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"Unter uns ist ein Dichter von höchstem Grade, der von heute, gestern und morgen zugleich ist." (Günter Grass)
Peter Rühmkorf, der "größte lebende deutsche Dichter" (FAZ), präsentiert neue Lichtblicke und Gedankenblitze. Das Alter mag ihn milder gestimmt haben, doch seine Zweifel sind über die Jahre nicht geringer geworden: "Manches wird zierlicher, / manches brutaler, / allseits genierlicher: / Dein Feld wird schmaler. // Früher die ganze Flur / Dir zu Belieben, / fast eine Furche nur / ist dir geblieben." Als Aufklärer einerseits, berauschender Sensualist andererseits bemisst er die…mehr

Produktbeschreibung
"Unter uns ist ein Dichter von höchstem Grade, der von heute, gestern und morgen zugleich ist." (Günter Grass)
Peter Rühmkorf, der "größte lebende deutsche Dichter" (FAZ), präsentiert neue Lichtblicke und Gedankenblitze. Das Alter mag ihn milder gestimmt haben, doch seine Zweifel sind über die Jahre nicht geringer geworden: "Manches wird zierlicher, / manches brutaler, / allseits genierlicher: / Dein Feld wird schmaler. // Früher die ganze Flur / Dir zu Belieben, / fast eine Furche nur / ist dir geblieben." Als Aufklärer einerseits, berauschender Sensualist andererseits bemisst er die melancholischen Schwankungskurven seiner Existenz in virtuosen Versen, deren witzbewehrte Lebenslust die darin präsenten Sinnfragen erst erträglich macht.
"Also gut. Gebongt. Doch halt, da sind / zweifellos noch ein paar Fragen offen / und der Dichter uns die Antwort schuldig: / Sag, wie hältst du's mit der Gegenwart?! / Was, zum Beispiel, kann ich wissen? / Soll ich tun? / Was darf ich hoffen? / Wo die Leserschaft schon ungeduldig / mit den SCARPA-Wanderstiefeln scharrt." Dichter, wir warten!
Autorenporträt
wurde am 25.10.1929 in Dortmund geboren. Er studierte von 1951-58 Germanistik und Psychologie in Hamburg und schrieb ab 1953 schrieb unter Pseudonym für den 'studentenkurier' (später 'konkret') die Kolumne 'Lyrikschlachthof'. 1958-63 Verlagslektor, 1964/65 Stipendiat der Villa Massimo in Rom. 1969/70 Gastvorlesungen in den USA, 1985/86 Gastdozent an der Universität Paderborn. Freier Schriftsteller. 1979 Erich-Kästner-Preis, 1980 Bremer Literaturpreis, 1986 Arno Schmidt-Preis, 1987 documenta-Schreiber Kassel. Rühmkorf war korrespondierendes Mitglied der Akademie der Künste der DDR und erhielt 1988 den Heinrich-Heine-Preis (DDR). Ehrendoktor der Universität Gießen 1989. Georg-Büchner-Preis 1993. Sein erster Gedichtband "Irdisches Vergnügen in g" lässt bereits die Virtuosität seiner Wortkunst erkennen: er parodiert, persifliert vorgegebene Gedichtformen, kombiniert sogenannte Hochsprache mit Slang und saloppem Umgangsdeutsch, reißt Wörter aus dem gewöhnlichen Kontext und stellt sie in neue Zusammenhänge. Das Raffinement von Rühmkorfs Verssprache ist von keinem seiner Zeitgenossen bisher erreicht. Was die Publikationsform seiner Werke angeht, bevorzugt Rühmkorf eine Mischform: Seinen Gedichtbänden gibt er Essays bei, die fast immer das Handwerk des Dichters reflektieren. "Walther von der Vogelweide","Klopstock und ich" sowie sowie "Strömungslehre I" enthalten wechselseitig sich spiegelnde Gespräche, Briefe, Aufsätze über Dichtkunst, zumal über die Modalitäten der zeitgenössischen Schriftstellerexistenz, dazu eigene Gedichte und im ersten Band auch Gedichte Walthers von der Vogelweide in der Übertragung von Rühmkorf. - "Die Jahre die Ihr kennt" kombiniert autobiographische Reminiszenzen des Autors mit eigenen Rezensionen, politischen Pamphleten und eigenen Gedichten. Seit 1999 erscheint eine Ausgabe seiner Werke. Peter Rühmkorf verstarb am 8. Juni 2008.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.04.2008

Und es knattern wie eh die Poengten
„Paradiesvogelschiß”: Peter Rühmkorfs neue Gedichte – geschrieben für alle, verständlich für jeden
Sein neuer Gedichtband ist ein Buch des Zufalls. An sich hatte Peter Rühmkorf seine gesammelten Gedankensplitter und Splitterreime zu formal durchkomponierten Gedichten machen wollen. Aber dann setzte ein Krebs sich in ihm fest, den er nicht besiegen kann und der ihn am Arbeiten hindert. Die ersten zwei Drittel des neuen Buchs bestehen also aus den Einfällen, die Rühmkorf im Lauf der vergangenen Jahre gesammelt hat. Ein gutes Aperçu, gereimt oder nicht, ist etwas Vollkommenes. Der Dichter hatte mehr als Aperçus im Sinn gehabt, aber die Rezensentin vermisst nichts. Im Gegenteil, man kann stöbern in diesem Buch, viele Einzeiler, Zwei- und Vierzeiler animieren den Leser, sich das für ihn Passende auszusuchen. Die Aufmachung der Seiten, die Rühmkorf bis ins Letzte überwacht hat, ist perfekt. Selten wird Dichtung so schön und einladend präsentiert.
Rühmkorf notiert, wie ihm mitunter zumut war: „Und wenn du morgens wieder mal dunkeltrunken / deinen Rattenbau erreichst, / gratuliere, ah, im Kühlschrank brennt noch Licht.” Das Licht, das noch brennt, ob bei der Mutter zu Haus oder bei Väterchen Stalin im Kreml – lyrischen Funzeln dieser Art sollte Rühmkorfs Kühlschranklampe ein für alle Mal heimgeleuchtet haben.
Rühmkorf, dieser große Verteidiger des Reims, hat zeit seines Lebens den Kitsch in der Poesie bekämpft, wie andere sich gegen Diktatoren auflehnen. Gleich neben dem Kitsch steht in Rühmkorfs Schreckenskabinett die Angeberei, zumal die von Dichtern. Denen schreibt er auf: „poeta doctus / Er war ein Dichter vom Schuh bis zum Scheitel / mit Bildung gefüllt / wie ein Staubsaugerbeutel.” Rühmkorf ist selbst ein poeta doctus, aber er ist immer peinlich darauf bedacht gewesen, das herunterzuspielen.
Der Paradiesvogel, auf den Rühmkorf sich beruft, hat auch ein paar pointierte politische Kommentare ins Buch klacksen lassen. „Ab einer bestimmten Gehaltsstufe beginnt der Klassenkampf.” Und: „Klassenkampf wird von oben geführt: ,Neiddiskussion‘.”
Die meisten Verse kreisen allerdings um die Vergänglichkeit: Sie ist eine der Hauptaktricen in „Paradiesvogelschiß”. Die Frage nach dem Sinn des Lebens linst zwar um die Ecke; mit ihr legt Rühmkorf sich aber nicht an: „Der Wahrheit zuliebe immer weite Bögen / um die letzten Dinge gemacht.” Die Vergänglichkeit hingegen respektiert er: „Es hat sich ausgepsaltert, / nicht nur das Herz, das Hirn, die Seele altert.” Oder: „Eigentlich ist doch alles beklagt, / was noch nennenswert wäre” – ein hinreißender bitterkomischer Satz.
Aus den Gedichten Peter Rühmkorfs spricht ein Mann, der zwar mitunter eigensüchtig sein kann und das dann auch genießt, der aber grundsätzlich das „wir” hochhält, immer „für uns, für euch” schreibt: „Nun sag doch mal jemand was / gegen die Welt, / die blüht uns doch richtig entgegen.” Seine gelegentlichen Eskapaden im Namen des „lyrischen Ich” handeln manchmal von der Liebe, meistens aber vom Tod. In jedem Fall sind sie amüsant: „Gestorben wird doch unentwegt und allenthalben, / und diese Abschiedsfeiern sind mir ein Gealber. / Hingegen einmal noch den Zug von Schwalben / verfolgen, mit mir selbst als Oberschwalber” – in diesen Versen zeigt sich auch Rühmkorfs Vorliebe für Gottfried Benn. „Früher die ganze Flur / Dir zu Belieben, / fast eine Furche nur / ist dir geblieben.” Das ist lakonisch; die Ironie, mit der Rühmkorf die Welt betrachtet, wendet er auch auf sich selbst an. In seinem gesamten Werk findet sich keine selbstmitleidige Zeile.
36 Gedichte hat Rühmkorf zu Ende schreiben können, bevor die Krankheit ihn überrumpelte. Eines heißt „Rückblickend mein eigenes Leben. . . ”. Da steht: „Von einer gewissen Gleichgültigkeitswarte aus / ließe sich vielleicht sogar noch / über diesen oder jenen Lichtblick verhandeln / (. . . ) und du tust dich statt mit deinen Altersbeschwerden / ausnahmsweise mal / als großer Wohltäterätäter hervor.” Der Dichter als Täterätäter: Rühmkorf ist aufs liebenswürdigste komisch. In „Rückblickend mein eigenes Leben” stehen auch diese Verse: „Wo die Erde bereits wie ein durchgedrehter Brainburger / durch die große kapitalistische Imbißbude saust, / rasend, / rotierend, / dem Selbstverzehr entgegen . . . ”.
Anlässlich des 100. Geburtstags des Rowohlt-Verlags wollte Rühmkorf viele neue, lange Gedichte geschrieben haben, aber er arbeitet langsam: „Man fragte mich, was kam denn so zusamm’ / im letzten Jahr? / Ach, sprach ich, nur ein Lied, / so einfach wie die Hand mit einem Kamm / durchs Haar / paar hübsche Zeilen zieht.” Das ist die erste Strophe aus dem Gedicht „Widmungsblatt für E.”, E wie Eva Rühmkorf.
Rühmkorf war unglücklich, weil er nicht dazu kam, alle seine Gedichte zu schreiben. Da fiel ihm eine Ballade in die Hände, an die er einige Zeit lang gar nicht mehr gedacht hatte, „Die Ballade von den geschenkten Blättern”. Sie las sich auf einmal wie das Programm des Buchs, das Rühmkorf dann doch pünktlich publizieren konnte. Da scheißt ihm ein Paradiesvogel in den Garten, und der Dichter rupft das daraus keimende Gewächs ncht aus, sondern wartet ab: „Ein Stengel schoß auf, ein Blättchen daran, / das sah mich statt grün eher bleiern an.” Da wachsen die „Einfälle”, mit denen er umgeht und auf die er immer gesetzt hat. Dichtung, sagt Rühmkorf, sei nicht nur Arbeit mit Wörtern, man sei auch angewiesen auf das, was einem einfällt, zufällt oder vom Paradiesvogel in den Garten geschissen wird.
Wer sich bislang scheute, Gedichte zu lesen: Vor diesem Buch braucht er nicht zurückzuschrecken. Rühmkorfs gesammelte Blätter vom Paradiesvogelbaum beweisen, dass Dichtung ein Genre ist, das alle angeht. Der Baum in der Ballade empfiehlt sich dem Dichter und den Lesern: „ . . . weil auf jedem Blatt steht ein goldener Spruch / in privater Geheimschrift geschrieben. / Und wenn du sie einsäckelst Fitz für Fitz, / selbst die schrägen und scheinbar verrenkten, / und es mangelt dir eines Tages an Witz, / dann greif nur zurück auf deinen Besitz, / und es knattern wie eh die Poengten . . . / Und genieß dich getrost als Beschenkten!” FRANZISKA AUGSTEIN
PETER RÜHMKORF: Paradiesvogelschiß. Gedichte. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2008. 143 Seiten, 19,90 Euro.
„Eigentlich ist doch alles beklagt, / was noch nennenswert wäre.”
„Es hat sich ausgepsaltert, / nicht nur das Herz, das Hirn, die Seele altert.”
„Und wenn du morgens wieder mal dunkeltrunken / deinen Rattenbau erreichst . . . ”: Peter Rühmkorf im Oktober 2004 in Hamburg. Foto: Michael Zapf
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2008

Weile, Wunder, weile

Unermüdlich im Versstollen: Peter Rühmkorf gewährt in seinem neuen Gedichtband Einblicke in die Werkstatt des Poeten und die Betriebsgeheimnisse seiner Inspiration. Noch einmal werden auf meisterliche Weise die großen Themen seines Lebens variiert.

Von Hubert Spiegel

Eine Handschrift wie auf der Flucht, geduckt voraneilend, als müsste sich Buchstabe für Buchstabe gegen den Wind stemmen, verfolgte Verfolger allesamt, vom Dichter vorwärtsgepeitscht, ausgeschickt, den flüchtigen Einfällen hinterherzujagen: So sehen die Manuskriptblätter von Peter Rühmkorf aus. Zuerst wird getippt, mit der alten Olympia, der ab und an ein Buchstabe verrutscht, dann wird handschriftlich ergänzt, korrigiert, umgeschrieben. Wie kaum ein anderer Poet ist Rühmkorf in den Arbeitsprozess verliebt: Er will der Kundschaft, wie er seine Leser gerne nennt, immer wieder zeigen, wie viel Arbeit, welche Mühe in jedem seiner Gedichte steckt.

Deshalb sind auch in dem neuen Gedichtband "Paradiesvogelschiß" einige Manuskriptblätter faksimiliert, die den status nascendi vorführen, etwa auf Seite dreizehn, wo ein Gedicht, das noch keinen Titel trägt, mit den folgenden Zeilen beginnt: "Nun gut, okay, / du willst den Dichter geben - / Heißt praktisch von den eignen Seufzern leben." Neunzig Seiten später kommt es zu einem Déjà-vu. Aus drei Zeilen sind jetzt zwei geworden: "Also - gut, du willst den Dichter geben. / Praktisch von den eigenen Seufzern leben." Sie stehen am Anfang eines Gedichts, das nun den Titel "Geschlossene Anstalt" trägt. Damit ist das Kunstwerk gemeint, dessen Autonomie gegenüber Banalitäten wie den "nächsten Wahlen" am Ende mit markigem Wort beschworen wird: "Feierabend! / Das Gedicht ist dicht."

Kinder einer verstreuten Empfängnis

Was geschehen muss, damit ein Gedicht dicht ist, randvoll und gut verfugt, hat Rühmkorf immer wieder zu beschreiben versucht. Es sind poetologische Umkreisungen eines höchst komplexen Vorgangs, in dessen Zentrum ein schwer bestimmbares Gebilde namens "Einfall" steht. Einfälle sind Musenküsse und Zeitungsschnipsel, Halbsätze, Eindrücke, Wahrnehmungspartikel, schlichtweg alles, was herangeweht wird und haften bleibt, was in Spannung zu treten vermag, Assoziationen auslöst und einen Reibekontakt verspricht, kurzum: entzündliches Material jeglicher Art, das früher oder später für einen poetischen Funken gut sein könnte. Rühmkorf hortet solche potentiellen Funkenträger. In der vor vielen Jahren verfassten "Einfallskunde" hat er den Umgang mit ihnen so beschrieben: "Unzählige Einzelkinder einer verstreuten Empfängnis werden herankommandiert und auf ihre Verwertbarkeit begutachtet und vorläufig eingewiesen oder auf die Reservebank zurückbeordert." Jetzt sind etliche Einzelkinder in die geschlossene Anstalt eines neuen Gedichtbandes überwiesen worden. Einige von ihnen wurden zu den blechernen, bleiernen Blättern, von denen das erste Gedicht erzählt.

"Die Ballade von den geschenkten Blättern", im vorigen Jahr in dieser Zeitung vorabgedruckt, ist das große poetologische Eröffnungsgedicht, das beschreibt, wie aus einem in den Garten geklacksten "Paradiesvogelschiß" ein Baum erwächst, dessen Blattfülle nach wenigen Jahren das Haus des Dichters überschattet, so dass der Hausherr zu Axt und Säge greift. Aber wie im Märchen beginnt nun der Baum zu sprechen - "gib Acht, es folgt was Illüstres" -, wirft all seine Blätter mit einem Schlag ab und verkündet dem "ungläubigen Buchstabendruckser", dass auf jedem Blatt ein goldener Spruch stehe, in "privater Geheimschrift" geschrieben, ein Vorrat also an Einfällen, Funkenträgern und "Poengten", darunter allerdings auch "die schrägen und scheinbar verrenkten".

Was Rühmkorf hier beschreibt, ist nichts anderes als die eigene Arbeitsmethode, die eigene Vorratshaltung, das Archiv der Einfälle, dessen Ausmaß allerdings das ganze Leben zu überwuchern droht. Aber der Befreiungsschlag ist mit Axt und Säge nicht zu führen. Befreiung vom poetischen Rohmaterial ist nur möglich in der Transformation zum Gedicht, also durch Arbeit im Versbergwerk.

Vielleicht ist dieses Gedicht entstanden, als seine schwere Krankheit Peter Rühmkorf daran zweifeln ließ, ob er noch genügend Kraft für sein Handwerk habe. Jetzt aber eröffnet es den neuen Band mit einer Geste des Triumphs: "Die Ballade von den geschenkten Blättern" ist der Fanfarenstoß, mit dem Rühmkorf den Vorhang öffnet. Denn nun folgen auf achtzig Seiten die "goldenen Sprüche", das mal mehr, mal weniger sorgfältig bearbeitete Rohmaterial aus Rühmkorfs Sudelblättern also. Gerahmt werden die kurzen Gedichte, aphoristisch anmutenden Zweizeiler und Vierzeiler von den faksimilierten Seiten, die den Arbeitsprozess illustrieren, bevor im dritten Teil des Buches etwa drei Dutzend Gedichte den Band abschließen.

Die Themen sind überwiegend die alten: die Liebe, der Nachruhm und die "Unsterblichkeitsgrenze", Blütenblatt und Rückenakt, die "Kikerikikritik" und die lieben Kollegen wie "Big Benn, der große Stabreimmediziner". Besonders schön und anrührend ist die Erinnerung an die Nachkriegslektüre, 1947, als die Frage Thomas Mann oder Alfred Döblin, Buddenbrooks oder Biberkopf aufkam, als die ganze Welt zerhaun und verbeult war, der lesende Rühmkorf die Berliner Straßenbahnen durch sein Zimmer kreischen hörte und einen Riss zwischen sich und dem Zauberer aus Lübeck spürte, "der sich bis heut nicht schließen wollte".

Anders als in Robert Gernhardts großen "K-Gedichten", die den Krebs ins Metrum zwangen, wird hier die Krankheit nur selten direkt angesprochen. Wie ein lästiges Zwischenstadium wird sie übersprungen, als wäre nur der Tod ein Thema für die Ewigkeit, nicht aber die Malaise auf dem Weg dorthin: "Morgens auch nicht gerade auferstanden", das ist schon fast das ganze Krankendossier. Mehr will der Dichter sich und seiner Kundschaft nicht zumuten: "Es hat sich ausgepsaltert, / nicht nur das Herz, das Hirn, die Seele altert." Melancholie macht sich breit. Dass die Jugend heute so hübsch wie nie und so doof wie selten ist, der Zweifel, ob es sich lohne, "unter Stoffeln, unter Töffeln, / noch irgendwie einen Ruf zu erlöffeln", die Überzeugung, dass heute Gedichte gebraucht würden für jene, die "nichts lesen und nichts wissen", das sind Bitterstoffe im Spätwerk, die in dunklen Stunden zu schlechten Vorsätzen führen können: "Einfach werden - radikal. / Kompliziert, das war einmal. / Weil, ... Subtilität / kaum ein Leser noch versteht."

Aber dann geht es doch wieder weiter, wird dem Verhältnis zwischen Lyrik und bildender Kunst nachgespürt, absolut meisterhaft in "Bilderrätsel wortwörtlich", oder noch einmal, einmal noch und immer wieder, einer Liebsten gedacht und die Liebe beschworen: "Weile Wunder weile, / nur noch eine Zeile. / Wir sind / wenn ich nicht irre, / bißchen angestoßne Geschirre, / das kommt vom Zusammensein." Das ist von allen Blättern, die uns dieser Band schenkt, vielleicht das schönste - der liebende Dichter als irdenes Gefäß. Rühmkorf hat dieses Buch der Krankheit abgetrotzt und Freund Hein eine lange Feder gezeigt. Denn im Taubenschlag der deutschen Lyrik ist er nach wie vor der Paradiesvogel.

- Peter Rühmkorf: "Paradiesvogelschiß". Gedichte. Herausgegeben von Jürgen Manthey. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008. 160 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rundum glücklich ist Franziska Augstein mit Peter Rühmkorfs neuem Gedichtband. Dass zwei Drittel des Buchs aus Einfällen, Gedankensplittern und Aperçus bestehen, die Rühmkorf noch zu durchkomponierten Gedichten formen wollte, woran ihn der Krebs gehindert hat, schmälert für sie den Lesegenuss in keiner Weise. Denn, so Augstein: "Ein gutes Aperçu, gereimt oder nicht, ist etwas Vollkommenes". Und davon findet sie in dem Buch jede Menge. Egal also, ob formal perfekt durchkomponiert oder nicht: die Texte dieses Bands hat sie mit großer Freude gelesen. Sie sympathisiert mit Rühmkorfs Abneigung gegen Kitsch und Angeberei, schätzt seine treffenden politischen Kommentare und würdigt seine Ironie, Selbstironie und Komik. Thematisch kreisen viele der Gedichte um die Vergänglichkeit, um Liebe und Tod. Dabei hebt sie hervor, dass sich im gesamten Werk keine einzige "selbstmitleidige Zeile" findet. Der Band ist für sie der Beleg, dass Dichtung alle angeht. Sie kann ihn auch solchen Lesern ans Herz legen, die Gedichte bisher eher scheuten.

© Perlentaucher Medien GmbH