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Es ist, als ob der amerikanische Fundamentalismus weder gegen den islamischen noch gegen den jüdischen Fundamentalismus stünde, als ob sie alle zusammen spielten aus den verschiedensten Richtungen in Richtung auf ein und dasselbe Ziel, als ob sie alleeinem gemeinsamen morphogenetischen Feld entstammten, das sich über diese ganze geschundene Erde zieht und jederzeit zur Strahlung kommen kann, um tausenjährige Reiche zu erzeugen.
In der globalen Welt offenbaren die Völker ihre gefährlichste Gemeinsamkeit in einem archaisch anmutenden, blutigen Fundamentalismus. Seit dem 11.September 2001, 223
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Produktbeschreibung
Es ist, als ob der amerikanische Fundamentalismus weder gegen den islamischen noch gegen den jüdischen Fundamentalismus stünde, als ob sie alle zusammen spielten aus den verschiedensten Richtungen in Richtung auf ein und dasselbe Ziel, als ob sie alleeinem gemeinsamen morphogenetischen Feld entstammten, das sich über diese ganze geschundene Erde zieht und jederzeit zur Strahlung kommen kann, um tausenjährige Reiche zu erzeugen.
In der globalen Welt offenbaren die Völker ihre gefährlichste Gemeinsamkeit in einem archaisch anmutenden, blutigen Fundamentalismus. Seit dem 11.September 2001, 223 Jahre nach Lessings "Ringparabel", scheint die Aufklärung in sich zusammenzustürzen, Religionen erneut den Marschbefehl auszugeben.
Ulla Berkewicz fordert in ihrem leidenschaftlichen Essay den Mut zur Sorge um das, was an uns verlorengeht, wenn wir dem Verbund von technokratischem Nihilismus und archaischem Fanatismus nicht widerstehen. Orientierung in einer wie im Rausch sich beschleunigenden Reaktionskette sucht sie in einer tiefgreifen Analyse religiöser Überlieferung, in der Auslegung von Quellen aus dem Talmud, dem Koran und der Bibel, im Studium historischer und gegenwärtiger islamischer und jüdischer Quellen und von Material des amerikanischen Sektensumpfes.
Was Christentum, Islam und Judentum trennt, haben andere geschrieben. Ulla Berkewicz untersucht die den drei Religionen innewohnenden Gemeinsamkeiten und die bei allen vorhandenen Tendenzen zur Selbstaufgabe des einzelnen. Sie zeigt die Gemeinsamkeiten der Religionen, wenn sie "verrückt" werden, mit dem archaischen Fanatismus deutscher Provenienz.
Ihre Analyse verbindet die Autorin mit Erlebtem und Erzähltem. Die einfachen gewaltsamen Lösungen der Eiferer aus dem Okzident und dem Orient werden durch die Kunst der kraftvollen Geschichtenerzählerin entlarvt. Erst im Erzählen findet der Essay die Freiheit und Mehrdeutigkeit, die der Polyphonie des einzelnen Menschen gerecht wird. Sie versöhnt wissenschaftliche Reflexion, Mythos und Literatur in diesem mutigen Einmischungsversuch, der auch von der Angst handelt, die den Mut erzeugt, sich der Vereinnahmung zu widersetzen. So ist ihr etwas Neues gelungen: eine Schrift in der besten Tradition der Aufklärung, die narrativ faßt, was der Verstand allein nicht erklären kann.
Autorenporträt
Berkéwicz, UllaUlla Berkéwicz wurde in Gießen geboren. Sie studierte an der Hochschule für Musik in Frankfurt, an der sie auch ihre Schauspiel- und Gesangsausbildung absolvierte. Ab 1971 Engagements am Staatstheater Stuttgart, den Städtischen Bühnen Köln, an den Münchner Kammerspielen, dem Residenztheater München, Hamburger Schauspielhaus, Bochumer Schauspielhaus und der Freien Volksbühne Berlin. Seit 1982 freie Schriftstellerin und Übersetzerin von Theaterstücken. Einige ihrer zwölf Bücher wurden in neun Sprachen übersetzt. Sie heiratete 1990 den Verleger Siegfried Unseld und war nach seinem Tod von 2002 bis 2015 Verlegerin der Verlage Suhrkamp und Insel. Sie ist Vorsitzende der Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung und seit Dezember 2015 Vorsitzende des Aufsichtsrats des Suhrkamp Verlags. Ulla Berkéwicz wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit der LutherRose 2015. Für ihr Wirken als Schriftstellerin und Suhrkamp-Verlegerin erhielt sie die Moses Mendelssohn-

Medaille 2016. Ulla Berkéwicz lebt in Berlin.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.12.2002

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Ulla Berkéwicz beißt in die Wand:
„Vielleicht werden wir ja verrückt”
Der Titel des Essays scheint vor Pathos zu vibrieren, zitiert indes nur ein cooles Statement des amerikanischen Computer- und Universalgenies Jaron Lanier, dessen Hypothesen über Gott und die Welt vielseitig verwendbar sind: „Vielleicht werden wir ja verrückt.” Tatsächlich verrückt, im Sinne von verrutscht, ist die Perspektive im Untertitel: „Eine Orientierung in vergleichendem Fanatismus”. Was Ulla Berkéwicz im Sinn hatte, war ein Orientierungsversuch, bei dem Varianten des Fanatismus miteinander verglichen werden, nämlich „westlicher Rassismus, Islamismus und radikalreligiöses Judentum”. Da sie aber mehr Dichterin denn Wissenschaftlerin ist, hat sie ihre Bestandsaufnahme nicht als klärende Analyse, sondern als emotionsgeladene Mischung aus Erzählung, Reflexion und Polemik konzipiert, und da mag das leicht Schräge, Verschwommene besser zur Einstimmung taugen als die Sprachlogik, die der „übertriebene Intellekt” des Westens verlangt.
Dieser Intellekt muss Entlastung bei den von Berkéwicz verachteten „Schmidtys” suchen, bei hemmungsloser Faselei und zynischen Witzen, die selbst vor dem 11. September nicht halt machen. „Die Schmidtys lachen vor, alles lacht nach”, und die Essayistin, ganz im Trend der neuen Satirefeindlichkeit, findet das gar nicht komisch, sondern schwingt die Geißel mit Meister Böhmes Warnung an die Spötter und der Flammenschrift, die dem König Belsazar den Untergang Babylons verhieß. Eine Spur von dem Fundamentalismus, den sie mit „Fanatismus” oft umstandslos gleichsetzt, haftet auch ihrem Weltekel an, ihrem Zorn auf die Hybris und selbstzerstörerische Blindheit unserer Zivilisation. Unverhohlen äußert sie ein Verlangen nach Reinigung und Läuterung, die Sehnsucht, spirituelle Fundamente des Menschseins wieder freizulegen. Aber standen solche Bedürfnisse nicht auch am Anfang religiöser Erneuerungsbewegungen, die sich dann politisch instrumentalisieren ließen oder ins Wahnhafte umschlugen?
Anarchie in der Milchbar
Die Lage ist kompliziert, und Ulla Berkéwicz tut nichts, um die Widersprüche zu entschärfen. Das macht denn auch den Reiz ihres Essays aus, dass er lauter Bruchstücke nebeneinanderstellt, lichte Erkenntnis mit leidenschaftlichen Vor-Urteilen kontrastiert und Zeugnisse disziplinierter Belesenheit mit expressiven Schilderungen persönlicher Erlebnisse. Viel Aufschlussreiches wird hier zusammengetragen über die geistigen Grundlagen von Islam und Judentum jenseits aller Fanatisierung, viel Unausgegorenes kommt zur Sprache, wenn es um die Frage geht, wie und warum die „seelischen Wirklichkeiten” der Religionen für politische Zwecke dienstbar gemacht werden können. Bei den Erzählfragmenten, die von Begegnungen mit jüdischen und islamischen Milieus handeln, verschiebt sich unversehens der Blickwinkel, und das Thema heißt Ulla Berkéwicz: „Hatte ich nicht zwei beste Freunde gehabt, mit denen ich zeltnächtelang zu Füßen von Hodschas und Muktaren gesessen und den Mund nicht zugekriegt hatte ob deren Lehren und Gelehrtheit, mit dem einen unter der Kassiopeia des südlichen Negev, mit dem anderen unter der von Dagestan, im Garten von Belawodje?”
Sie erzählt von der Hanauer Milchbar, einer „Keimzelle der Anarchie”, in der sie als Fünfzehnjährige die Inspiration für ihre ersten „Elegien, Klagen, Anklagen und Verweigerungstraktate” empfing, und ein atmosphärischer Hauch aus jener wilden Zeit hat sich in ihren Text hinübergerettet. Sie berichtet von Gesprächen mit Fania Scholem und Hans Jonas, vom Besuch bei palästinensischen Freunden, von den „Überlebensgeschichten” ihrer Verwandten, von den unschuldigen Kinderspielen mit Ali aus Khorasan, die so böse Folgen hatten: Anekdoten, die Ursprung und Wesen des Fanatismus nicht erhellen, sondern bunt färben und die Paradoxien noch deutlicher hervortreten lassen. Die Facetten der „westlichen” Variante, die vom Hitler-Rassismus über Amerikas protestantisches Sektentreiben bis zur kapitalistischen Globalisierungswut reichen, gewinnen am wenigsten Kontur, aber der Einsicht, dass all diese Spielarten des Wahns einem „gemeinsamen morphogenetischen Feld” entstammen, tut das keinen Abbruch, solange man es vermeidet, den kleinkrämerischen Intellekt einzuschalten.
Von vielen Fragen, die der Text aufwirft, prägt eine sich unauslöschlich ein. Im November 1995, drei Tage nach dem Mord an Yitzhak Rabin, hat Ulla Berkéwicz in einem Zimmer des „King David” zu Jerusalem „in die Wand gebissen”. Während eines Erdbebens zwar, aber die Wand stand noch. Die anatomisch-ergonomische Rätselhaftigkeit des Vorgangs weist voraus auf die essayistische Quintessenz, die da lautet: „Wir wissen doch, der größte Teil unseres Gehirns bleibt geheimnisvoll, die Möglichkeitsräume sind unendlich wie die Zahl, das vierte Gesetz der Logik greift jede Sekunde, wissen, dass es das Unverstehbare, das Unvorstellbare, das Vielvielmehr, das Ganzganzanders gibt. Dass unsere Vorstellung den Leerraum des festen Tisches besetzen kann, dass, wenn wir wollen, aus dem Tisch ein Stuhl wird und aus dem Stuhl ein Baum und aus dem Baum ein Haus und aus dem Haus ein Himmel.” Wer sich diesem Wissen öffnet, kann verrückt, niemals aber zum Fanatiker werden.
KRISTINA MAIDT-
ZINKE
ULLA BERKÉWICZ: Vielleicht werden wir ja verrückt. Eine Orientierung in vergleichendem Fanatismus. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 128 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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"Leidenschaft wie Besonnenheit setzt Ulla Berkewicz den Schlagwoten entgegen: In einem grossen Essay handelt sie von Fundamentalismus und Fanatismus. ... Es ist eine Orientierung, das Innewerden einer Position zwischen allen Fronten - geleistet durch Kundigwerden im Historischen und Faktischen und erhärtet im ureigenen Metier der Schriftsteller, die sich auf die Worte, ihre Bedeutung existentiell und nicht bloss oberflächlich einlässt." (Neue Luzerner Zeitung)

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Überzeugen lässt Walter van Rossum sich nicht von diesem Text über vergleichenden Fanatismus, und er äußert die Vermutung, dass es der Autorin letztlich um eine "Fusion" der monotheistischen Religionen geht. Berkewicz wünscht sich, schlicht gesagt, einen "netten Chef", meint der Rezensent. Er erwähnt die Behauptung der Autorin, es habe eine Zeit gegeben, in der sich die großen monotheistischen Religionen solidarisch zueinander verhalten hätten, bis sich in einem Orientierungsverlust der "Fundamentalismus" entwickelt habe. Doch vermisst van Rossum da genauere Angaben zu Zeitpunkt und Hergang, und er hätte gern gewusst, unter welchen "systematischen Bedingungen" sich eine solche Solidarität gebildet haben könnte. Er tut das Buch als "religionshistorisches Potpourri" ab und er findet, dass Berkewicz ihre Argumente mit "Bärtiger-Männer-Weisheit" und "säkularer Diagnose" verwische.

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