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An der Völkerschlacht bei Leipzig, die vom 16. bis zum 19. Oktober 1813 tobte, waren mehr als eine halbe Million Soldaten beteiligt. Es war die bis dahin größte Schlacht, die jemals in der Geschichte geschlagen wurde. In Deutschland markiert sie den politisch-militärischen Wendepunkt im Kampf gegen den Eroberer Napoleon. Welche Nationen an der Schlacht beteiligt waren, wie sie verlief, mit welchem Grauen sie einherging, welche Konsequenzen sie nach sich zog und wie sie schon bald zum Mythos und schließlich zum Bestandteil der Erinnerungspolitik wurde, wird in diesem Buch erzählt.

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Produktbeschreibung
An der Völkerschlacht bei Leipzig, die vom 16. bis zum 19. Oktober 1813 tobte, waren mehr als eine halbe Million Soldaten beteiligt. Es war die bis dahin größte Schlacht, die jemals in der Geschichte geschlagen wurde. In Deutschland markiert sie den politisch-militärischen Wendepunkt im Kampf gegen den Eroberer Napoleon. Welche Nationen an der Schlacht beteiligt waren, wie sie verlief, mit welchem Grauen sie einherging, welche Konsequenzen sie nach sich zog und wie sie schon bald zum Mythos und schließlich zum Bestandteil der Erinnerungspolitik wurde, wird in diesem Buch erzählt.
Autorenporträt
Hans-Ulrich Thamer ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Münster.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.10.2013

Wanderer, kommst du nach Connewitz

Vor zweihundert Jahren standen sich bei Leipzig Soldaten aus einem Dutzend Nationen gegenüber. Die bis dahin größte aller Schlachten entschied über Napoleons Sturz und die weitere Geschichte Europas. Ein Wegweiser durch neue Bücher zur Völkerschlacht und zu den Befreiungskriegen.

Von Andreas Kilb

Am 14. Oktober 1813, kurz nach 16 Uhr, nutzt ein Gehilfe aus einem Leipziger Handelshaus die Gelegenheit, auf dem Galgenplatz vor den Toren der Stadt einen Blick aus nächster Nähe auf den Kaiser der Franzosen zu werfen. Der große Mann, schreibt der anonyme Schaulustige in seinem erst 1926 in den "Leipziger Neuesten Nachrichten" erschienenen Bericht, sitzt über einen Kartentisch gebeugt und "sieht aus wie ein Dicker Pächter, er popelt sich oft in der Nase, welches nicht hübsch aussieht! - gähnte sehr oft und schlug sein Wasser öffentlich ab. Immer ist er beschäftigt, bald ging er hin und her, bald legte er sich mit seinem dicken Corpus auf seine Stuhllähne und schaukelte sich, auf die liegende Landkarte sehend, dann spielte er mit einem Erlenknittel, welchen er beim Feuer fand . . . " Mit einem Wort: Napoleon ist nervös. So nervös wie der Leser, der sich fragt, welche der vielen Neuerscheinungen zum zweihundertsten Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht und zu den Befreiungskriegen er sich passenderweise zulegen soll. Steffen Posers Bändchen beispielsweise, aus dem der zitierte Augenzeugenbericht stammt, enthält noch viele ähnlich anregende Zitate und eine Fülle an Illustrationen aus dem Bestand des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig, bei dem der Autor als Kurator der Militaria-Sammlung tätig ist, bleibt aber gerade in der Veranschaulichung des eigentlichen, sprich: militärischen Geschehens jener vier nasskalten Oktobertage von 1813 ein entscheidendes Element schuldig - Karten. Schließlich weiß nicht jeder Nichtleipziger (und selbst mancher Leipziger nicht) auf Anhieb, wo Möckern, Dölitz, Connewitz, Wachau oder Probstheida liegen, die Orte, an denen die Schlacht entschieden wurde. Ohne eine genaue Vorstellung von der Topographie des Geschehens aber hängen die prägnanten Schilderungen Posers und seiner Gewährsleute in der Luft.

Dafür punktet Posers Buch in den Schlusskapiteln, in denen es um den Anteil Sachsens an den Befreiungskriegen geht. So erfährt man, dass es nicht nur sächsische Freiwillige in der antinapoleonischen Allianz gab. Es gab auch, unter den bei Leipzig ins Lager der Verbündeten übergelaufenen regulären Truppen, eine regelrechte, blutig niedergeschlagene Rebellion gegen die Eingliederung ins preußische Heer im Frühjahr 1815. Auf dem Wiener Kongress konnte Metternich zur gleichen Zeit nur knapp die Annexion Sachsens durch Preußen verhindern. Kein Wunder, dass die Leipziger alsbald wenig Lust verspürten, den Jahrestag der Völkerschlacht zu feiern.

Ein bei Probstheida aufgestelltes Ehrenkreuz wurde heimlich angesägt, so dass es beim nächsten Sturm umfiel. "Hat uns der Preuß' das Land gestohlen, mag auch das Kreuz der Teufel holen", soll auf einem Zettel gestanden haben, der in der Nähe gefunden wurde.

Hans-Ulrich Thamers Band tritt mit dem Gestus eines künftigen Standardwerks an. Entsprechend schlägt der Autor einen weiten Bogen von Napoleons Aufstieg über die russische Katastrophe zu den Koalitionsverhandlungen des Sommers 1813, bevor er auf dem Schlachtfeld ankommt. Aber bereits auf dem Weg dorthin gerät er bei Kleinigkeiten ins Stolpern. So liegt Gadebusch, wo Theodor Körner fiel, nicht "im Süden von Leipzig", sondern hoch oben in Mecklenburg. Und bei Dennewitz hat nicht Blücher, sondern die Nordarmee unter Bernadotte und Bülow über die Franzosen gesiegt.

Und was soll man von Thamers Bemerkung halten, Napoleon habe seine "ganze Kriegskunst" darin gezeigt, dass er "die Infanterie . . . zu geschlossenen Divisionskolonnen umformen" ließ, "um die Feuerreihen weniger tief zu staffeln und sie stattdessen zu verbreitern"? Die von Napoleon erfundene Kolonnentaktik bestand in Stoßangriffen tief gestaffelter Infanterie, während die klassische Linientaktik Feuerreihen von drei oder vier Gliedern vorsah. Thamer kann beides offenbar nicht auseinanderhalten.

Diese Kette von Ungenauigkeiten setzt sich in den folgenden Kapiteln fort. Die Parthe, die am 16. Oktober die Schlachtfelder der schlesischen Armee und der Hauptarmee unter Schwarzenberg trennte, mündet nicht "in die Pleiße". Blücher überschritt bei der Verfolgung Napoleons den Rhein nicht irgendwo "zwischen Mannheim und Koblenz", sondern exakt bei Kaub. Und der "kleine Krieg" bezeichnet eben nicht die Kabinettskriege des achtzehnten Jahrhunderts, wie Thamer suggeriert, sondern jene Taktik der Überfälle mit Reiterei und Milizen auf isolierte Einheiten des Gegners, die zwar schon vor Napoleon existierte, aber erst durch den Befreiungskrieg der Spanier ab 1808 - daher das Wort "guerilla" - zum Begriff wurde.

Solche Schnitzer trüben den Eindruck eines Buches, das insgesamt durchaus lesenswert und in den Schlussbetrachtungen über "Kulturen der Gewalt" und den Erinnerungsort Leipzig sogar vorbildlich ist. Wer erfahren will, wie unterschiedlich das Bild der Völkerschlacht schon kurz nach dem Ereignis in Berlin, Wien oder auch im Frankfurter Vorort Rödelheim war, wo sich Ernst Moritz Arndt und andere Patrioten trafen, um ein Festkomitee zur Vorbereitung jährlicher Gedenkfeiern zu gründen, muss Thamer lesen.

Wer sich dagegen mehr für eine lebendige Schilderung des Ereignisses und seiner politischen Voraussetzungen interessiert, wird zu Gerd Fessers knapper Darstellung greifen. Die Schlacht selbst nimmt bei Fesser nur zwanzig von hundert Textseiten ein, dennoch wird sie in all ihren Phasen unmittelbar anschaulich. So begreift man, wie nah Schwarzenberg, der seine Kräfte in dem schwierigen Gelände um Leipzig zersplittert hatte, am ersten Tag einer Niederlage war; und man versteht, dass es neben Blüchers Sturkopf der militärische Instinkt des Zaren Alexander war, der die Schlacht für die Verbündeten entschied.

Der Unterschied zwischen lebendigem Erzählen und den flotten Plattheiten, mit denen ein Teil der deutschen Geschichtswissenschaft um Leser wirbt, ist nicht immer gleich erkennbar. Aber man spürt ihn sofort, wenn man Arnulf Krauses Buch über die Befreiungskriege liest. Etwa da, wo es um die geistigen Feldzüge geht, mit denen deutsche Gelehrte die nationale Erhebung vorbereiten: "So der große Philosophie-Professor Immanuel Kant in Königsberg, der die Gefahren der Zukunft zu erdenken schien." Oder sein Verehrer Schiller, der "ein hehres Ziel vor Augen" hat, das aber "wiederum nicht so recht von dieser Welt ist". Auch jenen "jungen, früh verstorbenen Romantiker", der "sich Novalis nennt", treibt "das deutsche Geschick um". Derweil tut sich im Patriotentum eines Ernst Moritz Arndt "das ganze Problem deutscher Grenzen auf" - was wiederum Napoleon nicht davon abhält, "den deutschen Geistesgrößen eine gewisse Referenz (!) zu erweisen". Man könnte so noch lange weiter zitieren.

Was sich hier zwischen zwei Buchdeckeln auftut, ist ein neuer dampfplaudernder Typus populärer Publizistik, den man als Wikipedia-Wissenschaft bezeichnen möchte. Sein Standbein ist der Zugriff auf alles, was man über ein gegebenes Thema im Netz findet, sein Spielbein ein gut sortierter Zitatenkasten. Bei Krause ist dieser Kasten so reichlich gefüllt, dass er aufs Selbstdenken großenteils verzichten kann. Erst der selbstgewählte Zwang, ein Resümee zu ziehen, entlockt ihm ein paar finale Plattitüden: "Um 1813 zeichnen sich mehr oder weniger deutlich deutsche Sonderwege, fatale Irrwege und langwierige Umwege ab." Das hätte ein politischer Festredner nicht besser sagen können.

"Wie ein Koloß, eine Pyramide, ein Dom in Köln", so stellte sich Ernst Moritz Arndt ein Denkmal für die Befreiungskriege vor. Wie es auch, und ganz anders, hätte aussehen können, erfährt man aus einer historischen Denkschrift des Weimarer Verlegersohns Carl Bertuch, die Siegfried und Peter Seifert mit Bertuchs Augenzeugenbericht "Wanderung nach dem Schlachtfelde von Leipzig im October 1813" in einem exquisiten kleinen Band zusammengefasst haben. Die "Kapelle der Eintracht", die Bertuch auf dem Schlachtfeld errichten wollte, huldigte vor allem den verbündeten Monarchen von Österreich, Russland und Preußen, deren Statuen, "bedeutungsvoll aus Eisen gegossen", den Andachtsraum dominiert hätten, während ihre Heerführer in Reliefszenen zu sehen sein sollten.

Auf der Skizze von Karl Friedrich Steiner, die der Denkschrift beiliegt, erinnert Bertuchs Kapelle nicht von ungefähr an Schinkels Nationaldenkmal auf dem Berliner Kreuzberg. So war der Stil der Zeit: gotisch, romantisch, nicht ohne Melancholie. Doch es sollte nicht sein. Carl Bertuch starb 1815 in Weimar an Typhus. Das Trumm, das heute in Leipzig steht, kreuzt Arndts Großtönerei mit dem Größenwahn des Kaiserreichs. Mit diesem Erbe müssen wir leben.

Hans-Ulrich Thamer: "Die Völkerschlacht bei Leipzig". Europas Kampf gegen Napoleon.

Verlag C. H. Beck, München 2013. 126 S., Abb., br., 8,95 [Euro].

Gerd Fesser: "1813: Die Völkerschlacht bei Leipzig".

Verlag Bussert & Stadeler, Jena/Leipzig/ Quedlinburg 2013. 171 S., geb., 19,90 [Euro].

Steffen Poser: "Die Völkerschlacht bei Leipzig". In Schutt und Graus begraben.

Edition Leipzig im Seemann Henschel Verlag, Leipzig 2013. 176 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].

Arnulf Krause: "Der Kampf um Freiheit". Die Napoleonischen Befreiungskriege in Deutschland.

Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2013. 350 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].

"Wanderung nach dem Schlachtfelde von Leipzig im October 1813". Ein Augenzeugenbericht zur Völkerschlacht von Carl Bertuch.

Hrsg. v. Siegfried und Peter Seifert. Sax-Verlag, Markkleeberg 2013. 160 S., Abb., geb., 14,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.09.2013

Brandraketen und Bürgersoldaten
Vier Tage im Oktober 1813: Andreas Platthaus und Hans-Ulrich Thamer
über die Völkerschlacht bei Leipzig
VON STEPHAN SPEICHER
Als die Grande Armée Napoleons am Morgen des 19. Oktober 1813 sich aus Leipzig nach Westen zurückzog, war die größte Schlacht geschlagen, die Europa je gesehen hatte. Napoleon hatte 190 000 Mann zusammengezogen, die verbündeten Österreicher, Russen, Preußen und Schweden verfügten über gut 360 000 Mann. Von ihnen starben neunzig- bis hunderttausend. Man unterschätzt leicht die Verluste in den Kabinettskriegen des 18. Jahrhunderts. Aber neunzigtausend Tote hatte Europa noch nicht gesehen. Selbst die Bombardierungen Hamburgs und Dresdens sollten nicht so viele Menschenleben kosten.
  Dabei war schon die Vorgeschichte der Schlacht verlustreich genug. Nach der Katastrophe in Russland 1812 hatte Napoleon eine neue Grande Armée ausgehoben und war damit im Frühjahr 1813 nach Deutschland gezogen. In ersten Gefechten behauptete er das Schlachtfeld, allerdings nur unter hohen Verlusten. Im Juni kam es zu einem Waffenstillstand zwischen ihm und den verbündeten Preußen und Russen. Es war, wie er selbst später feststellte, sein größter Fehler. Besser als ihm gelang es seinen Gegnern, ihre Truppen zu ergänzen. Und was noch wichtiger war: Österreich schlug sich auf deren Seite.
  Am 10. August endete der Waffenstillstand. Die Alliierten hatten drei Armeen gebildet, die aus Süden, Osten und Norden auf Napoleon zumarschierten. Dessen Strategie war immer gewesen, die Kräfte im entscheidenden Moment auf einen Punkt zu konzentrieren und den Feind mit überlegenen Mitteln zu schlagen, das läuft in der Militärgeschichte unter dem Stichwort „Vernichtungs-“ oder „Niederwerfungsstrategie“. Die Verbündeten zogen um ihn herum, hetzten ihn wie den „Stier in der Arena“ (so der britische Militärhistoriker Chandler) und erschöpften die jungen, den Krieg nicht gewohnten Soldaten. Der Napoleon-Biograf Georges Lefebvre hat darin das Fortleben der alten Ermattungsstrategie gesehen: „Das Erstaunlichste daran war, dass diese Methode Erfolg hatte.“ Und doch lief es zuletzt auf die Entscheidungsschlacht heraus, wie es Napoleon prophezeit hatte: „In den Ebenen Sachsens muss sich das Schicksal Deutschlands entscheiden.“
  Die Geschichte der Schlachten und Kriegszüge gilt in Deutschland nicht mehr viel. Aber davon hat sich Andreas Platthaus, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , nicht abhalten lassen, eine groß angelegte Geschichte der Völkerschlacht zu verfassen. Jedem der vier Tage der Schlacht widmet er ein Kapitel, das den Verlauf der Gefechte beschreibt. Schon der erste Tag bringt eine Vorentscheidung. Napoleon geht auf die südliche, die Böhmische Armee los. Sie müsste er schlagen, während er noch über die größere Zahl verfügt. Die Franzosen sind überlegen, es werden schon die Siegesglocken geläutet, aber zu einem echten Sieg reicht es nicht. Denn im Norden bei Möckern hat die Schlesische Armee unter Blücher angegriffen, einen Sieg erfochten und vor allem Truppen gebunden, die Napoleon im Süden gebraucht hätte. Der dritte Tag bringt die endgültige Entscheidung, am vierten ziehen die Franzosen ab; wohl auf Entscheidung Österreichs war ihnen der Weg nach Westen offen gelassen worden. Dem Gegner war eine goldene Brücke gebaut, aber politisch nutzte er sie nicht. Die Hoffnung, Napoleon in eine europäische Friedensordnung einfügen zu können, sollte sich als Illusion erweisen.
  Schlachtschilderungen sind heikel, schnell ertrinkt man in den Details. Wellington, Sieger bei Waterloo 1815, schreibt zwei Monate nach dieser Schlacht: „Die Geschichte einer Schlacht ähnelt sehr der eines Balls. Der eine oder andere mag all die kleinen Ereignisse behalten haben . . ., keiner aber vermag sich ihrer Reihenfolge oder des genauen Zeitpunkt zu erinnern.“ Dem Problem ist auch Platthaus nicht ganz entkommen. Doch er lässt es nicht bei den Schlachtereignissen bewenden. Er skizziert die politische Lage, namentlich die sehr unangenehme Sachsens, und er widmet sich ausführlich den Opfern, den Toten und Verwundeten. Die medizinische Versorgung ist elendig, ein Chirurg notierte, „Amputationen werden von unberufenen Menschen gemacht, die kaum das Barbiermesser führen können und die Gelegenheit nützen, ihre ersten Ausflüge an den verwundeten Gliedern unserer Krieger zu machen.“
  Zwischen die Schlachtbeschreibungen schiebt Platthaus Exkurse. Der interessanteste behandelt die Rocketeers, die Raketeneinheit, die in Leipzig eingesetzt wurde. Die Briten hatten diese Technik in Indien kennengelernt, William Congreve vom Royal Laboratory wollte sie auf dem europäischen Kriegsschauplatz nutzbar machen. Attraktiv war die Aussicht, mit einer solchen Waffe die eigene numerische Unterlegenheit zu kompensieren. In Leipzig lösten die Brandraketen Panik beim beschossenen Gegner aus, ohne schlachtentscheidend zu sein. Interessant sind die Diskussionen, die diese neue Waffentechnik auslöste. Man meint, Argumente zu hören, die im 20. und 21. Jahrhundert im Streit um Atombewaffnung und Drohneneinsätze vorgetragen werden. Armee- und Marineführung blieben reserviert.
  In der Reihe Beck Wissen hat Hans-Ulrich Thamer, Professor für Neuere Geschichte in Münster, die Völkerschlacht dargestellt. Zumindest auf historischem Gebiet hält diese Reihe ein bewunderungswürdiges Niveau, und Thamers Buch macht da keine Ausnahme. Es ist konzentriert, aber nicht gepresst und bei aller Kürze durch klug gewählte Zitate auch sehr anschaulich. Thamer interessiert sich weniger für den Verlauf der Gefechte; er stellt die Tage von Leipzig stärker, als Platthaus es tut, in den politischen Zusammenhang vom schrittweisen Untergang der Macht Napoleons. Dessen Versprechen, den von ihm besiegten Ländern Fortschritt und Freiheit zu bringen, war mit dem Willen zur persönlichen Macht und dem Ruhm Frankreichs nicht zu verbinden.
  Und so sagten sich im Herbst 1813 auch die Rheinbundstaaten vom Empire los: Bayern acht Tage vor der Schlacht bei Leipzig, andere Staaten unmittelbar danach. Damit verlor Napoleon seine deutsche Basis. Alle Versuche, die Macht in neuen Feldzügen wiederzugewinnen, mussten von nun an aus den Reserven Frankreichs bestritten werden. Darin liegt die historische Bedeutung der Völkerschlacht.
  Es ist ein Vorzug Thamers, in der klugen Zusammenfassung immer wieder eine leitende Frage aufscheinen zu lassen, die nach dem „Volkskrieg“, wozu auch die Deutung der Ereignisse in den folgenden 200 Jahren gehört. Thamer ist sich der richtigen Antwort nicht sicher, das dürfte dem „Doppelcharakter“ des Krieges, wie er sich einmal ausdrückt, auch entsprechen. Die Entscheidung in Preußen zum Krieg gegen Napoleon ist von starker nationaler Rhetorik getragen, nicht bloß bei den üblichen Verdächtigen wie Arndt, Jahn, Körner oder den patriotisch entflammten Generälen. Selbst Yorck von Wartenburg, ein General ganz aus friderizianischer Tradition und eigentlich Widersacher der Reformkräfte, führte eine Sprache, die er selbst „die fast allgemeine der Nation“ nennt. Kutusow, der russische Feldmarschall, forderte im Namen des Zaren und auch des preußischen Königs im März 1813 die deutschen Fürsten auf, sich dem „Befreiungskampf“ anzuschließen, sonst würden sie der „verdienten Vernichtung durch die Kraft der öffentlichen Meinung“ anheimfallen. Offenbar hielt man „Volk“ und „Nation“ für echte Potenzen. Auf der anderen Seite aber wird der Feldzug von 1813 immer stärker ein Kabinettskrieg, in dem die Regierungen Russlands, Österreichs, Schwedens und Preußens (nimmt man England hinzu, auch eine fünfte) sich koordinieren müssen. Und das politische Ergebnis ist die Wiederherstellung des europäischen Gleichgewichts unter legitimistisch geführten Königreichen.
  In Deutschland hat die liberale Öffentlichkeit die preußischen Militärreformen für einen Fortschritt gehalten, einen Fortschritt in Freiheit und Gleichheit: die allgemeine Wehrpflicht, die Abschaffung der Prügelstrafe in der Armee, überhaupt die Vorstellung, jeder Bürger sei geborener Verteidiger seines Landes und umgekehrt der Soldat also Bürger. Volkskrieg oder Kabinettskrieg, das ist danach eine zentrale Frage. Andere sehen es anders. Großbritannien kannte bis in den Ersten Weltkrieg keine Wehrpflicht. Wellington, der Sieger von Waterloo, war ein großer Befürworter der Prügelstrafe. Sie, das heißt die Peitsche, noch genauer: die neunschwänzige Katze, blieb in der britischen Armee bis 1881 in Gebrauch, mit Unterstützung starker Parlamentsmehrheiten.
Andreas Platthaus : 1813. Die Völkerschlacht bei Leipzig und das Ende der Alten Welt. Rowohlt Berlin, Berlin 2013. 480 Seiten, 24,95 Euro.
Hans-Ulrich Thamer: Die Völkerschlacht bei Leipzig. Europas Kampf gegen Napoleon. C. H. Beck, München 2013 (Beck Wissen). 126 S., 8,95 Euro.
„In den Ebenen Sachsens muss
sich das Schicksal
Deutschlands entscheiden.“
Napoleon flieht – die Hoffnung, ihn in eine Friedensordnung einzubinden, wird bald enttäuscht werden.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Was laut Rezensent Andreas Kilb mit dem Gestus eines Standardwerks daherkommt, indem es den weiten Bogen vom Aufstieg Napoleons bis zur Schlacht schlägt, kommt unterwegs ganz schön ins Schleudern, wie er bemängelt, etwa bei der Frage, wer, wann, wo über die Franzosen gesiegt hat, oder wie genau Napoleons Kolonnentaktik funktionierte. Dass Kilb den Band trotz solcher Schnitzer dennoch lesenswert findet, liegt an Hans-Ulrich Thamers Betrachtungen zu Leipzig als Erinnerungsort, ebenfalls im Band und für Kilb in der Art, wie sie unterschiedliche Perspektiven auf die Völkerschlacht kurz nach dem Ereignis versammeln, sogar vorbildlich.

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