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Die grausame Verbindung von Ideologie und Liebe
In einer Nacht lässt eine Frau ihr langes Leben in einem Dorf im Norden Finnlands Revue passieren. Schon mit vier Jahren schien ihr Schicksal besiegelt zu sein, als sie im Haus der Eltern den Oberst kennenlernt, ihren späteren Ehemann. Achtundzwanzig Jahre älter als sie, macht er aus ihr eine glühende Nationalsozialistin. Beide verehren sie Hitler, und mit seinen Erfolgen wächst ihre alles verzehrende Liebe zueinander. Doch mit dem Fall Nazideutschlands zieht die Gewalt in die Ehe ein - und sie muss alle Kräfte aufbieten, um sich zu befreien,…mehr

Produktbeschreibung
Die grausame Verbindung von Ideologie und Liebe

In einer Nacht lässt eine Frau ihr langes Leben in einem Dorf im Norden Finnlands Revue passieren. Schon mit vier Jahren schien ihr Schicksal besiegelt zu sein, als sie im Haus der Eltern den Oberst kennenlernt, ihren späteren Ehemann. Achtundzwanzig Jahre älter als sie, macht er aus ihr eine glühende Nationalsozialistin. Beide verehren sie Hitler, und mit seinen Erfolgen wächst ihre alles verzehrende Liebe zueinander. Doch mit dem Fall Nazideutschlands zieht die Gewalt in die Ehe ein - und sie muss alle Kräfte aufbieten, um sich zu befreien, von ihrem tyrannischen Mann und den falschen Versprechungen.

»Die Frau des Obersts« ist ein messerscharfes, unerbittliches Zeugnis über die Allmacht der ideologischen Verblendung, über Abhängigkeit und Unterwerfung und die Kraft der wahren Liebe.
Autorenporträt
Rosa Liksom, 1958 in Lappland geboren, lebt heute in Helsinki. Sie debütierte 1985 und zählt zu den innovativsten Gegenwartsautor*innen Finnlands, ihr Werk ist vielfach preisgekrönt. »Abteil Nr. 6« wurde 2011 mit dem wichtigsten finnischen Literaturpreis, dem Finlandia-Preis, ausgezeichnet, und die Verfilmung wurde 2021 in Cannes mit dem Grand Prix gewürdigt. Von einem wahren Schicksal inspiriert, hat ihr neuester Roman, »Die Frau des Obersts«, Kritiker wie Leser gleichermaßen begeistert. 2020 wurde Rosa Liksom von der Schwedischen Akademie mit dem Nordischen Preis für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet. Neben dem literarischen Schreiben verfolgt die Autorin eine künstlerische Karriere und malt, macht Comics und Kurzfilme.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2020

Allein seine Tritte sind unverzeihlich

Hitler-Verehrung, Fanatismus und Gewaltexzesse: Die finnische Autorin Rosa Liksom erzählt aus den vierziger Jahren in Lappland.

Von Fridtjof Küchemann

Als die Mädchen im finnischen Sommerlager vor vielleicht neunzig Jahren ein paar Stunden Freizeit haben, lesen einige in der Bibel, andere singen oder spielen Fangen. Eines geht ins lappländische Sumpfmoor: Benebelt von den aufsteigenden Gasen, fasziniert von flirrenden Farben, schnell vollständig durchnässt und verdreckt, fühlt es sich "frei und grenzenlos". Es besteht "von vorn bis hinten aus überirdischer Kraft und Herrlichkeit", schließt die Augen und schwebt "mit den bloßen Instinkten voran". Wenn jetzt der Tod kommt, denkt das Kind, "dann heiße ich ihn mit offenen Armen willkommen".

Der Tod kommt lange nicht in Rosa Liksoms Roman "Die Frau des Obersts", jedenfalls nicht zur Erzählerin, die im hohen Alter nächtens ihre Geschichte notiert und mit der Kindheitserinnerung im nationalistischen Sommerlager beginnt. Und doch ist der Tod allgegenwärtig in diesem Buch: im ländlichen Leben der Kindheit, in der Bestialität der Kriegszeit, in der Brutalität ihres Ehemanns, des Obersts, in der Zeit danach. Eine seltsame Bereitschaft zeichnet Rosa Liksoms Erzählerin aus, Missbrauch, Gewalt, Bedrohung und Tod in ihrem Leben hinzunehmen, zugleich wie unbeteiligt von Greueltaten zu berichten, auch von solchen, die ihr selbst widerfahren. Dabei findet sie - instinktiv, körperlich, sexuell, mitunter fast animalisch - immer wieder zu einer ganz eigenen Lebensgier zurück. Sie ist so von sich selbst erfüllt und gleichzeitig so entrückt, dass der Leser nicht einmal ihren Namen erfährt. Eine vielfach traumatisierte Stimme, die nicht nur den Wahnsinn, sondern auch das Erlebte in der Nüchternheit ihres Erzählens gerade so zu bändigen scheint.

Vielleicht ist diese Figur nicht zu verstehen ohne die Zeit, von der sie erzählt - und diese Zeit nicht ohne die Wunden, die sie in Menschen wie sie schlägt: Nicht viel mehr als zwanzig Jahre nach der Unabhängigkeit von Russland sahen die Finnen in wachsender Angst vor dem übermächtigen Nachbarn das nationalsozialistische Deutschland als einzig mögliche Unterstützung - und stießen auf Ablehnung, bis Hitler die Bedeutung der Nickelerzvorkommen in Petsamo für die Rüstungsindustrie erkannte. Himmler hatte, wie die Erzählerin erfährt, die Finnen für "minderwertig" im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie erklärt. Dennoch gab es glühende Verehrer des Nationalsozialismus im Finnland der dreißiger und vierziger Jahre. Ganz vorne mit dabei: der Oberst, Nachbar aus Kindheitstagen, später Geliebter, Mann, mehrmals beinahe Mörder der Erzählerin.

So scheinbar teilnahmslos, wie sie von dem Mann erzählt, so fassungslos stehen ihre Leser vor dieser Figur, der seiner achtundzwanzig Jahre jüngeren Geliebten gleich nach der Verlobung eine Handgranate in die Unterhose schiebt und eine zwischen die Lippen, der mit Vergnügen von Grausamkeiten berichtet, der Bewunderung und Hingabe der Erzählerin sicher.

An seiner Seite reist sie: nach Helsinki, wo seine Mutter ihr noch beim Kennenlernen rät, ihn nie zu heiraten, über Berlin ins gerade erst besetzte Polen, in ein Gutshaus, vor dem "nervenschwache und jüdische Gefangene" im kalten Regen im Garten schuften, von Rottweilern bewacht, weil es den SS-Wachsoldaten draußen zu unfreundlich ist.

Schon in ihrem ersten Roman, "Crazeland", 1999 in deutscher Übersetzung erschienen, befasst sich Rosa Liksom mit Lappland, dem Krieg und großfinnischen Phantasien. In "Die Frau des Obersts" kehrt ihr Paar zurück, bevor der Krieg die Heimat ganz erreicht: Nach einem keine vier Monate währenden Winterkrieg 1939/40 kämpfte Finnland im "Fortsetzungskrieg" zusammen mit Deutschland von Ende Juni 1941 an gegen die Sowjetunion. Zuletzt überstieg die Zahl der in Lappland stationierten Wehrmachtssoldaten die der Einwohner um mehr als das Doppelte.

Der Oberst scheint den Krieg wie im Rausch zu genießen, seine Verlobte vergöttert den Berauschten. Und Rosa Liksom führt durch diese Zeit bis zum großen Kater: Als sich Finnland nach einem Separatfrieden mit Moskau gegen Deutschland wendet, fordert der Befehlshaber der Wehrmacht den Oberst auf, in einem Partisanenregiment gegen Russen und Finnen zu kämpfen - Generalsstreifen um den Preis eines erweiterten Selbstmords, wie der Oberst erkennt. Um nicht die Waffe gegen die Deutschen heben zu müssen, taucht er mit seiner Verlobten unter. Sie heiraten, als alles verloren scheint. Und damit ist für die Erzählerin alles verloren.

Nach dem Krieg wendet er seinen Sadismus gegen sie: "Ich wurde nach oben geschleudert, in den grauen Bereich von Seele und Körper, und schaute von der Decke aus zu, wie er mich auspeitschte, vergewaltigte, auf mich pisste und mich zum Schluss in den Kleiderschrank sperrte", schildert die Erzählerin einen der vielen Exzesse. Als sie ein erstes Mal schwanger wird, ist sie dreiundvierzig. "Trächtig" nennt sie sich selbst im Rückblick: Auch dass sie dem Oberst entkommen konnte, dass sie, wieder Lehrerin, in einem abermals achtundzwanzig Jahre Jüngeren eine neue Liebe findet, dass sie später als Schriftstellerin mit geschönten Geschichten aus der Zeit mit dem Oberst wenigstens noch Kapital schlagen kann, ändert nichts daran, dass sie von sich selbst spricht als von einem Tier. Am Ende ist sie bereit, dem Oberst alles zu verzeihen. Bis auf die Tritte, mit denen er "unseren gemeinsamen Sohn aus mir heraus auf den Fußboden geprügelt hat".

"Die Frau des Obersts" ist schonungslos und obszön. Der Ertrag der Lektüre: eine Ahnung der Perversionen, die Nationalsozialismus und Krieg begünstigt haben, und ihrer Träger in ungewohntem Blickwinkel und Zusammenhang. Wenn man Rosa Liksom fragt, wie sie auf eine solche Erzählerin gekommen ist, in der sich Verblendung und Trauma auf diese Weise verquicken, antwortet sie schlicht: "Es waren Nachbarn meiner Eltern."

Rosa Liksom: "Die Frau des Obersts." Roman.

Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Penguin Verlag, München 2020. 224 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.04.2020

Eine widerwärtige Liebe
Rosa Liksom erzählt in „Die Frau des Obersts“ aus einem Frauenleben in Finnland zur Nazizeit
Dieses Buch ist voller Ekel, obszön, brutal, kitschig. Es verstört und verwirrt mit einer fiktiven Liebesgeschichte zweier finnischer Nationalsozialisten in den Jahren vor und während des Zweiten Weltkriegs. Wie soll man nicht davon angeekelt sein zu lesen, wie diese Menschenverächter „im Schein des zunehmenden Mondes bis zum frühen Morgen fickten“? Dass „Deutsch die Sprache ihrer Liebe“ war und diese Liebe „mit dem Funkenregen des Polarlichts“ um die Wette sprühte.
„Die Frau des Obersts“, der jüngste Roman der finnischen Autorin Rosa Liksom, wirkt zunächst wie schmalzig aufgeladene Naziromantik um der reinen Provokation willen und erinnert im Ansatz an Jonathan Littels erfundene Nazi-Biografie „Die Wohlgesinnten“ (2006). Der Roman spaltetete die Literaturkritik, die einen bezeichneten Littels Geschichte eines fiktiven SS-Obersturmführers als pornografisch-monströses Machwerk, die anderen sahen ein eindrucksvolles Buch über Nazismus darin. Auch Takis Würgers umstrittener Liebesroman „Stella“ kommt einem in den Sinn, der ihm den Vorwurf eintrug, aus Lust am Schockieren die Nazi- und Holocaustvergangenheit auszubeuten.
Liksoms Roman ähnelt beiden Büchern, geht aber in eine andere Richtung. Die Geschichte ist in vielen Momenten derb und abstoßend, stellt aber weder den Holocaust zur Schau, noch fiktionalisiert sie eine historische Person, wie es bei Takis Würger der Fall war. Liksom konzentriert sich auf die Erfahrung von Gewalt und Unterdrückung rein im Privaten. Sie lässt eine namenlose Frau auf ihr Leben zurückblicken und von der Kindheit im idyllischen Lappland erzählen, ihrem streng konservativen Vater und ihrem fast dreißig Jahre älteren Ehemann, der sie zur überzeugten Nationalsozialistin macht.
Ein Leben voller Rührseligkeit und Naturverbundenheit, das zugleich von ungehemmter Gewalt, Hass und Unterdrückung bestimmt ist. Ihr Vater schlägt sie als Kind mit dem Holzstock bis sie blutet, ist aber noch gnädig im Gegensatz zur Mutter. Der Oberst, ein enger Kamerad des Vaters, ist ein übler Tyrann, vor dem selbst die Familie warnte. Sie verliebt sich trotzdem in ihn und ordnet sich dem herrschsüchtigen Peiniger unter, gehorcht ihm in allen Belangen. Die Faszination des Romans besteht in diesem irritierenden Spannungsfeld aus Ideologie, Liebe und Gewalt.
Rosa Liksom ist im skandinavischen Raum keine Unbekannte. Ihr voriger Roman „Abteil Nr. 6“ wurde mit dem Finnland-Preis, Finnlands wichtigstem Buchpreis, ausgezeichnet. Vor wenigen Wochen erhielt sie von der Schwedischen Akademie den Nordischen Preis für ihr Gesamtwerk. Neben ihrer Arbeit als Schriftstellerin ist sie Malerin, Performancekünstlerin und Comic-Autorin. Mit „Die Frau des Obersts“ denkt sie sich zurück in ihre lappländische Heimat im Norden Finnlands. Es ist ein Roman, der von den schweren gesellschaftlichen Konflikten erzählt, die Finnland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tief prägten, von der Spaltung in die „weißen“ Nationalisten und die „roten“ Kommunisten nach der Unabhängigkeit Finnlands 1917 und dem Bürgerkrieg, der Kollaboration mit Deutschland, den grausamen und verlustreichen Kämpfen während des zweiten Weltkriegs.
Der Oberst steht als ranghoher Kriegsführer mitten in diesen Ereignissen. Liksom bringt ihre fiktiven Figuren in eine historisch reale Umgebung: Der Reichsminister Adolf Speer bekommt ebenso einen Kurzauftritt wie Adolf Hitler, der mit seinem „kümmerlichen Wuchs“ und „Säuglingsbauch“ das idealisierte Bild des großen Führers zerstört.
Solange die Deutschen Erfolge im Krieg verzeichnen, hält sich die unerklärliche Liebe zum Oberst aufrecht. Erst, als sich mit der Niederlage des Dritten Reichs dessen Illusionen des reinen, unfehlbaren Deutschtums auflösen, kommt das Monster in ihm, das seine Frau halb tot schlägt, richtig zum Vorschein.
Liksom schafft es durch eine Sprache, die in starkem Kontrast zur beschriebenen Gewalt steht, eine permanente Unruhe entstehen zu lassen. Sie beschreibt das lange Leben ihrer Hauptfigur auf der einen Seite nüchtern und abgeklärt: „Mein Vater machte mich zu einer Tochter des weißen Finnlands, der Oberst zu einer Nationalsozialistin. Für beides schäme ich mich nicht.“ Dagegen setzt sie eine obszönen Übersteigerung: „Der Oberst sagt, bei keiner Frau rieche die Möse so gut wie bei mir, und hielt auf Deutsch um meine Hand an, während er seinen Schwanz am geblümten Vorhang abtrocknete.“ Man kämpft mit widerstreitenden Signalen, möchte die Frau verstehen, schafft es aber nicht. Mehrmals wiederholt die Ich-Erzählerin, wie überzeugt sie ideologisch gewesen ist, und dass sie von den Gräueltaten wusste, die verübt wurden. Wenn sie auch nicht selbst Verbrechen begangen hat, war sie doch Komplizin der Nazi-Schergen. Und zugleich das Opfer eines Wahnsinnigen, mit dem sie eine ungestüme Liebesgeschichte verbindet, bis er sie in die Psychiatrie prügelt.
Liksom schreibt damit ein Buch über Ideologie, ohne sie analysieren zu wollen. Sie sucht nach Erklärungen ohne zu psychologisieren. Es scheint ihr in dieser übertrieben kitschigen und brutalen Erzählung vielmehr darum zu gehen, ein krankhaftes Abhängigkeits- und Unterwürfigkeitsverhältnis zu zeigen. Der Nazismus bereitet dem den Boden.
Als die Grässlichkeit des Obersts selbst für den Leser nicht mehr erträglich ist, findet die Frau einen Weg aus ihrer Abhängigkeit. Soll sie am Ende für ihre Komplizenschaft verachtet oder für ihre späte Befreiung bewundert werden? Dass sich diese Frage schwer beantworten lässt, ist die große Stärke des Romans.
TOBIAS OBERMEIER
Rosa Liksom: Die Frau des Oberst. Roman. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Penguin, München 2020. 224 Seiten, 20 Euro.
Rosa Liksom wurde mit dem Namen Anni Ylävaara 1958 in Lappland geboren. Sie arbeitet als Autorin und Performancekünstlerin.
Foto: Frank Rumpenhorst/dpa
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»Schonungslos und obszön. Der Ertrag der Lektüre: eine Ahnung der Perversionen, die Nationalsozialismus und Krieg begünstigt haben, und ihrer Träger in ungewohntem Blickwinkel und Zusammenhang.« FAZ, Fridtjof Küchemann