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Ein Moment der Misere. Die Schriftstellerin und Übersetzerin sieht, dass ihr eigentlicher Beruf nicht genug Geld einbringt. Es muss also sein: Sie reiht sich ein in die Schlange der Arbeitssuchenden und findet eine Stelle als Saisonkraft. Bei Amazon. Ausgerechnet. Mit der Fahrt zum "praktischen Auswahltest" beginnt das, was sich vielleicht als der untrügliche Beleg eines Abstiegs betrachten lässt. Die Erzählerin betritt eine Halle, die von der Welt abgeschottet ist, aber gleichsam viel über die Welt verrät. Eine Arbeitnehmerwelt mit Chefs und Kollegen. Die Normalwelt also, die hier immer…mehr

Produktbeschreibung
Ein Moment der Misere. Die Schriftstellerin und Übersetzerin sieht, dass ihr eigentlicher Beruf nicht genug Geld einbringt. Es muss also sein: Sie reiht sich ein in die Schlange der Arbeitssuchenden und findet eine Stelle als Saisonkraft. Bei Amazon. Ausgerechnet. Mit der Fahrt zum "praktischen Auswahltest" beginnt das, was sich vielleicht als der untrügliche Beleg eines Abstiegs betrachten lässt. Die Erzählerin betritt eine Halle, die von der Welt abgeschottet ist, aber gleichsam viel über die Welt verrät. Eine Arbeitnehmerwelt mit Chefs und Kollegen. Die Normalwelt also, die hier immer wieder als absurd-komischer oder zynischer Einfall auftritt. Heike Geißlers Text ist ein couragierter und zugleich zarter Versuch über die moderne Arbeitswelt, über das zeitgenössische Leben, u¿ber Selbstbestimmung, Unvereinbarkeit und nicht zuletzt auch über Bücher und was sie uns bedeuten können. Heike Geißler, 1977 in Riesa geboren, ist Autorin, Übersetzerin und Mitherausgeberin der Heftreihe "Lücken kann man lesen". Bisher erschienen: Der Roman "Rosa" (DVA, 2002), die Erzählung "Nichts, was tragisch wäre" (ebd., 2007) sowie das Kinderbuch "Emma und Pferd Beere" (Lubok, 2009). Sie lebt in Leipzig.
Saisonkraft bei Amazon. Ausgerechnet. Für die Autorin und Übersetzerin in Geldnot ist es ein Moment der Misere, für alle anderen ein literarischer Glücksfall. Denn was in den Wochen vor Weihnachten entsteht, ist vieles zugleich: Ein Erfahrungsbericht, der ebenso persönlich wie politisch ist. Kritik an den Verhältnissen mit den Mitteln der Selbstironie. Der Blick in eine Halle, die von der Außenwelt abgeschottet ist und gerade deshalb viel über sie verrät. In "Saisonarbeit" geht es um Empfindlichkeit und das Politische des Empfindlichen. Es geht um die Arbeit bei Amazon und darum, dass "mit dieser Arbeit und vielen Sorten Arbeit grundsätzlich etwas faul ist". Nicht zuletzt auch um Bücher und was sie uns bedeuten können.Heike Geißler, 1977 in Riesa geboren, ist Autorin, Übersetzerin und Mitherausgeberin der Heftreihe "Lücken kann man lesen". Bisher erschienen: Der Roman "Rosa" (DVA, 2002), die Erzählung "Nichts, was tragisch wäre" (ebd., 2007) sowie das Kinderbuch "Emma und Pferd Beere" (Lubok, 2009). Sie lebt in Leipzig
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kommt zur rechten Zeit, meint Morten Freidel über Heike Geißlers Erfahrungsbericht aus der Amazon-Welt. Drei Monate als Saisonkraft beim Scannen - und der Leser darf die Autorin begleiten, darf schauen, was es alles zu kaufen gibt (alles) und was der Malocher im Logistikzentrum dafür erhält (quasi nichts). Schockiert zeigt sich Freidel darüber, wie sehr der Arbeiter hier selber zur Ware wird, geistig ausgehöhlt, fast ohne Wille und Wunsch. Besonders fürs Weihnachtsgeschäft werden etliche zusätzliche Kräfte eingestellt, "und nach Weihnachten ist der ganze Spuk vergessen", berichtet Freidel. Aber ist das wirklich so? Es handelt sich um einen fiktionalisierten Erfahrungsbericht, erklärt der Rezensent vielsagend.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.11.2014

Endstation
Amazon
Heike Geißlers Buch „Saisonarbeit“
erzählt von der Unfreiheit heutiger Arbeit
VON FLORIAN KESSLER
Dies ist die Geschichte der Schriftstellerin Heike Geißler, die 2002 als 25-Jährige einen gefeierten Debütroman veröffentlichte. Dies ist aber auch die Geschichte der Schriftstellerin Heike Geißler, die acht Jahre später als Aushilfe bei Amazon Bücher sortierte. Was ihr passiert war? Nichts Ungewöhnliches. Das eine ist nämlich zuallerletzt fast wie das andere, aber dazu später mehr.
  Denn erst mal steht Heike Geißler im goldenen Mittagslicht auf dem Leipziger Bahnhofsvorplatz und wartet auf die Straßenbahn. Die Nummer 3 soll sie noch einmal hinaus in die Peripherie bringen, zu ihrer ehemaligen Arbeitsstelle, Anschrift: 04347 Leipzig, Amazonstraße 1. Heike Geißler ist 37, sie hält ihre Sonnenbrille in der Hand und wird vermutlich ihr ganzes Leben wie eine sehr junge Frau aussehen: Irgendwie dünnhäutig und genau das Gegenteil von abgebrüht mit ihrem offenen Gesicht, das die ganze Zeit in Bewegung ist, als würde sie am liebsten auf alles um sie herum sofort reagieren. Jetzt gerade zum Beispiel antwortet sie auf eine Frage, indem sie gleichzeitig laut loslacht und heftig den Kopf schüttelt. Vielleicht hat man aber auch einfach keine so tolle Frage gestellt. Ging ja auch bloß um den Buchmarkt, dabei will sie über viel Grundsätzlicheres sprechen.
  „Nein“, ruft sie jedenfalls, mit Günter Wallraff und ähnlichen Undercover-Autoren habe ihr Schreiben rein gar nichts zu tun: „Ich habe kein Enthüllungsbuch geschrieben!“ Selbst wenn Heike Geißlers „Saisonarbeit“, erscheinen in der Edition Volte (Spector Books, Leipzig 2014. 270 Seiten, 14 Euro ) auf den ersten Blick von wenig anderem handelt als von sechs Wochen als Weihnachts-Aushilfe bei Amazon: Darauf soll man ihr Buch bitte nicht reduzieren – „denn dann wäre es ja auch nur wieder ein Produkt, genau wie von Amazon.“
  Das will sie nicht, dass sie selbst und ihr Schreiben in irgendeine Produktpalette gepresst werden. Dabei geschieht genau das vielen jungen Autorinnen und Autoren. „Rosa“, Heike Geißlers vielbesprochener erster Roman, erschien genau in der Endphase des von der Literaturkritik ausgerufenen „Fräuleinwunders“. Heute scheint die Denkschablone zumindest ein Stück weit aufgebrochen, aber damals wurden ernsthaft junge Frauen dafür gefeiert, dass sie über vermeintliche Junge-Frauen-Themen schrieben. Heike Geißlers Roman passte da durchaus gut hinein, wenn er sich an eine Zwanzigjährige heftete, die erst Mutter wird und dann panisch vor ihrem Kind und zugleich vor der Erwachsenenwelt flieht.
  Heute ist Heike Geißler selbst Mutter. Zwei Kinder, eine der letzten unsanierten Wohnungen in einer Leipziger Straße. Und Heike Geißler ist nach wie vor der Meinung, dass man sich bestimmten Auswüchsen des Erwachsenenlebens verweigern – zumindest tendenziell von ihnen frei bleiben kann. Den Buchmarkt etwa und seine Erwartungen an Jungautoren hin oder her: „Es muss doch gehen, einen Text in genau der Form zu veröffentlichen, die mir wichtig ist!“ Auf dem Bahnhofsvorplatz, kurz vor Einfahrt der Straßenbahn, erklärt sie, dass sie diesmal, anders als vor zwölf Jahren, etwas geschrieben habe, das nicht so einfach einzuordnen sei. Der Verwertungslogik ist sie zumindest ein Stück weit ausgewichen, indem sie irgendwo zwischen Reportage und Essay, Bericht und Suada eine wilde Zickzackreflexion darüber geschrieben hat, was das eigentlich für sie bedeutet: Arbeiten, oder eben auch: Als Arbeiterin funktionieren.
  Wobei Arbeit hier eben sowohl die Schreibtischarbeit als Autorin als auch die Handarbeit im Amazon-Lager meint, und überhaupt noch viel mehr Formen von Arbeit. Heike Geißler hat nämlich immer schon gejobbt, um ihr Schreiben und damit „die mir liebste Arbeit überhaupt“ finanzieren zu können, vom Callcenter bis zum Quelle-Versand. Sie kommt aus einem Elternhaus, in dem stets unter vollem Körpereinsatz geschuftet wurde. Einmal im Essay betrachtet sie nach langen Arbeitswochen ihre Hände, die vom stundenlangen Warensortieren in der eiskalten Amazon-Halle wund und schmutzig sind. Und erinnert sich dann plötzlich an die stets aufgerissenen, kaputten Arbeiterhände ihres Vaters in ihrer Kindheit in der DDR: „Ich hatte immer angenommen, er habe einfach solche Hände gehabt, ich war nie auf die Idee gekommen, dass diese Hände durch seine Arbeit entstanden sein könnten.“ Und das ist die Idee ihres Essays: dass wir allesamt von unserer Arbeit gezeichnet sind, dass wir bloß genauer hingucken müssen, um das jeweils auf eigene Art Kaputte, Fremdbestimmte, Uneigentliche selbst scheinbar selbstbestimmter Arbeit wahrzunehmen.
  Inzwischen sitzt sie in der Straßenbahn Nummer 3. Draußen dünnt die Innenstadt aus, frisst sich das Industriegebiet ins Bild. Mit dieser Linie ist Heike Geißler auch 2010 zu ihrem Vorstellungsgespräch bei Amazon gefahren, als ihr erstes Kind bereits da war, sie mit Schreibjobs kaum etwas verdiente und einfach kein Geld mehr auf dem Konto war. Die von da an jeden Tag müder und leerer absolvierte Anfahrt zum neuen Brotberuf kommt in ihrem Buch „Saisonarbeit“ immer wieder vor. Dabei lebt der Text vom Taschenspielertrick, den Leser an die Stelle von Heike Geißler zu setzen. „Sie sind jetzt als ich unterwegs“, heißt es gleich zu Anfang, und dann über den ersten Arbeitsweg der eben noch vermeintlich freien Schriftstellerin: „Sie suchen nach einer passenden Haltung, einer Denkweise, um eben nicht zu denken, dass Sie bei diesem Ausflug keiner sehen darf“.
  Letztlich sind die folgenden 260 Seiten nichts anderes als die Verweigerung einer solchen Haltung. Wie auf einem der ständig durch das riesige Amazon-Warenlager rasenden Gabelstapler wird man in elf Kapiteln einmal quer durch das Arbeitsleben in einem der modernsten Logistikzentren Europas gekarrt: Vom ersten Auswahltest über die stumpfbrutale Sortierarbeit bis hin zum erschöpften Jobabbruch. Wie von einer störrischen Saboteurin, die all diese dauerrasenden Gabelstapler unserer Arbeitsbiografien einfach nur einmal eine verfluchte Minute zum Stillstand bringen will, werden aber fortwährend auch größere Fragen gestellt.
  „Geht es hier eigentlich um Leben und Tod?“, schreibt Heike Geißler in einem grundsätzlich verwundbaren, jederzeit zum Entsetzen bereiten Nachfrageton, und höchstens am Anfang ist man selbst noch nicht komplett entsetzt und könnte abwiegeln: Natürlich nicht, niemand hat dich schließlich gezwungen, Schriftstellerin zu werden. Und um sich diesen Lebenstraum zu erfüllen, muss man eben manchmal jobben.
  Von der Straßenbahnhaltestelle aus sieht die Amazon-Halle eher unspektakulär aus. Sie ist eben einfach nur möglichst praktisch gebaut und darin abscheulich, aber dieses Los teilt sie nun wirklich mit vielen anderen Kapitalismuskulissen. Heike Geißler hat neben ihrem eigenen Schreiben Fachübersetzen studiert, in Halle. Mit ihren Übersetzungsjobs nach der Phase als Romanautorin verfügt sie jetzt zumindest wieder über selbsteingeteilte Zeit. Sie schlendert über den Mitarbeiterparkplatz, „die gelbe Eingangsschleuse haben wir Banana Tower genannt“, erinnert sie sich. Aber wer soll das in diesem Fall sein, „wir“? Man sieht keine anderen Mitarbeiter, es dringt kein Laut aus der Halle. Heike Geißler erklärt, wie im Inneren der riesigen Blackbox auch jetzt gerade die Warenflut im Akkord in das Computersystem aufgenommen wird, „receiven“ nennt sie das. Im Essay geht es dabei immer wieder um die hyperkapitalistische Arbeitsdoktrin von Amazon-Chef Jeff Bezos, jeglichen Komfort und jegliche Ersparnis direkt an die Kunden weiterzugeben. Auf Freundlichkeit untereinander darf einfach keine Energie verschwendet werden. Nicht einmal bei der Mitarbeiterschulung, bei der die Neuen für falsche Antworten natürlich nur ironisch mit Straf-Liegestützen bedroht werden.
  Draußen im Nachmittagslicht vor dem Logistikzentrum fallen ihr aus dem Mahlstrom der damals an ihr vorbeiziehenden Produkte heute noch besonders die Bücher ein, unzählige Vampir-Romane. Auch ihren Essay kann man bei Amazon bestellen. Erschienen ist er aber im Windschatten des Marktes: Im Kunstverlag Spector Books, ohne größere Absichten, Vorgaben oder gar Renditeerwartungen, dafür jedoch mit dem Elan, das Erzählen Heike Geißlers gerade nicht auf irgendeine marktgängige Weise zu bändigen. „Dem Dogmatischen der Arbeitswelt ein Stück weit entgehen“, nennt sie das und sagt dann, dass es das natürlich auch noch gibt: „Möglichst selbstbestimmte Arbeit, zumindest ein Stück weit das Gegenteil von Amazon“.
  „Und davon kann man dann leben?“ Nee, falsche Frage an Heike Geißler, viel zu geschäftsmäßig, da lacht sie bloß gleich wieder herzlich und schüttelt den Kopf. Viel besser ist diese Frage hier: „Und so will man leben?“ „Das ist keine heroische Grundstimmung bei mir, ich bin ja sehr dafür, dass alle möglichen Geistesarbeiter Kontakt mit der normalen Arbeitswelt haben. Ich will viel mehr Berichte aus der Arbeitswelt! Aber für mich würde ich das dann doch Alarmbereitschaft nennen, was mir zur meisten heutigen Arbeit einfällt. Wir brauchen mehr Alarmbereitschaft, um das gute Arbeiten und die sogenannte freie Arbeit und vielleicht sogar die Freiheit zu verteidigen.“
  Die Halle reagiert nicht auf solche großen Sätze. Heike Geißler fotografiert einen Schriftzug auf dem Asphalt, auf den über die Tarifbedingungen empörte Mitarbeiter irgendwann das Wort „STREIK“ gekritzelt haben – in Hellblau und wie mit Kinderkreide gemalt, harmloser könnte es gar nicht aussehen. Als die Fotos schon gemacht sind, taucht endlich ein erster anderer Prekärarbeiter auf: Der Werkschutz, ein tätowierter Typ, der gellend loskeift: Fotografieren verboten! Speicher löschen! Privatgelände! Um dann beim Näherkommen plötzlich traurig zu sagen, dass er doch wirklich auch nichts dafür kann, und ob Heike Geißler nicht einfach statt der Halle ihn fotografieren möchte. Er wirft sich mit angespanntem Bizeps in Pose, die beiden lachen, und dann dreht er rund um die Halle seine nächste Runde, und Heike Geißler geht nach Hause, zu ihrer nächsten Schreibtischarbeit.
  Und was macht die Amazon-Halle? Die liegt nach wie vor einfach nur blöd rum und ist abscheulich praktisch.
Heike Geißler
Rosa war gestern:
Die Autorin hat es hinter sich gelassen, das literarische
Fräuleinwunder.
Foto: Andrzej Steinbach /
Spector Books
Eine junge Frau, die über
Junge-Frauen-Themen schreibt,
wollte sie nicht sein
Die gelbe Eingangsschleuse
haben die Mitarbeiter in Leipzig
„Banana Tower“ genannt
Im Akkord wird die Warenflut in das Computersystem aufgenommen – „receiven“ nenne man das, erklärt Heike Geißler.
Foto: Peter Endig / dpa
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