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"Wir sind in die Epoche des doppelten Menschen eingetreten", behauptete der Titelheld in Jean Luc Godards 1965 gedrehtem Spielfilm Pierrot le fou. Wie recht er hatte! Und wie wenig er das wissen konnte! Zwei Jahre zuvor war eine Doppelexistenz entstanden, die ihresgleichen suchte: Moebius und Jean Giraud. Doch niemand ahnte damals etwas davon, denn Moebius war lediglich als Zeichner einiger Kurzgeschichten in einem wenig verbreiteten Satiremagazin, das sich Hara-Kiri nannte, aufgetreten, während Jean Giraud 1963 sein Debüt in dem damals überaus populären Comicmagazin Pilote erlebte.Blueberry…mehr

Produktbeschreibung
"Wir sind in die Epoche des doppelten Menschen eingetreten", behauptete der Titelheld in Jean Luc Godards 1965 gedrehtem Spielfilm Pierrot le fou. Wie recht er hatte! Und wie wenig er das wissen konnte! Zwei Jahre zuvor war eine Doppelexistenz entstanden, die ihresgleichen suchte: Moebius und Jean Giraud. Doch niemand ahnte damals etwas davon, denn Moebius war lediglich als Zeichner einiger Kurzgeschichten in einem wenig verbreiteten Satiremagazin, das sich Hara-Kiri nannte, aufgetreten, während Jean Giraud 1963 sein Debüt in dem damals überaus populären Comicmagazin Pilote erlebte.Blueberry hieß die Serie, die Giraud dort zeichnete, und sie sollte ihn berühmt machen. So berühmt, daß Moebius sein Wirken bald wieder einstellte, denn der eine ließ dem anderen keine Zeit. Dies sollte sich zehn Jahre später umdrehen: Mit einem Mal kehrte Moebius zurück, und seine Geschichten waren so erfolgreich, daß nun Jean Giraud ins Hintertreffen geriet. So entstanden zwei Biographien, die doch nur einen Urheber hatten, dessen bürgerlicher Name Jean Giraud lautet und der als Moebius heute Weltruhm genießt. Keinem anderen Menschen ist ein solches Doppelspiel gelungen; nur Godards Narr Pierrot, der im Film immer wieder betont, daß sein richtiger Name Ferdinand sei, darf als ähnlich konsequenter homme double gelten. Doch Moebius und Jean Giraud sind keine Fiktion. Das haben sie Ferdinand/Pierrot voraus, auch wenn Pierrot le fou seinen Hauptdarsteller Jean-Paul Belmondo als Leitbild seiner Generation etablierte.Jean Giraud aber hatte das schon vorausgesehen: Als er seinen ersten Helden, den Leutnant der US-Armee Michael Blueberry zeichnete, gab er ihm die Züge Belmondos, in dessen Rollen er sein eigenes Leben als Mittzwanziger wiedererkannte: "Die Abenteuer", schreibt Moebius in seiner Autobiographie, "lösten einander ab wie in einem Film von Godard, Charlotte et son Jules, der genau die Weise beschrieb, wie man sich zu benehmen hatte, um damals in der Pariser Gesellschaft a la mode zu sein. Genau zu der Zeit, als dieser Film herauskam, wurde Belmondo das Modell für die Figur von Blueberry - deutlich vor Pierrot le fou. Er war der Fahnenträger einer ganzen Generation." Diese biographische Parallele zwischen drei Menschen - Schauspieler, Zeichner und Comicfigur - endet jedoch schnell, und Moebius hat mit seinem Verweis darauf, daß er schon vor Pierrot le fou von Belmondo fasziniert war, jeden Zweifel an der Eigenständigkeit seiner eigenen Doppelexistenz ausgelöscht. Sie war vielmehr Kennzeichen einer Generation, nur daß Moebius dieser Rolle treu blieb. Während Belmondo auf der Leinwand lediglich zwei Stunden lang sein Doppelspiel betreiben durfte, tut Jean Giraud alias Moebius es im Comic seit vier Jahrzehnten. Blueberry mit Belmondos Zügen:Titelseite des deutschen Comicmagazins Zack Nr. 46, November 1972Durch den Ausschluß der amerikanischen Comicproduktion vom europäischen Markt hatte sich eine einheimische junge Generation von Comiczeichnern etabliert, die dann nach dem Krieg gegen die erneuerte Konkurrenz aus Übersee bestehen konnte, Nachwuchskräfte ausbildete und eine europäische Comictradition begründete, die es zuvor nicht gegeben hatte. Nun erst wurden Zeichner wie Herge (der Schöpfer von Tim und Struppi) und Jije, die schon vor dem Krieg berühmt waren, stilbildend. Ihrem Vorbild eiferten zahllose französische und belgische Jungen nach, und einer davon war Jean Giraud. Schon als Knabe zeichnete er seine ersten Comics, mit siebzehn - kurz bevor er nach Mexiko reiste - wurden die ersten gedruckt, und mit zwanzig wählte er sich einen Namen, unter dem er als Künstler berühmt werden wollte: Moebius.Warum wählt man ein Pseudonym? Die Frage weckt die Erwartung, daß über Moebius nur zu sprechen wäre als Maskierung, als Tarnhelm, unter dem ein Mensch verschwindet, der Jean Giraud heißt, wenn er einmal nicht die Feder hält. Doch das wäre zu kurz gegriffen, denn Jean Giraud ist mittlerweile nicht weniger eine Stilisierung als Moebius. Seine
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.03.2003

Nun gut. Nennen Sie mich Gott
Andreas Platthaus ist dem Comic-Zeichner Moebius in die Wüsten der Kreativität gefolgt
Ein Kasten in der Wüste, in der Einsamkeit eines Einzelbildes. Ein writer’s block gewissermaßen, denn drinnen hockt der Schreiber, der Zeichner, der Schöpfer des Comics selbst. In der Wüste vor dem Kasten wiederum sinnieren seine Geschöpfe, die Helden seiner Arbeit, bemüht ihn ja nicht zu stören in seiner Konzentration. „Wie lange ist er jetzt schon drin?” ... „Im Comic existiert die Zeit nicht. Statt ihrer gibt es nur die Kästchen.” ... „O.K. Na schön. Seit wieviel Kästchen ist er schon in diesem Würfel?”
Selbstbezüglichkeit, das ist der entscheidende Begriff in dieser Szene. Das Zauberwort, das inzwischen auch durchs amerikanische Kino spukt – in der kuriosen Buch-im-Film-im-Film-Variante „Adaption.” zum Beispiel, von Spike Jonze und Charlie Kaufman, seit einigen Tagen in unseren Kinos. Nun hat das Zauberwort einem Comic-Künstler den Zugang zur „Anderen Bibliothek” geöffnet: Moebius beziehungsweise Jean Giraud, Jahrgang 1938, die legendäre Doppelexistenz der französischen BDs. Als bürgerlicher Giraud hat er seit den Sechzigern die Westernserie Blueberry gestaltet, um den Südstaaten- Leutnant Michael Steve Donovan, der beim Eintritt in die Nordstaaten-Armee sich den Namen Blueberry zulegen muss. Als Moebius hat er die Comic- Sciencefiction geprägt durch Kreationen wie „Arzach” oder die Wüste B, den „Ort aller Verführungen”, oder, mit Alexander Jodorowsky, die Serie um John Difool. Exkursionen in eine Welt, in der das Innen und das Außen, die Psyche und das All nicht mehr voneinander zu trennen waren. Die Wüste ist es, die dieses Werk prägt, die es in die Nähe rückt zur modernen existenziellen Philosophie, von Sartre bis Deleuze. Als siebzehnjähriger hat Jean die Wüste erlebt – seine Mutter war einem Geliebten nach Mexiko gefolgt, hatte den Sohn nachkommen lassen. In den Erfahrungen dort scheint der Blick nach draußen, wie man ihn aus den „Searchers” kennt, gemischt mit den phantasmagorischen Mescalin-Visionen, wie sie Artaud und andere seit den Dreißigern machten. Eine verstörende Gleichzeitigkeit von Surrealem und Materiellem wird bezeichnend werden für das Werk von Giraud.
Vom Möbiusband des gleichnamigen Mathematikers hat der Autor sein Pseudonym geholt – jenem in sich verschlungenen Band, das keine Vorder- und Rückseite mehr hat, sondern nur noch eine einzige Fläche. Die Möbius-Existenz steht im Zentrum des Bandes, all die Versuche, das Populäre mit dem Artistischen zusammenzubringen, das erdverbundene Abenteuer mit den diaphanen Konzepten. Ein Doppelspiel, das sich auch im privaten, im familiären Leben weiterspinnt, in spirituellen Episoden mit einer Ufo-Sekte und Arbeiten fürs Kino – an der Verfilmung des Wüstenplaneten zum Beispiel. „Woran ist diese Harmonie, die so grandios im Möbiusband ihre Metapher gefunden hat, gescheitert?”, fragt Andreas Platthaus. Die Antwort: „Daran, daß Giraud seine beiden künstlerischen Existenzformen als Masken nutzte – ohne sie selber ernst zu nehmen. Er genoß das Doppelspiel, die Verwirrung des Publikums, den Beifall der Interpreten.”
Ein hartes Urteil, bei dem ein wenig der Vorwurf von Scharlatanerie mitklingt. Den man am aber flugs entkräften kann, indem man sich in die Fumetti flüchtet, die im Zentrum des Bandes stehen. Fumetti, Wölkchen heißen im Italienischen die Comics. Girauds Fumetti ist ein autobiografisches Werk, zwischen Dezember 2000 und November 2001 entstanden, eine Begegnung mit den eigenen Ichs, die uns mit dem Komplex von Kunst und Comic, von professionellem Handwerk und écriture automatique konfrontiert. Am Ende gibt der Autor den Widerstand auf:: „Nun gut. Nennen Sie mich Gott.” Reaktion: „Kicher. Kicher ... O.K. ... Hahaha. ”
FRITZ GÖTTLER
MOEBIUS ZEICHENWELT. Von Andreas Platthaus vorgeführt. Mit mehr als 250 meist unveröffentlichten Bildern. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2003. 300 Seiten, 32,50 Euro.
Der Blueberry-Effekt: „Gebrochene Nase”, von Giraud/Moebius.
Foto: Eichborn
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Moebius alias Jean Giraud ist eine legendäre Doppelexistenz der französischen Comicszene, klärt Fitz Göttler womöglich unkundige Leser auf. Unter seinem bürgerlichen Namen Giraud schuf er die Westernserie "Blueberry", als Moebius prägte er die Comic-Sciencefiction à la "Arzach" oder die Wüste B. Sein Pseudonym hat er dem Möbiusband des Mathematikers gleichen Namens entlehnt: ein in sich verschlungenes Band, erklärt Göttler, das keine Vorder- und keine Rückseite mehr hat. Diese Verschränkung von Innen- und Außenwelten, Körper, Psyche, Erde, Kosmos sei typisch für die Möbius-Existenz, die im Mittelpunkt dieses Bandes stünde. Spirituelle Eskapaden, Drogenexperimente und eine frühe Begegnung mit der Wüste hätten Giraud geprägt und in die Nähe der existenziellen Philosophie gerückt. Göttler erscheint das Urteil von Andreas Platthaus, der Künstler habe mit seinen beiden künstlerischen Existenzformen ein Doppelspiel gespielt, ohne sie selber ernst zu nehmen, zu hart. Die jüngsten "Fumetti" von Giraud aus dem Jahr 2001, worin Moebius eine Begegnung mit seinen beiden Ichs herbeiführe, entkräftigen diesen Vorwurf, meint Göttler.

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