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Helmut Schmidt und die Außenpolitik: In ihrem Buch beleuchtet Kristina Spohr abseits von Klischees, die Schmidt gern als »Macher« und »Krisenmanager« in der Innenpolitik beschreiben, den Menschen und sein politisches Wirken auf der Weltbühne. Der »Weltökonom« Schmidt war an der Einführung der G7-Gipfeltreffen zu Fragen der Weltwirtschaftspolitik sowie des Europäischen Währungssystems (EWS) beteiligt. Früh erkannte er die Tragweite der Globalisierung und des sich abzeichnenden Aufstiegs von China. Als »Stratege des Gleichgewichts« erdachte er den »NATO-Doppelbeschluss« als Reaktion auf die…mehr

Produktbeschreibung
Helmut Schmidt und die Außenpolitik: In ihrem Buch beleuchtet Kristina Spohr abseits von Klischees, die Schmidt gern als »Macher« und »Krisenmanager« in der Innenpolitik beschreiben, den Menschen und sein politisches Wirken auf der Weltbühne. Der »Weltökonom« Schmidt war an der Einführung der G7-Gipfeltreffen zu Fragen der Weltwirtschaftspolitik sowie des Europäischen Währungssystems (EWS) beteiligt. Früh erkannte er die Tragweite der Globalisierung und des sich abzeichnenden Aufstiegs von China. Als »Stratege des Gleichgewichts« erdachte er den »NATO-Doppelbeschluss« als Reaktion auf die massive sowjetische Aufrüstung im Bereich der Mittelstreckenraketen. So trug er zum Zusammenhalt der Allianz und zur Entschärfung des Kalten Krieges bei.Basis des Titels ist eine umfangreiche Forschung in Schmidts Privatarchiv und in zahlreichen Archiven in Europa und Amerika. Ergänzt wird diese durch persönliche Gespräche mit dem Altkanzler bis kurz vor seinem Tod. Es entsteht daraus ein neues und dichtes politisches Porträt des »Weltkanzlers« vor dem Hintergrund seiner Zeit.
Autorenporträt
Kristina Spohr lehrt als Associate Professor Internationale Geschichte an der London School of Economics. Deutsch-Finnin von Geburt, hat sie an der University of East Anglia, Sciences Po Paris und der University of Cambridge studiert und ein Jahr lang im NATO Secretary General's Private Office Brüssel gearbeitet. Ihre Bücher behandeln die deutsche Außenpolitik nach 1945, die Rolle von Gipfeltreffen in der Überwindung des Kalten Krieges, und die baltische Frage im internationalen Kontext bis zur Gegenwart.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2016

Kanzlers
Werke,
Kanzlers
Irrwege
Helmut Schmidt genoss bis zu seinem Tod 2015
hohes Ansehen bei den Deutschen.
Zwei sehr unterschiedliche Biografien von
Kristina Spohr und Thomas Karlauf
beleuchten Denken, Wirken und Nachruhm
des SPD-Politikers
VON RALF HUSEMANN
War Helmut Schmidt nur eine „Übergangsfigur“, wie sein Freund Henry Kissinger einmal meinte, oder gehört er als einer von wenigen in die „Ruhmeshalle deutscher Kanzler“, wie die Historikerin Kristina Spohr in einem Interview schwärmte? Die Wahrheit liegt vermutlich, wie so oft, irgendwo dazwischen. Der zweite sozialdemokratische Kanzler der Republik meinte auf jeden Fall, seine eigene Bedeutung selbst richtig einschätzen zu können. Spohr zitiert einen ungenannten Parteifreund mit dem schönen Satz: „Er ist die meiste Zeit überzeugt davon, die einzige wahre Führungsgestalt in der westlichen Welt zu sein.“
  Dieser Einschätzung schließt sich die deutsch-finnische Autorin weitgehend an. Kristina Spohr, 43-jährige Professorin an der Londoner School of Economics – derzeit macht sie ein zweijähriges Sabbatical – verbirgt ihre Bewunderung nicht. Das geht schon mit dem Titel „Der Weltkanzler“ los, der vermutlich selbst Schmidt eine Spur zu großartig gewesen wäre.
  So viel positive Voreingenommenheit wäre eigentlich eher von Thomas Karlauf zu erwarten gewesen, der sich die „späten Jahre“ Helmut Schmidts genauer angesehen hat, also die langen 33 Jahre nach Schmidts jähem Kanzlerende 1982 bis zu seinem Todesjahr 2015. Karlauf hat als Cheflektor des Siedler-Verlags fast alle Bücher Schmidts betreut und nach 1997 die Buchrechte des Ex-Kanzlers gegenüber den Verlagen vertreten. Prompt warnte ihn eine Freundin, wie er freimütig schreibt, er solle Schmidt nur ja nicht „zu einem Heiligen“ machen. Und Karlauf räumte selbst seine Skrupel ein: „Die Vorstellung, den Mann, den ich verehrte, zu verletzen, belastete mich.“
  Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Karlauf bei aller Sympathie für seinen Protagonisten die für einen Historiker notwendige Distanz besser gelungen ist als Kristina Spohr: Die kann öfters ihre Hochachtung vor dem „Macher und Denker“ („wie kein anderer Staatslenker der 70er Jahre“) kaum zügeln. Er sei „seiner Zeit voraus“ gewesen, habe ein „ungewöhnliches Maß an Gedankentiefe und Reflexion“ und „Merkmale echter Staatskunst“ gezeigt, und so weiter und so fort. Auch Karlauf rutscht schon mal ein „der Chef“ (ohne Anführungszeichen) durch, oder er nennt, ohne Ironie, ein Kapitel „Wege des Ruhms“. Tatsächlich hatte Schmidt in den vergangenen Jahren in der deutschen Öffentlichkeit ein unglaublich hohes Ansehen, wobei seine immer weiter zurückliegende Kanzlerschaft mehr und mehr idealisiert wurde. Das war aber nicht immer so. Noch 2001 lag der Altkanzler bei einer Umfrage hinter Günther Jauch, Gerhard Schröder, Thomas Gottschalk und anderen auf Platz 10, knapp vor Verona Feldbusch. Schmidt dazu: „Armes Deutschland.“
  Karlauf scheut sich nicht, etwa Schmidts Buch „Die Deutschen und ihre Nachbarn“ von 1990 als „merkwürdig blass“ zu kritisieren. Im Jahr der deutschen Wiedervereinigung, an die Schmidt bis fast zum Schluss nicht glauben wollte, habe ihm „eine klare Perspektive“ gefehlt. Und er verschweigt auch nicht eine gewisse Missgunst, die Schmidt gegenüber offensichtlich erfolgreicheren Menschen an den Tag legte, wie dem charismatischen Willy Brandt, den er regelmäßig mit Spott übergoss oder dem kühnen Reformer Michail Gorbatschow, dem er die „teilweise würdelose Gorbi-Manie“ vieler Deutschen neidete. Und um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Karlauf zitiert auch mutig Schmidt, als der davor warnt, dass Deutschland „von Flüchtlingen überschwemmt“ werde. Der rechtsradikalen DVU musste Schmidt verbieten lassen, Zitate von ihm im Wahlkampf zu verwenden.
  Dergleichen kritischer Abstand ist bei Spohr eher selten zu spüren, auch wenn sie einräumt, dass Schmidt „unerträglich“ sein konnte, „wenn er in die Defensive geriet und seine intellektuelle Eitelkeit auf dem Spiel stand“. Aber wenn sie konstatiert, dass Schmidt „nur wenig mehr als Verachtung für den unbekannten Farmer-Gouverneur“ Jimmy Carter empfand, dann wird deutlich, dass sie mit der Einschätzung zumindest sympathisiert. Habe Carter doch durch den plötzlichen Stopp der geplanten Stationierung von Neutronenbomben in Deutschland Schmidt „persönlich gedemütigt“.
  Beiden Büchern muss attestiert werden, dass ihnen eine umfassende Archiv- und Forschungsarbeit zugrunde liegt, sowie persönliche Gespräche mit Schmidt noch relativ kurze Zeit vor seinem Tod. Die selbstbewusste Historikerin behauptet in ihrer Einleitung forsch: „Keine Veröffentlichung hat sich bisher zugleich mit der Wirtschaftspolitik und der Sicherheitspolitik des Kanzlers befasst und dabei den Blick darauf gerichtet, wie all dieses mit seinen innenpolitischen Problemen zusammenwirkte.“ Tatsächlich wäre es merkwürdig, wenn ein Schmidt-Biograf genau diese Punkte, Stichworte Ölkrise und Nato-Doppelbeschluss, und die hitzige Diskussion in den 70er-Jahren über diese Themen auslassen würde. Wichtiger ist Spohr denn auch, dass es Schmidt mit internationalen Kontakten, der Begründung der G-7-Gipfel und militärpolitischen Konzepten geschafft habe, dass Deutschland „auf der Weltbühne erwachsen wurde“.
  Ausführlicher behandelt Karlauf Schmidts achtjährige Zeit in der deutschen Wehrmacht, die den Kanzler sehr geprägt hat, wie er selbst immer wieder feststellte, egal, ob er nun vom „Scheißkrieg“ sprach oder ahnungslos von sich gab, dass nur „eine Minderheit der Soldaten“ an die Nazi-Ideologie geglaubt habe und die Armee weitgehend „ein anständiger Verein“ geblieben sei. Karlauf: Offenbar reichte Schmidts „kritische Intelligenz nicht aus, den Charakter des Unrechtsregimes zu durchschauen“. Ein harter Satz. Dagegen Spohr sehr viel allgemeiner: „Schmidt sollte stets in lebendiger Erinnerung behalten, was Krieg wirklich bedeutet, nämlich Schrecken, Zerstörung und Tod.“
  Dazu passt auch die Geschichte vom jüdischen Großvater Schmidts, ein Geheimnis, das ihm seine Mutter angeblich 1933 oder 1934 anvertraut hat und das ihn, wie er gerne erzählte, vor dem Nationalsozialismus „immunisiert“ habe. Während Spohr nur kurz den Großvater als bloßes Faktum konstatiert, hakt Karlauf intensiver nach. Den jüdischen Großvater habe es zwar gegeben, Schmidts zwei Jahre jüngerer Bruder habe sich aber nicht vorstellen können, dass ihre Mutter diese gefährliche Information zu Beginn der Nazizeit erzählt habe. Und Schmidt habe sich auffallenderweise erst konkret 1978 nach dem Vorfahren erkundigt . . .
  Nicht nur von Kristina Spohr wird als „Erfolgsgeschichte“ Helmut Schmidts gerne die Durchsetzung des Nato-Doppelbeschlusses gefeiert. Doch tatsächlich wurde auf Druck der USA lange Zeit nur der erste Teil umgesetzt, der die Stationierung von neuen atomaren Mittelstrecken-Raketen (Pershing II) und von Marschflugkörpern vor allem in Deutschland vorsah. Dagegen demonstrierten 1981 im Bonner Hofgarten 350 000 Menschen und eine halbe Million Menschen ein Jahr später in den Rheinauen. Und auf einem SPD-Sonderparteitag 1983 stimmten gerade noch 14 von 400 Genossen für die Raketenaufstellung. Diese Abstimmung verschweigt Spohr merkwürdigerweise – um Schmidts „Erfolgsgeschichte“ nicht zu schmälern?
  Tatsache ist, dass maßgeblich dieses Thema Schmidt, wie auch Spohr konstatiert, sein Amt gekostet hat. Es ließ aber vor allem den Kalten Krieg der Großmächte wieder entfachen und vergrößerte die Gefahr eines auf Mitteleuropa begrenzten Atomkrieges. Genau das, was Schmidt – Spohr unterstreicht das immer wieder – auf jeden Fall vermeiden wollte. Dazu zählt auch die von Schmidt ständig angemahnte Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Russen, die er diesmal locker hintanstellte. Als passionierter Schachspieler wollte er, dass die Nato in Europa mit der Sowjetunion „gleichziehen“ müsse, nachdem diese begonnen hatte, neue SS-20-Mittelstrecken-Raketen zu stationieren. Das Problem war, dass die Pershing II nach einem Kurzflug von nur fünf Minuten auf sowjetischem Gebiet einschlagen konnte. Da die Mittelstreckenraketen der UdSSR die USA nicht erreichen konnten und die Großmächte den ganz großen Krieg vermeiden wollten, bestand die Gefahr, dass die Sowjets, um einem – von der Nato nie ausgeschlossenen Erstschlag – zuvorzukommen, ihrerseits ihre Raketen auf Mitteleuropa und vornehmlich auf Deutschland abfeuern könnten. Deutschland wäre ausgelöscht worden. Keine „Erfolgsgeschichte“. Vor allem weil der zweite Teil des Doppelbeschlusses, die angepeilten Abrüstungsverhandlungen, die ursprünglich ja die Aufstellung der neuen Raketen verhindern sollten, auf den St.-Nimmerleins-Tag verschoben wurden. Erst im Dezember 1987 unterzeichneten Gorbatschow und Ronald Reagan den sogenannten INF-Vertrag, der den weltweiten Abbau aller atomaren Kurz- und Mittelstreckenraketen vorsah. Das ging weit über den einstigen Doppelbeschluss hinaus.
  Auch wenn man den völlig neuen Schmidt nicht unbedingst in den Büchern von Karlauf und Spohr entdecken wird, lohnt sich für den zeitgeschichtlich interessierten Leser die Lektüre allemal. Bei Karlauf nicht zuletzt auch die ausführliche Darstellung von Schmidts Herausgeber-Ära bei der Wochenzeitung DieZeit und bei Spohr die engagierte Beschreibung von Schmidts „intensiver und informeller Gipfeldiplomatie“.
Die nötige Distanz
wird vor allem in einem
Buch nicht immer gewahrt
Der Nato-Doppelbeschluss wird
als Schmidts Erfolgsgeschichte
verkauft. Es war aber keine
Kristina Spohr: Helmut Schmidt.
Der Weltkanzler. Aus dem Englischen
von Werner Roller. Theiss-Verlag, Darmstadt 2016. 384 Seiten, 29,95 Euro.
                    
Thomas Karlauf: Helmut Schmidt. Die späten Jahre. Siedler-Verlag, München 2016. 560 Seiten, 26,99 Euro. E-Book 21,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Ralf Husemann lobt Kristina Spohrs Buch über Helmut Schmidt für seine engagierte Beschreibung von Schmidts Gipfeldiplomatie. Dass die Historikerin mitunter die kritische Distanz vermissen lässt und Schmidt allzu sehr glorifiziert, kann Husemann der Autorin verzeihen angesichts der großen Recherchearbeit. Allerdings hätte sich Husemann dann doch weniger allgemeine Aussagen gewünscht zu Schmidts brauner Vergangenheit. Ein neuer Schmidt wird für ihn bei der Lektüre nicht sichtbar. Dem zeitgeschichtlich Interessierten kann Husemann das Buch dennoch empfehlen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2016

Pfiff nach der Weltmacht
Kristina Spohr lässt ihrer Bewunderung für Kanzler Helmut Schmidt freien Lauf

Er hat Bedeutendes geleistet. Aber war Helmut Schmidt, der fünfte Kanzler der Bundesrepublik, auch einer der Großen? Er selbst hatte, als er 1982 das Amt wie sämtliche Vorgänger unfreiwillig räumen musste, erhebliche Zweifel, wie Thomas Karlauf gerade in seinem biographischen Porträt des Altkanzlers gezeigt hat (F.A.Z. vom 29. September): Dessen dreißig "späten Jahre" waren auch ein Kampf gegen das Vergessenwerden. Die in England lehrende Historikerin Kristine Spohr sieht das nicht nur anders, sondern bläst den Regierungschef zum "Weltkanzler" auf, der wie "kein anderer Staatslenker der 70er-Jahre" in "diesem Umfang Macher und Denker zugleich" war. Und damit das nicht so grotesk klingt, wie es tatsächlich ist, attestiert die Autorin der nicht einmal vollständig souveränen, fest in die westlichen Gemeinschaften eingebundenen Bundesrepublik, in der Ära Schmidt "den Rang einer ,Weltmacht'" erreicht zu haben.

Nun ist es nicht so, dass Kristina Spohr einfach nur daherredet. Sie kennt die Quellen, hatte Zugang zu den Papieren Schmidts, konnte auch mit ihm sprechen und forschte intensiv in deutschen, britischen und amerikanischen Archiven. Auch die Setzung der Schwerpunkte und die Aufstellung der Verdienstliste des Kanzlers sind plausibel: Keine Frage, Schmidt war "wichtigster Architekt des G-7-Forums" und der Vater des Europäischen Währungssystems, "das sich als Sprungbrett auf dem Weg zum Euro und zur vollständigen Wirtschafts- und Währungsunion erwies".

Ob Schmidt, Jahrgang 1918, dabei wirklich "aus der eigenen Erfahrung und Erinnerung" an die Weimarer Republik "schöpfte", darf man bezweifeln. Anders sieht es mit den Erfahrungen aus, die er während des Zweiten Weltkriegs als Soldat und von 1969 bis 1972 als Verteidigungsminister sammelte. Sie kamen ihm zugute, als es in seiner Kanzlerschaft um die Formulierung des sogenannten Nato-Doppelbeschlusses ging, mit dem die Allianz auf die Hochrüstung des Sowjets im nuklearen Mittelstreckenbereich in Europa reagierte.

Die Darstellung dieser außen- und innenpolitisch schwierigen Verhandlungen, die schließlich maßgeblich zum Sturz Helmut Schmidts beitrugen, zählt auch deshalb zu den stärkeren Kapiteln des Buches, weil die Autorin die Vorgeschichte, nämlich das Debakel um die sogenannte Neutronenwaffe, gut ausleuchtet. Man versteht, warum sich Helmut Schmidt und Jimmy Carter, einer der vier amerikanischen Präsidenten, mit denen es der Kanzler in seiner achtjährigen Amtszeit zu tun hatte, hernach nicht mehr viel zu sagen wussten: Dass sich der Deutsche trotz heftiger Anfeindungen für die Stationierung der Bombe einsetzte, um dann zu erfahren, dass der Amerikaner sich doch davon verabschiedet hatte, kam einer "persönlichen Bloßstellung" gleich. Neu ist das alles nicht, sieht man von einigen erhellenden Details der Entscheidungsfindung auf amerikanischer Seite ab. Nicht nachvollziehbar ist, dass die Autorin den weltpolitischen Hintergrund insbesondere für die Formulierung und Umsetzung des Nato-Doppelbeschlusses praktisch ausblendet. Vom Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan und seinen Folgen abgesehen, kommen die zum Teil hochdramatischen Verwerfungen auf der südlichen Halbkugel nicht vor.

Dabei ließ das Eingreifen der Sowjets in den angolanischen Bürgerkrieg in Washington wie Bonn alle Alarmglocken schrillen, obgleich oder eben weil es indirekt, nämlich mit Hilfe von 50 000 kubanischen Soldaten erfolgte. Noch gravierender war die mittelbare sowjetische Intervention in den somalisch-äthiopischen Krieg um das Ogadengebiet. Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski wusste, warum er im Rückblick fest-hielt, die Entspannungspolitik der frühen siebziger Jahre sei im "Sand des Ogaden" begraben worden.

Und der deutsche "Weltkanzler" wusste das natürlich auch, zumal die Befreiung der Geiseln, die von deutschen Terroristen in einer entführten Lufthansa-Maschine im somalischen Mogadischu festgehalten wurden, zu den schwierigsten Entscheidungen seiner Kanzlerschaft gehörte. Von alledem liest man bei Kristina Spohr nichts. Nicht einmal die dramatische Entwicklung in Südostasien kommt vor. Das ist ein schwerwiegendes Defizit. Denn Schmidt beobachtete mit wachsender Sorge, wie erst 1978 das gerade unter kommunistischen Vorzeichen vereinigte Vietnam nach Kambodscha einmarschierte, um das Terrorregime der Roten Khmer zu beseitigen, und dann die Volksrepublik China einen Krieg gegen Vietnam eröffnete, um dem vormaligen Verbündeten und jetzigen Rivalen eine Lektion zu erteilen. Keiner wusste besser als der Mann im Kanzleramt, dass seine Handlungsmöglichkeiten in diesen globalen Konflikten bei null lagen.

So schrumpft Kristina Spohrs "Weltkanzler" tatsächlich auf den Regierungschef eines eingeschränkt souveränen westeuropäischen Teilstaates, der den europäischen und atlantischen Gemeinschaften wegweisende Impulse gab. Das ist nicht wenig. Helmut Schmidt war nicht der "Lenker" einer "Weltmacht", aber er war ein bedeutender Bundeskanzler.

GREGOR SCHÖLLGEN

Kristina Spohr: Helmut Schmidt. Der Weltkanzler. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2016. 384 S., 29,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»...lohnt sich für den zeitgeschichtlich interessierten Leser...« Süddeutsche Zeitung