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Der Wissenschaftsverlag Walter de Gruyter agierte während der NS-Herrschaft überaus erfolgreich. Angelika Königseder zeigt, wie er unter der Führung von Herbert Cram die ideologische Neuausrichtung von Staat und Gesellschaft akzeptierte, daran partizipierte und erheblich davon profitierte. Der deutschnational gesinnte Herbert Cram war kein Nationalsozialist, das hinderte ihn aber nicht daran, sich als Verleger mit den neuen Machthabern zu arrangieren. Der Verlag bemühte sich einerseits darum, die Qualitätsstandards eines wissenschaftlichen Universalverlages aufrecht zu erhalten, suchte aber…mehr

Produktbeschreibung
Der Wissenschaftsverlag Walter de Gruyter agierte während der NS-Herrschaft überaus erfolgreich. Angelika Königseder zeigt, wie er unter der Führung von Herbert Cram die ideologische Neuausrichtung von Staat und Gesellschaft akzeptierte, daran partizipierte und erheblich davon profitierte. Der deutschnational gesinnte Herbert Cram war kein Nationalsozialist, das hinderte ihn aber nicht daran, sich als Verleger mit den neuen Machthabern zu arrangieren. Der Verlag bemühte sich einerseits darum, die Qualitätsstandards eines wissenschaftlichen Universalverlages aufrecht zu erhalten, suchte aber zugleich die Nähe zu staatlichen Institutionen und dort angesehenen Wissenschaftlern. Er trennte sich in vorauseilendem Gehorsam von jüdischen und politisch missliebigen Autoren und Herausgebern, ohne vorhandene Handlungsspielräume zu nutzen. Wenn Autoren dem ökonomischen Erfolg eines Projektes im Wege zu stehen schienen, rückte der Verlag von ihnen ab. Die Geschäftspolitik des Verlages Walterde Gruyter unterschied sich damit nicht von der vieler anderer mittelständischer Unternehmen im nationalsozialistischen Deutschland.
Autorenporträt
Geboren 1966; 1991-2010 in verschiedenen Projekten am Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin; 2011-19 freiberuflich als Historikerin, Lektorin und Kuratorin von Ausstellungen zur NS-Zeit; seit 2020 Forschungs- und Projektkoordinatorin des Arthur Langerman Archivs für die Erforschung des visuellen Antisemitismus am Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2016

Alles nur im Dienst einer verbrecherischen Politik?
Mit dem moralischen Rigorismus der Nachgeborenen: Angelika Königseder bewertet die Rolle des Wissenschaftsverlages Walter de Gruyter zur Zeit des Nationalsozialismus

Bertelsmann, Holtzbrinck, Springer, Piper, Reclam, Brockhaus, Oldenbourg und Beck - immer mehr Traditionsverlage haben sich ihrer Vergangenheit im Dritten Reich gestellt. Nun legt Angelika Königseder, die länger am Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung tätig war, eine Studie zu einem hochrenommierten wissenschaftlichen Universalverlag vor. Sie entstand im Auftrag der Walter de Gruyter Stiftung, einer Gründung der Enkel-Generation des damaligen Verlagsinhabers Herbert Cram. Quellenbasis der Darstellung ist ausschließlich das umfangreiche Verlagsarchiv, ein Depositum in der Berliner Staatsbibliothek.

Walter de Gruyter hatte im Laufe eines knappen Vierteljahrhunderts zielstrebig die altehrwürdigen Vorgängerfirmen Göschen, Reimer, Guttentag, Trübner und Veit erworben und diese 1919 zur "Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co." in Berlin fusioniert. Nach des Gründers Tod 1923 übernahm der Schwiegersohn Herbert Cram das Unternehmen. Sein breites Themenspektrum umfasste Natur- wie Geisteswissenschaften, Technik, Jura und Medizin. Bald stand das Unternehmen hinter Julius Springer an der Spitze der Wissenschaftsverlage der Weimarer Republik.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren solche Firmen, so Königseder, von Regularien und Repressionen weniger betroffen; sie besaßen "weiterhin vielfältige Spielräume", da unter dem "Primat des Bellizismus" - wie es der Zeithistoriker Rüdiger Hachtmann formulierte - technisch-naturwissenschaftliche Publikationen eher gefördert als zensiert worden seien. Dass es so einfach keineswegs war, belegt die Autorin selbst mit Fallstudien zur konkreten Verlagsarbeit, die die Jahre 1933 bis 1939 unter dem Titel "Hält die NS-Ideologie Einzug in den Verlagsalltag?" untersuchen. Einem kurzen Kapitel über den Verlag im Krieg folgt ein Überblick über wichtige Programmbereiche (Jura, Altertum, Theologie, Zeitschriften - die Naturwissenschaften bleiben leider ausgeklammert).

Das Unternehmen veröffentlichte mit rund hundert Beschäftigten von 1933 bis 1945 mehr als zweitausend Titel in einer Gesamtauflage von 1,48 Millionen, dazu Zeitschriften in 271 290 Exemplaren. Wie die meisten Großverleger seiner Zeit inszenierte sich auch Cram als nationalkonservativer Patriarch und Protestant, keineswegs Antisemit, doch in skeptischer Loyalität zu den neuen Machthabern. Die Erhaltung und Mehrung des übernommenen Erbes stand für ihn über allen anderen Erwägungen. Die Pflege bester Kontakte zu Institutionen, Behörden und Entscheidern galt weiterhin als unverzichtbar. Dies hatte freilich zur Folge, wie die Autorin formuliert, "dass sich Unternehmen dadurch in den Dienst der expansiven und verbrecherischen Ziele des Regimes nehmen ließen".

Sie tadelt die "opportunistische Strategie", mit der sich der Verlag von "nichtarischen" Autoren und Herausgebern trennte: ein Jude als Herausgeber des "Deutschen Wörterbuchs"? Undenkbar, auch wenn er der kompetenteste Philologe war. Man wartete nicht die offiziösen Direktiven der Reichsschrifttumskammer ab. Zwei jüdische Verlage wurden auf einigermaßen faire Weise mit nur leichtem Rüchlein übernommen. Dagegen beschäftigte Verleger Cram die SPD-Politiker Adolf Grimme (vormals preußischer Kulturminister) und Paul Löbe (langjähriger Reichstagspräsident) als Korrektoren, nachdem die Nazis sie aus den Ämtern gedrängt hatten.

Als Beispiel, wie sich der Verlag "in den Dienst einer verbrecherischen Politik nehmen" ließ, rügt Königseder unter anderem, dass man geduldig wartete, bis die Schrifttumskammer 1937 die Neuauflage von Kürschners offiziösem Literaturkalender penibel auf zu tilgende jüdische Autoren (aber auch Erich Kästner und Thomas Mann) geprüft hatte: "Auf die Idee, die verzögerte Reaktion der Zensurinstitutionen im positiven, liberaleren Sinn zu nutzen und den Charakter des Nachschlagewerks zu erhalten, kam man nicht einmal mehr verlagsintern." Das bedeutet wohl: der Verlag hätte die verfemten Autoren gefälligst aufnehmen sollen, ohne sich um das Regime zu scheren. Wer solches postuliert, hat von der realen Lage des Verlagswesens im Dritten Reich wenig Ahnung.

Offensiv widerständiges Verhalten von Verlegern gab es nur in Einzelfällen und wenigen (etwa konfessionellen) Nischen. Auch ein so aufrechter und tapferer Mann wie Peter Suhrkamp - der es nur einflussreichen Gönnern verdankte, dass er das KZ überlebte - musste Kompromisse schließen. Königseder gibt selbst ein Beispiel, wie wenig mit den braunen Regenten zu spaßen war: Weil 1936 in der zum Verlag gehörenden Buchhandlung ein englischer Neuerscheinungskatalog auslag, in dem ein marxistisches Werk angezeigt war, kam der Verleger vor ein "Ehrengericht" des Buchhandels, der Geschäftsführer erhielt Berufsverbot.

Der Krieg sorgte für eine enorme Konjunktur des allerdings strikt reglementierten Buchmarktes. De Gruyter stand nicht abseits, wurde schnell zum wehrwirtschaftlich wichtigen Betrieb erklärt und vervielfachte die Gewinne, nicht zuletzt durch Lagerausverkäufe und weit höhere Auflagen. Man brachte Lehrbücher der Luftwaffe heraus und zahlreiche Frontbuchhandels- und Wehrmachtsausgaben, darunter 1942 allein 550 000 Exemplare einer Schachkunde für die Soldaten. Die „Sammlung Göschen“ verkaufte sich vorzüglich. Auch bei de Gruyter betrieb man trotz schwerer Bombenschäden bis Kriegsende unerschütterlich business as usual: Noch Ende Februar 1945 ersuchte man um Papierbewilligung für zehntausend Exemplare griechischer Klassiker im Urtext, insbesondere altspartanische Kampfreden, für Front, Lazarette und Gefangenenlager.

Besonders eingehend widmet sich die Autorin, die zum Thema Recht im Nationalsozialismus promoviert hat, dem juristischen Teilverlag, der de Gruyter als "Erfüllungsgehilfen des Regimes" und "Profiteur der NS-Gesetzgebung" entlarve. Tatsächlich hat das Unternehmen auch im NS-Staat die engen Beziehungen zu den juristischen Behörden weiter gepflegt und ausgebaut. Die Nürnberger Gesetze hat man im Gegensatz zu C. H. Beck und acht weiteren Verlagen allerdings nicht mit einem Kommentar begleitet.

Dagegen sind auch in diesem Bereich jüdische Autoren, Herausgeber, Kommentatoren rigoros verdrängt worden. Das geschah in vorauseilendem Gehorsam ("Kotau") bereits vor dem Erlass eindeutiger Direktiven und Gesetze. Allerdings macht Königseder nicht deutlich, dass das Regime von Anfang an auf infame Weise Vorzensur ablehnte und den Verlegern die gesamte Verantwortung zuschob - wer nicht selbst wisse, dass jüdische Autoren und jüdisches Gedankengut nicht mehr angängig seien, habe die Folgen zu gewärtigen.

Fazit der Autorin: "Der Verlag Walter de Gruyter hat die ideologische Neuausrichtung von Staat und Gesellschaft akzeptiert, partizipiert und erheblich davon profitiert, ohne die Option, sich aus politischen Gründen aus der einen oder anderen Wissenschaftsdisziplin zurückzuziehen - wie das zum Beispiel für den Springer Verlag im juristischen Bereich nachweisbar ist -, auch nur zu diskutieren."

Das Beispiel Springer ist jedoch nicht gut gewählt. Das Unternehmen war als jüdischer Verlag geächtet und durfte nur wegen seines exzellenten Auslandsabsatzes als Devisenbringer weiter existieren. Der Inhaber Julius Springer musste nach massiven Pressionen als "Volljude" 1935 aus dem Verlag ausscheiden, sein Vetter Ferdinand erhielt als "Halbjude" eine Sondergenehmigung. Auch bei Springer wurden zwischen 1933 und 1938 mehr als fünfzig jüdische Zeitschriftenherausgeber und -redakteure entlassen. Auf juristische Titel zu verzichten war also keine Widerstandsoption, sondern Selbstschutz.

Die Autorin hat das Verlagsarchiv intensiv ausgewertet und aufschlussreiches Material zutage gefördert. Andere Quellen sind nicht berücksichtigt. Betriebswirtschaftliche Daten, auch eine Produktionsstatistik fehlen, ebenso ein Blick auf die Außendarstellung (Anzeigen, Prospekte); Seitenblicke auf andere Wissenschaftsverlage fallen nur sehr sporadisch. Die Darstellung ist sehr wertungsfreudig, der Ton vielfach vorwurfsvoll sarkastisch. Man kann der Autorin nur zustimmen, wenn sie betont: "Ein vergleichendes Urteil über die Handlungsspielräume und die Positionierung von Wissenschaftsverlagen im Nationalsozialismus wird erst nach weiteren Forschungen möglich sein."

REINHARD WITTMANN

Angelika Königseder:

"Walter de Gruyter". Ein

Wissenschaftsverlag im

Nationalsozialismus.

Mohr Siebeck Verlag,

Tübingen 2016.

321 S., geb., 59,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Christoph Jahr lobt Angelika Königseders Studie, die erstmals die Geschichte des Walter de Gruyter Verlags im Nationalsozialismus darstellt. Von der Walter-de-Gruyter-Stiftung für Wissenschaft und Forschung in Auftrag gegeben, macht die Arbeit laut Rezensent deutlich, wie sich der Verlag den Wünschen des Regimes unterwarf, ja diese sogar übererfüllte, indem er etwa Thomas Mann, Else Ury und Erich Kästner aus dem "Kürschner" strich, dem Deutschen Literaturkalender, und sich so wirtschaftlich schadlos hielt. Der Verlag erscheint Jahr als Musterbeispiel eines Unternehmens, das Gewinnstreben über ethische Grundsätze stellte und dem NS-Staat diente. Die Autorin hat all das solide recherchiert und genau belegt, findet Jahr. Etwas mehr erzählerische Raffinesse hätte dem Buch nicht geschadet, meint er.

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