todesfälle unter den Besatzern auf Angriffe der kommunistischen Widerstandsbewegung "Elas" zurückging. Der politische Sprengstoff, der aus griechischer Sicht in solchen Feststellungen liegt, überliest sich leicht. Nachdem die Kommunisten 1949 den sich nahtlos an die Besatzung anschließenden Bürgerkrieg verloren hatten, wurde der linke Widerstand gegen die Deutschen von der staatlichen Geschichtsschreibung in Griechenland jahrzehntelang kleingeredet, negiert oder verfälscht, rechtes Freischärlertum dagegen erhöht. Dass Fleischer dieses Bild aufgrund deutscher Akten korrigierte, hat ihm in Griechenland nicht nur Freunde eingebracht.

Fleischers Buch schildert auch die Wiederannäherung nach dem Krieg, genährt durch Athens Wunsch, Tabak in die Bundesrepublik zu exportieren, und Bonns Wunsch, die Verbrechen der Besatzungszeit unter den Tisch fallen zu lassen. Er beschreibt, wie sich manch ein deutscher Nachkriegsbotschafter in Athen weigerte, deutsche Verbrechen zur Kenntnis zu nehmen, während Ost-Berlin andeutete, man sei im Prinzip zu Entschädigungszahlungen bereit, sofern eine diplomatische Anerkennung der DDR damit einhergehe. Fleischers Aufsätze sind eine Fundgrube - selbst dort, wo man nicht allen Bewertungen des kenntnisreichen Autors folgen möchte.

MICHAEL MARTENS.

Hagen Fleischer: Krieg und Nachkrieg. Das schwierige deutsch-griechische Jahrhundert.

Böhlau Verlag, Köln 2020. 366 S., 30,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Michael Martens hält die "kenntnisreichen" Aufsätze des Historikers Hagen Fleischer in diesem Buch für eine Fundgrube, auch wenn die Inhaltsdichte und die kleine Schrift für ihn eine Herausforderung sind. Zu erfahren ist für den Leser laut Martens Wissenswertes über die Eroberung und Besatzung Griechenlands durch die Deutschen, über die Gewalttaten der Besatzer, die Kollaboration sowie die "juristischen Nachwehen" und die Wiederannäherung der beiden Staaten nach '45. Dass er sich nicht allen Beurteilungen des Autors anschließen kann, scheint Martens zweitrangig.

© Perlentaucher Medien GmbH