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Wer wir waren
Wie viele Dinge sich im Laufe des Lebens und der Generationen ansammeln - das erste Kuscheltier, Liebes- und Abschiedsbriefe, Mamas Pelz, Papas Fotos aus dem Krieg, die Kollektion der Lippenstifte, ein alter Gartenhut, gilbe Dokumente, das gute Kristall. Bleibt alles übrig, wenn wir gehen. Vorbeugendes Aufräumen? Sich »sterbefein machen«, wie die Bayern sagen? Schafft kaum einer und warum auch? Susanne Mayer verweigert sich dem Zeitgeist, das alles als Gerümpel zu entsorgen. Die gefeierte Autorin wendet sich den Dingen zu und schreibt, leicht und elegant, von dem, was sich in…mehr

Produktbeschreibung
Wer wir waren

Wie viele Dinge sich im Laufe des Lebens und der Generationen ansammeln - das erste Kuscheltier, Liebes- und Abschiedsbriefe, Mamas Pelz, Papas Fotos aus dem Krieg, die Kollektion der Lippenstifte, ein alter Gartenhut, gilbe Dokumente, das gute Kristall. Bleibt alles übrig, wenn wir gehen. Vorbeugendes Aufräumen? Sich »sterbefein machen«, wie die Bayern sagen? Schafft kaum einer und warum auch?
Susanne Mayer verweigert sich dem Zeitgeist, das alles als Gerümpel zu entsorgen. Die gefeierte Autorin wendet sich den Dingen zu und schreibt, leicht und elegant, von dem, was sich in ihnen verdichtet. Es entsteht ein Familienporträt, das anrührend ist und tief verstörend, zum Lachen verführt und nichts weniger ist als eine poetische Geschichte der Bundesrepublik.
Autorenporträt
Susanne Mayer, geboren 1952, ist Kulturreporterin und Literaturkritikerin der Wochenzeitung Die Zeit, in deren Feuilleton ihre freche Kolumne »Männer!« erscheint. Für ihre Arbeiten wurde sie 1985 mit dem Theodor-Wolff-Preis sowie 1990 und erneut 1994 mit dem Emma-Journalistinnen-Preis ausgezeichnet. Im Berlin Verlag erschienen ihr gefeiertes Buch »Die Kunst, stilvoll älter zu werden. Erfahrungen aus der Vintage-Zone« und »Männer!«. Susanne Mayer lebt in Hamburg und Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2019

Ein Erbe wie dieses
Susanne Mayer findet die deutsche Geschichte in den Dingen ihrer Familie
Am Ende bleiben die Dinge. Und diejenigen, die deren Eigentümer überlebt haben, müssen entscheiden, was bewahrt werden, was auf den Müllhaufen der Privatgeschichte wandern soll – eine Entscheidung, die auch darüber bestimmt, was künftig erinnert werden wird von den Vorbesitzern, denn die Dinge „zeigen uns, wer wir waren“.
Zu solchen Einsichten kommt Susanne Mayer, Kolumnistin der Zeit und Autorin der leichtfüßig-klugen Bücher „Die Kunst, stilvoll älter zu werden“ und „Männer“, aufgrund eingehender praktischer Erfahrung. Während eines langen Sommers, „in dem sich die Jahre des vorangegangenen Lebens unerwartet zusammenballten“, hat sie das Haus ihrer Eltern in einem Villen-Vorort der früheren Hauptstadt Bonn ausgeräumt und sich mit dem konfrontiert, was auch ihr Leben und das ihrer Schwester war, was vor allem aber das Leben ihrer Eltern ausmachte.
Die Mutter, die sich an nichts mehr erinnern kann, lebt im Seniorenheim, der Vater ist schon lange tot, und die Tochter findet sich, da sie nicht im Bett der Mutter nächtigen mag, auf einer Klappliege im Wohnzimmer wieder: „Ich war allein mit all diesen Dingen.“ Sich diesem, wie sich bald zeigt, „absoluten Zuviel, diesem Exzess von allem“ unbegleitet auszusetzen, erfordert Mut. Und noch mehr Mut braucht es, der Vergangenheit, wie sie aus den Dingen hervortritt, erinnernd, fragend, nachforschend, mal staunend, mal belustigt, mal ratlos, gegenüberzutreten. So geschieht es in „Die Dinge unseres Lebens“, einem Buch der Zuneigung und Verwunderung, einem Mutter- mehr als einem Vater-Buch, das wie nebenbei auch Abschied nimmt von einer luxurierend, saturierten Welt, die so nicht mehr existiert.
Dabei rufen die Manifestationen familiären Lebens in der Ausräumerin nicht selten Zweifel, vereinzelt auch Entsetzen hervor: Können dies die eigenen Eltern gewesen sein? Können sie sich an unvorstellbarem Schrecken der Nazizeit und des Krieges aktiv beteiligt, gegen alle Moral gehandelt haben? Und wie konnten sie dann, nach einer Übergangsphase eiserner Sparsamkeit, derart üppig, in einem materiellen Überschwang weiterleben, der alles Gewesene mit Unmengen an teuren Dingen überlagerte? Für die Kinder jedenfalls kondensierte sich die Kriegserfahrung des Gefreiten Hans Mayer in dessen Lust am Skifahren und Segeln, erstere erworben im besetzten Polen, im Wintersportort Zakopane. Der Weg des Soldaten dorthin war aber, wie die Tochter jetzt feststellt, gesäumt von Massenerschießungen, verbrannten Häusern, Deportationen. „Was hat er dort gemacht?“, fragt sie. „Mehr als 300 000 Menschen starben in Pskow, die umliegenden Dörfer wurden ausgelöscht.“ Und in Norwegen – „nichts zu den berüchtigten Lagern für politische Gegner, verschleppten Kriegsgefangenen“ – ging es dann also ums Segeln.
Zu solchen Funden muss Susanne Mayer sich buchstäblich durchgraben, im Weg stehen unter anderem vom Boden bis zur Kellerdecke reichende Türme fein ausgespülter „Schlemmerfilet-Wannen“ und Eiscreme-Behältnisse („Langnese Kirsch, Schokostreusel, Eisrumtopf“) sowie eine beachtliche Flaschenbatterie, der gute Dujardin inmitten von Weinen und Likören aus aller Welt. „Die Besuche im Keller“, schreibt sie, „waren zunächst nur Stippvisiten, wurden dann Tiefenbohrungen in das Gewebe der Vergangenheit.“ Als sie daraus wieder hervorkommt, erscheint es ihr, „als wäre ich ein halbes Leben lang im Bergwerk verschollen gewesen“ – in der Unterwelt der Eltern-Geschichte, in ihrer Masse zusammengebacken nach dem Nachkriegs-Motto „Wer weiß, ob man es nicht noch mal brauchen kann“. Da kann dann auch schon mal eine Litze mit Hakenkreuzchen im Stopfkorb zurückbleiben.
Um das Sammeln von Beweisstücken, um Anklagen aber geht es hier gar nicht. Vielmehr ist die über alles Private hinausgehende Frage, wie und woraus sich über den Zeitraum eines guten halben Jahrhunderts das sogenannte gutbürgerliche Leben in der Bundesrepublik Deutschland zusammengesetzt hat. Da ist die Villa mit all ihrem Schmiedeeisen. Da ist die Kittelschürze für die emsige Hausfrau („Kittelschürze hieß Frau sein“). Sowie der Stopfkorb, um den die Mutter und ihre Töchter sich abends zu Näharbeiten versammeln, während der Vater im Radio den geliebten Tschaikowsky laut aufdreht. Der Putzschrank ist da mitsamt der „Teppichfransenharke“, dazu eine absurde Menge an Geschirr („das Goldrand“, „das echte Goldrand“, gefolgt von „Meißen Blaue Blume“), begleitet von verschiedenen Gläsersätzen aus schwerem Kristall, für die wiederum eine neue Vitrine angeschafft wurde. Und immer so weiter! Allein die „Captain’s Dinner“-Kleider, die sich die Mutter für ihre Weltreisen nach dem Tod ihres Mannes zulegte, sind so zahlreich, „dass man einen Abendkleider-Laden damit hätte bestücken können“. Hier ist die Kauflust mit den Jahren ins Zwanghafte entgleist, und wenig pietätvoll wird der Pfarrer beim Begräbnis der Mutter sagen, sie habe gelebt „wie ein Kind im Bonbonshop, das mit beiden Händen zugreift“.
All dies wird Schritt für Schritt, Objekt für Objekt angeschaut und seiner Herkunft zugeordnet. Und allmählich fügt es sich zu einem Gesamtbild – ob es sich um die Mitarbeit des Vaters in Wernher von Brauns Forscherteam zur Entwicklung von Hitlers „Wunderwaffe“ V 2 handelt, die ohne die Häftlinge im KZ Mittelbau-Dora nie geflogen wäre. Oder ob die Mutter als junge Frau in den rauchenden Trümmern ihrer Heimatstadt Hannover womöglich einer Leiche den zauberhaften kleinen Brillantring vom verkohlten Finger zog.
Am Ende gleicht Susanne Mayers Erzählung selbst einem vielfach geschliffenen Stein, in dem man, je nach Drehung, ganz verschiedene Bilder erkennt: den begabten jungen Pianisten und Jesuitenschüler Hans, dem eine Musikerkarriere verboten wird, der mit Wernher von Braun nach Arizona hätte gehen können und doch lieber „ein deutscher Beamter“ wird, Leiter eines Vermessungsamtes. Dessen Erfahrungen in der NS-Zeit sich anfallsartig, „voller Wut, mit Ingrimm, wild tobend“, vor seinen Kindern entladen, wenn er von ihnen verlangt, sich zu merken, „dass alle Menschen Bestien seien. Alle!“ Demgegenüber die Geschichte seiner Frau, Tochter eines Dachdeckermeisters, die das Abitur machte und dann Versicherungsangestellte wurde. Über ihre Affären während des Krieges führte sie Buch und hatte sich ein betörendes Seidennachthemd für ihre Hochzeit schneidern lassen; dann kam die Kittelschürze. Zuletzt futterte sie abends vorm Fernseher „Mon Chéri“ mit einem Sektchen dazu, las Georgette-Heyer-Schmonzetten im Dutzend weg, und schrieb doch insgeheim Lyrik ab, sammelte Gedichte, die sich mit dem Tod beschäftigten – und sprach mit ihrer Tochter, die Literatur studierte, nicht ein einziges Mal über diese Leidenschaft.
Am Ende dann ist das Haus leer, die Mutter gestorben. „Mit Erstaunen“ sieht Susanne Mayer im Rückblick, „wie fern mir die Menschen waren, mit denen ich so viele Jahre zusammenlebte.“ Nun rückt sie dies einfühlsame, so genaue und fabelhaft geschriebene Buch über die Dinge dieser Generation noch einmal ganz nah heran. Mit hohem Ansteckungspotenzial für ihre Leserinnen und Leser übrigens. Und wir?, werden sie sich unweigerlich fragen, wie war das mit unseren Nächsten und ihren Dingen?
FRAUKE MEYER-GOSAU
Woraus hat sich das
sogenannte gutbürgerliche
Leben zusammengesetzt?
Susanne Mayer:
Die Dinge unseres Lebens.
Und was sie über uns erzählen.
Berlin Verlag, Berlin 2019.
294 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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"Ein Buch, das mit jeder Seite 1000 eigene Erinnerungen weckt." Stern 20191223