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Wer Winkler liest, wird Winklers Sprachlust nicht vergessen. Sie entzündet sich an Leben und Sterben im heimatlichen Kamering, am Gewimmel italienischer Märkte - an der Turbulenz zwischen den Scheiterhaufen im indischen Varanasi. Aber auch an Büchern, Gemälden und Skulpturen kann sie sich entzünden, wie diese Sammlung zeigt. Und manchmal kommt es zu einer Selbstentzündung, die Sprachlust fängt einfach so an zu brennen - wenn der Autor aus Traum und Tag zusammenkehrt, was zu besingen ist. Dann entsteht ein Text wie »Specter of the Gardenia«: »Auf die Stimme der weißen Kreide / Auf die…mehr

Produktbeschreibung
Wer Winkler liest, wird Winklers Sprachlust nicht vergessen. Sie entzündet sich an Leben und Sterben im heimatlichen Kamering, am Gewimmel italienischer Märkte - an der Turbulenz zwischen den Scheiterhaufen im indischen Varanasi. Aber auch an Büchern, Gemälden und Skulpturen kann sie sich entzünden, wie diese Sammlung zeigt. Und manchmal kommt es zu einer Selbstentzündung, die Sprachlust fängt einfach so an zu brennen - wenn der Autor aus Traum und Tag zusammenkehrt, was zu besingen ist. Dann entsteht ein Text wie »Specter of the Gardenia«: »Auf die Stimme der weißen Kreide / Auf die Wasseroberfläche des Tintenkleckses (...) / Auf die Unterseite einer gespaltenen Leguanzunge am Bug des sinkenden Schiffes und auf die Meerestiefe meines Tintenfasses - königsblau SCHREIB ICH DEINEN NAMEN ...«
Autorenporträt
Josef Winkler wurde am 3. März 1953 in Kamering bei Paternion in Kärnten geboren. 2008 erhielt er den Georg-Büchner-Preis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Nicolas Freund hält Josef Winklers Sprache für besonders lebendig, auch wenn sie oft vom Tod erzählt. Zu begutachten ist das in der neuen Sammlung mit Nachworten, Reden und Auftragsarbeiten von Winkler, in der Freund auf die bekannnte Auseinandersetzung des Autors mit seiner Kärntner Heimat trifft, aber nicht nur. Dass Heimat mehr ist als der Geburtsort, lernt Freund, wenn er Winkler anhand der Texte auf seinen Lektüren und Reisen begleitet, mit Hans Henny Jahnn oder Alfred Kubin, nach New York oder Klagenfurt. Winklers Stilvielfalt, sein unverzagtes Suchen nach Gerechtigkeit und Schönheit scheinen den Rezensenten mit Glück zu erfüllen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.01.2021

Der Atlas macht mich krank
Josef Winkler sucht Gerechtigkeit und findet den Streit. Seine Band „Begib dich auf die Reise oder Drahtzieher der Sonnenstrahlen“ enthält Beispiele dafür
Wo einer herkommt, ist ein großes Thema, und je nach politischem Pol ist es entweder allesbestimmend oder demonstrativ egal. Interessant wird es, wie immer bei solchen Oppositionen, in der Mitte. Josef Winkler kommt aus Kärnten, wo nicht erst seit Jörg Haider, dem bei einem Autounfall ums Leben gekommenen „Landeshauptmann“ der FPÖ, die eher rechte Weltanschauung zum Inventar gehört. Winkler hat darüber in vielen seiner Texte geschrieben, und man könnte seinen Generalabrechnungen mit der Ignoranz, der Geducktheit und der grundsätzlichen Feindseligkeit der österreichischen Landbevölkerung entnehmen, dass er lieber woanders herkäme, was aber natürlich auch wieder nicht so einfach ist, denn es geht in Winklers Heimatauseinandersetzungen eben gerade darum, von irgendwo zu kommen. „Wenn es soweit ist“ hieß der Text, den Winkler 1998 über sein Heimatdorf Kamering veröffentlichte, und in dem vor allem gestorben wurde, dass sich die Knochen nur so türmten, denn die Dorfgeschichte, wie er sie erzählt, ist eine Ansammlung von Gebeinen längst Verstorbener, der Opfer von Engstirnigkeit und Faschismus, die zu einem besonderen Sud zusammengekocht werden, der dazu dient, Ungeziefer vom Nutzvieh fernzuhalten. Menschenkörper sind in dieser Welt Material. Winklers Waffe gegen diese Heimat jedenfalls ist eine Literatur, die sich paradoxerweise aus eben ihren Schrecken speist.
Winklers Poetik könnte man also eine Art intellektuelle Migration im eigenen Land nennen. Sie ist sein Programm schon seit frühesten Texten, die erst vor ein paar Jahren unter dem Titel „Wortschatz der Nacht“ erschienen sind. Und auch die neueste Textsammlung „Begib dich auf die Reise oder Drahtzieher der Sonnenstrahlen“, aus der viele Texte schon als Nachworte, Reden und Auftragsarbeiten erschienen sind, kann man im weitesten Sinne autobiografisch lesen.
Weil Herkunft eben etwas mehr umfasst, als den Geburtsort und die Wohnstätte, bringt dieses neue Buch die Reisen und die Lektüren Winklers zusammen, die in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander stehen, und mindestens so viel über ihren Autor verraten wie das Land Kärnten. In einem Text reist Winkler mit Hans Henny Jahnn durch Iran – vielleicht vor allem, weil es sich reimt. Genauer gesagt reist er natürlich nur mit dessen Roman „Perrudja“: „Ich möchte fortreisen. Abfahren. Die Welt bleibt stehen. Ich bewege mich. So entsteht Entfernung. Der Atlas macht mich krank. Ich sehe Namen. Dörfer. Städte. Menschen darin. Ich kenne sie nicht. Kein Bild. Die Flüsse. Krause Linien. Braungezackte Falten. Die Gebirge. Dreifach so hoch wie die unsrigen. Gojam, Sandjigum, Hadjabad, Galu Tesges, Nagenau, Ghanda Kuh, Awas, Tabbas. Das ist Persien.“
Winkler zitiert ausführlich die Texte, die er liest und teilweise verwischt die Trennung zwischen Zitat und Haupttext, sodass man als Leser im vierseitigen Literaturverzeichnis nach Hinweisen auf die Autorschaft der Passage suchen muss. Wobei man es aber auch nicht muss, denn es geht gerade um eine Verwendung der Sprache, die nicht tot ist, sondern weiterlebt, ganz in Analogie zu den Menschen, deren Reduzierung auf tote Körper und die damit einhergehende Verachtung zu bekämpfen als zentrales Anliegen Winklers herauskommt.
In New York beobachtet der Erzähler, der dem Autor oft zu entsprechen scheint, wie ein weißer Polizist mit einem „Scharfmacherhund“ seine schwarze Kollegin erschreckt, „indem er die Leine locker läßt, so daß der Hund schnurstracks auf die bereits aufkreischende zuläuft, bis der lachende Polizist den angriffslustigen Köter wieder an sich heranzieht.“ Winklers Kärnten ist überall.
Mit den Albtraumbildern Alfred Kubins im Gepäck erinnert er sich an die jugendlichen Dienste in der Kirche mit den „ein halbes Jahrhundert alten Bänken, an denen die Jugendlichen in ihrer sich über Jahre dahinziehenden Langeweile während Hunderter Messopfer, mit einem Feitel die dialektalen Worte für weibliche und männliche Geschlechtsteile ‚Fut‘ und ‚Beitl‘, durchpfeilte Herzen und Hakenkreuze eingeritzt hatten“. Von dem ehemaligen Wohnhaus Ingeborg Bachmanns in der Henselstraße in Klagenfurt aus erinnert er daran, dass diese „Literaturhauptstadt“ als einzige Stadt Mitteleuropas mit 100 000 Einwohnern keine Stadtbibliothek habe, dafür aber ein Fußballstadion, bei dessen Errichtung einem Steuerberater aus Villach vom Kärtner ÖVP-Vorsitzenden sechs Millionen Euro „in räuberischer Manier aus Landesvermögen zugeschanzt“ worden seien. Es handele sich da um den persönlichen Steuerberater dieses ÖVP-Politikers. Dieser Text sorgte für einen Eklat, als ihn Winkler als Festrede vortrug und unter anderem forderte, die Urne Jörg Haiders in einer Gefängniszelle aufzubewahren.
Poetologisch ist dagegen nichts einzuwenden, aber mehrere FPÖ-Politiker strengten Klagen gegen Winkler an, woraufhin der Österreichische Schriftstellerverband Winkler beisprang. Dem Buch ist ein Zitat von Tania Blixen vorangestellt: „Der Hahn ging sofort auf das Chamöleon los und stieß ein paar kurze zufriedene Gluckser aus. Das Chamäleon machte bei seinem Anblick jäh und wie versteinert halt. Obwohl es Angst hatte, war es auch mutig. Es stemmte die Füße in den Boden, riß weit seinen Rachen auf und streckte dem Feind, um ihn abzuschrecken, blitzschnell seine lange, steife, keulenförmige Zunge entgegen. Der Hahn stand einen Augenblick da, als wäre er unsicher und unschlüssig. Dann ließ er seinen Schnabel rasch und resolut wie einen Hammer niedersausen und riß dem Chamäleon die Zunge aus.“ Wer zu vorlaut ist, läuft Gefahr, dass man ihn zum Schweigen bringt. Dieses Buch ist dazu gewissermaßen die Gegenthese.
Winkler verlangt Gerechtigkeit, aber ohne Pessimismus oder Verbitterung, er sucht Ruhe und Schönheit, wo es besonders grausam und hässlich ist. Vielleicht gibt es das, wonach Winkler strebt, nur in der Literatur: in seinem unaufhaltsamen Drehen, Verschränken und Ausweiten der Sprache, im Ausprobieren verschiedener Stile, vom Realismus der vorletzten Jahrhundertwende bis zur fast konkret poetischen Unverständlichkeit, im Zitieren von Freunden, Feinden und Idolen, im Verwischen und Rhythmisieren. Auch wenn sie oft vom Tod erzählt, so atmet und lebt seine Sprache doch wie wenige andere.
NICOLAS FREUND
Josef Winkler: Begib dich auf die Reise oder Drahtzieher der Sonnenstrahlen. Suhrkamp, Berlin 2020. 261 Seiten, 16 Euro.
Vorschlag: Jörg Haiders
Urne in einer
Gefängniszelle aufbewahren
Keine Bibliothek, aber ein Stadion: Winklers Heimat Klagenfurt.
Foto: imago
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»Begib dich auf die Reise umfasst also den ganzen Winkler ...« Uwe Schütte Wiener Zeitung 20201122