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Emily Dickinson (1830 - 1886) gilt heute als größte Repräsentantin und erste moderne Stimme der angelsächsischen Poesie. Ihre Vision des Daseins, die den modernen horror vacui einschließt, macht sie zu einer denkbar unkonventionellen und experimentierfreudigen Dichterin der Natur, der Liebe und des Todes, und zu einer Meisterin abgründiger Ironie. Die vorliegende Auswahl will neben den berühmten auch reizvolle weniger bekannte Texte in der formbetonten Übertragung Werner von Koppenfels' zugänglich machen, die die Fremdheit dieser beunruhigenden Lyrik strenger als üblich respektiert. Die…mehr

Produktbeschreibung
Emily Dickinson (1830 - 1886) gilt heute als größte Repräsentantin und erste moderne Stimme der angelsächsischen Poesie. Ihre Vision des Daseins, die den modernen horror vacui einschließt, macht sie zu einer denkbar unkonventionellen und experimentierfreudigen Dichterin der Natur, der Liebe und des Todes, und zu einer Meisterin abgründiger Ironie. Die vorliegende Auswahl will neben den berühmten auch reizvolle weniger bekannte Texte in der formbetonten Übertragung Werner von Koppenfels' zugänglich machen, die die Fremdheit dieser beunruhigenden Lyrik strenger als üblich respektiert. Die Gedichte sind nach Themenkreisen gruppiert und werden durch einen biographisch-kritischen Essay eingeführt.
Autorenporträt
Emily Dickinson wurde 1830 in Amherst (Massachusetts) geboren, wo sie am 15. Mai 1886 starb. Von ihren 1775 Gedichten erschienen zu ihren Lebzeiten weniger als zwanzig, ihre Briefe zählen zu den Höhepunkten der amerikanischen Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.1995

Gewächs auf dem Vulkan
Die Dichtungen von Emily Dickinson, neu übersetzt

Mit diesem Band präsentiert der Münchener Anglist Werner von Koppenfels die bisher weiträumigste zweisprachige Anthologie jener oft rätselhaften Versgebilde, mit denen sich ein ältliches Fräulein aus Neuengland um die Mitte des letzten Jahrhunderts auf leisen Sohlen an die Spitze der literarischen Moderne schlich.

Walt Whitman, ihr Zeitgenosse, wirkte modern, weil er spektakulären Gegenständen die Würde des Poetischen verlieh und in rollenden Langversen die frohe Botschaft der Demokratie verkündete. Emily Dickinson schrieb in ihre Kladden zarte Versuche, sich dem Unsagbaren zu nähern und weitaus radikalere Revolutionen ins Wort zu bringen, als es Whitmans Sache war. Denn im Werk der 1830 in Amherst geborenen und 1886 ebendort gestorbenen Dichterin ging es um nichts anderes als die Erschütterung der cartesianischen Selbstgewißheit des Subjekts und um den Zusammenbruch des christlichen und bürgerlichen Vertrauens auf die Sinnhaftigkeit der Welt.

Realität verfremdet sich hier in Momenten, die als "Wunder- und Schreckenserlebnis" (Koppenfels) alle Konventionen neuromantischer Lyrik sprengten. Der Leser wird in den Bannkreis eines Sprechens gezogen, das Versatzstücke des abendländischen "Bildgedächtnisses" bemüht und oft genug Miniaturen herkömmlicher Naturlyrik entwirft. Doch dieser Ausgangspunkt literarischer Vertraulichkeit dient eigentlich nur dazu, die Abstürze zu verdeutlichen, in denen sich die Bedrängnisse von Tod, Vergänglichkeit und Schmerz ausbreiten. Erprobte Metaphern verweigern sich eindeutiger Entschlüsselung, und selbst die elementaren Regeln der Syntax scheinen unter dem Zwang eines poetischen Diktats zu verdampfen, das den Gedankenstrich zum wichtigsten Zeichen letztmöglicher Verknüpfungsmühen nobilitiert.

Dabei geben sich die Texte, von denen zu Lebzeiten nur sieben Gedichte veröffentlicht wurden, auf den ersten Blick als Zeugnisse naiver Unmittelbarkeit aus, gleichsam als Dokumente eines phantastischen Doppellebens, dessen nach außen gekehrte Seite nichts anderes als die Rollenfigur der braven Haustochter zu erkennen gab. Tatsächlich aber wußte diese Frau, daß ihre geistige und literarische Position im Kulturleben Neuenglands wenig Rückhalt finden konnte, und sie wußte auch, daß die quälende Ablösung älterer Gewißheiten auf ein Wagnis zulief, dessen theoretische Artikulation noch kaum begonnen hatte.

So wirken manche autobiographische Verse wie eine Warnung an den künftigen Leser, und in der privatesten Diagnose kündigte sich seismographisch das Entsetzen vor den eigenen Konflikten an, die schon das Stigma künftiger Heillosigkeit trugen: "Gras überzieht meinen Vulkan - Beschaulich scheint der Ort . . ."

Die mehr als zweihundert Gedichte des Bandes umspannen Formen des lyrischen Aperçus, Bild- und Gegenstandsmeditationen, die ernüchterte Reflexion christlicher Glaubenszuversicht, aber auch Protokolle bestürzender Heimsuchungen, die sich abseits des Pathos in knappsten Bildern, jedoch unmißverständlich objektivieren. "Am höchsten springt - ein Wundes Reh" beginnt ein Gedicht, das in der Schlußstrophe den Vorhang vor Emily Dickinsons Innenleben fast beiseite zieht: "Munterkeit ist Panzer für Pein - Vorsorgliche Wehr, Daß ja keiner das Blut entdeckt Und ruft ,Du bist verletzt'!"

Der Übersetzer und Herausgeber ordnet die Gedichte in acht Abteilungen nach übergreifenden Sinnkomplexen. Im Vergleich zur vorliegenden deutschen Fassung von Gertrud Liepe (erschienen im Reclam Verlag) wirken manche Verse, soweit sich vergleichen läßt, rhythmisch ansprechender und vor allem in der Nachbildung von Klangvalenzen ambitionierter. Der Stilduktus der Vorlage ist erhalten. Wer Liepes und Koppenfels' Versionen gegenüberstellt (etwa in der letzten Strophe von "I cannot live with You") wird freilich weniger Qualitätsunterschiede feststellen als Geschmacksnuancen und winzige Verschiebungen der Verständnisakzente. So bieten beide Auswahlausgaben von Emily Dickinsons Lyrik ein Exerzierfeld für Übersetzungsstudien.

Allerdings ist der vorliegende Band nur durch ein Register der Gedichte, eine Konkordanz und ein sachkundiges Nachwort erschlossen. Weder wird auf andere deutsche Ausgaben (Liepe/Lubbers; L. Gruenthal) hingewiesen noch die amerikanische Editionsgeschichte bibliographisch exakt dokumentiert. Deren Titel muß man sich aus den Copyright-Vermerken zusammensuchen. Hinweise auf Interpretationen, auf die weitläufige Forschungsliteratur, ja selbst auf grundlegende Monographien sind ausgespart. Berechtigte Leserinteressen werden so leider burschikos mißachtet. WILHELM KÜHLMANN

Emily Dickinson: "Dichtungen". Ausgewählt, aus dem Amerikanischen übertragen und mit einem Nachwort versehen von Werner von Koppenfels. Dietrich'sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 1995. 318 S., geb., 34,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Die Rezensentin Angela Schader hat sich entschieden, Gunhild Küblers Ausgabe der Gedichte von Emily Dickinson im Rückgriff auf Werner von Koppenfells' ältere Ausgabe zu besprechen. Die Entscheidung, welche der beiden Versionen die bessere ist, fällt ihr jedoch außerordentlich schwer. Während Koppenfells die Gedichte gekonnt und aufschlussreich nach Themen bündelt und in seiner textnahen, und daher "widerständigen" Übersetzung Dickinsons "radikale Fremdheit" erspüren lässt, ordnet Kübler die Gedichte in chronologischer Reihenfolge an und erhebt Dickinsons "Formwillen" zum leitenden Prinzip ihrer stärker am Klangbild orientierten Übersetzung. Letztendlich empfiehlt die Rezensentin, sich beide Bücher anzuschaffen, um in den Genuss ihrer fruchtbaren Synergie zu kommen.

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