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Der postindustrielle Strukturwandel ist vielfach gescheitert - Wie kann es nun im Ruhrgebiet weitergehen?Das Verlöschen der fossilen Großtechnologien mit ihrer raumgreifenden Verbundwirtschaft hinterlässt im Ruhrgebiet ungelöste Fragen: Was soll den gescheiterten Versuchen der Re-industrialisierung folgen? Was ersetzt die verlorenen Arbeitsplätze und Ausbildungssysteme? Wie qualifiziert man junge Menschen, die geringe Aussicht auf Arbeit und Existenzsicherung haben?Der viel beschworene Strukturwandel hat zu weiten Teilen keine tragfähigen neuen Strukturen geschaffen, um diese Fragen zu klären.…mehr

Produktbeschreibung
Der postindustrielle Strukturwandel ist vielfach gescheitert - Wie kann es nun im Ruhrgebiet weitergehen?Das Verlöschen der fossilen Großtechnologien mit ihrer raumgreifenden Verbundwirtschaft hinterlässt im Ruhrgebiet ungelöste Fragen: Was soll den gescheiterten Versuchen der Re-industrialisierung folgen? Was ersetzt die verlorenen Arbeitsplätze und Ausbildungssysteme? Wie qualifiziert man junge Menschen, die geringe Aussicht auf Arbeit und Existenzsicherung haben?Der viel beschworene Strukturwandel hat zu weiten Teilen keine tragfähigen neuen Strukturen geschaffen, um diese Fragen zu klären. Dabei wirkt der lange Arm der Großindustrie noch immer nach: Ersatzarbeitsplätze hat sie lange verhindert, dem Abschied von den fossilen Energien ist sie hinterhergelaufen und ihr Einfluss auf die Politik ist heute größer als ihr faktischer Beitrag zur Erneuerung der Region. Die Politik hingegen hat sich dem immer wieder untergeordnet.Ingrid Krau hat diese Strukturen als Stadtplanerin von innen miterlebt. Sie trifft auf Menschen, die in erstaunlicher Bescheidung leben, mit billigem Konsum und jeder Menge Events bei Laune gehalten. Ihr Fazit: Nur eine breite und grundlegende Bildungs- und Ausbildungsinitiative kann das beenden.
Autorenporträt
Ingrid Krau, 1942 in Berlin geboren, studierte Architektur in Braunschweig und Berlin, arbeitete als Architektin, führte ein Projekt zur Humanisierung des Arbeitslebens durch und war an der Umnutzung von Industrieanlagen im Ruhrgebiet beteiligt. Von 1985 bis 1990 war sie Mitherausgeberin der "Stadtbauwelt", von 1994 bis 2007 Professorin an der TU München (Lehrstuhl für Stadtraum und Stadtentwicklung) und bis 2010 Direktorin in der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. Ingrid Krau lebt in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.08.2018

Anthropozän aus Kohle und Stahl
Ingrid Kraus Erinnerungen an das Ruhrgebiet bestehen den Gegenwarts-Test nicht

In der Flut der Ruhrgebietsliteratur zum Abschied vom Steinkohlenbergbau schaukelt dieser Beitrag zwischen den Wellen. Persönlich im Zugang, wissenschaftlich im Anspruch, hat er Mühe, sich zu entscheiden und eine Balance zu finden. Die Autorin, 1942 in Berlin geboren, ist in Gelsenkirchen aufgewachsen und hat, nach Architekturstudium und sozialwissenschaftlicher Promotion, bei der Stadtplanung in Duisburg gearbeitet, an der TU München gelehrt und von 1995 bis 2010 das Institut für Städtebau und Wohnungswesen geleitet. Ihre Beziehung zum Ruhrgebiet reicht weit zurück, ist aber länger her - beides ist ihrem Essay anzumerken, der (mit überwiegend eigenen Fotos) als Versuch nachgetragener Heimatverbundenheit auftritt.

Die biographische Spur wird am zweiten autofreien Sonntag im Dezember 1973 vor dem Hochofen-Panorama der August-Thyssen-Hütte in Duisburg aufgenommen. Das gigantische Werk erscheint als Manifestation von "Tonnenideologie" und "economies of scale", die zu immer größeren technologischen Anlagen und Verbundsystemen führen. Ingrid Krau erkennt darin eine von Pfadabhängigkeit geleitete Fehlentwicklung, was die energie-, umwelt- oder auch siedlungspolitischen Folgen gerade so bestätigen wie die jüngsten Fusionsbestrebungen und Übernahmespekulationen. Aus heutiger Sicht ist diese Kritik naheliegend, Substanz aber bekäme sie erst, wenn gezeigt würde, welche Alternativen die "Stadt Montan" hatte, sich den globalen Prozessen zu entziehen und eine eigene, kleinteilige Strategie zu verfolgen.

Mehr als "zwei bemerkenswerte Ansätze" macht Krau nicht aus, selbst die Internationale Bauausstellung Emscherpark, die von 1989 bis 1999 ein Erneuerungsprogramm koordinierte, ist ihr nur Randerwähnungen wert. Die Schließung des Hüttenwerks in Rheinhausen sieht sie als nur weitere Niederlage und nicht auch als "zentralen Erinnerungsort des Ruhrgebiets", der "stellvertretend für ein ganzes Lebensgefühl" (Stefan Berger) steht. Wer dem Ruhrgebiet einen "eher unverstandenen Strukturwandel" nachsagt, schaut über dessen Tellerrand nicht hinaus. Denn im internationalen Maßstab, gerade im Vergleich mit den englischen Kohlerevieren und dem Rostgürtel in den Vereinigten Staaten, hat es den schwierigen Transformationsprozess gut hinbekommen.

Den nächsten Zugang bieten Grubenfahrten, Kohle und Stahl "schufen mein persönliches Anthropozän": Die Autorin verknüpft wissenschaftliche Befunde und persönliche Beobachtungen, ohne die vielen Fakten, Details und kleinen Abschweifungen, Angelesenes und Aufgelesenes zu einer stringenten Darstellung zu bündeln. Manches bleibt in Anmerkungen und Andeutungen stecken: Dass "Hoesch-Hörde", das nur als Beispiel, das neue Villenviertel am künstlich angelegten Phönix-See im Dortmunder Süden meint, wird nicht erklärt. Das Ruhrgebiet erweist sich als "hervorragendes Studienobjekt": Wo sonst ging innerhalb von zwei Jahrhunderten der schnelle Aufstieg und lange Niedergang der Montanindustrie so dramatisch vonstatten? Gelsenkirchen, die "Stadt der tausend Feuer", gibt das "exponierte Beispiel". Der Wendepunkt ist 1958 (und nicht, wie Krau schreibt, 1966) erreicht, dem Jahr, in dem Schalke 04 zum letzten Mal deutscher Fußballmeister wird. Fehler dieses Kalibers finden sich mehrere: So hat Willy Brandt den "blauen Himmel über der Ruhr" nicht 1969, sondern bereits 1961 versprochen. Eine Anwaltskanzlei, ein Landschaftsarchitekturbüro und "Freunde des Ruhrgebiets" haben die Veröffentlichung unterstützt, für ein Lektorat aber hat es nicht gereicht.

Das "verlöschende Industriezeitalter" glüht dort stark, wo die Autorin auf eigene Erfahrung und Anschauung setzt. Die einzelnen Kapitel, womöglich zu unterschiedlichen Anlässen entstanden, werfen Schlaglichter, eine differenzierte Diagnose wird nicht geleistet. Die Auswahl der Beispiele wirkt beliebig, die Bibliographie lückenhaft: Ein privates Projekt wie die Claudiushöfe in Bochum wird angeführt, ein Brennpunkt wie die Dortmunder Nordstadt nicht erwähnt.

Die Schilder, mit denen Ingrid Krau dem Ruhrgebiet den "Weg aus der misslichen Lage" weisen möchte, sind weder sonderlich originell noch revierspezifisch: "Neue Bildungsinitiativen, neue Schulkonzepte, Szenen und Existenzgründer." Wer Zukunftsbilder aufruft und dabei das Programm für die MINT-Fächer, nicht aber das Projekt "Jedem Kind ein Instrument" (JeKi), das 2003 in Bochum erfunden und 2007 auf die Region ausgedehnt wurde, anführt, kann von dem, was sich im Ruhrgebiet in den vergangenen Jahren getan hat, nicht viel mitbekommen haben.

ANDREAS ROSSMANN

Ingrid Krau: "Verlöschendes Industriezeitalter". Suche nach Aufbruch an Rhein, Ruhr und Emscher.

Wallstein Verlag, Göttingen 2018. 144 S., geb., 14,90 [Euro].

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»Das sollten Sie lesen!« (Rainer Bohne, Planerin - Mitgliederfachzeitschrift für Stadt-, Regional- und Landesplanung, April 2018)