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Die erste große Lessing-Biographie seit fast 100 Jahren
Erstmals seit fast hundert Jahren liegt mit Hugh Barr Nisbets Buch wieder eine umfassende Lessing-Biographie auf dem neuesten Forschungsstand vor. Das einzigartige Porträt dieses europäischen Klassikers ist zugleich das geistige, gesellschaftliche und kulturelle Panorama eines ganzen Zeitalters. Nisbets neue Biographie enthält eine detaillierte Darstellung von Lessings Leben und Werken im Zusammenhang der europäischen Aufklärung und den Anfängen der klassischen deutschen Literatur. Sie bietet eine Fülle neuer Einsichten in Lessings…mehr

Produktbeschreibung
Die erste große Lessing-Biographie seit fast 100 Jahren

Erstmals seit fast hundert Jahren liegt mit Hugh Barr Nisbets Buch wieder eine umfassende Lessing-Biographie auf dem neuesten Forschungsstand vor. Das einzigartige Porträt dieses europäischen Klassikers ist zugleich das geistige, gesellschaftliche und kulturelle Panorama eines ganzen Zeitalters.
Nisbets neue Biographie enthält eine detaillierte Darstellung von Lessings Leben und Werken im Zusammenhang der europäischen Aufklärung und den Anfängen der klassischen deutschen Literatur. Sie bietet eine Fülle neuer Einsichten in Lessings schwer greifbare, faszinierend-widersprüchliche Persönlichkeit, seine Schwächen und Verdienste, und in seine vielseitige Tätigkeit als Dramatiker, Journalist, Literatur- und Kunsttheoretiker, Philosoph, Religionskritiker, Bibliothekar, Philologe und Polemiker. Die aufs neue aktuelle Debatte über Lessings Befürwortung der Toleranz wird eingehend erörtert.
Das herkömmliche, am Bildungsroman orientierte Modell einer Biographie ist bei Lessing fehl am Platz. Sein Leben entwickelt sich nicht geradlinig auf ein bestimmtes Ziel; es besteht vielmehr aus einer Reihe von plötzlichen Ortswechseln und ständig neuen Beschäftigungen. Der modern anmutenden Vorläufigkeit seiner Lebensweise entspricht die Relativität seines Wahrheitsbegriffs und die Offenheit und Beweglichkeit seines Denkens, durch die er den Rationalismus der Aufklärung in Frage stellt.
Die Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung wurde gemeinsam mit dem Verlag C.H.Beck gegründet. Ihr Ziel ist es, ausgewiesenen Wissenschaftlern die Möglichkeit zu geben, grundlegende Erkenntnisse aus dem Bereich der Historischen Geisteswissenschaften einer interessierten Öffentlichkeit näher zu bringen. Die Stiftung unterstreicht damit ihr Anliegen, herausragende geisteswissenschaftliche Forschungsleistungen zu fördern - in diesem Fall eines Buches, das höchsten Ansprüchen genügt und eine große Leserschaft findet.
Autorenporträt
Hugh Barr Nisbet ist emeritierter Professor für Germanistik an der University of Cambridge.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2008

Alles, nur kein Denkmal

Ein Kritiker, doch nicht des Teufels fette Beute: Hugh Barr Nisbets monumentale Biographie über Gotthold Ephraim Lessing

Von Rüdiger Görner

Und Lessing kam bis Korsika. Waren wir uns dessen bewusst? Oder dass er unfähig war, Termine einzuhalten, und zu Zornesausbrüchen neigte? Oder dass er zuletzt sich des barmherzigen Samariters literarisch annehmen wollte? Ahnten wir, dass man ganze Anthologien füllen könnte mit Projekten, Entwürfen, Fragmenten dieses Dichters, der nichts mehr verachtete als "Systeme", darin ein Vorläufer der Frühromantiker, aber auch Nietzsches? Lessing und die Frauen? Lessing und sein Alltag? Auch da hatten wir doch eher vage Vorstellungen. Lessing, das ist "Nathan der Weise", "Emilia Galotti", allenfalls noch "Minna von Barnhelm" - Schulunterrichtsstoffe eines sogenannten Klassikers, der schon bald nach seinem Tod denkmalverdächtig wurde. Nach neunhundert brandneuen, aber lange gereiften Textseiten über ein herausragendes Leben und Wirken im Zeitalter der Aufklärung wissen wir bedeutend mehr über diesen "Erzvater alles klugen und wachen Dichtertums", wie Thomas Mann ihn zum zweihundertsten Geburtstag 1929 genannt hatte.

Wer den Dichter nur als Denkmal verehrt, entschärft seinen Geist, bringt ihn um seine Brisanz. Und brisant war, ist und bleibt, was Lessing zu sagen hatte, namentlich in Sachen Toleranz, Pluralität und (selbst-)kritischem Kulturverständnis. Wie brisant, das lehrt dieses gewichtige Werk. Gibt es eine schönere Fügung, dass Hugh Barr Nisbet, einer der großen Namen der britischen Germanistik und glänzender Kenner der europäischen Aufklärung, für sein Lessing-Lebenswerk in Karl S. Guthke, einem gleichfalls führenden Lessing-Forscher, seinen kongenialen Übersetzer gefunden hat? Damit ist eines gewährleistet, was man auf neunhundert Seiten braucht: stilistische Eleganz, sprachliche Lebhaftigkeit, Sinn für Bedeutungsnuancen. Das bedeutet nicht, dass diese Biographie dadurch eine leichte Lektüre geworden sei. Nein, man arbeite sie durch, Kapitel um Kapitel, neben sich Lessings Werke, um dieses und jenes neu nachzulesen. Dann ist der Reinertrag an literatur- und kulturgeschichtlichen Einsichten beträchtlich; und unter der seitenumwendenden Hand wird einem Lessing zum Zeitgenossen.

Bei der Darstellung von Lessings Leben verliert sich Nisbet nicht im Dickicht der Fakten, sondern bewahrt einen klaren Blick für das Wesentliche; in den Werkinterpretationen gestattet er sich freilich eine Ausführlichkeit, die den Kenner mehr begeistern wird als den Liebhaber. Und damit verbindet sich das einzige Bedenken, das einen bei der Lektüre dieser Biographie überkommen kann: dass zu wenige Leser genügend Zeit und Geduld aufbringen werden, um von dieser Eindringlichkeit und Nisbets Differenzierungen genügend zu profitieren.

Über Lessings Studie zu Seneca schreibt Nisbet, dass es dem Aufklärer darum zu tun gewesen sei, "einen Dichter nach den Gegebenheiten seines Zeitalters zu beurteilen". Damit verrät er auch, was ihn selbst bei der Abfassung dieses Buches geleitet hat. Man gewinnt den Eindruck, dass darüber hinaus Friedrich Schlegel und sein Versuch "Über Lessing" (1797) bei der Arbeit Pate gestanden haben. Hatte doch Schlegel gefordert, "einmal den Versuch zu wagen, Lessingen nach den Gesetzen zu kritisieren, die er selbst für die Beurteilung großer Dichter und Meister in der Kunst vorgeschrieben hat". Was Schlegel an Lessing so sehr schätzte, führt Nisbet bis ins Einzelne aus: die Art, in der dieser den Wert der Kritik im künstlerischen Schaffensprozess einbrachte. Nisbet legt das lebens- und ideengeschichtliche Wurzelwerk unter Lessings kritischer Praxis frei, wobei ihm der Dichter selbst entgegenkam. Im Schlussstück der "Hamburgischen Dramaturgie" bekennt er, er sei "immer verdrießlich geworden, wenn ich zum Nachteil der Kritik etwas las oder hörte". Einzig der Kritik habe er Fortschritte in seinem eigenen Schaffen zu danken; ihn als Dichter zu sehen bedeute, ihn zu verkennen.

Die Sorge, missverstanden oder "verwechselt" zu werden, bedrängte Lessing zunehmend. Er war der dichtende Kritiker und kritische Dichter des Unterscheidens. So stand für Lessing seit seiner Schrift "Pope ein Metaphysiker!" (1755) fest, dass ein Dichter ein Philosoph sei. Nisbet nun zeigt Lessing als Philologen und theologisch versierten Kritiker des Dogmatismus, als einen Vermittler und Polemiker, als virtuosen Dialektiker und begnadeten Rhetoriker (als letzteren hat ihn auch Walter Jens uns immer wieder ins Gedächtnis gerufen); er porträtiert Lessing aber auch als einen Anwalt der Außenseiter, der sich am Ende selbst mehr und mehr isoliert sah. Wir erleben Lessing in seinen Lebens- und Herzensnöten, seine Bemühungen um eine würdige Anstellung, die ihm schließlich in der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel zuteil wurde, werden Zeuge bei seiner späten Heirat, seinem Versuch, im Mannheimer Theater unterzukommen, bei dem allzu frühen Tod seiner Frau und seiner späten Beziehung zu Elise Reimarus; wir verfolgen die Intrigen mit, denen er sich ausgesetzt sah, und die publizistischen Kämpfe, die er mit der Schreibfeder als Degen nicht immer zu seinem Vorteil focht. Nisbet schildert das mit, paradox gesagt, diskreter Offenheit und - wenn überhaupt - dann nur wohltuend sparsam psychologisierend.

Die abschließenden fünf Kapitel bereiten dem Leser wahre Sternstunden an Einsicht in intellektuell und theologisch komplexe Probleme. Selten findet man eine Darstellung, die so erhellend Lessings Herausgabe der theologischen Fragmente von Hermann Samuel Reimarus und den daraus resultierenden Streit mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze behandelte wie Nisbets Klärung dieser Kontroverse. Worum ging es? Reimarus hatte, wenn man so will, eine Doppelexistenz geführt als anerkannter Philologe und Philosoph sowie als insgeheimer Häretiker, dem die Bibel als historisches (also fehlbares) Dokument Gegenstand der Kritik sein müsse. Lessing veröffentlichte aus Reimarus' Nachlass dessen Kritik am Offenbarungsglauben, was zu einem langwierigen publizistischen Streit mit Goeze führte. Warum nahm sich Lessing, der Freund Mendelssohns, dieser stilistisch unzulänglichen Texte eines notorischen Antisemiten überhaupt an? Weil er aus ihnen etwas ableiten konnte, was ihm wesentlich erschien: Das Gefühl nobilitierte Lessing zur entscheidenden Quelle religiösen Glaubens, nicht den "Buchstaben", weil dieser immer Gegenstand philologischer Kritik bleibe. In dieser Hinsicht vertrat Lessing einen antilutherischen Protestantismus, der in der Wahrnehmung ihm kritisch bis feindlich gesinnter Zeitgenossen zusammen mit seiner Wertschätzung Spinozas als verdächtig galt. Manch wackerer Braunschweiger glaubte denn auch, dass der Teufel den gottlosen Lessing im Februar 1781 geholt habe oder dass die Ärzte ihn hätten absichtlich sterben lassen.

Auf radikale Weise zweideutig hatte Thomas Mann diesen Dichter genannt, der eines sein wollte: verlebendigte Kritik, etwas Schauspieler doch und Anwalt toleranten Handelns, aber alles, nur kein Denkmal. Es gab Zeiten, da hielt man Lessing für den deutschen Shakespeare. Womöglich ist es kein Zufall, dass mit Hugh Barr Nisbet ein Engländer den Dialog mit Gotthold Ephraim Lessing wiederaufgenommen hat. Wir sollten ihn weiterführen.

Hugh Barr Nisbet: "Lessing". Eine Biographie. Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung. Aus dem Englischen übersetzt von Karl S. Guthke. Verlag C. H. Beck, München 2008. 1024 S., 45 Abb., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.12.2008

Rauflust und Mitleid
Das ist Aufklärung: Hugh Barr Nisbet schildert Gotthold Ephraim Lessings geistige Biographie Von Jens Bisky
Wenige Monate, nachdem Lessing „Nathan den Weisen” versifiziert hatte, klopfte in Wolfenbüttel ein „übel gekleideter” Landstreicher an seine Tür, begleitet von einem verwilderten Hund, und bat um Einlass. Er wolle eine große Abhandlung „Über die höhere Bestimmung des Menschen” vollenden und bitte um Unterkunft. Lessing, der seit je eine Vorliebe für kernig danebenliegende Menschen besaß, nahm den höchstens halbgebildeten Könemann bei sich auf; fünf Monate lang beköstigte er den Anarchisten und entschiedenen Atheisten, stellte ihn einigen Bekannten vor, nahm ihn – als wolle er seine Mitmenschen herausfordern – zur Braunschweiger Messe mit und begann selbst von einem neuen Wanderleben zu träumen.
Auf die unbürgerliche Seite des Mannes, den man später zum Vorkämpfer des Bürgertums ausschreien sollte, war Verlass. Ein aufgeklärter Familienvater hätte im Jahr 1800 gute Gründe gehabt, den Lebensgang Gotthold Ephraim Lessings mit gemischten Gefühlen zu betrachten – selbst dann, wenn er den Ruhm gebührend in Rechnung stellte, der den Pfarrerssohn aus Kamenz früh schon und auch später recht treu begleitet hatte. Wirtschaftlicher Erfolg und privates Glück waren dem viel gelesenen Autor nicht vergönnt gewesen. Als unabhängiger Schriftsteller verdiente Lessing zu wenig; in einem Amt mit festem Einkommen war seine Unabhängigkeit gefährdet. Obendrein verstand er die Kunst nicht, Einnahmen und Ausgaben im Gleichgewicht zu halten.
Mochte man nach Lessings Tod in Berlin auch tönen: „Wenn Er ein Deutscher nicht, wenn Er ein Britte wäre: / Da schlösse seinen Sarg die Gruft der Kön’ge ein” – zu seinem Begräbnis in Braunschweig hatten sich kaum zwanzig Freunde versammelt. Manch fromme Seele wollte glauben, der Teufel habe ihn geholt. Dann meldeten sich die Gläubiger. Es waren mehr als zwanzig, und als man Hab und Gut des Verstorbenen verkauft hatte, reichte der Betrag nicht hin, die Schulden zu begleichen.
Immerhin konnte Lessing mit „Miss Sara Sampson” und „Minna von Barnhelm” lange währende Bühnentriumphe und gegen Samuel Gotthold Lange oder Christian Adolf Klotz publizistische Siege verbuchen. Selbst den imposanten Hamburger Pastor Goeze hatte er in die Ecke geschrieben. Und wenn der Familienvater um 1800 fleißig die Journale las, musste er feststellen, dass die Jüngeren, so hart sie sonst mit ihren Vorgängern ins Gericht gingen, Lessing ehrten und einige seiner Ideen aufgriffen.
„Dem Mann ist alles geglückt”, schrieb 1979 Dieter Hildebrandt in seiner schwungvollen „Biographie einer Emanzipation” und stellte dem gleichberechtigt den Satz an die Seite: „Dem Mann ist alles fehlgeschlagen”. Man liest Hildebrandts Buch noch heute mit Gewinn, aber eine Lessing-Biographie, die den Fortschritten der ausufernden, spezialisierten Aufklärungsforschung gerecht wird, fehlte bislang. Sie kommt nun aus England, wo derzeit die großen Bücher über deutsche Kultur und Geschichte entstehen.
Ein großes, gründlich gelehrtes Buch ist auch dieses des Germanisten Hugh Barr Nisbet, der sich zwei Jahrzehnte lang mit Werk und Zeit Lessings beschäftigt hat. Aber ist es auch eine Biographie? Nein, wenn man darunter eine durcherzählte Geschichte versteht, die uns einen Helden früherer Zeiten nahebringt, indem sie ihn in seiner Alltäglichkeit zeigt. Nisbet versagt sich die Ausmalung häuslicher Szenen und verzichtet auf dramatische Zuspitzung selbst dort, wo sie der Stoff zu bieten scheint: Als das Publikum der Uraufführung von „Miss Sara Sampson” in Frankfurt an der Oder von Anfang bis Ende stille saß wie Statuen und weinte; als Friedrichs Überfall auf Sachsen Lessings Lebenspläne gehörig durcheinander wirbelte; als Lessing zwischen zwei Witwen – Eva König und Ernestine Reiske – zu schwanken schien; als sein Sohn ihm und die Frau wegsterben – dieser Biograph hebt kaum die Stimme, sondern berichtet, wägt ab, urteilt vorsichtig. Und dennoch versteht er es, den Leser, so dieser die Anstrengung nicht scheut, bei der Stange zu halten. Er lässt ihn teilhaben an der intellektuellen Biographie Lessings, entwirrt das Gestrüpp der Motivstränge, verfolgt Einfälle und Argumente über Jahrzehnte hin und schafft Höhepunkte der Lebensbeschreibung dort, wo er die Schriften seines Helden – einschließlich der Pläne, Notizen und Projekte – interpretiert.
Das wird man nicht verwerflich finden. Für einen Schreibenden sind Bücher, die ihm zustoßen, Formulierungen, die er findet, Entwürfe, die scheitern, und veröffentlichte Werke wenigstens so wichtig wie Bekanntschaften und Geselligkeiten. Leider hält sich Nisbet auch im Zitieren sehr zurück, er paraphrasiert und beschreibt lieber. Dadurch bleiben Freunde und Zeitgenossen, Friedrich Nicolai etwa, Moses Mendelssohn und selbst Ewald von Kleist, arg blass. Dass Lessings Karriere, sein Ruhm und seine bleibende Bedeutung nahezu alles seiner Sprache verdanken, seinem Stil, der so geschliffen wie natürlich wirkt, kann der Leser bestenfalls ahnen.
Nisbet bleibt betont glanzlos. Er reißt den Leser nicht mit, wozu oft schon ein Zitat seines Helden gereicht hätte. Aber man kann bei ihm etwas lernen, und zwar gleichermaßen über Theologie, Poetik, Journalismus, Altertumskunde und Theatergeschichte. Es gebe, behauptet Nisbet eingangs, keinen roten Faden, der die literarischen Projekte Lessings und die aufeinander folgenden Episoden seines Lebens verbindet. Statt der Fiktion organischer Entwicklung führt er daher ein Temperament vor: einen impulsiven, schnell langweilbaren, streitlustigen Mann, einen „gelehrten Landstörzer”, wie ihn Lessing einmal so beschrieb: „Man denke sich einen Menschen von unbegrenzter Neugierde, ohne Hang zu einer bestimmten Wissenschaft. Unfähig, seinem Geiste eine feste Richtung zu geben, wird er, jene zu sättigen, durch alle Felder der Gelehrsamkeit herumschweifen, alles anstaunen, alles erkennen wollen, und alles überdrüßig werden.” Lessing war ein Mann des Vorläufigen, Provisorischen, deshalb gern unter Militärs und am Spieltisch. Indem er leidenschaftlich den Zufall herausforderte, setzte er „seine stockende Maschine in Tätigkeit”. Und ähnliches dürfte auch seinen Hang zur Polemik erklären, deren Schärfe und Unerbittlichkeit mehrfach im Missverhältnis zur Streitsache standen. Da trieb ihn nicht nur Interesse an der Sache, nicht bloß Unwille an Autorität und Dogma, sondern eine gehörige Portion Rauflust, um sich lebendig zu fühlen.
Indem er die geistige Physiognomie seines Helden allmählich nachzeichnet, gelingt Nisbet leicht, woran andere Biographen gern scheitern. Er kann die Verbindungen zwischen Leben und Werk aufzeigen, ohne zur Vulgärpsychologie zu greifen. Manche dramaturgische Ungereimtheit in „Emilia Galotti” etwa wird dem Druck und der Eile zugeschrieben, mit der das Trauerspiel vollendet wurde, dessen Stärke die Darstellung einer Ausweglosigkeit ist, der alle unterliegen. Als Produkt einer Krise sei, folgert Nisbet, das Drama zugleich Zeichen einer Krise, die Lessing als eine seiner Zeit begriff.
Sehr überzeugend liest Nisbet die berühmten Gespräche mit Friedrich Heinrich Jacobi, die bald den Verdacht nährten, Lessing sei Spinozist, als Unterhaltungen, als Folge von Rede und Gegenrede. Jeder Versuch, ein „System” aus den vorläufigen, oft ironischen Äußerungen zu deduzieren, wird so zuschanden. Lessing formulierte reaktiv, wollte „eine allgemeine Meinung in Frage” stellen, ihren Fürsprecher zur Aufgabe seiner Ansicht oder zu besseren Argumenten veranlassen. Nur wer wie Jacobi auf der Suche nach Rechtgläubigen war, konnte den humoristischen Ton mancher Antwort, die spottende Laune überhören.
Eine Gefahr der Lessing-Bewunderung ist es, die Vorläufigkeit im Argumentieren, den Geist der Wahrheitssuche und der Toleranz mit Schwammigkeit und bloßem Meinen zu verwechseln. Dabei ging es um schärfste Unterscheidung. Der Aufklärer hat nicht gezögert, die gedankenreiche Strenge der Orthodoxie gegen das unphilosophische Moralisieren der Neologen, die Verfechter einer natürlichen, aber leeren Religiosität, zu verteidigen.
Mit Karl S. Guthke hat der Verlag einen Kenner der Zeit und Lessings als Übersetzer gewonnen. Umso mehr befremden einige Schnitzer: Es gab im 18. Jahrhundert keinen preußischen Kulturminister, die Aufklärungsforschung der DDR fand nicht in der „ehemaligen DDR” statt. Nisbets Vermutung, dass Johann Joachim Winckelmann von labilem Temperament und dem Argumentationsgeschick Lessings unterlegen gewesen wäre, hätte ein heftiges Widerwort verdient, verrät sie doch Unkenntnis des begnadeten, strategisch geschickten Polemikers Winckelmann.
Dennoch findet man so rasch kein zweites Buch, dass auf die Frage, was Aufklärung sei, eine vergleichbar kenntnisreiche Antwort ermöglicht. Zum Beharren auf individueller Autonomie müssen Mitleid und Gelehrsamkeit treten. Getrennt voneinander werden Subjektivität, affektiv begründete Ethik und Wissen monströs.
Hugh Barr Nisbet
Lessing
Eine Biographie.
Aus dem Englischen übersetzt von Karl S. Guthke. Verlag C. H. Beck, München 2008. 1024 Seiten, 39,90 Euro.
Er schweift auf allen Feldern der Gelehrsamkeit herum
Beruht der Spinozastreit auf Lessings humoristischer Laune?
Auch er will weniger erhoben und fleißiger gelesen sein. Das Bildnis Lessings, gemalt von Johann Valentin oder Johann Heinrich Tischbein, entstand um 1756. Foto: Ullstein
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Sven Hanuschek, selbst Autor einer Canetti-Biografie, weiß diese umfangreiche Lessing-Biografie von Hugh Barr Nisbet zu schätzen. Deutlich wird für ihn darin, dass uns Lessing näher steht als viele spätere Autoren, insbesondere die der Weimarer Klassik. Er hebt die zahllosen Aktivitäten, die Lebendigkeit, die Vielseitigkeit Lessings hervor, der als Kritiker, Dramatiker, Polemiker, Editor, Philosoph, Alt- und Neuphilologe, Übersetzer, Rokokolyriker, Fabeldichter, Ästhetiker, Spielsüchtiger unterwegs war. Vorliegende Biografie, die systematisch das Zusammenwirken von Leben und Werken beschreibt, mutet ihn fast als Gegenentwurf zu seinem Objekt an, so nüchtern, gelassen, distanziert wirkt sie bisweilen auf ihn. Besonders hebt er die ausführlichen Beschreibungen und Analysen sämtlicher Werke Lessings hervor. Das Buch scheint Hanuschek allerdings weniger für ein breites Publikum geschrieben. Er sieht Barr Nisbets Ziel eher in einer "Gesamtschau auf dem heutigen Stand der Forschung", die "kurzlebige Moden nicht bedienen, Wissenschaftsjargon vermeiden und Lessing-Klischees abtragen soll". Das ist dem Autor in seinen Augen auch vollauf gelungen. Eine Stärke der Arbeit sind für Hanuschek die sozialgeschichtlichen Abschnitte. Mit Lob bedenkt er auch die Übersetzung des Werks durch Karl Guthke.

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