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Peter Gauweiler lebt in einer doppelten Diaspora: als Protestant im katholischen München und als evangelischer Freigeist in der CSU. Diese Sonderstellung prägte seine scharfe Wahrnehmung und Urteilskraft. Protestantismus ist für ihn die Religion der Widerständigkeit und des Individualismus, aber auch der konsequenten Reduktion auf das Wesentliche. Dieses Buch, eine konfessionelle Autobiographie, erzählt von Schlüsselerlebnissen eines lebenslang Fragenden. Zugleich ist es eine Spurensuche nach den protestantischen Einflüssen auf die bayerische (Kultur)Geschichte, welche den weiß-blauen…mehr

Produktbeschreibung
Peter Gauweiler lebt in einer doppelten Diaspora: als Protestant im katholischen München und als evangelischer Freigeist in der CSU. Diese Sonderstellung prägte seine scharfe Wahrnehmung und Urteilskraft. Protestantismus ist für ihn die Religion der Widerständigkeit und des Individualismus, aber auch der konsequenten Reduktion auf das Wesentliche. Dieses Buch, eine konfessionelle Autobiographie, erzählt von Schlüsselerlebnissen eines lebenslang Fragenden. Zugleich ist es eine Spurensuche nach den protestantischen Einflüssen auf die bayerische (Kultur)Geschichte, welche den weiß-blauen Freistaat veredelt haben. Und so führt die Lektüre zur ebenso verblüffenden wie zwingenden Erkenntnis: Eigentlich sind alle Bayern Protestanten.
Autorenporträt
Peter Gauweiler, geboren 1949 in München, war Staatsminister, stellvertretender CSU-Vorsitzender und Bundestagsabgeordneter. Er arbeitet als Rechtsanwalt in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.02.2018

Wie gut doch, dass der bayerische Löwe an kurzer evangelischer Leine lief
Peter Gauweiler präsentiert sich in seinem locker erzählten autobiographischen Essay als ökumenisch gesinnter konservativer Anarchist

"Für mich sind alle Bayern Protestanten", lautet der erste Satz von Peter Gauweilers autobiographischem Essay über das reformatorische Christentum im dominant katholischen Freistaat. Das Protestantische identifiziert der auch nach seinem Rückzug aus dem Deutschen Bundestag noch immer einflussreiche Münchner Rechtsanwalt mit Widerständigkeit, starkem Individualismus und viel Freiheitsliebe.

Gauweiler wuchs in Hadern auf, einem erstmals im elften Jahrhundert erwähnten Bauerndorf im Münchner Westen, das 1938 von der Landeshauptstadt eingemeindet worden war. Noch heute steht hier der Maibaum vor der Kirche, die nach Petrus Canisius benannt ist, dem ersten deutschen Jesuiten, der in kritischer Auseinandersetzung mit den Lutheranern seit 1535 die Glaubensgesellschaften der Altgläubigen zur römisch-katholischen Konfessionskirche umformen wollte. Zum Biergarten und Feuerwehrhaus ist es nicht weit, und die ebenfalls nach dem "gegenreformatorischen Chefideologen" benannte Grundschule wurde direkt gegenüber der Kirche errichtet. Gauweiler allerdings stammt aus einer protestantischen Familie mit Pfälzer Wurzeln und gehörte zur Gemeinde der 1969 errichteten Reformationsgedächtniskirche. So nennt er nicht nur Bayern sein "Vaterland", sondern auch sein "Evangelisch-Sein".

"Meine Geschichte ist die Geschichte der Schnittstellen dieser beiden Heimaten." Er erzählt sie im lockeren Plauderton, mit dem selbstbewussten Stolz, sein Leben als Angehöriger einer "Minderheit" im "besonderen Bewusstsein" der "Freiheit eines Christenmenschen" führen zu dürfen. Die zehn evangelischen unter den zweihundert Schülern der Canisius-Schule entwickelten jedenfalls starke Gefühle konfessioneller Überlegenheit über ihre ebenfalls Lederhosen tragenden katholischen Klassenkameraden. Gauweiler berichtet über seine kirchliche Sozialisation in Jungschar, Posaunenchor und Theatergruppe, die frühe jugendliche Begeisterung für den brillanten Choleriker Franz Josef Strauß, die harten Konfessionskämpfe in der altbayerischen Vergangenheit und die protestantischen Enklaven in Niederbayern. Mit vielen gut gewählten historischen Beispielen will er belegen: "Nirgendwo in Bayern ist das Evangelische nur Importware. Seit es den Protestantismus gibt, gibt es ihn in Bayern." Deshalb sei die Geschichte des bayerischen Katholizismus und speziell der obrigkeitlichen Kirchenpolitik weithin als eine produktive Reaktion auf die permanente lutherische Provokation zu deuten.

Gauweiler entdeckt viele protestantische Spuren mitten im katholischen Bayern. Selbst für den goldenen Löwen im bayerischen Staatswappen kann er kenntnisreich zeigen, dass er lange Zeit an einer ziemlich kurzen evangelischen Leine lief. Obendrein waren nicht nur gleich drei der vier bayerischen Königinnen evangelisch, sondern auch "die künstlerischen Symbolfiguren" des bayerischen Paradoxons wie Karl Valentin und Gerhard Polt, dessen geniale Einsicht "the idea of Freibier in Bavaria is deeply religious" als Konkretion der Wittenberger Lehre von der dem Sünder immer schon geschenkten lebensdienlichen Gnade zu lesen ist. Protestanten waren der fromme Franz Marc, die Erfinder und Architekten des Englischen Gartens, Graf Rumford und Ludwig von Sckell, die Widerständler Hans und Sophie Scholl sowie viele widerspenstige Freigeister in den Münchner Gelehrtenwelten des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts.

Auch dass München seit dem Vormärz zur "unbestrittenen Hauptstadt der Kunst in Deutschland" wurde, führt Gauweiler auf die "ästhetische Dimension" des Protestantischen zurück: "weniger ist mehr". Immer wieder insistiert der ökumenisch gesinnte konservative Anarchist darauf, dass man die "Freiheit eines Christenmenschen" im Sinne radikaler "Selbstbestimmung als Weg zum Seelenheil" deuten müsse. Diese Mündigkeit schließt das Wissen um die eigene Irrtumsfähigkeit, aber auch großherzige Bereitschaft zur Gnade gegenüber schuldig Gewordenen ein. Gauweiler kritisiert insbesondere die "in der politischen Klasse des Westens" verbreitete "Lynch-Stimmung" gegen Erich Honecker und andere Funktionäre der untergegangenen DDR. Gefühle der Sympathie bekundet er nicht nur für seinen "saarländischen Freund" Oskar Lafontaine und einige "linke Ossis", sondern auch für Fritz Teufel, den politischen Gegner aus Münchner Studententagen, der ihm einmal ernsthaft vorschlug, einen Radweg von Berlin nach München "Franz-Josef-Weg" zu nennen.

Dass Joseph Ratzinger, der bayerische Professorenpapst, "der größte Meister der Theologie in Deutschland seit Martin Luther" ist, bleibt aber selbst dann eine unsinnige Übertreibung, wenn man mit "dem Fremdheitsblick des evangelischen Bayern" im "real existierenden Benedikt" "den kirchlichen Reformator für unsere Zeit" verehrt. Ansonsten demonstriert der Verehrer Ludwigs II. mit souveräner Gelassenheit, dass er das "Joch der Knechtschaft" in welcherlei Gestalt auch immer nicht mag.

FRIEDRICH WILHELM GRAF

Peter Gauweiler: "Evangelisch in Bayern".

Claudius Verlag, München 2017. 144 S., geb., 15,- [Euro]

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"...ein echter Peter Gauweiler." - Armin Jetter, Bayern im Buch