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Ob Dietrich von Bern oder Wieland der Schmied, ob Walther und Hildegunde oder Hilde und Kudrun: »Die Gestalten der großen deutschen Heldensagen sind keine Individuen, keine Charaktere im modernen Sinne des Wortes.« Die Sagen selbst gehören aber zum Kanon der überlieferten Weltliteratur, auch wenn wir ihre Autoren nicht kennen. Die »Recken« mit ihren mythischen Waffen und Tarnkappen eignen sich nicht als moralische Vorbilder oder nationale Heroen, ihre Geschichten, Kämpfe, Intrigen und Liebeswirren erzählen vielmehr beispielhaft von der menschlichen Sehnsucht nach Ruhm, Liebe und…mehr

Produktbeschreibung
Ob Dietrich von Bern oder Wieland der Schmied, ob Walther und Hildegunde oder Hilde und Kudrun: »Die Gestalten der großen deutschen Heldensagen sind keine Individuen, keine Charaktere im modernen Sinne des Wortes.« Die Sagen selbst gehören aber zum Kanon der überlieferten Weltliteratur, auch wenn wir ihre Autoren nicht kennen. Die »Recken« mit ihren mythischen Waffen und Tarnkappen eignen sich nicht als moralische Vorbilder oder nationale Heroen, ihre Geschichten, Kämpfe, Intrigen und Liebeswirren erzählen vielmehr beispielhaft von der menschlichen Sehnsucht nach Ruhm, Liebe und Anerkennung.

Die vorliegende Ausgabe der Insel-Bücherei macht die klassische Nacherzählung der Deutschen Heldensagen von Gretel und Wolfgang Hecht, die sich eng an die Originaltexte hält, wieder zugänglich - erstmals ergänzt durch farbige Illustrationen von Burkhard Neie.
Autorenporträt
Burkhard Neie, 1965 in Berlin geboren, studierte Kommunikationsdesign und gründete 1990 die Kreativagentur »xix«, zu deren Kunden u. a. die Staatsoper Unter den Linden und der Friedrichstadtpalast gehören. Seine Illustrationen erscheinen u. a. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung; in der Insel-Bücherei erschien von ihm zuletzt Die schönsten Sagen der Antike. Burkhard Neie lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.2018

Die Zornesglut, wen reizt sie denn?

Burkhard Neie illustriert für die Insel-Bücherei eine Auswahl klassischer deutscher Heldensagen.

Was passiert, wenn man Handwerker nicht gut behandelt, das zeigt die Geschichte von Wieland, dem Schmied. Er arbeitet für König Nidung von Jütland, erschafft für ihn ein Wunderschwert und verdient sich mit einer Heldentat sogar die Hand der Prinzessin, dann aber kommt es zum Zerwürfnis, in dessen Folge Wieland versucht, Nidung zu vergiften. Zur Strafe lässt ihm der König die Beinsehnen durchtrennen. Der gelähmte Wieland arbeitet weiter für ihn, rächt sich aber furchtbar: Er tötet heimlich zwei der drei Prinzen, überzieht ihre Knochen mit Gold und jubelt sie Nidung als kostbares Tafelgeschirr unter. Die Prinzessin lockt er in seine Werkstatt und vergewaltigt sie, dann fliegt er auf künstlichen Schwingen davon. Am seltsamsten aber ist der Schluss dieser wirren und gewalttätigen Geschichte: Nidung stirbt an seinem Kummer, sein letzter Sohn wird König und schließt Frieden mit Wieland, der dann zusammen mit der Prinzessin und dem mittlerweile geborenen Sohn geehrt und beschenkt wieder nach Hause zieht: Er lebt "noch viele Jahre, und alle Welt rühmte ihn als den kunstreichsten unter den Schmieden".

Die mittelalterlichen Geschichten, die man "deutsche Heldensagen" nennt, haben, was oft vergessen wird, europäische Wurzeln, und die sind mitunter weit verzweigt. So ist etwa der Sagenkreis um Dietrich von Bern - in dem auch Wielands Sohn Witege (oder Wittich) seinen Platz hat - mit vielen einzelnen Texten oder Textfragmenten in mehreren Sprachen außerordentlich umfangreich, und die größte zusammenhängende Erzählung wird in der altnordischen Thidrikssaga überliefert, die wiederum auf deutsche Quellen zurückgeht. Hält man all dies gegeneinander, bleiben Widersprüche naturgemäß nicht aus, weder hinsichtlich der Handlung noch was die einzelnen Charaktere angeht, und wer immer es unternimmt, sie in kohärente Form zu bringen, muss ständig Entscheidungen über Inhalt, Form und Sprachstil treffen, und nicht zuletzt darüber, was er in seinem Text als Erklärung dieser Welt mitliefert und was er voraussetzen kann.

Der Band "Deutsche Heldensagen", der gerade in der Insel-Bücherei erschienen ist, stützt sich, was den Text angeht, auf die Nacherzählung von Gretel und Wolfgang Hecht, die 1969 in Leipzig herausgekommen war, verzichtet jener Ausgabe gegenüber aber nicht nur auf die Nibelungen und die Sage von Ortnit und Wolfdietrich, sondern auch auf Einführung, Nachwort, Anmerkungen und Literaturhinweise, was gerade bei so interessanten Überlieferungsgeschichten wie "Walter und Hildegunde" schade ist. Hier muss die Nacherzählung zwischen einem lang ausgeführten lateinischen Text, der Thidrikssaga und verschiedenen mittelhochdeutschen und altenglischen Fragmenten navigieren und dadurch die Geschichte der beiden Liebenden, die als Geiseln am Hof König Etzels leben und von dort Richtung Aquitanien fliehen, je nachdem weiter oder enger an den Sagenkreis um Dietrich von Bern rücken. Eine Ermessensfrage ist auch, an welche Fassung man sich hält, wenn Walter am Ende in den Vogesen, mit dem Rücken zum Fels stehend, Hildegard und die geraubten Schätze mit dem blanken Schwert gegen seinen Verfolger Hagen von Tronje verteidigt: Kämpft dieser finstere, aus dem Nibelungenlied bekannte Ritter nun im Auftrag des betrogenen und bestohlenen König Etzel oder - weit weniger gerechtfertigt - für den feigen Gunther, der von dem durchreisenden Walter das Gold und die Geliebte als eine Art Wegezoll verlangt?

Gretel und Wolfgang Hecht erzählten betont nüchtern und ohne Archaismen, aber auch ohne sich sprachlich beim Publikum ihrer Zeit anzubiedern, was ihrer Sache entschieden gut tut und dem Text noch fünfzig Jahre später seine Wirkung bewahrt. Ganz neu sind aber die teils ganzseitigen, teils vignettenhaften Bilder, die der Illustrator Burkhard Neie dazu geschaffen hat. Auffällig ist, dass er dabei einigen Abstand zum Geschehen wahrt und sich schon dadurch deutlich von seinen zahlreichen Vorgängern auf diesem Feld unterscheidet: Verlockende Szenen wie etwa die wilde Jagd Dietrichs von Bern hinter dem Verräter Witege her, der sich lieber mit seinem Pferd von einer Klippe ins Meer stürzt, als sich dem zornglühenden Verfolger zu stellen, interessieren Neie ersichtlich nicht. Stattdessen nimmt er einzelne Motive des Texts auf, stellt sie in neuen Zusammenhang und erzählt so nicht selten die Geschichte dort weiter, wo die Überlieferung eine Leerstelle lässt, etwa im rätselhaften Verschwinden Dietrichs auf der Jagd nach einem Hirsch. Auffällig ist die Vorliebe des Illustrators für Silhouetten, die, weil sie in alle Richtungen auszudeuten sind, dieses Weiterspinnen des Erzählfadens befördern.

Weil zugleich die Hintergründe der ganzseitigen Tafeln eine gemalte Maserung besitzen, die in die eigentlichen Ritterszenen hineinscheint, die wiederum an jeder Seite einen geknüpften Rand besitzen, werden mit Holz und Gobelin gleich zwei klassische Trägermedien zitiert, die aber jedes den anderen als Illusion entlarven. Überhaupt scheint es Neie auf Augentäuschung nicht anzulegen. Was immer er aus dem Fundus des ritterlichen Kosmos herbeiholt und ausstellt, weist geradezu aus der Enge dieser Welt hinaus, und selbst die zarten, kleinformatigen Zeichnungen zeigen sich gerade da am widerborstigsten, wenn sie zunächst Klischees zu erfüllen scheinen, wenn etwa unversehens eine Art Neuschwanstein auftaucht, wo man eine klobige Festung erwarten könnte; Illusionsdurchbrechung auch hier.

Stattdessen liegen immer wieder Kreise um Gruppen, Ereignisse oder Köpfe und lenken den Blick. Und auch das Spiel mit den Größenverhältnissen erweist den Illustrator als Interpreten einer Welt aus virtuos arrangierten Versatzstücken. Von der Oberfläche des Textes entfernt er sich damit und kommt ihm - seinen jähen Umschwüngen, seinen Rätseln, seiner tiefen Heterogenität - zugleich näher, als es die brav reproduzierenden Bilder einer früheren Zeit je vermochten.

TILMAN SPRECKELSEN

"Deutsche Heldensagen". Illustriert von Burkhard Neie.

Nacherzählt von Gretel und Wolfgang Hecht. Insel Verlag, Berlin 2018. 200 S., Abb., geb., 16,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»Gretel und Wolfgang Hecht erzählten betont nüchtern und ohne Archaismen, aber auch ohne sich sprachlich beim Publikum ihrer Zeit anzubiedern, was ihrer Sache entschieden gut tut und dem Text noch fünfzig Jahre später Wirkung bewahrt.« Tilman Spreckelsen Frankfurter Allgemeine Zeitung 20181030