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Am 18.12.1935 fand in Italien die wohl aufwendigste Selbstinszenierung des faschistischen Regimes statt. Im Zuge einer beispiellosen Spendenaktion zur Finanzierung des Äthiopienkrieges waren italienische Paare, besonders aber die Frauen dazu aufgerufen, mit dem Austausch ihrer goldenen Eheringe gegen einen wertlosen, aber kirchlich gesegneten Ersatz ihre Treue zum Faschismus unter Beweis zu stellen. Millionen leisteten dem Appell Folge. Der vorliegende Band beleuchtet erstmals die Hintergründe dieses bemerkenswerten Geschehens. Dabei wird das kollektive Eheringopfer als Schlüsselereignis zum…mehr

Produktbeschreibung
Am 18.12.1935 fand in Italien die wohl aufwendigste Selbstinszenierung des faschistischen Regimes statt. Im Zuge einer beispiellosen Spendenaktion zur Finanzierung des Äthiopienkrieges waren italienische Paare, besonders aber die Frauen dazu aufgerufen, mit dem Austausch ihrer goldenen Eheringe gegen einen wertlosen, aber kirchlich gesegneten Ersatz ihre Treue zum Faschismus unter Beweis zu stellen. Millionen leisteten dem Appell Folge. Der vorliegende Band beleuchtet erstmals die Hintergründe dieses bemerkenswerten Geschehens. Dabei wird das kollektive Eheringopfer als Schlüsselereignis zum Verständnis grundlegender Aspekte des Faschismus betrachtet -- vor allem der zentralen Bedeutung der militärischen Expansion als innenpolitischem Mobilisierungsinstrument. Für die Frauen nahm die Trennung vom Ehering als symbolische Hochzeit mit dem Vaterland die Bereitschaft zum Gatten- bzw. Sohnesopfer im Krieg vorweg.

Die Studie leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zu Faschismus-, Totalitarismus- und gender-Theorie. Organisation, Verlauf und Resonanz der Trauringspende eröffnen auch einen sehr plastischen Einblick in den faschistischen Alltag, der über weite Strecken durch das Wechselspiel zwischen popularem Konsens und erzwungener Kooperation bestimmt war. Entsprechend der hohen Bedeutung visueller Propaganda im faschistischen Italien enthält der Band über sechzig Abbildungen, die ausführlich interpretiert und auf ihre symbolische wie ästhetische Wirkung hin untersucht werden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2005

Der Herr der Ringe
Konsensstiftung durch Symbolpolitik im Faschismus

Petra Terhoeven: Liebespfand fürs Vaterland. Krieg, Geschlecht und faschistische Nation in der italienischen Gold- und Eheringsammlung 1935/36. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2003. 594 Seiten, 88,- [Euro].

Im Spätherbst 1935 führte Italien einen brutalen Eroberungskrieg gegen das äthiopische Kaiserreich. Als der Völkerbund darauf mit Wirtschaftssanktionen reagierte, startete Mussolini seine bis dahin aufwendigste und erfolgreichste Mobilisierungskampagne zur propagandistischen Aktivierung der heimischen Volksmassen. Unter dem zugkräftigen Motto "Gold fürs Vaterland" wurden die Italiener zu Edelmetallspenden in großem Umfang aufgerufen. Ihren Höhepunkt fand diese Aktion in der landesweit kultisch zelebrierten Giornata della Fede (Tag des Traurings) am 18. Dezember 1935, in deren Verlauf nahezu jedes zweite italienische Ehepaar seine goldenen Eheringe gegen materiell wertlose Metallringe eintauschte, um so Patriotismus und nationalen Opfersinn augenfällig unter Beweis zu stellen.

Was sich im Rückblick als weltgeschichtliche Marginalie ausnehmen mag, wird in der luziden Analyse von Petra Terhoeven zu einem exemplarischen Schlüsselereignis faschistischer Symbolpolitik. Denn die Autorin rekonstruiert nicht nur Organisation und Verlauf, propagandistische Inszenierung und ästhetische Verarbeitung des kollektiven Ringopfers. Sie interpretiert das Geschehen darüber hinaus auch als Ausdruck des Selbstverständnisses eines Regimes, dessen Herrschaftsanspruch sich entscheidend durch die plebiszitär bekundete Interessensolidarität von "Volk" und "Führung" legitimierte. Das dabei verwendete methodische Instrumentarium besticht durch eine ausgesprochen multilineare Perspektive und weiß politik- und sozialgeschichtliche Problemstellungen ebenso souverän zu handhaben wie Fragen der Kulturwissenschaft oder Gesichtspunkte der Frauengeschichte.

Bemerkenswert ist zunächst die überaus breite Zustimmung, mit der die faschistische Spendensammlung von der großen Mehrheit der Italiener unterstützt wurde. Das Eheringopfer erfolgte im ganzen Land in einem Klima emotionalen Überschwangs, und am Ende übertrafen Spenderzahlen und finanzieller Gesamtertrag die zunächst gehegten Erwartungen beträchtlich. Widerlegt ist damit die antifaschistische Geschichtslegende, die über Jahrzehnte hinweg das liebgewonnene Bild einer durch Terror und Repression geknebelten Gesellschaft gehütet hatte. Das Gegenteil traf zu - jedenfalls bis zum Ende der dreißiger Jahre, und niemals war der inneritalienische Konsens größer, das regimekritische Widerstandspotential geringer als in den Tagen und Wochen der Sammelaktion vom Dezember 1935.

Das hohe Maß an Einverständnis mit der Herrschaft Mussolinis, wie es sich im Umfeld der Giornata della Fede nachdrücklich manifestierte, war aber nicht zuletzt auch die Folge einer geschickten szenischen Choreographie, mittels deren das Ringopfer zu einer "mystischen Hochzeit" zwischen Volk und Vaterland stilisiert und so für den einzelnen "nationale Geschlossenheit" zu einem sinnlich erfahrbaren Erlebnis konkretisiert wurde. Über alle sozialen Rangunterschiede und Klassengegensätze hinweg schien jeder am kollektiven Spendenopfer Beteiligte in seiner individuellen Existenz aufgehoben - und zugleich eingebettet in eine unüberschaubare Gemeinschaft Gleichgesinnter, was wiederum dem Regime einen quasiplebiszitären Legitimationsschub verschaffte. So stellen sich die Dinge zumindest dann dar, wenn man, mit der Autorin, und wohl zu Recht, im Opfergang zur Spendenurne ein faschismustypisches Surrogat für den seit 1922 verunmöglichten staatsbürgerlichen Gang zur Wahlurne erblickt.

Doch auch aus einem anderen Grund erwies sich das Ringopfer im Dezember 1935 als eine zutiefst konsensstiftende Unternehmung. Überall im Land wurde die Spendenaktion tatkräftig durch den katholischen Klerus unterstützt, traten Priester in Meßgewändern neben schwarzuniformierten Faschisten auf, um die metallenen Ersatzringe zu segnen. Überhaupt zeichnete sich das dem Ringopfer zugeordnete Zeremoniell in seiner religiös-sakralen Aufgeladenheit allerorts durch eine Mischung national-faschistischer und christlich-katholischer Symbole und Rituale aus. Dies wiederum lenkt den Blick fast zwangsläufig auf die mittlerweile modisch gewordene Diskussion über den in totalitären Systemen des zwanzigsten Jahrhunderts neugeschaffenen Staatskult als "politischer Religion".

Es gehört zu den wichtigsten Einsichten des argumentativ überzeugenden und zudem spannend geschriebenen Buches, den Nachweis geführt zu haben, daß die Verwendung dieses Begriffs für den Vaterlandskult des italienischen Faschismus nicht nur sinnlos, sondern ausgesprochen irreführend ist. Gerade die von harmonischer Kooperation zwischen Kirche und Regime getragene Symbiose faschistischer und katholischer Kulthandlungen bei Inszenierung der Giornata della Fede zeigt beispielhaft, daß der italienische Faschismus nicht nach Etablierung einer Ersatzreligion strebte. Der Liktorenkult war viel zu schwach, um als innerweltliche Sinngebungsideologie die katholische Glaubenslehre aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Mussolini hat das, in richtiger Einschätzung seiner Möglichkeiten, von Anfang an gewußt und die Autorität der Kirche zur legitimierenden Absicherung seiner eigenen Herrschaft genutzt. Das trennte ihn vom Christenhasser Hitler, dessen Politik auch in dieser Hinsicht totalitäre Züge trug und sich damit, einmal mehr, von der weitaus maßvolleren italienischen Variante des fundamentalistischen Nationalismus im zwanzigsten Jahrhundert abhob.

FRANK-LOTHAR KROLL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Unter dem Motto "Gold fürs Vaterland" wurden die Italiener im Dezember 1935 dazu aufgerufen, ihre goldenen Eheringe gegen wertlose Metallringe zu tauschen und damit die Kassen des Mussolini-Regimes nach dem Eroberungskrieg in Äthiopien wieder aufzufüllen. So skizziert Frank-Lothar Kroll die Ausgangssituation für Petra Terhoevens Untersuchung über faschistische Symbolpolitik. Das kollektive Ringopfer fand enormen Zulauf, berichtet Kroll, was dem Bild eines regimekritischen Italiens zumindest für diese Epoche widerspreche. Dies sei eine von vielen überraschenden Erkenntnissen, die Terhoevens argumentativ überzeugende und dazu noch spannend geschriebene Untersuchung zu Tage bringe. Die Eheringsammlung, die auf den ersten Blick eher lächerlich wirkt, wie Kroll zugibt, wurde zu einer "mystischen Hochzeit zwischen Volk und Vaterland" stilisiert und durch die Begeisterung, mit der sich die Italiener beteiligten, als "quasiplebiszitäre Legitimation" gewertet. Kroll arbeitet einen weiteren Aspekt von Terhoevens Untersuchung heraus: Mussolini war klug genug, die katholische Kirche für seine Zwecke einzuspannen, wußte aber auch, dass er dem italienischen Volk keine politische Ersatzreligion bieten durfte, lautet Krolls Schlussfolgerung.

© Perlentaucher Medien GmbH