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Eine mit viel schwarzem Humor geschriebene ERzählung über die Flucht des Autors zu Fuß über die griechische Grenze (1991), verwoben mit köstlichen fiktiven Charakteren, gespiegelt in einer tiefgründigen Reflexion über das Migrantensein und die Bedeutung von Grenzen. Mit einem sehr aktuellen Interview des Autors zur heutigen Situation Albaniens in Europa und der Welt.

Produktbeschreibung
Eine mit viel schwarzem Humor geschriebene ERzählung über die Flucht des Autors zu Fuß über die griechische Grenze (1991), verwoben mit köstlichen fiktiven Charakteren, gespiegelt in einer tiefgründigen Reflexion über das Migrantensein und die Bedeutung von Grenzen. Mit einem sehr aktuellen Interview des Autors zur heutigen Situation Albaniens in Europa und der Welt.
Autorenporträt
Gazmend Kapllani ist in Lushnë / Albanien geboren und 1991 zu Fuß nach Griechenland geflüchtet. Er lebte mehr als zwanzig Jahre in Athen. Seine ersten drei Romane hat er auf Griechisch verfasst, bei seinem vierten Roman "Wrongland" (2018) kehrte er zu seiner Muttersprache zurück. Heute ist Kapllani Universitätsprofessor in Chicago.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2020

Gute Pässe,
schlechte Pässe
Gazmend Kapllanis lange Fluchtgeschichte
Das Wichtigste ist doch bitte die Eindeutigkeit. Wer bist Du? Woher kommst du? Wo gehörst du hin? Albaner? Grieche? US-Autor mit europäischen Wurzeln? Bist du Flüchtling? Migrant? Kosmopolit? Und der Text, den Du hier anbringst? Was soll das bitte sein? Sachbuch? Fiktion? Wo sollen wir das denn einordnen in solch einer Beilage?
Gazmend Kapllani macht sich geradezu einen Spaß daraus, permanent zwischen den Gebieten hin- und herzuwechseln. Sein „Unentbehrliches Handbuch zum Umgang mit Grenzen“ ist autobiographischer Roman genauso wie politischer Essay, lyrische Reflexionen wechseln sich mit absurden Anekdoten und der kühlen Sprache einer medizinischen Fallanalyse ab, sogar das Schriftbild wechselt alle paar Seiten, als wolle Kapllani von vornherein zeigen, es gibt nicht die eine Sichtweise, die eine Antwort, den einen Ort. In der Geologie würde man von einem Findling sprechen, der durch die Zeit und Schwerkraft, Eis und Tauwetter in eine fremde Gegend verschoben wurde. In der Politik von einem gefährlichen Subjekt, das sich da im Grenzgebiet tummelt, ohne eindeutig verortbar zu sein. In der Literatur könnte man einfach sagen: Was für ein spannender, komplexer Text.
Gazmend Kapllani wurde 1967 im Albanien Enver Hodschas geboren, einem Land, das einem riesigen Gefängnis glich, zusammengehalten aus Verfolgung, Paranoia und der völligen Ahnungslosigkeit seiner Bewohner. Kapllani erzählt von Vätern, die plötzlich auf den Balkon treten, schreien, sie seien keine Verräter und sich den Kopf wegschießen. Von hinterbliebenen Familien, die daraufhin nachts abgeholt und in die ländliche Verbannung geschickt werden, mit nichts als einem Koffer. Von Spitzeln, die nachts auf dem Dach zu hören sind um zu kontrollieren, ob irgendjemand es wagt seine Antenne in Richtung Italien auszurichten. Von einem Jungen, der von seinen linientreuen Eltern Marenglen genannt wurde, nach Marx, Engels, Lenin. Und von dem strengen Verbot, sich den Grenzen des eigenen Landes auch nur auf zehn Kilometer zu nähern.
Aber wie das so ist, gerade das, was verboten ist, hat die größte Anziehungskraft. Marenglen interessiert sich nicht die Bohne für Marx-Engels-Texte, stattdessen ist er so besessen von den Softpornos, die im italienischen Nachtprogramm der späten achtziger Jahre zu sehen sind, dass er seinen Eltern in der gemeinsamen Einzimmerbehausung abends Valium ins Essen mischt. Der Icherzähler hingegen hat eine andere Fixierung: Die Grenze. Von Kindheit an ist er „vom Grenzsyndrom befallen.
Dabei handelt es sich um eine Krankheit, die sich nur schwer klassifizieren lässt; sie ist im Übrigen nicht einmal auf der Liste anerkannter psychischer Störungen aufgeführt, wie die Platzangst, die Höhenangst oder die Depression. Auf jeden Fall weiß ich, dass es außer mir noch viele andere Menschen gibt, die unter dem Grenzsyndrom leiden. Doch wer nie das Verlangen verspürt hat, eine Grenze zu überwinden, oder sich nie von einer Grenze zurückgestoßen sah, wird schwerlich nur verstehen, wovon ich spreche.“
Im Januar 1991 ist Kapllani aus Albanien geflohen, er dachte, er sei allein, aber auf der griechischen Seite fand er sich inmitten einer Menschenkarawane wieder, die kein Ziel hatte als weg aus Albanien, „dieses furchtbare Tabu, genannt Grenze, zu brechen. Flucht als Selbstzweck. Flucht als Krankheit.“ Dass sie in den griechischen Nachrichten auftauchten als unheimlicher Flüchtlingstreck, verwilderte Gesichter, stumme Kolonnen, ahnten sie nicht. Der Erzählstrang, der die Wochen dieser Flucht in eine Sackgasse rekapituliert, wirkt wie ein Widerschein der aktuellen Bilder von der griechischen Grenze, nur dass es eben nicht die Syrer sind, in denen sich für die Menschen diesseits der Grenze das Fremde, die Bedrohung, der Schmutz und das graue Elend spiegeln, sondern die Albaner, die damals im Norden Griechenlands von der Polizei in Turnhallen oder Stadien zusammengetrieben wurden, ohne Essen, Betten, Medizin, dafür mit sehr viel Stacheldraht außen rum. Kapllani erzählt diese Wochen im Ton einer sturztraurigen und zugleich schrillkomischen Groteske, die Ahnungslosigkeit, mit der die Albaner am Rand des angeblich so freien Europas landen, erinnert an Don Quichotte: Als es heißt, dass Busse kommen, um die Geflüchteten abzuholen, debattieren die Männer untereinander, ob da nun der amerikanische oder der UN-Botschafter drinsitzen wird und wo ihnen wohl Arbeit angeboten wird. Die Männer prügeln sich um die Sitzplätze, nicht ahnend, dass die Busse sie einfach wieder nach Albanien zurückschaffen.
Kapllani klingt hier, als müsste er Blinden die Welt der Farben oder sagen wir eher der Grautöne erklären, schließlich gibt es die Grenze im Grunde nur für die, die keinen „coolen“ und das heißt europäischen Pass haben. Für uns Schengener sind Grenzen nahezu unsichtbar, "ein Spiel der Phantasie, eine geografische Linie, durchscheinend, wie mediterranes Licht.“ Für ihn mit seinem „schlechten“ Pass ist jede Grenze ein Bollwerk. Vor allem aber muss er lernen, dass er nach dem Überschreiten der geographischen Grenze immer neue Grenzen vorfinden wird, die Sprache, den Wohnungsmarkt, U-Bahnen, und „diese Blicke der Weißen, die nur Schwarze entschlüsseln können.“ Und wenn er eines Tages zurückkehrt? „Dann wirst du dem alten Migranten in Ignazio Silones Roman ‚Brot und Wein‘ ähneln, den sie im Dorf ‚Sciatap‘ nannten. Shut up war offensichtlich der einzige Ausdruck, den er in der Fremde wirklich gelernt hatte: Halt den Mund!“
Kapllani selbst verpasste 1991 einen der begehrten Plätze in den vermeintlichen UN-Bussen. Er schaffte es nach Athen, studierte Philosophie, promovierte in Politikwissenschaften, beantragte mehrfach die griechische Staatsbürgerschaft und wurde zu einem geachteten Autor und Journalisten.
Sein „Handbuch“ erschien in Athen bereits 2006, es wurde sowohl in Griechenland als auch später im englischsprachigen Raum ein großer Erfolg. Er geriet deshalb aber auch ins Fadenkreuz der faschistischen „Morgenröte“. Da die Regierung ihn weder schützen noch seinem Einbürgerungsantrag stattgeben wollte, wanderte er 2011 weiter, in die USA, wo er heute lehrt. In einem angehängten Interview von 2019 sagt er, er habe die Abweisung durch die griechischen Behörden „als regelrechte Verstümmelung auf kultureller und persönlicher Ebene erlebt: als hätte man mich eines oder mehrerer Gliedmaßen beraubt“. Und zeigt dadurch noch über den Text hinaus, dass das mit den Grenzen nicht aufhört. Aber immerhin wird Gazmend Kapllani wohl nie ein „Sciatap“ sein: Er leitet heute in Chicago den Lehrstuhl für albanische Studien an der DePaul University.
ALEX RÜHLE
Gazmend Kapllani: Unentbehrliches Handbuch zum Umgang mit Grenzen. Aus dem Griechischen von Nina Bungarten. Mit einem Interview von Monika Ludwig. Edition Converso, Bad Herrenalb 2020. 180 Seiten, 19 Euro.
1991 floh Kapllani aus Albanien
nach Griechenland,
heute lehrt er in den USA
Sprache, Wohnungsmarkt:
Hinter einer Grenze wartet
immer schon die nächste
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Alex Rühle hat Schwierigkeiten, diesen Text einzuordnen - autobiografischer Roman, politischer Essay oder lyrische Beobachtung? In jedem Fall ist er ein sehr spannendes und komplexes Stück Literatur, verspricht der Kritiker. "Im Ton einer sturztraurigen und zugleich schrillkomischen Groteske" erzählt Kapllani darin sowohl vom Aufwachsen in der sozialistischen Diktatur Albanien als auch von den diversen Grenzen, an die Geflüchtete auch nach der Überquerung von Ländergrenzen immer wieder stoßen: Sprach-, Vertrauens- und Einbürgerungsgrenzen, so der Rezensent. In Tagen, in denen sich erneut Flüchtende an der griechischen Grenze drängen, eine unverzichtbare Stimme, schließt Rühle.

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